Auf der Website der OECD mit den Länderergebnissen der Schülertests 2022 ist für die meisten Länder angegeben, wie viel Prozent der Schüler angaben, dass ihre Schulen während Corona mehr als drei Monate geschlossen waren.
Ich habe das für fünf europäische Länder damit verglichen, wie stark sich die Ergebnisse in Mathe, Lesen und Naturwissenschaft verschlechtert haben und das in einem zweiten Schritt jeweils in Relation zum Ausmaß der Schulschließungen und der Verschlechterung im Durchschnitt der OECD gesetzt. Mit folgendem Ergebnis:
Schulschließungen (% Schüler, die angaben länger als 3 Monate) und Veränderung der Fertigkeiten
In der folgenden Tabelle, sind alle Werte relativ zum Durchschnitt der OECD ausgedrückt. Positive Werte bedeuten entsprechend längere Schulschließungen bzw. weniger Verschlechterung bei den Ergebnissen.
Schulschließungen und Veränderung der Fertigkeiten relativ zu OECD
Quellen: Deutschland 2018, 2022 – Schweden 2018, 2022 – Frankreich 2018, 2022 – Niederlande 2018, 2022 – Spanien 2018 und für Lesen, 2022
Man sieht: Die Reihung nach dem Ausmaß der Schulschließungen entspricht in etwa der umgekehrten Reihung nach Ausmaß der Verschlechterung der Lernergebnisse. Die Niederlande, die laut des eher ungenauen Indikators etwas weniger Schulschließungen hatten als Deutschland, schnitten bei den Lernergebnissen noch etwas schlechter ab. Schweden, das am wenigsten Schulschließungen hatte, kam bei der Veränderung der Ergebnisse nur auf den zweiten Platz, zusammen mit Frankreich. Aber der Zusammenhang ist doch recht deutlich. Etwas überraschend ist allerdings, dass der Unterschied in der Pisa-Verschlechterung zwischen Deutschland und Schweden relativ zum Unterschied bei den Schulschließungen doch recht gering ist.
Österreich wollte ich mir auch anschauen, aber da fehlte die Information zu den Schulschließungen. Ich habe kein Rosinenpicking betrieben, sondern zuerst Schweden angeschaut und dann einige Länder hinzugenommen, um zu sehen, wie es dann aussieht. Wenn man den Zusammenhang statistisch fundiert untersuchen wollte, müsste man viel mehr Länder nehmen und Faktoren wie Digitalisierungsgrad, Veränderung des Anteils von Ausländerkindern und Ähnliches als Kontrollvariablen einführen. Erfahrungsgemäß kann man allerdings, wegen der Freiräume bei der Auswahl der Variablen, wenn man auf ein bestimmtes Ergebnis aus ist, dieses auch herbeiführen.
Wenn die Autoren der OECD-Pisa-Studie laut tagesschau.de schreiben, dass der Zusammenhang mit den Schulschließungen sich im wesentlichen darauf beschränke, dass der Distanzunterricht in Deutschland weniger mit digitalen Medien bestritten wurde als im OECD-Durchschnitt, und dass es keinen systematischen Zusammenhang zwischen der Dauer der Schulschließungen und den Leistungsrückgängen gebe, dann habe ich den Verdacht, dass hier politisch motivierte Schönfärberei im Spiel ist.
Der Satz, den die OECD jeweils in die Absätze zu den Schulschließungen schrieb deutet für mich in diese Richtung: „In Bildungssystemen, in denen die Leistungen gleichbleibend hoch waren und sich das Zugehörigkeitsgefühl der Schüler verbesserte, mussten weniger Schüler längere Schulschließungen hinnehmen.“ Anders herum also: Je kürzer die Schulschließungen, desto eher blieben die Leistungen hoch. (Diesen Absatz habe ich am 6.12. nachträglich eingefügt.)
Natürlich können bereits stark durchdigitalisierte Länder den Lern-Schaden eher begrenzen, als solche, die sich bis dahin darauf konzentriert haben, den Schülern analog Fertigkeiten beizubringen. Aber der Grad der Digitalisierung war ja bekannt und gegeben und nicht kurzfristig änderbar, als beschlossen wurde, dass und wie lange die Schulen geschlossen bleiben sollten. Und natürlich wird man bei einem derart ungenauen Indikator wie der Prozentzahl der Schüler, die angeben, die Schule sei mehr als drei Monate geschlossen gewesen, keinen besonders engen statistischen Zusammenhang nachweisen können.
Aber wenn man darüber nachdenkt, warum überall während der Pandemie die Leistungen eklatant schlechter geworden sind, kommt man ja nicht daran vorbei, als gemeinsame Ursachen Schulschließungen und psychische Belastungen anzunehmen. Und da spielt es natürlich eine Rolle, wie sehr die Kinder und Jugendlichen durch eine staatliche Angstkampagne traumatisiert wurden und wie lange ihre Lernanstalten geschlossen waren.
