Das angebliche Verbot der Staatsfinanzierung durch die Notenbank gehört endlich offiziell beerdigt

26. 06. 2020 | Das aufsehenerregende Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Mai hat das Verbot der direkten Staatsfinanzierung durch die Notenbank noch stärker in den Fokus gerückt. Es war schon immer eine Schimäre. Weiter so zu tun, als finanzierten die Zentralbanken nicht den Staat, hilft nur den Banken und den Reichen, schadet aber dem Gemeinwesen. Ein Gastbeitrag von Raimund Dietz von der Monetative Austria.

Raimund Dietz. Was Geld und die Gestaltung des Geldsystems betrifft, reiht sich eine Inkonsequenz an die andere. So zentral Geld für die Wirtschaft ist, so sehr tut es die Wirtschaftstheorie als Nebensächlichkeit ab. Das hat ganz praktische Auswirkungen. Eine davon ist das Verbot der Finanzierung des Staates durch die Zentralbank. Dieses Verbot ist unzeitgemäß und widersinnig.

Denn die Zentralbank ist ihrer Funktion nach eine Körperschaft öffentlichen Rechts. Sie schöpft Geld, und ihr Recht sollte darin bestehen, es dem Staat bzw. der Regierung unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Staat oder Regierung könnten dann das geschöpfte Geld durch Staatsausgaben, die das Parlament bewilligt, in Umlauf bringen. Steuern, die die Bürger an den Staat zahlen, vernichtet das Geld wieder.

Zusätzlich soll die Zentralbank Geld weiterhin in Umlauf bringen können, indem sie Geschäftsbanken Kredite vergibt; Geld wird vernichtet, wenn die Geschäftsbanken ihre Zentralbankkredite wieder zurückzahlen.

Unsinnige Verbote werden regelmäßig umgangen. Man bricht sie, tut aber so, als ob man sich an das Gesetz halten würde. Der Form nach finanzieren die Geschäftsbanken den Staat. Tatsächlich ist es aber die Zentralbank, nur eben über einen Umweg.

Der Umweg funktioniert folgendermaßen: Der Staat leiht sich das Geld von Geschäftsbanken, welches sich dieses von der Zentralbank holen. Das führt dazu, dass die Gelddruckmaschine zwar läuft, der Staat sich aber noch zusätzlich und völlig unnötig verschuldet. Ein gutes Geschäft für die Geschäftsbanken, ein schlechtes für den Staat. Er, der für die Stabilität der Währung verantwortlich ist, muss sich das Geld von den Geschäftsbanken besorgen und muss dafür noch Zinsen zahlen. Dümmer und verschwenderischer kann man mit Geldmitteln kaum umgehen.

Im Euro-Währungsraum funktioniert das im Prinzip genauso. Es ist nur komplizierter, weil es nur einen Währungsraum, aber viele Regierungen gibt.

In Notzeiten ist die Staatsfinanzierung durch die Zentralbank von höchster Dringlichkeit. Die Zentralbank hat eine Pufferfunktion. Durch das Drucken von Geld kann sie Defizite auffüllen und durch Zurverfügungstellung von Geld die effektive Nachfrage direkt beeinflussen. Im Euro-Raum hat die EZB außerdem noch die Funktion, das Auseinanderfallen des Euro-Raumes infolge der ungleichen Betroffenheit von Schocks zu verhindern. (Italien und Spanien sind als Tourismusländer besonders von der Covid-Krise getroffen, während Deutschland weiter seine Industriewaren liefern kann.)

Weil das Verbot der direkten Staatsfinanzierung die Funktion der Zentralbank einschränkte, mussten die Zentralbanken in der Krise nach kreativen Lösungen suchen, um es zu umgehen. In der großen Wirtschaftskrise der Dreißigerjahre des letzten Jahrhunderts hatten die Zentralbanken noch vollkommen versagt. Deshalb rutschten die Wirtschaften in eine schreckliche Depression ab. Nach der Finanzkrise 2008 reagierten die Zentralbanken viel proaktiver. Aber sie konnten es nur, indem sie das Verbot der Staatsfinanzierung kreativ umgingen.

Anstatt direkt ein „Quantitative Easing, eine Geldvermehrung, durch Überweisung von Geld an die Staatsbudgets zu betreiben, haben die Zentralbanken überall in der Welt Schulden „monetisiert“, also zu umlauffähigem Geld gemacht: sie kauften Staatsanleihen und andere Schuldverschreibungen von den Geschäftsbanken auf und stopften so das Bankensystem mit Liquidität voll.

