Geopolitik der Digitalisierung: Wie der Abwehrkampf der USA gegen China eine toll gewordene Welt erklärt

Hören26. 06. 2023 | Wer verstehen will, was derzeit auf der großen Weltbühne, in Europa und in Deutschland vorgeht, sollte die Berichte der National Security Commission on Artificial Intelligence (NSCAI) und des Special Competitive Studies Project (SCSP) der USA kennen. Jeweils unter der Leitung des ehemaligen Google-Chefs Eric Schmidt haben diese Kommissionen im Auftrag von US-Regierung und Parlament aufgeschrieben, was nötig ist, um die globale Vorherrschaft der USA gegen China zu verteidigen. Die Umsetzung erleben wir gerade.

Die 2018 per Gesetz gegründet NSCAI, zu deutsch: Nationale Sicherheitskommission für Künstliche Intelligenz, war Ausfluss der Sorge der US-Eliten, dass die USA bald ihren Vorsprung bei der Zukunftstechnologie Künstliche Intelligenz (KI) an China verlieren werden, und in der Folge dann auch die wirtschaftliche, politische und militärische Vorherrschaft auf der Welt. Aus Anlass eines durch ein Informationsfreiheitsverfahren an die Öffentlichkeit gelangten Zwischenberichts der NSCAI habe ich darüber 2020 ausführlicher geschrieben.

Wie Covid-19 den USA in der Konkurrenz mit China um die globale Vorherrschaft hilft
25. 04. 2020 | Künstliche Intelligenz (AI) gilt dem Sicherheitsapparat der USA als entscheidend für den Erhalt der globalen Vorherrschaft. Gleichzeitig sah er China auf diesem Feld bald uneinholbar davonziehen, weil althergebrachte Strukturen und Regeln daheim die Umsetzung des Neuen und Digitalen behindern. Dann kam das Virus und änderte alles.

Laut Gesetz war es Aufgabe der Kommission, Wege zu entwickeln, wie die Regierung in Zusammenarbeit mit dem Privatsektor den technologischen Vorsprung bei künstlicher Intelligenz, Maschinenlernen und verwandten Technologien mit Relevanz für die nationale Sicherheit gegen China verteidigen kann.

Außerdem wurde ein Joint Artificial Intelligence Center (JAIC) von Militär und Geheimdiensten geschaffen. Dieses Gemeinsame Zentrum für Künstliche Intelligenz, hat unter anderem die Aufgabe, die Aktivitäten in dieser Richtung mit anderen Behörden, Unternehmen, Wissenschaftlern, und – für uns besonders interessant – den US-Alliierten abzustimmen.

Der Zwischenbericht der NSCAI

Unter dem Titel „Chinese Tech Landscape Overview“ wird in einer eigentlich nicht für die Öffentlichkeit gedachten Präsentation erläutert, welche strukturellen Vorteile es China ermöglichen, so rapide voranzuschreiten, dass die technologische und militärische Vorherrschaft der USA bedroht ist. Bei der Anwendung und praktischen Weiterentwicklung falle man aufgrund ungünstiger struktureller Faktoren immer weiter hinter China zurück.

Die dort genannten strukturellen Hindernisse sind zum einen Datenschutzregeln, zum anderen alles, was in Industrieländern, anders als in China, an analoger, gut funktionierender Infrastruktur vorhanden ist. Genannt werden als Probleme flächendeckende Bargeldversorgung und Bankfilialen, Ärzte und Krankenhäuser, Lehrer, gut sortierte Läden selbst in ländlichen Gebieten, funktionierender Individual- und öffentlicher Verkehr. Dadurch falle es Anbietern schwerer, die Menschen von der Vorzugswürdigkeit digitaler Alternativen und Verbesserungen zu überzeugen.

Weil es keinen Schutz der Privatsphäre gebe, könne in China die Regierung ungehemmt Aufträge für technikgestützte Massenüberwachung an die Digitaltechnologiekonzerne vergeben. Das helfe diesen ganz entscheidend dabei, ihre Technologie weiterzuentwickeln und durch Massenproduktion Kostensenkungen und einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen. Die Präsentation bezeichnet staatliche Programme der Massenüberwachung als „erste und beste Kunden für Künstliche Intelligenz“ und als „Killeranwendungen“ für Maschinenlernen. Straßen, die mit Kameras gepflastert sind, seien „gute Infrastruktur für Smart Citys“.

