Das Long-Covid-Programm des Gesundheitsministers oder wie man aus Impfschäden Long-Covid macht

Nachtrag 31.7. | 29. 7. 2023 | Henry Mattheß | Mit dem kürzlich vorgestellten Long-COVID-Programm des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) sollen erfolgversprechende Versorgungstrukturen für die Breitenbehandlung Betroffener entwickelt werden. Das Programm soll sich angeblich auch auf Geschädigte mit als Post-Vac-Syndrom bezeichneten Impfschäden erstrecken. Wie dies geschehen soll, bleibt ein Rätsel. Denn Post-Vac ist im Unterschied zu Long-COVID nicht als Krankheit anerkannt, sodass die Krankenkassen keine Behandlungskosten übernehmen.

Das von Gesundheitsminister Karl Lauterbach am 13.7. auf einer Pressekonferenz (Phoenix auf Youtube) vorgestellte Long-COVID-Programm besteht aus drei Punkten:

  • Einem Informationsportal bmg-longcovid.de,
  • einer gemeinsamen Initiative zur Versorgungsforschung des BMG und des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) mit jeweils 20 Mio. Euro finanziert,
  • und einem für den 12.9.2023 geplanten Runden Tisch mit Ärzten, Betroffenen und deren Selbsthilfeorganisationen, Kassenvertretern, internationalen Experten sowie Pharmavertretern.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ist das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland.

Bei der Initiative zur Versorgungsforschung geht es nicht um Grundlagenforschung zu Krankheiten, sondern laut Lauterbach darum, „Versorgungsformen zu identifizieren, die dann routinemäßig gemacht werden und (durch die Kassen) bezahlt werden. (…) Die Versorgungsforschung klärt einfach nur die Frage, wenn man so in der Routine versorgen würde, würde das helfen – ja oder nein?“

Also, welche flächendeckenden Behandlungsstrukturen wären, vergleichbar der Tumor-, HIV- oder Multiple Sklerose-Behandlung, die besten für Long COVID. Für Erkrankungen nach Infektionen existiert bisher kein Versorgungsnetz, weshalb für Long-COVID-Betroffene regionale Anlaufstellen fehlen.

Als Long COVID gelten Beschwerden, die auch einen Monat nach Infektion noch fortbestehen oder neu auftreten. Als Untergliederung von Long COVID gibt es den Begriff Post COVID für Beschwerden, die nach drei Monate fortbestehen oder neu auftreten und nicht anderweitig erklärt werden können.

Seit Jahrzehnten bestehendes Versorgungsproblem

Dass es sich dabei um ein seit Jahrzehnten bestehendes Versorgungsproblem handelt, machte Prof. Carmen Scheibenbogen, Leiterin der Immundefekt-Ambulanz an der Charité, klar, die neben Lauterbach auf dem Podium saß. Postinfektiöse Erkrankung würden nur randständig behandelt, Betroffene oft allein gelassen. Deren Anfahrtswege seien oft zu weit oder die Vergütung für erforderliche Hausbesuche zu gering.

Schlimmstenfalls werden postinfektiöse Erkrankungen und deren Erforschung von Berufskollegen belächelt und als psychosomatische Störungen abgetan (körperliche Krankheitssymptome mit hauptsächlich psychischer Ursache). Die Forschungsgelder seien viel zu niedrig und müssten oft für die wenigen Behandlungsangebote miteingesetzt werden. Infolge COVID-19 habe sich die Anzahl postinfektiöser Erkrankungen deutlich erhöht. Allein ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronische Fatigue-Syndrom) habe sich auf sechs je 10.000 Einwohner verdoppelt.

Erkrankungen nach Infektionen wie ME/CFS führten oft zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung. Die schwere neuroimmunologische Erkrankung kann jedoch nicht nur infolge einer COVID-19-Infektion, sondern auch durch eine COVID-19-Impfung verursacht werden. Letzteres ist aber nicht als Krankheit anerkannt, weshalb Krankenkassen keine Behandlungskosten übernehmen, obwohl die Symptome fast identisch sind.