Das Geld kam aber nur zu geringem Teil in der produzierenden Wirtschaft an. Das meiste floss in die Finanzwirtschaft – mit bekannten Folgen für die Vermögensmärkte. Die Superreichen wurden noch reicher, Massen verarmten, die effektive Nachfrage fehlte. Die Staatsschulden wuchsen erheblich.

Während die Finanzkrise von der Finanzwirtschaft „hausgemacht“ war, stellt die Covid19-Krise einen typischen von außen kommenden Schock da. Jeder Staat steht vor der Notwendigkeit, die Wirtschaft aus gesundheitspolitischen Gründen herunterfahren, zugleich aber das Überleben von Bürgern und Unternehmen zu sichern. Die Staatseinnahmen sinken, die Ausgaben steigen – es tut sich eine ungeheure Lücke auf, die zu finanzieren ist. Wer, wenn nicht die Zentralbanken, können diese Lücke stopfen? Und sie tun es auch. In Befolgung des Finanzierungsverbotes wieder auf dem Umweg über Geschäftsbanken, was diese freut, aber dem Gemeinwesen abträglich ist. Vor allem aber setzen sie ihre Ankaufsprogramme in ungeheuerlichem Ausmaß fort und treiben so die Preise von Vermögenswerten und die Vermögen der Reichen in die Höhe.

Nicht dass wir völlig ungeschoren von der Covid19-Krise davonkommen könnten, aber die Art und Weise, mit der uns die Zentralbanken heute „retten“, ist alles andere als optimal. Die inflationäre Wirkung, die vom Gelddrucken ausgeht, haben wir ohnehin. Dazu kommen noch die Erhöhung der Staatsschuldenquoten, ein weiteres Anfüttern des Finanzsystems, was uns in der Zukunft sehr teuer zu stehen kommen wird, eine Verschlechterung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse.

Eine demokratisch kontrollierte und damit transparente Staatsfinanzierung ist allemal besser als eine indirekte Finanzierung über das Geschäftsbankensystem.

Besonders spannend wird es, wenn Bürger auf Einhaltung des Verbots der Staatsfinanzierung bei Höchstgerichten klagen. Würde das Gericht ihrem Verlangen nachgeben, würde das System sofort zusammenbrechen.

Wie hat das deutsche Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von Anfang Mai auf eine kürzliche, vor allem von AFD-Parteigängern formulierte Klage reagiert? Indem das Gericht behauptete, dass die Zentralbanken den Staat nicht finanzierten – was falsch ist –, hat es das Schlimmste abgewehrt. Es hat aber Regierung und Parlament beauftragt, der EZB nun genau auf die Finger zu schauen.

Die EZB wird nun auf jeden Fall ihre Programme besser begründen müssen insbesondere, was ihre wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen angeht. Da ist kommunikative Kreativität gefragt. Die Gefahr ist aber, dass die EZB erst recht nur das tun wird, was sie tun darf und das, was sie tun müsste, unterlässt. Dieses Urteil wird die EZB wahrscheinlich zu Maßnahmen drängen, die dem Wortlaut des Gesetzes entsprechen, tatsächlich aber verhindern, dass sie auf Schocks adäquat reagiert, die auf das das Wirtschaftsgebiet der Euro-Zone zukommen.

Eine leise Hoffnung aus dem unsinnigen Rechtsstreit um ein widersinniges Verbot bleibt: dass die Ursache allen Übels – das Verbot der direkten Staatsfinanzierung – endlich gekippt wird. Dann kann man sich auf die Ausgestaltung von Bedingungen konzentrieren, unter denen eine Staatsfinanzierung erfolgt. Kanada hat sich bis Anfang der Siebziger Jahre nicht um dieses Gebot geschert – und ist damit sehr gut gefahren. Unter dem gewaltigen Druck der Umstände ist jüngst die Bank of England vorangegangen. Sie finanziert in der Covid-Krise ganz direkt den Staatshaushalt und bricht damit das schon immer sinnlose Verbot.

Eine demokratisch kontrollierte und damit transparente Staatsfinanzierung ist allemal besser als eine indirekte Finanzierung über das Geschäftsbankensystem, das die Zentralbanken gelegentlich dann noch zusätzlich zu retten gezwungen sein wird.

Die systemisch korrekte Antwort auf das miserabelste aller Geldschöpfungssysteme, das heute etabliert ist, wäre die Einführung von Vollgeld. Sie hebt das Verbot der Staatsfinanzierung selbstverständlich auf, und überträgt das alleinige Recht auf Herstellung von zusätzlichem Kontengeld der Zentralbank. Dieses Privileg haben sich die Geschäftsbanken stillschweigend über die Jahre erschlichen, weil sie den Zahlungsverkehr über Konten durchführen.

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