28. 03. 2015 | Am Mittwoch den 25.3. berichtete das Handelsblatt online und am Donnerstag in der Printausgabe, dass der Vorsitzende von Sigmar Gabriels Autobahnraub- und Kommunenausplünderungs-Kommission Marcel Fratzscher mit seinem Entwurf eines Abschlussberichts bei wichtigen Kommissionsmitgliedern abgeblitzt ist. Der Bericht hätte am Dienstag (24.3.) auf der letzten Kommissionssitzung verabschiedet werden sollen. Aber weder der Städtetag noch die Gewerkschaften wollten das
weitreichende Privatisierungsprogramm und die Subventionierung von Allianz und Co. aus dem Säckel der Kommunen und Bürger mittragen. Für Erstleser: Es geht dabei darum Allianz, Ergo und Deutscher Bank, denen im anhaltenden Niedrigzinsumfeld die gewinnträchtigen Anlagealternativen ausgehen, die Möglichkeit zu geben, von Staat und Kommunen für zweckgebundenes Fremdkapital eine viel höhere Rendite zu erhalten, als sie bekämen, wenn der Staat sich das Geld einfach per Anleihe von ihnen holte.
Soweit die gute Nachricht. Jetzt kommen die schlechten. Das Wirtschaftsministerium von Sigmar Gabriel (SPD), das die mit Vertretern großer Finanzkonzerne durchsetzte Lobbykommission zur Infrastrukturförderung installiert hat, versuchte, abgesehen vom Handelsblatt weitgehend erfolgreich, durch Streuen von Falschinformationen Berichterstattung über den Konflikt zu verhindern. Ich hatte am Mittwoch beim Ministerium und beim Chef der Kommission und des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW, Marcel Fratzscher angefragt, ob die in Aussicht gestellte Verabschiedung des Kommissionsberichts erfolgt sei. Fratzscher ließ ausrichten, dass der Bericht im Lichte der „Ergebnisse“ der Sitzung überarbeitet werde und der alte Berichtsentwurf daher nicht mehr relevant sei. Unterschiedliche, mit den Verhandlungen vertraute Kreise, bestätigten mir auf Nachfrage, dass der Berichtsentwurf durchgefallen war. Insbesondere Städtetag und Gewerkschaften hatten Probleme mit dem Berichtsentwurf. Warum, das werde ich noch separat nachvollziehbar machen.
Das Ministerium reagierte auf meine Anfrage für das Handelsblatt einige Stunden später mit dem telefonischen Hinweis, man wolle mir gegenüber keine Stellung nehmen, weil man später am Tag noch ein Hintergrundgespräch mit ausgewählten Journalisten plane und dort informieren werde. Das Ergebnis floss später noch in den gedruckten Bericht des Handelsblatts ein und führte zu dem offenkundigen Widerspruch, dass der Kommissionsvorsitzende und Autor des Berichtsentwurfs Marcel Fratzscher sagt, dass der alte Bericht nicht mehr gelte und überarbeitet werde, während ein namentlich nicht genannt werden dürfender hochrangiger Ministeriumsbeamter Medienvertreter und die Öffentlichkeit mit der Falschaussage täuscht, es gebe Einigkeit unter den Kommissionsmitgliedern und es sei nichts dran an anders lautenden Berichten.
Die Qualitätsmedien lassen sich offenkundig gerne täuschen. Über den Streit in der Kommission wird – ganz im Sinne von Gabriels Ministerium – fast nicht berichtet. Überhaupt unterbleibt in den sogenannten Qualitätsmedien eine kritische Auseinandersetzung mit den extremen Empfehlungen der Kommission fast völlig. (Eine der wenigen Ausnahmen ist ein kritischer Kommentar des unermüdlichen Harald Schumann im Tagesspiegel.)
Offenkundig reicht es den meisten Qualitätsmedien, zu warten, bis die im Geheimen operierende ministeriumsinterne Lobby-Kommission am 21. April ihren Bericht offiziell vorstellt, und dann kurz die Presseerklärung dazu in eigenen Worten wiederzugeben. Schämt Euch, Kollegen! Dann sind die Weichen längst gestellt und die internen Konflikte durch gefällige Umformulierungen zugekleistert. Dann sind die widerstrebenden Gewerkschaften durch Druck und Versprechungen gefügig gemacht und die durch Gewährung oder Entzug von Bundeszuschüssen leicht erpressbaren Kommunalvertreter eingeknickt. Sie können gar nicht anders, wenn die Öffentlichkeit fast nichts erfährt, weil die „Qualitäts“-Medien ihre Wächteraufgabe nicht wahrnehmen.