Impfgeschädigte werden verhöhnt

Eine seit zwei Jahren unter CFS leidende junge Frau schilderte im Juni im SWR ihre verzweifelte Suche nach einer Behandlung:

„In dem Moment, in dem ich sage, ich habe das nach der Impfung entwickelt, nimmt mich niemand auf. Die Unikliniken sagen Long-Covid nach Infektion, ja, nach Impfung, nein.“

Der Chef der Ständigen Impfkommission, Mertens, äußert darüber seine Unkenntnis und Unverständnis, denn bei Verschweigen eines Impfzusammenhangs würden die Behandlungen doch „sicherlich krankenkassenüblich sein“, was Betroffene wohl als Handlungsanleitung verstehen dürften. (Dieser Satz wurde am 2.8. geändert; H.M)

Stiko-Chef empfiehlt Impfgeschädigten den Impfzusammenhang zu verschweigen, damit ihnen geholfen wird
28. 05. 2023 | Im SWR berichtet eine Betroffene, dass es keine Anlaufstellen in Baden-Württemberg für sie gibt und sie Untersuchungen selbst bezahlen muss, weil ihr Impfschaden nicht als Krankheit anerkannt ist. Der Chef der ständigen Impfkommission sagt ihr durch die Blume: Selbst schuld, hätten Sie den Impfzusammenhang nicht hergestellt, gäbe es kein Problem. Damit legt er offen, warum so wenig Impfschäden registriert sind. Und der Landesgesundheitsminister rechtfertigt die Abwesenheit von Anlaufstellen.

Erkrankungen nach/durch Impfung sind Impfschäden, die Post-Vac-Syndrom genannt werden, wenn ein Krankheitsbild aus einem Komplex mehrerer Symptome (Krankheitszeichen) besteht, die nur als Muster erkennbar sind. Im Gegensatz zu z.B. besser abgrenzbaren Organschäden. Syndrom kommt vom griechischen sýndromé = zusammenlaufen.

Das neue Informationsportal bmg-longcovid.de des Long-COVID-Programms macht allen Impfgeschädigten mit Post-Vac-Symptomen unmissverständlich klar:

„Der Begriff „Post-Vac“ stellt keine medizinisch definierte Bezeichnung einer Erkrankung dar. Unter dem Begriff werden nach den vorliegenden Erkenntnissen verschiedene länger andauernde Beschwerden nach COVID-19-Impfung beschrieben, wie sie auch mit Long/Post COVID in Verbindung gebracht werden. (…) Nach Auswertung der in Deutschland und international verfügbaren Daten zu Verdachtsfallmeldungen nach COVID-19-Impfungen durch das PEI konnte ein ursächlicher Zusammenhang von andauernden Long-COVID-ähnlichen Symptomen und einer COVID-19-Impfung bisher nicht bestätigt werden.“

In Gegensatz zu diesen Aussagen richtete der zweite Podiumsgast der Pressekonferenz, Prof. Bernhard Schieffer, Direktor der Klinik für Kardiologie des Universitätsklinikums Marburg und Leiter deren Long-COVID-Ambulanz, einen eindringlichen Appell an seine Berufskollegen, Post-Vac ernst zu nehmen, und als solches zu behandeln, also anzuerkennen:

„Wir sollten aber auch die Augen nicht verschließen vor Dingen die uns vielleicht unangenehm sind. Und dazu zählt unter anderem auch, dass dieser Impfstoff, der ja viele, viele, viele hunderte, tausende Menschen vor schwersten Infektionen gerettet hat, auch Nebenwirkungen hat. In geringer Art und Weise, diese hat er, und auch diesen Patienten müssen wir ganz offen gegenübertreten. Und da appelliere ich an meine Kollegen, nicht die Augen zu verschließen, zu sagen, es gibt diese Erkrankung nicht, ich möchte sie nicht behandeln. (…) Sorgen wir dafür, dass auch unsere Sozialsysteme dafür eintreten, diese Patienten adäquat anzuerkennen und zu versorgen.“

Schieffer bestätigt auf die Frage, ob die 40 Mio. Euro des Long COVID-Programms auch Post-Vac-Patienten und Menschen mit schweren Impfnebenwirkungen zugute kämen:

„Natürlich kommt das den Patienten zu Gute. Post COVID nach Impfung, Post COVID nach Infektion wird bei uns, da kann ich für Marburg sprechen, ja nicht getrennt.“

Hier drängt sich die Frage auf, wie Impfgeschädigten das Long-COVID-Programm „zu Gute“ kommen soll, wenn die Kassen deren Behandlungskosten wegen fehlender Anerkennung als Krankheit nicht übernehmen?

