Der Plan der Autobahnräuber: 2. Die Mär von den dummen Kommunen und den neutralen Wirtschaftlichkeitsprüfungen

  Der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW, Marcel Fratzscher, sitzt einer von Lobbyisten der Finanzbranche, der Industrie und der Bauwirtschaft durchsetzten Kommission zur Infrastruktur vor. Weil man die Gewerkschaften und den Städtetag mit hineingenommen hat, um mögliche Gegener des Projekts der großangelegten Kommerzialisierung aller staatlicher Infrastruktur frühzeitig einzufangen, gestaltet sich die Verabschiedung eines Abschlussberichts schwierig. Der Entwurf des

Berichts, mit dem Fratzscher letzten Dienstag gescheitert ist, zeigt ziemlich deutlich, wohin die Reise gehen soll.

Gutes staatliches Handeln  ist im Verständnis von Fratzscher und den Lobbyisten in seiner Kommission nur, was  eine Vorleistung des Staates an die kommerzielle Wirtschaft darstellt. Ausnahmen bestätigen die Regel. Quote:

Selbst Sozialausgaben oder andere Transfers, die keinerlei investiven Charakter haben, könnten in manchen Jahren durchaus gesellschaftlich Priorität sein.“

Aber in der Regel muss man nur aufpassen, dass „Aufgaben des Staates, die ebenfalls als Vorleistungen für die Privaten angesehen werden können – Bildung, Gesundheit, öffentliche Sicherheit und Justiz, Verteidigung“ nicht „möglicherweise vernachlässigt“ werden, weil man einen zu engen Investitionsbegriff wählt. Hier diskutieren Anhänger des konservativen Nachtwächterstaats darüber, wie weit man den Staat zurückstutzen darf, bevor man der kommerziellen Wirtschaft schadet.

Diese Gedankenwelt erstreckt sich auf die „Wirtschaftlichkeitsprüfungen“, die den Bericht durchziehen. Wohlmeinend könnte man deren Ziel verstehen als die möglichst preisgünstige Erstellung von Infrastruktureinrichtungen, also die Vermeidung von Verschwendung.  Die Kommission will die Kommunen ans Gängelband legen, indem sie Geld bekommen sollen, aber nur, wenn sie „auf Grundlage einer Kosten-Nutzen-Analyse“ die Wirtschaftlichkeit und Förderwürdigkeit eines Projektes darlegen. Wirtschaftlichkeit im Sinne von Kosten-Nutzen-Analysen geht viel weiter als möglichst geringe Kosten. Uns sie transportiert ein politisches Programm. Je deutlicher ein Projekt eine direkte Vorleistung  für die kommerzielle Wirtschaft ist, oder sich gar über Nutzungsgebühren selbst kommerzialisieren lässt, desto eher wird es möglich sein, nicht nur die Kosten, sondern auch den „Nutzen“ in Heller und Pfennig anzugeben.

Dabei ist das Wort „Nutzen“ in „Kosten-Nutzen-Analyse“ ein Betrug. Das ökonomische Nutenkonzept, englisch utility, ist daraus völlig verschwunden. Nutzen wird einfach mit dem gleichgesetzt, was der Ökonom schönfärberisch Zahlungsbereitschaft nennt, was aber in Wirklichkeit vor allem Zahlungsfähigkeit ist. Je höher die Zahlungsfähigkeit der Bürger für ein Projekt (dabei muss nicht unbedingt tatsächlich gezahlt werden), desto höher ist der „Nutzen“ des Projekts. Das hat zum Beispiel zur Folge, dass es gemäß der Prinzipien der Kosten-Nutzen-Analyse nutzensteigernd ist, Verkehrslärm von einem Gebiet mit vielen wohlhabenden Leuten in ein Armenviertel zu verlagern. Wenn man nämlich die Leute fragen würde, wieviel ihnen die Lärmminderung wert ist, käme im Reichenviertel ein deutlich höherer Wert heraus.