Es wird in der Präsentation zwar nicht ausdrücklich gesagt, aber doch im Kontext sehr deutlich erkennbar, dass man die strukturellen Hindernisse der US-Wirtschaft in Form von Datenschutz und althergebrachten, funktionierenden (analogen) Einrichtungen beseitigen möchte, weil man dies als einzigen Weg sieht, China am Überholen und Davonziehen zu hindern.

Wer unter diesem Blickwinkel die Entwicklungen und Bestrebungen der letzten Jahre seit 2019 Revue passieren lässt, von Lockdowns, Heimarbeit und Fernunterricht über digitale Konferenzen, autonomes Fahren und sogenannte Smart Cities, rapide Qualitätsverschlechterung des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, sowie vor allem in Großbritannien überwachungsintensive Mobilitätsbeschränkungen via 15-Minute-Cities und Umweltzonen, kommt kaum umhin, dem Joint Artificial Intelligence Center von Militär und Geheimdiensten für zu großem Glück oder einer ausgesprochen effektiven Arbeit zu gratulieren.

Der Abschlusbericht der NSCAI

Nach zwei Jahren Arbeit in enger Abstimmung mit dem Kongress, dem Weißen Haus und den Behörden, wie es in einer Pressemitteilung hieß, veröffentlichte Eric Schmidts Kommission aus 15 Führungskräften aus Wirtschaft, Wissenschaft und Sicherheitsorganen im März 2021 ihren Abschlussbericht.

Im vorangestellten „Brief“ von Schmidt und seinem Vize heißt es:

„Unser Abschlussbericht präsentiert eine Strategie zur Abwehr von KI-Bedrohungen, zum verantwortungsvollen Einsatz von KI für die nationale Sicherheit und zum Gewinnen des allgemeinen Technologiewettbewerbs zum Wohle unseres Wohlstands, unserer Sicherheit und unseres Wohlergehens. Die US-Regierung kann dies nicht allein tun. Sie braucht engagierte Partner in der Industrie, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft. Und Amerika muss seine ältesten Verbündeten und neuen Partner mit einbeziehen, um eine sicherere und freiere Welt für das KI-Zeitalter zu schaffen.“

Dass es um ein Anliegen von höchster Wichtigkeit für die USA geht, bei dem man davon ausgehen darf, dass „Vasallentreue“ (European Council on Foreign Relations) mit Nachdruck eingefordert wird, zeigen folgende Worte aus dem Bericht:

„Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg ist die technologische Vorherrschaft Amerikas – das Rückgrat seiner wirtschaftlichen und militärischen Macht – in Gefahr. China verfügt über die Macht, das Talent und den Ehrgeiz, die Vereinigten Staaten im nächsten Jahrzehnt als Weltmarktführer im Bereich der KI abzulösen, wenn sich die aktuellen Trends nicht ändern. (…) Die Vereinigten Staaten müssen alles tun, was nötig ist, um ihre Innovationsführerschaft und ihre Position in der Welt zu bewahren.“

Die Kommission gibt vor, im Gegensatz zu China, dessen Strategie ansonsten in allem als vorbildlich dargestellt wird, großen Wert darauf zu legen, dass Bürgerrechte und demokratische Prinzipien gewahrt werden. Wir sollten uns darauf allerdings keinesfalls verlassen, schon gar nicht, wenn wir in den Vasallenländern an diesem Abwehrkampf der USA um die Weltherrschaft teilnehmen dürfen.

Denn zunächst einmal werden irgendwelche Rechte, zum Beispiel auf Schutz der Privatsphäre oder auf Rechtsschutz, generell und aussdrücklich nur „Amerikanern“ zugestanden, womit nur US-Bürger gemeint sind.