Liebe Kollegen, kommt mir nicht mit der Entschuldigung, die skandalösen Berichtsentwürfe, in denen die Intentionen der Finanzlobbyisten noch fast ungeschminkt erkennbar sind, seien geheim oder unwichtig, weil vorläufig. Ich habe schon mehrmals darüber geschrieben, ihr lest in großer Anzahl meinen Blog. Dutzende Menschen haben die Berichtsentwürfe. Es ist kein Hexenwerk, sie zu bekommen, wenn man will.
Es ist auch ganz und gar nicht so, dass es sich hier um eine der vielen unwichtigen Expertenkommissionen handelte, die nur dazu dient, Nichtstun der Regierung zu verdecken. Es handelt sich im Gegenteil um eine Kommission, die dazu dienen soll, die detaillierte Blaupause für das in groben Zügen schon geplante Regierungshandeln zu liefern. Anders lässt sich kaum erklären, dass schon kurz nach Vorlage der allerersten Kapitelentwürfe für den Abschlussbericht gleich drei Ministerien – wie das Handelsblatt berichtete – Pläne für genau die Autobahnprivatisierung ausarbeiten, die in dem Entwurf für das Verkehrskapitel vorgeschlagen wird. Ein Mitglied des Bundestags machte in seiner Antwort auf die Anfrage eines Lesers meines Blogs deutlich, dass die Regierungspläne tatsächlich auf den ganz frühen und noch überhaupt nicht konsensfähigen Berichtsentwürfen der Kommission beruhten. Gabriel kann es gar nicht erwarten, Allianz, Ergo und Deutscher Bank zu Diensten sein zu können. Was gibt es wertvolleres als einen Sozialdemokraten in einer solchen Position. Wenn ein offen Konservativer so handelte, wäre ein Sturm der Entrüstung von Seiten der Gewerkschaften und der Opposition die Folge.
Liebe Kollegen, es gibt keine Rechtfertigung für Euer brüllendes Schweigen. Macht ruhig weiter und erklärt Pegida und Udo Ulfkotte dafür verantwortlich, dass Euer Publikum weniger Vertrauen in Euch hat als in einen Versicherungsvertreter von Ergo. Ich werde derweil gern auch dieses Wochenende drangeben um einen dicken Berichtsentwurf durchzuackern, damit die bescheidenen aber wachsenden Teile der Öffentlichkeit, die ich erreiche, erfahren, was da geplant ist. Und zwar bevor Anfang nächster Woche der Kompromiss gefunden ist und alle Abweichlergruppen mit weichen, die wahren Absichten vernebelnden Umformulierungen eingefangen sind. Formulierungen, die es ihnen ermöglichen, ihren Mitgliedern das verheerende Ergebnis als relativen Erfolg zu verkaufen. Aber machen wir uns nichts vor. Der Erfolg wird sehr wenig wert sein. Wie die Entwürfe wird der Abschlussbericht voll sein von absichtsvoll eingebauten Einfallstoren für die Partikularinteressen der Finanzbranche und der Industrie, die später geräuschlos einen Spalt und dann immer weiter aufgemacht werden können.
Zur Appetitanregung auf meine hoffentlich in Kürze folgende Analyse des gefloppten Berichtsentwurfs, hier schon mal ein Highlight: Offenkundig waren die Vorstände von Allianz, Deutscher Bank und Ergo in der Kommission nicht amüsiert darüber, dass in dem ersten Kapitelentwurf Fratzschers zu den kommunalen Infrastrukturinvestitionen die gravierenden Nachteile der Öffentlich-Privaten-Partnerschaften (ÖPP) so ehrlich dargestellt wurden. Ich hatte in einem offenen Brief an Fratzscher – den sicher auch meine Twitter-Follower bei Allianz und Bankenverband mit beträchtlichem Missvergnügen gelesen haben – darauf hingewiesen, dass diese Evidenz im Widerspruch dazu steht, dass an jeder Ecke der Erleichterung und Förderung der Einbindung privaten Kapitals in die Infrastrukturfinanzierung das Wort geredet wird. Im nun abgelehnten Entwurf des Abschlussberichts hat Fratzscher dem Rechnung getragen, indem er mit einer Auflistung der angeblichen Vorteile der ÖPP beginnt und dabei den allergrößten und durchschlagendsten Nachteil nur als Klammereinschub eines denkbaren Vorteils nennt. Das sagt alles über seine Unabhängigkeit gegenüber den Interessen der Finanzbranche und wissenschaftliche Integrität aus, was man wissen muss: Im O-Ton: beginnt die die vier Punkte umfassende Liste Fratzschers der (denkbaren) Vorteile von ÖPPs mit folgendem:
- „Trotz höherer Finanzierungskosten (was bei 4-phasen ÖPP“, in denen außer Planung, Bau und Betrieb auch Finanzierung privat durchgeführt werden, fast immer der Fall ist) könnten ÖPP letztlich billiger sein als Eigenrealisierung, weil Planung, Bau und Betrieb aus einer Hand von spezialisierten Firmen durchgeführt werden.“ (Meine Hervorhebung N.H.)