Lauterbach mauert

Das Gesundheitsministerium antwortete auf Anfrage nicht, ob und wie das Long-Covid-Programm auch Menschen zugute kommt, die über lang anhaltende Beschwerden nach Impfung klagen.

Es entsteht der Eindruck, dass das BMG die Anerkennung eines großen Teils der Impfschäden, die sich als Post-Vac-Symptome äußern, beharrlich vermeiden will, indem es Anreize schafft, diese mittels der Gleichartigkeit der Symptome als Long-Covid zu deklarieren. Denn mit jedem weiteren anerkannten Krankheitsbild von Impfschäden würde die gebetsmühlenartig vorgetragene Behauptung von sicheren Impfstoffen noch mehr an Glaubwürdigkeit verlieren. Infolge der ungewöhnlichen Höhe an Verdachtsmeldungen von Nebenwirkungen ist diese Glaubwürdigkeit bereits schwer beschädigt. Zudem gäbe es erhebliche juristische Konsequenzen für die zahlreichen von Impfgeschädigten angestrengten Schadenersatzprozesse.

Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang das beharrliche Schweigen von Gesundheitsminister Lauterbach, der sich während der achtzig Minuten dauernden Pressekonferenz nicht ein einziges Mal inhaltlich zu Post-Vac-Impfgeschädigten und zur Form ihrer konkreten Unterstützung durch das Long-COVID-Programm äußerte. Stattdessen referierte er mehrmals über seine anstehenden Hitzeschutzpläne und erklärte auf Pressefragen ausführlich die auf vier Ebenen fortdauernde Überwachung der Coronalage.

Nicht wenige in diesem Land würden allerdings lieber aus Lauterbachs Mund erfahren, was das BMG unter seiner Leitung und insbesondere das diesem unterstellte Paul-Erlich-Institut (PEI) proaktiv zur Erkennung, Behandlung und vor allem Verhinderung von Impfschäden unternimmt?

Bankrotterklärung wider Willen

Werbung des BMG für die Informationsseite über Long COVID.
Ansprache Impfgeschädigter? Fehlanzeige.

Bei der Bewerbung der Informationsseite bmg-longcovid.de fehlt jeder Hinweis für Post-Vac-Impfgeschädigte. Konsequenterweise, denn auf ein nicht anerkanntes Krankheitsbild kann man nicht aufmerksam machen, ohne sich dabei in Widersprüche zu verstricken.

Auf der Informationsseite selbst findet sich dagegen in einer Infobox folgende Aussage:

„Seit Beginn der Impfkampagne wurden über 192 Millionen Impfdosen verabreicht. Daraus ergibt sich eine umfangreiche Datenlage zur Sicherheit der COVID-19-Impfstoffprodukte.“

Die Behauptung einer „umfangreichen Datenlage zur Sicherheit“ setzt die Kenntnis über die Häufigkeit von Impfschäden voraus. Werden diese nicht engmaschig erfasst und ergebnisoffen ausgewertet, darf man wahlweise von Falsch-, Desinformation oder sogar Lüge sprechen. Die Antworten auf die letzte Frage der Pressekonferenz kommen in dieser Hinsicht einer Bankrotterklärung gleich:

Frage: „Sie hatten ja Zahlen genannt zu Long-Covid. Gibt es auch Zahlen (…) wieviele Betroffene es bei Post-Vac betrifft. Und weiß man schon, wann man eine Definition haben wird, welche Symptome alle darunter fallen? Das ist ja für die Betroffenen auch immer recht schwer (einzuordnen).“

Lauterbach
: „Nein, da gibt es keine belastbaren Zahlen, die wir offiziell hätten. Aber ein Experte in diesem Bereich ist ja auch Herr Schieffer, vielleicht können Sie dort ausführen…“

Schieffer: „Also, es bleibt bei 0,02, 0,03 aller Geimpften. Eine genaue Erfassung dazu gibt es nicht, muss man tatsächlich sagen. Das Einzige, was wir definitiv wissen, was wir über die letzten Jahre beobachtet haben, ist, dass die Symptomatik, die klinische Symptomatik von Post-Vac tatsächlich fast identisch ist zu der von Post-COVID nach Infektion. Es gibt diese Impfnebenwirkungen. Wir hätten wahrscheinlich vor drei Jahren anfangen müssen, das ganz konsequent zu erfassen. Zahlen dazu, in Deutschland, kann man tatsächlich nur schätzen.“