Zum anderen handelt es sich erkennbar nur um Lippenbekenntnisse zu propagandistischen Zwecken. Die Studie ist ja öffentlich, da geht es nicht ohne solche Lippenbekenntnisse. Aber während der hunderte Seiten lange Bericht in Sachen Förderung der Digitalisierung und der IT-Wirtschaft sehr detaillierte Vorschläge bis hin zu Gesetzestexten macht, bleibt es bei der Bewahrung von Bürgerrechten und Demokratie bei Floskeln. Sie laufen im Wesentlichen darauf hinaus, dass die Geheimdienste, Polizeibehörden und sonstigen Behörden aufgerufen werden, genau aufzupassen, dass Rechte und Demokratie gewahrt werden, wenn sie selbst oder ihre Konzernpartner neue Instrumente oder Strategien einführen.

Das ist etwa so, wie wenn man den Bock auffordert, darauf zu achten, dass die Ziegenherde den Garten gut pflegt und ihm für diese Aufgabe noch ein paar Hilfsböcke mit in den Garten stellt. Besonders possierlich ist die Empfehlung, die Behörden sollten mehr Produkte mit Künstlicher Intelligenz einsetzen, um zu überwachen, ob die Produkte mit Künstlicher Intelligenz die Bürgerrechte wahren.

Das Special Competitve Studies Project (SCSP)

Das Special Comptitive Studies Project (Sonderprojekt zum Studium der Wettbewerbsfähigkeit), dessen erster Bericht unter dem Titel „Mid-Decade Challenges to National Competitiveness“ im September 2022 veröffentlcht wurde, ist der Nachfolger der National Security Commission on Artificial Intelligence (NSCAI). Im Abschlussbericht hatte die NSCAI ein solches Projekt empfohlen.

Das SCSP befasst sich über die Künstliche Intelligenz hinaus auch mit den anderen strategischen Zukunftstechnolgien, die die NSCAI in ihrem Abschlussbericht bereits identifiziert und andiskutiert hat. Es sind dies vor allem Mikroelektronik, Biotechnologie, Quantencomputer, 5G, Robotik und autonome Systeme, additive Fertigung (3D-Druck) und Energiespeichersysteme.

Henry Kissinger hat das Vorwort für den Bericht des Special Competitive Studies Projekt (SCP)  geschrieben. Er bezeichnet es als vergleichbar mit dem von Nelson Rockefeller in den 50er Jahren geschaffenen Special Studies Project, das den besten Umgang mit dem ideologischen und militärischen Konkurrenten Sowjetunion studierte und Politikempfehlungen entwickelte.

Anders als sein Vorgänger NSCAI, aber wie sein Vorbild, Rockefellers SCP, ist das SCSP privat finanziert. Laut Selbstdarstellung ist SCSP eine private Stiftung mit Sitz in Arlington bei Washington D.C. und eine Tochter der ebenfalls privaten Stiftung Eric & Wendy Schmidt Fund for Strategic Innovation.

Gemäß Schmidts eigenen einleitenden Bemerkungen „ist der strategische Wettbewerb zwischen den USA und China das bestimmende Merkmal der heutigen Weltpolitik“. Zum Auftakt des Hauptteils stellt der Bericht drastisch klar, was passieren würde, wenn die USA das technologische Rennen mit China verlieren würden.