Die Kommission schlägt die Schaffung einer spezialisierten Infrastrukturgesellschaft vor, die unsere dummen, inkompetenten Kommunalverwaltungen „in die Lage versetzt, Projekte so wirtschaftlich wie möglich planen und realisieren zu können.“  Sie soll als Berater und Projektmanager agieren, natürlich mit davon abhängendem Bundesgeld als Druckmittel im Rücken.

Dafür sei eine „kompetente, nicht interessengebundene Wirtschaftlichkeitsuntersuchung erforderlich“. Das klingt löblich, wenn man bedenkt, dass die Rechnungshöfe herausgefunden haben, dass die in öffentlich-privater-Partnerschaft (ÖPP) durchgeführten Infrastrukturprojekte oft vor allem deshalb gewählt wurden, weil die Berater, die die Wirtschaftlichkeitsrechnungen durchführten, die Kosten als ÖPP künstlich relativ günstiger erschienen ließen als bei konventioneller Bereitstellung. Gründe sind leicht zu finden. Die Berater verdienen an ÖPP, die Auftraggeber können damit Budgetlasten in die Zukunft verschieben und verbergen. Wer jetzt überrascht denkt, Fratzscher und die Lobbyisten wollten durchsetzen, dass das künftig nicht mehr passiert, kann sich die Überraschung sparen. Fratzscher schlägt nämlich im Gegenteil vor:

Um dies zu sichern sollten Auftraggeber verplichtet werden, sich im Falle einer Eigenrealisierung an den im Vergleich angenommenen Kostenrahmen zu halten.“

Das muss man sich mal reinziehen. Obwohl man festgestellt hat, dass die Kosten von ÖPP oft zu günstig dargestellt wurden, will man nur Kommunen, die kein ÖPP wählen, auf ihre Kostenschätzung verpflichten. Bei ÖPPs soll es reichen, dass in der Berechnung  „versteckte Kosten von ÖPP   berücksichtigt werden“.  Das ist eine leere Floskel ohne Bindungswirkung, die offenkundig nur verdecken soll, dass man das, was man Kommunen und ihren Bürgern zumuten will, privaten, gewinnorientierten Unternehmen auf keinen Fall zumuten will.

Herr Fratzscher, schämen Sie sich nicht?

Die Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen sollen ab 5 Mio. Euro verpflichtend werden.

Kein Wort dazu, dass derzeit noch niemand weiß, wie eine gute Wirtschaftlichkeitsprüfung eigentlich aussieht. Die Rechnungshöfe, denen man eine gewisse Neutralität und Orientierung am öffentlichen Interesse zutraut, sehen die Wirtschaftlichkeit gerade von ÖPP-Projekten viel kritischer als die staatlichen Auftraggeber, die diese immer wieder beschließen, vielleicht, weil sie damit Lasten budgetschonend in die Zukunft verlagern können. Derzeit laufen Bestrebungen zu einheitlichen Standards für diese Berechnungen zu kommen. Aber allein schon die großen Meinungsverschiedenheiten mit den Rechnungshöfen zeigen, wie interessengeleitet-naiv Fratzschers Verweis auf vorgeblich obejektive Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen als Maß und Heilmittel aller Dinge ist.

Dazu passt, dass der Berichtsentwurf auch dazu schweigt, wie er sicherstellen will, dass die Beratungsunternehmen, die an ÖPP-Projekten gut verdienen und oft mit den ÖPP-Auftragnehmern verbandelt sind, neutral und ohne Eigeninteresse rechnen. Das ist kein Wunder. Diejenigen, die von dem Interessenkonflikt der Beratungsunternehmen profitieren werden, sitzen in Fratzschers Kommission.