Leiterin der Pressekonferenz: „Dann scheinen mir alle Fragen
beantwortet. (…) Ich beende die Pressekonferenz. Tschüss.“

 

Nachtrag 31.7.23, Leserzuschrift:

Lieber Herr Häring, Lieber Herr Mattheß,

ergänzend zu Ihrem aktuellen Beitrag „Das Long-Covid-Programm des Gesundheitsministers oder wie man aus Impfschäden Long-Covid macht“ möchte ich Sie auf die heutige Pressemitteilung des Niedersächsischen Gesundheitsministeriums zur Einrichtung einer Long-Covid-Hotline hinweisen.

Das Angebot funktioniert so wie das von Ihnen beschriebene Programm des BGM. Die Impfgeschädigten werden unter dem Begriff Long Covid geschluckt. Explizit erwähnt werden sie nur mithilfe der üblichen Relativierungen. In der PM heißt es dazu:

„Neben professionellem Rat rund um Long-Covid steht die Hotline auch Personen offen, die mit langfristigen Folgenwirkungen nach der Corona-Schutzimpfung, dem so genannten Post-Vac-Syndrom zu kämpfen haben. ‚Die Impfung hat viele Menschen vor einem schweren Covid-19-Verlauf bewahrt, Todesfälle verhindert und ganz entscheidend zum Ende der Pandemie beitragen. Leider haben aber einige Menschen nach der Impfung mit längerfristigen Nebenwirkungen zu tun. Auch hier werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Beratungstelefons mit gutem Rat zur Seite stehen‘, so der Minister.“

Die Berater sind allerdings keine Ärzte. In den FAQ am Ende der Meldung heißt es, dass bisher lediglich 1.547 Meldungen über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen nach Covid-19-Impfung beim PEI eingegangen seien.

Viele Grüße…
 

Anmerkung H.M.:

In der Pressemitteilung des Niedersächsischen Ministeriums heißt es wörtlich:

„Nach Angaben des PEI [Paul-Ehrlich-Institut] sind seit Beginn der Impfungen am 27. Dezember 2020 bis Mitte Mai 2023 1.547 Meldungen über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen in unterschiedlichem zeitlichen Abstand nach Covid-19-Impfung eingegangen.“

Es muss offenbleiben, ob es sich bei der Zahlenangabe von 1.547 gemeldeten Verdachtsfällen um Schlamperei oder Desinformation handelt. Das PEI nennt in seinem Bulletin zur Arzneimittelsicherheit von Dezember 2022 bereits 331.900 Verdachtsmeldungen, davon 50.145 schwere einschließlich Todesfälle – ohne Dunkelziffer. Diese wird vom PEI auf 90 Prozent geschätzt (2017/1,  S. 30).

Der Kritiker der Corona-Politik Prof. Dr. Stefan Homburg kommentierte die Zahlen des PEI am 9.6.23 auf Twitter:

Früher hätte man so etwas verboten.

1. Eine Meldung per Internet oder Fax an das PEI benötigt 20-30 Minuten und wird nicht vergütet.
2. Hinter der hohen Dunkelziffer steckt vor allem mangelnder Verdacht: Der Arzt, der den Totenschein ausstellt, weiß oft nichts von einer Impfung.
3. Schwere Impfschäden sind Tod, Invalidität, Klinikeinweisung, angeborene Fehlbildung.
4. Das PEI teilt die Zahl der Impftoten nicht mehr mit, sie sind in den schweren Impfschäden enthalten.
5. Die gezeigte Tabelle enthält nur Schäden bis Oktober 2022. Neuere Daten gibt es nicht. Die Datenbank im Internet hat das PEI abgeklemmt.
6. Es gibt keine aktuelleren amtlichen Schätzungen der Dunkelziffer, weshalb die Angaben aus 2017 weiter verwendet werden. Die aktuelle Dunkelziffer dürfte höher sein, weil Meldungen von Impfschäden früher nicht die Gefahr von Stigmatisierung oder Kriminalisierung beinhalteten.
7. Da Deutschland ein passives Meldesystem verwendet, gibt es nur Verdachtsmeldungen, aber keine „bestätigten“ Meldungen. Die Politik hat kein Interesse, die exakte Zahl zu erfahren. Es ist unredlich, mir vorzuwerfen, dass ich keine exakten Zahlen nenne.

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