  • Statt den USA würde China seinen techno-ökonomischen Vorteil in politische Macht ummünzen.
  • Anstatt im Orbit der USA würden viele Länder in Chinas Umlaufbahn kreisen, weil sie von Chinas Technik abhingen. Sie würden Chinas Regierung statt die der USA in globalen Krisen und multilateralen Gremien unterstützen.
  • Diese Länder würden den Hunger Chinas nach Daten stillen statt den der USA, durch die Daten, die durch dann von China statt den USA kontrollierte Netzwerke flössen. Das würde die militärischen und wirtschaftlichen Ambitionen Chinas stützten, statt derjenigen der USA.
  • Statt der demokratischen US-Regierung würde die autoritäre Allianz aus China und Russland technologiegestützte Überwachung und soziale Kontrolle etablieren und die Bedürfnisse des Staates über die der Individuen stellen.
  • Anstatt dass wohlmeinende westliche Regierungen „versuchen, Online-Inhalte zu moderieren und Desinformation zu bekämpfen“, würde „reibungslose digitale Unterdrückung“ nach chinesischer Art die digitale Freiheit ersetzen.
  • Anstelle des Überwachungskapitalismus der US-Tech-Konzerne würden dominante chinesische Plattformen den chinesischen Überwachungsstaat globalisieren.
  • Statt amerikanischen würden undurchschaubare chinesische Algorithmen die politischen Vorlieben der Menschen manipulieren.
  • Statt der amerikanischen würde die chinesische Regierung den globalen Zahlungsverkehr kontrollieren und als Machtmittel einsetzen können.
  • Statt von denen der USA würde die Welt von grundlegenden digitalen Technologien, Schlüsselkomponenten und Endprodukten aus China abhängig, die Teil jedes kritischen Systems wären.
  • Energieversorung, Häfen, Flughäfen, Finanzsysteme und Regierungsstellen würden global anfällig für Cyberangriffe Chinas. Mit solchen Attacken könnte dann China statt den USA im Streitfall drohen oder sie im Krisenfall einsetzen.

Die Statt-Formulierungen wurden jeweils von mir ergänzt, die anderen Satzteile zu China sind von Schmidt. Nur die fünfte „Statt“-Formulierung (Online-Moderation) stammt direkt von Schmidt.

IT-Konzerne und digitale Plattformen als zentrale Machtmittel

Der Bericht des SCSP lässt keinen Zweifel an der zentralen Rolle der IT-Konzere und Plattformen für die staatliche Machtausübung:

„Die Art und Weise, wie Staaten die Macht ihrer Technologieunternehmen für sich nutzen können, ist heute ein wesentliches Element der Staatsführung in der Geopolitik, bei der Gestaltung der internationalen Ordnung und im grundlegenden systemischen Wettbewerb zwischen offenen Gesellschaften und geschlossenen Systemen.“

Die digitalen Plattformen nennt der SCSP-Bericht „Instrumente der Staatskunst, die zu mächtig sind, um sie zu ignorieren“. Denn die Plattformen hätten die Macht zu entscheiden, welche Information geteilt wird, wie schnell und wie „laut“ sie verstärkt wird und wer Zugang dazu hat. „Da sie Unmengen Daten besitzen, können digitale Plattormen helfen, tiefe Einsichten über globale Trends zu gewinnen, ebenso wie über einzelne Individuen“.

Wer die Plattformen kontrolliert, weiß Bescheid über alles, was vorgeht in der Welt und kontrolliert die Menschen, steht da, und zwar nicht nur digital, denn:

„In dem Maße, wie physische, digitale und biotechnische Technologien in der nächsten Dekade verschmelzen, wird der Wettbewerb der Plattform-Staatskunst sich ebenfalls über die digitale Welt hinaus ausbreiten.“

Wer sich fragt, warum die amerikanischen Internetplattformen und IT-Konzerne kaum behelligt von europäischen Datenschutz- und Steuerregeln fast machen dürfen, was sie wollen, findet hier jenseits der vordergründigen Erklärungen einen tiefer liegenden Grund.

Auch die physische Infrastruktur der digitalen Kommunikation wird als wichtiger Machtfaktor benannt, denn die Frage, wer die digitale Infrastruktur kontrolliert, die Daten bewegt und speichert, bestimme die Sicherheit des Datenflusses und wo die Zentren der wirtschaftlichen Prosperität liegen. Das betreffe 5G und die Nachfolger, Datenkabel, Betriebssysteme und Datenzentren.

Deshalb hatte Eric Schmidt in seinem „Brief“ im Endbericht der NSCAI eine Koalition aus Regierung und IT-Konzernen beschworen, im Interesse der nationalen Sicherheit, also der globalen Dominanz der USA:

„Die Bundesregierung muss mit US-Unternehmen zusammenarbeiten, um die amerikanische Führungsrolle zu erhalten und die Entwicklung verschiedener KI-Anwendungen zu unterstützen, die im weitesten Sinne dem nationalen Interesse dienen. (…) Dies ist nicht die Zeit, in der abstrakte Kritik an Industriepolitik oder Ängste vor Defizitausgaben den Fortschritt behindern dürfen.“

Ein Office of Technology Transition Initiatives (Büro für Technologiewende-Initiativen) im Außenministerium oder in dessen Entwicklungshilfeorganisation USAID soll daher laut SCSP mit Expertenteams im Ausland Partnerregierungen in Sachen Netzwerkarchitektur, Cybersicherheit und „digitale Freiheit“ beraten, und so dafür sorgen, dass amerikanische und nicht chinesische Technologie zum Einsatz kommt.