Im Nachtrag, unten, gebe ich zur Illustration eine Leserzuschrift aus einer Brennpunktschule wieder.
Die Verantwortung der Wissenschaftler
Das war alles absehbar. Ich zitiere aus einem Brief des Epidemiologen Ulrich Keil von April 2020 an Bundeskanzlerin Angela Merkel:
„Die derzeitigen Quarantänemaßnahmen verursachen immense Kollateralschäden gesundheitlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Natur, an denen die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes noch lange zu tragen haben werden.“
Keil veröffentlichte mit Ko-Autoren seinerzeit in Science eine Kritik zu dem dort im Mai 2020 veröffentlichten Aufsatz von Christian Drosten und andern, der eine wichtige Rolle dabei spielte, dass Kinder und Jugendliche in den Verdacht kamen, Covid-Superspreader zu sein, oder wie der offenkundig unter beträchtlichem Selbsthass leidende Jan Böhmermann das drastisch ausdrückte, das zu sein, was die Ratten während der Pest waren.
In dem Brief wiesen die Wissenschaftler auf schwere methodische Mängel der Drosten Studie hin. Aber Drosten verweigerte sich jeder wissenschaftlichen Diskussion und antwortete nicht auf die Kritik. Inzwischen ist weitgehend herrschende Meinung, dass Kinder und Jugendliche eine deutlich geringere Rolle bei der Verbreitung des Covid-Virus spielten als zu Anfang gedacht (und dass dieses auch deutlich weniger tödlich ist als gedacht).
Doch Drostens Studie war eines der wichtigsten Gegenargumente, als Ende Mai 2020 der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI), die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH), die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ) und die Gesellschaft für Hygiene, Umweltmedizin und Präventivmedizin (GHUP) in einer gemeinsamen Stellungnahme eine rasche Öffnung der Kitas und Schulen „ohne massive Einschränkungen“ forderten, also ohne Kleinstgruppen und Abstandsgebote, lediglich in festen Gruppen und Klassen.
Es ist schon sehr bemerkenswert, dass jemand, der sich der wissenschaftlichen Diskussion möglicher Mängel einer Studie verweigert hat, mit der er einer ganzen Generation junger Menschen indirekt schweren Schäden zugefügt hat, sich heute hinstellt und fordert, dass für künftige Pandemien Listen von verlässlichen Wissenschaftlern erstellt werden, die allein das Recht haben sollen, sich öffentlich zu äußern. Es muss ihm doch auffallen, dass er selbst ein schlimmes Beispiel dafür geliefert hat, was passieren kann, wenn die Wissenschaft gleichgeschaltet wird, indem abweichende Stimmen ignoriert oder zum Schweigen gebracht werden.
Nachtrag (6.12.): Lehrererfahrung aus Brennpunktschule
„Allgemein ist in den Medien, auch Deutschlandfunk, (zum Pisa-Ergebnis; N.H.) hauptsächlich der Verweis auf Migrantenanteil und Lehrermangel zu lesen. Meine Freundin, tätig an einer „Brennpunktschule“. ist die Decke hochgegangen.. Denn völlig vergessen wurde mit was die Kinder ihren Schulschließungsalltag bewältigten, nämlich mit Handy-/ digitaler Medienstimulanz. Hier ist die Problematik Nummer eins zu suchen. Schulschließungen führen zu einem Freiraum der mit dem Verfügbarem gefüllt wird. Wenn dann noch Sozialphobie aufgebaut wird, bekomme ich Digitaljunkies. Und derartige Gewohnheiten lösen sich auch nicht auf wenn die Schule wieder anfängt. Die Problematik der digitalisierten Jugendlichen wird kaum angesprochen. Diese wird von Therapeuten jedoch schon seit Jahren benannt!
An der Schule meiner Freundin wurde getestet wie die Kinder emotionale Gesichtsausdrücke deuten können, vorsichtig ausgedrückt: erschreckend unterdurchschnittlich. Es sind hochspezialisierte Fachleute damit beschäftigt Strategien zu entwickeln, die Kinder und Jugendlichen an den Maschinen zu halten, und es passiert fast nichts hinsichtlich Medienkompetenz.
Die Maschine zeigt reduziert auf den Bildschirmausschnitt überzeichnete Kontraste und Farben, Menschen mit überzeichneten Gesten und Ausdrucksformen untermalt mit musikalischen Krücken. Das stumpft ab für den mehrdimensionalen Alltag. Erst recht für langweilige Schulstunden mit einem Lehrer pro 35 oder mehr Kindern. Aber jetzt schauen die Schüler auf frisch gekaufte Tablets und elektronische Tafeln und vorgebastelte Arbeitsblätter. Kann ja nur besser werden.“
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