Regierung bietet Jugendlichen 200 Euro für die Nutzung der Online-Ausweisfunktion und nennt das KulturPass

Ergänzung/Korrektur (12.6) | 8. 06. 2023 | Unter dem heuchlerischen Vorwand, der von Pandemiemaßnahmen gebeutelten Kulturszene zu helfen, loben Finanzminister Lindner und Kulturstaatsministerin Roth einen digitalen Kulturgutschein von 200 Euro für alle aus, die dieses Jahr 18 werden. Bedingung: Sie müssen die Online-Ausweisfunktion nutzen, die bisher eine kümmerliche Existenz führt. Dadurch werden ausgerechnet die Online-Angebote, die während der Pandemie florierten, gegenüber den Kulturanbietern vor Ort gestärkt.

Ursprünglich sollte die Aktivierung der Onlinefunktion des Personalausweises freiwillig sein. Weil das Interesse daran aber minimal war, wurden die Menschen gefreiwilligt und die Online-Funktion generell aktiviert. Weil das in Sachen Nutzung auch nicht viel brachte, verfiel das von der digitalisierungswütigen FDP geführte Bildungsministerium darauf, die 200-Euro-Energiekosten-Einmalzahlung für Studenten und Fachschüler von der Nutzung ihrer digitalen Identität abhängig zu machen.

Regierung zwingt Studenten für ein Energie-Almosen die digitale Identität auf
20. 02. 2023 | Um irgendwann – weit verspätet – in den Genuss der 200 Euro Energiekostenhilfe für Studenten zu kommen, müssen die Begünstigten erst durch so ziemlich jeden Reifen der Digitalisierung und digitalen Identifizierung springen. Das Verfahren ist grotesk überkompliziert für den kleinen Betrag. Der Weg ist das Ziel für die Regierung; der erzwungene Weg der Bürger in die digitale Identität.

Laut Auskunft des Bildungsministeriums gibt es 3,6 Mio. Antragsberechtigte für die 200-Euro-Einmalzahlung. Bis 6. Juni waren gut 2,6 Mio. Anträge gestellt und knapp 2,6 Mio. ausgezahlt. Die Nutzung der Online-Ausweisfunktion hat sich dadurch auf einen Schlag massiv erhöht.

Nun sind die 18-Jährigen dran, mit der Heranführung an die digital-totalüberwachte Zukunft, die sie offenbar nicht von selbst ansteuern wollen. Wenn sie sich mit ihrer Online-Ausweisfunktion registrieren, bekommen sie ein „Kulturbudget“ von 200 Euro. Dieses können sie für kulturelle Angebote von Unternehmen und Einzelanbietern nutzen, die sich die Mühe machen, ihre Angebote zu registrieren. Das können zum Beispiel „Konzerttickets, Museumsbesuche, Kinovorstellungen oder Bücher und Tonträger sein.

Bezugsberechtigt werden rund 750.000 Jugendliche sein, heißt es auf der Netzseite der Bundesregierung zum KulturPass. Los geht es für die glückliche Zielgruppe am 14. Juni. Dann wird die Anmeldung freigeschaltet. Der Bundestag hat dafür 100 Mio. Euro bereitgestellt. Sie kommen aus dem Etat der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM). Wobei mich wundern würde, wenn der mitwirkende FDP-Finanzminister dafür nicht irgendeinen Ausgleich schaffen würde. Wenn das „Pilotprojekt“ erfolgreich ist, sollen die nächsten beiden Jahrgänge auch diese 200 Euro Gutschrift erhalten, wenn sie ihre Online-Ausweisfunktion nutzen.

Roth und Lindner berufen sich auf Vorbilder aus anderen Ländern. Dazu dürfte der Wiener Kultur-Token gehören, ein fragwürdiges Vorbild.

Wien lässt Sozialpunkteprojekt wieder aufleben
9. 03. 2023 | Die Stadt Wien hat allen Ernstes angekündigt, ihr während der Corona-Zeit auf Eis gelegtes Sozialpunkte-Projekt namens „Kultur-Token“ wieder aufleben zu lassen. Dabei bekommen Teilnehmer, die zu Fuß gehen, Fahrradfahren oder den öffentlichen Nahverkehr nutzen, Kultur-Sachprämien. Sie müssen dafür ihr gesamtes Bewegungsprofil aufzeichnen und teilen. Später soll ein umfassendes Sozialpunktesystem daraus werden.

Das wahre Ziel wird verschwiegen

Der KulturPass dient laut Verlautbarung dazu, „sowohl junge Menschen als auch die Kultur zu unterstützen“. Von Digitalisierung ist unter den Zwecken nicht die Rede. Die Pressestelle der Kulturbeauftragten antwortete (bisher) nicht auf meine Anfrage vom 5.6., ob die Kulturförderung oder die Digitalisierung im Vordergrund stehe und was die Programmierung der von Anbietern und Begünstigten zu nutzenden App gekostet hat.