Mit größter Intensität sollen die „zivilgesellschaftlichen“ Organisationen in fremden Ländern bearbeitet werden, um das Umfeld der „digitalen Freiheit“ zu formen.

Industriepolitik ist angesagt

Technologiewettbewerb ist laut SCSP nicht nur Wettbewerb um Märkte zwischen Firmen, sondern ein Wettbewerb um Macht, Reichweite und Einfluss dessen Ausgang die Souveränität der Nationen in der digitalen und der physischen Welt bestimmt.

Betont werden die Größenvorteile (Economies of scale) bei digtialer Infrastruktur und Plattformen. Wer am Größten ist, kann das attraktivste und günstigste Angebot machen und Nutzer, die die Wechselkosten scheuen, langfristig an sich binden. Deshalb sei frühes und schnelles Handeln dringend notwendig, um diese Größenvorteile zu erringen und im Technologiewettbewerb außenpolitisch handlungsfähig zu sein.

Die US-Regierung müsse deshalb eine Techno-Industrielle Strategie (TIS) verfolgen, eine Industriepolitik, die auf die fortschrittlichsten Technologiebereiche fokussiert ist, die das Wachstum antreiben und kritisch für die nationale Sicherheit sind.

Das wird seit 2022 über den CHIPS and Science Act von 2022 und den Inflation Reduction Act (IRA) so offen und intensiv wie sehr lange nicht umgesetzt.

Mit dem Inflation Reduction Act plant die US-Regierung Investitionen in Höhe von 369 Milliarden US-Dollar allein in den Klimaschutz und die Stärkung der Zukunftsbranchen. Vieles davon sind wettbewerbspolitisch hochproblematische Subventionen. Insgesamt sieht das Gesetz Gesamtausgaben von 433 Milliarden US-Dollar vor. Dabei setzt die US-Regierung darauf, durch Subventionen für Produzenten und Käufer, die man nur bei lokaler Produktion bekommt, ausländische Konzerne – auch aus Europa – zur Verlagerung ihrer Produktion in die USA zu bewegen. Mit einem „Production Tax Credit“ in Höhe von 60 Milliarden US-Dollar für die nächsten fünf Jahre werden Unternehmen, die saubere Energien herstellen, darunter Solarzellen, Windturbinen, Batterien und die Verarbeitung wichtiger Mineralien, gefördert. In Europa ist man – Berichten zufolge – „irritiert“, wehrt sich aber nicht ernsthaft.

Der CHIPS and Science Act sieht Subventionen von rund 50 Mrd. Dollar für die US-Halbleiterindustrie vor.

Insbesondere auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz sei staatliche Industriepolitik dringend nötig, schreibt das SCSP. Denn der erfolgreiche chinesische Ansatz der KI-Innovation beruhe darauf, dass Regierung und Konzerne dort gemeinsam so viele Ressourcen für KI-Innovation aufwenden, dass US-Konzerne allein nicht mithalten könnten. China unterstütze „nationale Champions“ wie Hauwei, Baidu, Alibaba, Tencent, iFlytek und SenseTime als Technologieführer, die vom Staat vorgegebene Prioritäten voranbringen, was oft militärisch-geheimdienstliche Anwendungen beinhalte. Auch finanziere China massiv digitale Infrastrukturprojekte im Ausland.

