Wie bei Behörden aus „auch online“ schnell und heimlich „nur online“ wird

21. 09. 2023 | Den Verlautbarungen und der Gesetzeslage nach sollen Verwaltungsleistungen auch online angeboten werden. Stattdessen wird bei denen, die sich schlecht gerichtlich wehren können, heimlich und schnell aus dem Auch ein Nur. Jüngstes Beispiel sind die Anträge zur Aufnahme auf weiterführende Schulen in NRW für die nun Online- und Bund-ID-Pflicht verfügt wurde. Das ist ein perfides und rechtlich fragwürdiges Vorgehen der Verwaltungsdigitalisierer, die nur so tun, als handelten sie im Interesse der Bevölkerung.

Auf der Netzseite „Bildungsland NRW“ des nordrhein-westfälischen Bildungsministeriums steht zum Thema Digitalisierung der Schulanmeldung noch die Ankündigung von Februar 2022. Das schreit danach, Ankündigung und heutige Realität gegeneinanderzuhalten.

Angekündigt wurde die Weiterentwicklung des Digitalportals Schüler.online, das die Anforderungen des Onlinezugangsgesetzes (OZG) noch nicht voll erfülle, zu Schüler.online 2.0. Das OZG verpflichte Bund, Länder und Kommunen, „bis zum Ende des Jahres 2022 ihre Verwaltungsleistungen auch digital über Verwaltungsportale anzubieten“.

Deshalb kündigte das Schulministerium an:

„Digitale Schulanmeldungen zur Grundschule, den weiterführenden Schulen sowie den Bildungsangeboten der Sekundarstufe II werden künftig nicht mehr nur analog, sondern auch rein digital möglich sein.“

Das mit dem „auch“ soll man offenbar nicht allzu wörtlich nehmen. Denn in einem Elternbrief für die Abgangsklasse einer Realschule in NRW, der mir vorliegt, wird das Verfahren der Anmeldung für eine weiterführende Schule so beschrieben:

„Anmeldeverfahren für die weiterführenden Schulen
– Verpflichtende Anmeldung online über „Schüler.online 2.0“
– Zugang über Internet-Browser, keine App
– Über Schüler.online wird gleichzeitig auch die Schulpflichterfüllung kontrolliert und nachgehalten.
– Aufnehmende Schulen nehmen über dieses Portal auch Annahme oder Ablehnung vor.
– Die Schüler benötigen zur Anmeldung einen Startcode, der von uns ausgegeben wird,
und:
– eine bund.id“

Die Bund-ID ist ein 2019 eingeführtes Instrument zur digitalen Identifizierung von Bürgern, die Behördenleistungen brauchen und online abrufen wollen. Obwohl die  Digitalisierungsapostel, ganz im Sinne der Digitalkonzerne, nicht müde werden, zu betonen, wie wichtig die Behördendigitalisierung für die Bürger sei, interessiert sich kaum einer der angeblich davon Begünstigten dafür, bzw. sie wollen es aus Sorge um ihre Privatsphäre nicht. Deshalb müssen sie gezwungen werden, die Digitalangebote zu nutzen, für die sie sich mit der ungeliebten digitalen Identität ausweisen müssen.

Ende Februar 2023 – also in Jahr vier der Bund-ID – hatten sich laut Bundesinnenministerium erst gut 400.000 oder 0,5 Prozent der Deutschen dafür registriert.

Offenkundig hat man sich deshalb  im Rahmen einer Langfriststrategie zur Durchsetzung des ungeliebten Dings entschieden, bei den Jungen anzufangen. Bei denen lohnt es sich besonders, können (und müssen) sie doch die ID, einmal hineingezwungen, ein ganzes, langes Leben lang nutzen.

Rund 150.000 der peinlich wenigen 407.000 Nutzer kamen laut der fast schon zynisch anmutenden „Erfolgs“-Meldung von Heimat- und Innenministerin Nancy Faeser allein in den vier Wochen bis 22. Februar 2023 dazu, weil „Studierende, Schülerinnen und Schüler mit dem Anlegen einer eigenen BundID die Voraussetzungen dafür schaffen, die Einmalzahlung gemäß EPPSG beantragen zu können.“ Erst wurde der Erhalt des Energie-Almosens für Studenten an eine Bund-ID gekoppelt, dann wurde wegen des großen Erfolges auch der Kulturgutschein für 18-Jährige, und nun auch noch der Schulwechsel für Realschulabgänger und vielleicht auch generell die Schulwahl in NRW. Andere Bundesländer wollen dem Beispiel NRW folgen.

Zustimmung zur Datenverarbeitung? Ach was!

Dass das mit der datenschutzrechtlichen geforderten freiwilligen Zustimmung schon bei Energiealmosen fragwürdig war, und bei der verpflichtenden Online-Schulanmeldung von Freiwilligkeit keine Rede sein kann, hält die digitalisierungswütigen Politiker nicht ab.

Mir erscheint die Strategie ziemlich gut durchdacht und perfide, die ungeliebte Bund-ID mit Zwangsmitteln aus ihrem Schattendasein zu erlösen. Man zwingt diejenigen, bei denen man am wenigsten mit massivem Widerstand und vor allem juristischen Schritten rechnen muss. Wer klagt schon wegen Bund-ID-Zwang bei 200-Euro Energiealmosen oder 200-Euro Kulturgutschein. Bei solchen Beträgen findet man nicht einmal einen Anwalt, und weil es sich um freiwillige Leistungen des Staates handelt, weiß man auch nicht sicher, wie die Gerichte entscheiden würden. Auch bei Schulaufnahme-Anträgen werden es sich Eltern mehr als zweimal überlegen, ob sie sich und ihr Kind mit einer Klage bei Schule und Träger unbeliebt machen wollen.

Das Problematische an solchen digitalen Identitäten, die für viele verschiedene Zwecke genutzt werden sollen oder müssen, liegt darin, dass auf diese Weise Informationen über die Bürger zusammengeführt und zuverlässig automatisch abrufbar gemacht werden, die vorher bei unterschiedlichen Behörden unter unterschiedlichen Identifikatoren abgespeichert waren.

Es ist eben nicht ohne weiteres möglich, viele verschiedene Datenbanken nach Daten über Peter Müller zu durchsuchen. Von diesen gibt es selbst unter den an einem bestimmten Tag geborenen viele, und deren Adressen wechseln von Zeit zu Zeit. Aber wenn jeder Peter Müller seine eindeutige, überall verwendete Nummer hat, dann ist das zuverlässig auf Knopfdruck möglich, wenn man den Zugang zu den Datenbanken hat.

Wohin das führen kann, zeigt gerade die autoritäre Regierung Kasachstans, die mit Untersützung einer offenbar völlig skrupellosen UN ein Instrument entwickelt hat, um alle vorhandenen und greifbaren Daten der Bürger zusammenzuführen, um alles über diese zu wissen – natürlich nur zu deren Besten.

UN entwickelt mit der Autokratie Kasachstan ein Totalüberwachungsinstrument
19. 09. 2023 | Der nicht gerade demokratische Vorzeigestaat Kasachstan hat mithilfe des Entwicklungsprogramms der UN (UNDP) eine Digital Family Card entwickelt, die alle Informationen über alle Bürger und ihre Verwandschaftsverhältnisse zusammenführt. Unter dem Vorwand, so in Notlagen besser und schneller helfen zu können, werden die Familien ihrer Privatsphäre beraubt.

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