Im Abspann der Netzseite des KulturPass findet sich das Logo einer „Stiftung Digitale Chancen.“ Explizit erwähnt wird diese, soweit ich feststellen konnte, nirgends. Wenn man auf der Netzseite dieser Stiftung die Projekte aufruft, findet man eine Seite zum KulturPass und die Information, dass die Stiftung Digitale Chancen das Projekt „im Rahmen einer Zuwendung umsetzt“:

„Als Schnittstelle wird sie zwischen der BKM, dem Entwicklungspartner und Technikdienstleister, der Kommunikationsagentur sowie den Nutzenden, d.h. den Kulturanbieter*innen und den Jugendlichen agieren.“

Auch die Stiftung erwähnt die Digitalisierung nicht unter den Zielen des Projekts, obwohl ihr erklärtes Ziel ist, durch bundesweite Projekte die „digitale Teilhabe“ zu fördern, und das sicherlich der Grund ist, warum gerade diese Stiftung für die Umsetzung auserkoren wurde:

„Ziel des KulturPasses ist es, junge Menschen nach der Pandemie neu für kulturelle Aktivitäten zu begeistern und finanzielle Barrieren für den Zugang zu kulturellen Angeboten abzubauen. Dabei soll auch das Interesse an Angeboten geweckt werden, die das Spektrum der persönlichen Vorlieben erweitern. Der KulturPass trägt damit nicht nur zur Förderung der allgemeinen und kulturellen Bildung von jungen Menschen, sondern auch zur Erschließung neuer Publikumsschichten und zur Stärkung lokaler Kulturanbieter*innen vor Ort bei.“

Was für eine elende Heuchelei? Schon bemerkenswert, dass sich die Kulturbeauftragte Claudia Roth dafür hergibt. Wie soll denn der KulturPass das Interesse an Angeboten jenseits der bisherigen Vorlieben steigern, wenn man das Geld für Bücher, Musik, Kino und Popkonzerte ausgeben kann, also für die ohnehin beliebtesten Kulturformate von Teenagern? Wer würde auf die Idee kommen, eine Stiftung DIGITALE Chancen zu beauftragen, wenn die „Kulturanbieter vor Ort“ gestärkt werden sollen? Dann würde der Gutschein im örtlichen Kino oder Theater eingesetzt, und nicht für eines der superteuren Konzerte internationaler Popkünstler irgendwo in der Republik.

Es wäre im Hinblick auf die vorgebliche Zielsetzung billiger und viel effektiver, den Kommunen oder Kreisen die Möglichkeit zu geben, auf Bundeskosten allen, die 18 werden, Gutscheine zu schicken und es den „Kulturanbietern vor Ort“ zu überlassen, ob sie diese akzeptieren und bei der Kommune einreichen wollen. Dann wären die Kulturanbieter vor Ort klar im Vorteil gegenüber überregionalen Anbietern.

Kultur vor Ort hat das Nachsehen

So wie es jetzt gemacht wird, dürften überregionale Anbieter wie die großen Online Kultur- und -Konzertagenturen profitieren. Denn  für überregionale Anbieter mit großem Umsatz lohnt sich der Aufwand der Anmeldung des eigenen Angebots und die Abwicklung der Erstattung viel eher als für das kleine Theater oder die kleine Buchhandlung vor Ort, die pro Jahr bestenfalls von ein paar Dutzend gerade volljährig Gewordenen frequentiert werden.

Die Kosten für die Stiftung und „die Entwicklungspartner und Technikdienstleister sowie die Kommunikationsagentur“ könnte man sich so auch sparen.

Das Angebot sollte aber gerade nicht für digitale Angebote gelten, sondern nur für physische. Denn nur die analogen Kulturangebote wurden von den Corona-Restriktionen hart getroffen. Für die digitalen und digital vertriebenen Angebote war die Pandemie eine tolle Zeit. Es gibt keinerlei Rechtfertigung, deren Anbieter mit Steuergeld noch weiter zu päppeln, zu Lasten ihrer analogen Konkurrenten.

Korrektur und Ergänzung (12.6.): Versandhändler ausgeschlossen

In den Bedingungen für Anbieter heißt es:

„Unabhängig von ihrem Angebot sind aus kulturpolitischen Gründen von der Zulassung ausgenommen folgende Anbieter: Online-)Versandhändler; Supermärkte; Tankstellen.“

Außerdem heißt es dort:

„Unabhängig von dem konkreten Angebot sind aus kulturpolitischen bzw. umsetzungspraktischen Gründen von der Zulassung ausgenommen folgende Produkte/Dienstleistungen: Schulbücher; Digitale Musiknoten; Aufnahmetechnik; Computerspiele; Kurse (bspw. Musik, Malen, Tanzen); DVDs und Blu-Rays; Streaming, sofern nicht live Veranstaltungen gestreamt werden.“

Ich habe deshalb Verweise auf mutmaßlich profitierende Online-Händler und Amazon im ursprünglichen Text gelöscht.

Bei der Stiftung Digitale Chancen sind beispielhaft (Schall-)Platten als KulturPass-fähige Kulturgüter aufgeführt. Es scheint tatsächlich so zu sein, dass das die einzigen „Tonträger“ sind (so heißt es bei der Regierung), die sich die 18-jährigen mit den 200-Euro kaufen können. Wie viele von ihnen wohl einen Plattenspieler zu Hause haben.

zum angeblichen Ziel der Horizonterweiterung siehe auch: Cancel-Culture: Eine Dokumnentation.

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