Es drohe ein Teufelskreis für die USA aus noch mehr und noch besseren Daten für China, besseren Algorithmen, die mehr Anwendungsmöglichkeiten bieten, und dadurch noch mehr Daten:

„Wenn Chinas Firmen diese Wettbewerbe gewinnen, wird dies nicht nur die US-Wirtschaftsunternehmen benachteiligen, sondern auch die digitale Grundlage für eine geopolitische Herausforderung für die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten schaffen.“

Damit das nicht geschieht, sollen also auch in den USA Regierung und Konzerne in einem gigantischen fiskalisch-militärisch-geheimeimdienstlich-industriellen Komplex zusammenarbeiten um maximale Mengen an Daten zu generieren und zu nutzen.

Als wichtiger Kampfplatz in der Konkurrenz um die Vorherrschaft wird auch das Finanzwesen identifiziert. Das SCSP bezeichnet Amerikas Führerschaft auf diesem Gebiet als „wichtige Säule der nationalen Macht und von Washingtons Fähigkeit, Sanktionen zu verhängen und die globalen Märkte zu formen“. Das Rennen um die Zukunft des Geldes, ausgetragen durch digitale Währungen und Bezahlplattformen, sei auch ein Rennen zur Bewahrung dieses lebenswichtigen Vorteils.

Keine Zeit sich um Bürgerrechte zu kümmern

Zeit und Raum für große Skrupel in Sachen Schutz der Privatsphäre und der Bürgerrechte bleibt da nicht. Eric Schmidt zitiert in seinem „Brief“ im NSCAI-Bericht Henry Kissinger mit:

„Wenn der Handlungsspielraum am größten ist, ist das Wissen, auf das man sich stützen kann, immer am geringsten. Wenn das Wissen am größten ist, ist der Handlungsspielraum oft verschwunden.“

Das dürfte ganz klar bedeuten: für so etwas wie das von vielen KI-Fachleuten geforderte Entwicklungsmoratorium, um zunächst einmal die gesellschaftlichen Folgen der Künstlichen Intelligenz einschätzen und die Entwicklung steuern zu können, ist keine Zeit, weil man sonst fürchtet, den Anschluss an China zu verlieren.

Gleiches gilt letztlich für den Datenschutz generell, sei es im Finanzwesen oder im Gesundheitswesen. Denn wenn die Konzerne der US-dominierten Sphäre von Datenschutz daran gehindert werden, bestimmte Anwendungen zu entwickeln und auszurollen, dann machen sie weniger Geschäft und bekommen weniger Daten als die chinesischen Konzerne. Und das darf nicht sein. Denn die globale Dominanz der USA ist allemal wichtiger als Datenschutz.

Aber Lippenbekenntnisse und Pflaster für die geschundenen Seelen der Bürgerrechts- und Datenschutzaktivisten gibt es reichlich. Schließlich will man ja darlegen und werblich ausschlachten, dass es etwas ganz anderes ist, wenn in einer Demokratie die Überwachungs- und Manipulationsmöglichkeiten der KI genutzt werden, als wenn das in einem Einparteienstaat geschieht.

Und außerdem, so die Argumentation im SCSP-Bericht zwischen allen Zeilen: wenn zu viel Datenschutz dazu führt, dass China die Weltherrschaft übernimmt, dann ist das für die Bürgerrechte noch viel schlimmer, denn dann „leben wir in einer Welt, in der Technologien, die unser tägliches Leben bestimmen, unsere Werte nicht reflektieren“. Also bloß keine „übermäßig restriktiven regulatorischen Regime als Antwort auf KI-Skepsis und Angst“ aufsetzen. Weder in den USA selbst, noch bei den Alliierten. Die Bestrebungen der EU, KI durch ein KI-Gesetz zu regulieren und dabei besonders problematische Anwendungen auch zu verbieten, wird in dieser Richtung schon als innovationsfeindlich eingestuft, wegen zu hoher Kosten der Regelbefolgung.

