„Lobbyland“ von Marco Bülow, rezensiert von Hendrik Flöting

16. 08. 2021 | Marco Bülow war stellvertretender umweltpolitischer Sprecher der SPD, als er 2018 seine langjährige Mitgliedschaft aufkündigte. 2020 trat er in „Die Partei“ ein. „Lobbyland“ ist nicht sein erstes Buch. 2004 veröffentlichte er „Generation Zukunft“, 2010 folgte „Wir Abnicker, über Macht und Ohnmacht der Volksvertreter“. „Lobbyland – Wie die Wirtschaft unsere Demokratie kauft“ war in der ersten Auflage schnell vergriffen, jetzt gibt es die zweite. Hendrik Flöting hat das Buch gelesen.

Hendrik Flöting. Marco Bülow fiel mir vor Jahren über einige Reden auf, in denen er die Abläufe zur Entscheidungsfindung von Abgeordneten beschrieb, sprich den Abgeordnetenalltag. Er ist für einige Vereine aktiv, unterstützt die linke Bewegung „Aufstehen“ und gründete die „Progressive Soziale Plattform“ die sich laut Selbstbeschreibung für „echte Demokratie“ einsetzt. Es braucht also eigentlich keine Werbung. Aber wir können sein Buch als „Handwerkszeug“ gut brauchen, um umzusetzen was dringlich nach uns ruft. Ich nenne es einmal Selbstermächtigung.

„Lobbyland“ ist ein kleines Taschenbuch mit 206 Seiten. Die ersten 158 Seiten – in erfrischender Sprache geschrieben – sind Erfahrungsberichte aus dem Partei- und Abgeordnetenalltag eines langjährigen SPD-Mitglieds und Bundestagsabgeordneten. Seiten voller Demokraten, Idealisten und Moralisten, aber auch von abstoßenden und zutiefst verstörenden Beschreibungen von bis ins absurde gehenden Abläufen, Strukturen und Sichtweisen. Hier wird aus jahrelangem Erleben berichtet.

Es kann einem in dieser Ansammlung die Tränen der Verzweiflung in die Augen treiben, wenn der Zerfall politischer Strukturen, der Verfall demokratischen Bewusstseins von einem Menschen beschrieben wird, der mittendrin steht und am tagtäglichen Erleben leidet. Wie hielt und hält er das nur aus? So wie er es uns in verständlicher, politikeruntypischer Sprache mit Wortwitz und Sachkenntnis, Zitaten und Querverweisen beschreibt. Der Autor ist Praktiker und hält an seinem Ideal von Demokratie fest, stehend auf der Basis einer gereiften Persönlichkeit.

Das ehemals zu den Jüngsten zählende Mitglied des Bundestages lässt uns teilhaben an seinen Gedanken und Erfahrungen, benennt Persönlichkeiten die ihn begleiteten und inspirierten, beschreibt konkrete Zusammenhänge und nennt beispielhaft Namen, die das Politische in Deutschland auf eine Lobbyisten- und Fassadendemokratie reduziert haben, gefährlich für unser aller Zusammenleben.

Dort wo dann die meisten Schriften enden, entfaltet der Autor auf rund 40 Seiten endlich jede Menge verschiedenster Vorschläge, Ideen und Visionen für konkreten Wandel hin zu einer tatsächlich gelebten Demokratie.

Hier spricht er zum Beispiel von politisch notwendigen guten Visionen statt reiner Verwaltung oder gar düsteren Prophezeiungen, wie sie aktuell postuliert werden. Er spricht davon, das Gemeinwohl in den Fokus zu rücken anstelle des Bruttoinlandsprodukts. Er fordert Austausch und Verantwortung, die mit Pflichten einhergehen, und ein verändertes Wahlsystem über das Demokratie mehr gestaltbar wird, die Abschaffung des Fraktionszwanges, Transparenz, offene und lebendige Parteien.

Profitlobbyismus zu zerschlagen ist eine weitere, folgerichtige Forderung. Er diskutiert eine massive Reglementierung des Spenden- und Nebenerwerbssystems, Rechtssicherheit und auch eine Art Demokratieministerium.

Das Buch macht Mut, und dafür ist die Frustration über die Lektüre der ersten zwei Drittel bitter notwendig. Man lernt eine Vielfalt von Ideen, Konzepten und Organisationen kennen, um die beschriebenen zerstörerischen Zustände zu ändern. Ich bin begeistert und inspiriert, deshalb meine uneingeschränkte Empfehlung, bevor die 2. Auflage auch vergriffen ist.

Marco Bülow „Lobbyland – Wie die Wirtschaft unsere Demokratie kauft“ 206 Seiten Verlag Eulenspiegel 15€ ISBN 978-3-360-01378-1

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