Weil auf diese Weise der unbestrittene Hauptnachteil der privaten Finanzierung staatlicher Infrastrukturinvestitionen – die höheren Kosten für die Bürger – nur noch als ein könnte-trotzdem-Vorteil auftaucht, ist die Liste der Vorteile länger als die Liste der Nachteile. Letztere umfasst dadurch nur noch drei Punkte und ist ihres wichtigsten Punktes beraubt. Das ist Manipulation übelster Sorte. Wie würden sie das bewerten, Herr Fratzscher, wenn ihre Studenten ihnen in Seminararbeiten derart merkwürdige Listen mit Vorteilen und Nachteilen von Maßnahmen präsentierten?
So hat Marcel Fratzscher also auf meine Vorhaltung reagiert, dass er nicht einmal versucht hatte zu begründen, warum er an so vielen Ecken für die private Finanzierungsbeteiligung wirbt, obwohl er nur von Nachteilen berichten kann, und von Möglichkeiten, diese Nachteile abzumildern. Es sei betont, dass man an den Formulierungen leicht sehen kann, dass er selbst nicht an das glaubt, was er hier zu suggerieren versucht:
„Abgesehen von der sehr kontroversen Debatte über die möglichen wirtschaftlichen Vorteile von ÖPP gibt es ein etwas höheres Maß an Einigkeit darüber, dass ÖPP einige intrinsische Nachteile gegenüber konventioneller Beschaffung haben“, (meine Hervorhebungen)
räumt er später verschämt ein, (wobei man „intrinsisch“ mit „nicht wegzubekommenden“ übersetzen darf) „…können ÓPP letztlich billiger sein …“ schreibt er im Konjunktiv. Erst später und nebenher deutet er, ohne Konsequenzen daraus zu ziehen, das Offensichtliche an: dass die beste Lösung darin bestünde, es bei „Planung, Bau und Betrieb aus einer Hand“ zu belassen, und auf die private Finanzierungsbeteiligung zu verzichten, die alles nur teurer macht.. Aber was hätten dann Allianz und Ergo von der ganzen Übung. Sie haben doch schon vor Einrichtung der Kommission in einer Medienoffensive dafür getrommelt, dass sie ihren Anlagenotstand beheben möchten, indem sie renditeträchtig in Infrastruktur investieren. Nur für sie wurde ja die Kommission gegründet. Sie wären zu Recht sehr enttäuscht. Das will natürlich im Ministerium niemand.
Und so durchziehen den ganzen Berichtsentwurf Fratzschers Hinweise auf mögliche Einbindung privater, vor allem institutioneller Investoren, obwohl es den Lobbyisten nicht gelungen ist, einen halbwegs überzeugenden Vorteil der zweckgebundenen Einbindung von Privatkapital zu nennen, abseits des nicht offen als solchen zu verkündenden Vorteil, dass man damit Lasten in die Zukunft verschieben und durch Entfernung aus dem Haushalt verschleiern kann, um zum Beispiel die Schuldenbremse zu umgehen. Auch der nicht zu unterschätzende Vorteil für die Lobbyisten, dass mit der Auslagerung aus dem Haushalt auch die Kontrolle des Parlaments verschwindet, kann natürlich nicht offensiv zur Begründung verwendet werden. Wenn die ganzen Sondergesellschaften einmal gegründet sind, welche die Kommission ohne Nennung von Details und Entscheidungsstrukturen vorschlägt, dann brauchen die Lobbyisten von Siemens und Allianz nur noch deren Entscheidungsträger zu überzeugen, nicht mehr potentiell widerspenstige und dem Votum der zahlenden Bürger ausgesetzte Parlamentarier. Dass sie, wie Fratzscher ihnen zugestehen wollen, dann selbst als Mitgesellschafter zu den Entscheidungsträgern gehören, werden Gewerkschaften und Kommunalvertreter ja vielleicht noch zu verhindern wissen.
Deshalb, liebe Kollegen, wacht endlich auf! Kümmert Euch darum. Berichtet! Lasst diesen bei vollem Tageslicht inszenierten Raub an unserem Volksvermögen nicht widerstandslos geschehen. Noch ist es nicht zu spät für die Information der Öffentlichkeit und den notwendigen Sturm der Entrüstung. Aber viel Zeit bleibt nicht mehr.
Dossier:
Der Plan der Autobahnräuber: 1. Verkehr 28.3.2015
Warum helfen Sie Allianz und Co, unsere Kommunen auszuplündern, Herr Fratzscher? 18.03.2015