Das SCSP macht sich eine kritische Einschätzung der US-Handelskammer zu eigen, in der es heißt:

„In den Vereinigten Staaten konzentrieren sich die politischen Entscheidungsträger zu Recht darauf, die Wettbewerbsfähigkeit Amerikas durch die Förderung der Entwicklung und Nutzung von KI zu stärken. Mit dem Vorschlag für das KI-Gesetz scheinen die europäischen Politiker zu glauben, dass ihre Fähigkeit und Bereitschaft zur Regulierung einen Wettbewerbsvorteil gegenüber innovativeren Volkswirtschaften darstellt. Dies ist ein Spiel mit hohem Einsatz.“

Produkte von Microsoft, Zoom und Co. haben sich bei uns schon so unentbehrlich gemacht, dass die EU das Verbot nicht durchsetzen kann, unsere Daten auf Servern mit Zugriff der US-Regierung zu speichern und zu verarbeiten. Deshalb kann man ahnen, dass das KI-Gesetz der EU wenig bewirken wird. Selbst unsere Strafverfolgungsbehörden nutzen ja bereits die Dienste von US-Überwachungsfirmen wie Palantir, die eng mit den dortigen Geheimdiensten zusammenarbeiten.

Stattdessen sollen wir laut SCSP lieber nur so viel regulieren, dass Exzesse vermieden werden, die die Öffentlichkeit zu sehr gegen KI aufbringen und zu einer Gegenbewegung in Richtung rigider Überregulierung führen könnten. Ideal sei die Nationale KI-Strategie der Briten, die sich bisher weitgehend in Floskeln erschöpft.

Mit anderen Worten: Die USA werden in Sachen KI-Regulierung nicht mit Europa kooperieren. Ihre Konzerne werden ungebremst mit der Entwicklung aller denkbaren Anwendungen fortfahren, und erst, wenn sich große Probleme mit hoher Öffentlichkeitswirksamkeit zeigen, wird reguliert.

Ohnehin könne man durch nachhaltige Kommunikation mit der Öffentlichkeit über die Zukunft der Privatsphäre durchaus dazu beitragen, dass die „vernünftigen Erwartungen von Privatheit“ sich dem technologischen Fortschritt anpassen. Daran wird seit mindestens 2010 intensiv gearbeitet, wie ich in früheren Beiträgen unter dem Stichwort Lock-Step (Gleichschritt) dargelegt habe.

Der Macher des Gleichschritt-Szenarios der Rockefeller Stiftung wirbt nun offen für Totalüberwachung
18. 08. 2020 | Im Jahr 2010 hat Peter Schwartz zusammen mit der Rockefeller Stiftung das Schöne-neue-Überwachungswelt-Szenario „Lock Step“ (Gleichschritt) entwickelt, als Zukunftsvision für die Zeit nach einer Pandemie. Während Rockefeller eifrig an der Vertiefung arbeitet, kümmert sich Schwartz um die Verbreiterung und wirbt in einem Interview sogar ganz offen für die Totalüberwachung.nach den Worten

Folgerungen und Folgen

Wenn man sich die Bedeutung von Digitalisierung und KI-Anwendung für das wichtigste Staatsziel der Noch-Führungsmacht der Welt vor Augen führt, deren Vasallen wir nach den Worten der European Council on Foreign Relations sind, dann muss man sich über vieles nicht mehr wundern, was derzeit vorgeht und in den letzten Jahren vorgegangen ist:

  • Darüber, dass gleichzeitig und koordiniert so viele Zentralbanken und Gesetzgeber mit Nachdruck an der Einführung digitaler Zentralbankwährungen arbeiten, obwohl diese bei den Bürgern auf Skepsis stoßen und obwohl sie keinen nennenswerten Zusatznutzen bieten. (Dossier)
  • Über die Verve, mit der die Politik in Deutschland und der EU an der Abschaffung des Bargelds arbeitet, gegen den Willen der großen Mehrheit der Bevölkerung und ohne zuzugeben, dass sie es tun. Um das voranzutreiben, wurde die Corona-Pandemie mit großem Nachdruck und unter intensiver Nutzung falscher Behauptungen genutzt (Dossier).
  • Über die Erzeugung völlig übertriebener Corona-Angst durch eine massive, von den USA ausgehende PR-Kampagne, die absichtsvoll in Lockdowns, Fernunterricht an Schulen und Unis, erzwungene Gesundheitspässe im Alltag und ähnliche autoritäre Maßnahmen mündete, deren hauptsächliche Wirkung darin bestand, den US-IT-Konzernen zu noch größerer Durchdringung Europas und noch mehr Daten zu verhelfen, und die digitale Überwachung zu normalisieren.
  • Über die Rücksichtslosigkeit mit der die USA ihre neue protektionistische Industriepolitik mit den Subventionen des Inflation Reduction Act und weiteren Gesetzen vorantreiben und die Unterwürfigkeit, mit der Europa das hinnimmt.
  • Über die gegen den Willen von Ärzten und Bevölkerung durchgesetzte Digitalisierung des Gesundheitswesens, dessen Hintergrund Trotzallemimmernochminister Lauterbach offen aussprach, als er am 20.6. twitterte: „In wenigen Minuten eröffne ich den großen Kongress zur transatlantischen Nutzung von Gesundheitheitsdaten, den Bundesgesundheitsministerium und Harvard-Universität organisiert haben“. (Dossier).
  • Über das europaweite Vorantreiben von Smart-City-Projekten, letztlich nur ein Euphemismus für Überwachung der Bürger und Steuerung ihrer Bewegungen mit Kameras und allen möglichen anderen Sensoren (Dossier) und damit zusammenhängend, europaweite Sozialpunkt-Pilotprojekte (Dossier) und in  Großbritannien die Einführung von 15-Minute-Cities, in denen die Mobilität der Bürger stark eingeschränkt wird.
  • Über von amerikanischen Stiftungen und Konzernen vorangetriebene Projekte wie ID2020 und Known-Traveller, mit denen jedem Menschen eine eindeutige digital-biometrische Identität zugewiesen wird, über die eine vernetzte Mega-Datenbank über alle Menschen laufend mit Unmengen Daten über deren tägliches Leben gefüllt wird, sowie die Tatsache, dass die Bundesregierung und EU-Kommission dabei unterwürfig mitmachen, obwohl das rechtlich ausgesprochen problematisch ist (Dossier)

Und, etwas spekulativer, weil über das Folgende in öffentlich zugänglichen Berichten aus naheliegenden Gründen nicht offen gesprochen wird:

  • Über die mutwillige Deindustrialisierung Europas, die den USA und ihren Konzernen die Führungsrolle im eigenen Einflussbereich sichert und ihnen in der Konkurrenz um knapp werdende globale Ressourcen hilft. Die USA treiben zwar die Energie- und Klimawende propagandistisch voran, sind bei der Umsetzung aber nicht annähernd so eifrig wie die Europäer. Der European Council on Foreign Relations (ECFR) hat den Europäern kürzlich erklärt, dass sie unzureichend motivierte Vasallen der USA sind, die ihr Lehnsherr ausplündern und wegwerfen wird, wenn sie sich nicht bald nützlicher machen.
  • Über Politik der Wirtschaftssanktionen, insbesondere im Energiebereich, mit denen Europa sich massiv selbst schädigt, um geopolitische Ziele der USA zu fördern, während sich die USA weitgehend auf Sanktionen beschränken, die sie selbst nichts oder wenig kosten.

Nichts davon wird sich in absehbarer Zeit in Wohlgefallen auflösen. Solange China weiter erfolgreich ist, werden wir eine Intensivierung dieser Aktivitäten erleben. Freiheitsrechte werden dem von den USA ausgerufenen Kampf gegen die vermeintlich drohende Machtübernahme durch China immer mehr untergeordnet werden mit dem Argument, dass ein Sieg Chinas im Wettbewerb der Systeme noch mehr Unfreiheit produzieren würde.

Erwartbar ist auch, dass der militärisch-industrielle Komplex in den USA, der auch die Kommissionen NSCAI und SCSP bestückt hat, in bewährter Manier und mit zunehmender Aufgeregtheit einen übermächtigen Gegner an die Wand malt, um von der Politik Mittel und von der Öffentlichkeit Unterstützung zu bekommen.

Die Machtverhältnisse sind so, dass die EU und erst recht Deutschland sich an diesen wenig aussichtsreich erscheinenden Kampf der USA um die Bewahrung ihrer globalen Dominanz beteiligen müssen. Aber je willfähriger das geschieht, und je weniger das öffentlich diskutiert und kritisiert wird, desto rücksichtsloser wird das auch gegen unsere Interessen vorangetrieben werden.

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