Verwiesen sei etwa auf einen Bericht des Spiegel von Ende 2010:

Der Bundesrechnungshof kritisiert den privat finanzierten Ausbau der Autobahn A8. Die Politik will sich darüber hinwegsetzen.Die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung für den Ausbau der A8 hat die Firma Alfen Consult erstellt, nach eigenen Worten ein Ableger der Professur Betriebswirtschaftslehre im Bauwesen an der Uni Weimar. Inhaber der Professur und geschäftsführender Gesellschafter der Beratungsfirma ist Hans Wilhelm Alfen. Der Ingenieur war bis 2000 als Projektentwickler beim Baukonzern Hochtief, dann wechselte er an die Hochschule. Der Kontakt zum alten Arbeitgeber riss nicht ab. Hochtief finanzierte ÖPP-Forschungsprojekte bei Alfen. Alfen sieht keine Interessenkonflikte wegen der Hochtief-Unterstützung. ‚Drittmittel für die Professur bringen mir keinerlei wirtschaftlichen Vorteil‘, sagt er.“

 Hochtief bekam schließlich den Zuschlag für das Projekt. Es ist bei weitem nicht das einzige ÖPP-Projekt, für das Alfen Consult die Wirtschaftlichkeitsprüfung gemacht hat. Aus dem Tagesspiegel zu einem (gescheiterten) ÖPP-Brückensanierungsprojekt in Frankfurt am Main:

Das Beratungsunternehmen Alfen Consult, das unter anderem auch beim privaten Autobahnausbau berät, kommt für die Stadt zu dem Ergebnis: Die PPP-Variante ist für die Stadt 8,4 Prozent günstiger als die konventionelle. … Das Revisionsamt der Stadt prüft die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung und rät von der Zustimmung zum Projekt ab. Die Kosten der städtischen Variante seien künstlich hoch-, die Kosten der PPP-Variante dagegen heruntergerechnet worden. Das Amt kritisiert beispielsweise die geschätzten Controlling-Kosten. Diese seien bei der Stadt viermal so hoch angesetzt worden, als es die Erfahrungswerte von anderen Projekten erwarten ließen. Außerdem werde pauschal davon ausgegangen, das PPP-Projekt bringe zehn bis 20 Prozent Effizienzgewinne durch schnelleres Bauen. Das sei nicht belegt.“

In dem Berichtsentwurf der Kommission steht wenig dazu, wer in den Gesellschaften, die er vorschlägt, jeweils das Sagen haben soll, aber die bisherigen Erfahrungen lassen vermuten, dass man letztlich wieder den Schulterschluss mit der beteiligten privaten Wirtschaft suchen würde, die vorgeblich vor allem Know-how, tatsächlich aber auch ihre kommerziellen Interessen mit einbringen, die denen der zahlenden öffentlichen Hand entgegengesetzt sind. Aus einem Bericht des Deutschlandradios von Februar über die ÖPP Deutschland AG in Berlin:

Das Unternehmen ist selbst eine öffentlich-private Partnerschaft, Hauptanteilseigner sind Bund, Länder und Kommunen. Über eine Beteiligungsgesellschaft sind auch private Unternehmen mit dabei, darunter große Beratungsfirmen, Baukonzerne und Banken. Finanziert wird es von den Kommunen und Ländern, die sich hier beraten lassen. Gegründet wurde die ÖPP Deutschland AG im Jahr 2008 auf Initiative der damaligen Finanz- und Verkehrsministerminister Peer Steinbrück und Wolfgang Tiefensee. Das Konzept stammt von der „Initiative Finanzstandort Deutschland„, einem Lobbyverband der größten deutschen Banken, und wurde fast ohne Änderungen umgesetzt, wie das Wirtschaftsmagazin Impulse aufgedeckt hat. Der Verein Lobby Control nennt die ÖPP Deutschland AG „staatlich finanzierten Lobbyismus“…. Jürgen Streeck selbst hat früher im Bundesfinanzministerium und im Kanzleramt gearbeitet…Seine Vorstandskollegen kommen aus der Privatwirtschaft, vom Baukonzern Hochtief und von Siemens beziehungsweise IBM. …Das Beratungs-Unternehmen betreibt Grundlagenarbeit, erstellt Leitlinien für Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen und stellt Musterverträge zur Verfügung. Zudem berät es öffentliche Auftraggeber.“ (Weblink von NH)

Muss man sich wirklich wundern, dass der Rechnungshof zu anderen (ungünstigeren) Ergebnissen kommt als die Auftraggeber von ÖPP-Projekten, wenn letztere ihre Berechnungsstandards und Informationen von einer Organisation beziehen, deren Mitglieder an ÖPP verdienen und so viel ÖPPs sehen wollen wie möglich? Die 43 Prozent der Anteile, die nicht von der öffentlichen Hand gehalten werden, halten die Großen und Kleinen der ÖPP-Branche. Und auch bei den Anteilseignern von der öffentlichen Hand kann man nicht ohne weiteres ein Gegengewicht erwarten, stehen diese doch beständig in der Versuchung per ÖPP Budgetlasten in die Zukunft zu verschieben oder per Nutzungsentgelten auf die Bürger abzuwälzen.

Fratzscher und seine Kommission schauen in ihrem Bericht zwar viel und ausgiebig ins Ausland, auch nach Frankreich, und beschreiben, wie es dort gehandhabt wird, mit den ÖPPs und den Infrastrukturgesellschaften, die ihnen vorschweben. Was sie aber tunlichst verschweigen, ist folgendes aus einer insgesamt sehr lesenswerten Dokumentation „Der verkaufte Staat“ in der „Welt am Sonntag“:

In der einstigen ÖPP-Hochburg Frankreich reichte ein neues Gesetz, um die verdeckte Schuldenmacherei zu beenden. Bis Ende 2010 wurden Investitionen, die mit ÖPP finanziert wurden, nicht als Schulden angesehen. Nach dem neuen Gesetz müssen sie wie Schulden behandelt werden. Damit taugt die öffentlich-private Partnerschaft nicht mehr dazu, die Schuldenbremse zu umgehen, und so fiel einer der wesentlichen Anreize für dieses viel gepriesene Instrument der Politik weg. Der ÖPP-Markt in Frankreich brach innerhalb kürzester Zeit ein. Von 5,3 Milliarden Euro im Jahr 2011 auf 1,06 Milliarden im Jahr 2013.

Kein Wunder, dass das verschwiegen wird, geht es doch gerade darum, die Umgehung der Schuldenbremse zu ermöglichen. Explizit schreibt Fratzscher immer wieder, man müsse so oder so vorgehen, damit Schulden und Ausgaben nicht auf die Staatsschulden und das Staatsdefizit angerechnet werden.

Was wird das Ergebnis sein? Die Schuldenbremse besteht fort. Infrastrukturprojekte werden immer teurer, weil immer mehr Gewinne privater Geldgeber und Projektmanager mit aufgebracht werden müssen. Die erhöhten Kosten fallen aber erst in der Zukunft an und beschneiden dann die Haushaltsspielräume weiter. Dann werden eben die Jahre immer seltener, in denen auch mal Ausgaben des Staates, die keine Vorleistungen für die Privaten sind, hinreichend prioritär sind, um nicht gekürzt werden zu müssen. Aber dann kürzt man sie halt. Und außerdem kann man dann ja auch noch verstärkt staatliche Leistungen privatisieren und so noch mehr Lasten noch weiter in die Zukunft verschieben. Das schafft dann kurzfristig Erleichterung.

Mal sehen, ob die Gewerkschaften das mitmachen, insbesondere Verdi, die mit einem solchen Staatsschrumpfungsprogramm dazu beitragen würden, sich selbst abzuschaffen. Dass die IG Bau etwas andere Interessen hat, ist geschenkt.   

Dossier:

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