Katharina Pistor.* Am 16. März stürzten die Aktienmärkte auf beiden Seiten des Atlantiks in den Abgrund. Der Dow-Jones-Aktienindex fiel von 29.000 auf 19.000; der Dax von über 13.000 Anfang Februar auf unter 9.000 Punkte. Vier Pandemie-Monate später waren die alten Rekordniveaus fast wieder erreicht, so als sei kaum etwas geschehen.
Die Aktienmärkte erfreuen sich bester Gesundheit ungeachtet der Tatsache, dass in vielen Ländern, einschließlich den Vereinigten Staaten, das Coronavirus nach wie vor um sich greift, Menschenleben fordert und weite Teile der Wirtschaft lahmlegt. Die Hoffnung, dass es eine schnelle Rückkehr zur alten Normalität geben wird, hat sich fast überall verflüchtigt.
Was treibt die Märkte in diese ungeahnte und für die beglückten Anleger unverhoffte Höhe? Kaum die Daten zur allgemeinen Wirtschaftslage. Seit März steigen die Arbeitslosenzahlen, ganze Branchen liegen brach, viele kleine und mittelständische Unternehmen stehen vor dem Abgrund, und jedenfalls in den USA legen sich Banken derzeit extra Polster zu, um für Dürrezeiten gewappnet zu sein.
Vielleicht stimmt etwas mit diesen Daten nicht, und die Märkte haben doch recht, denn eigentlich haben die Märkte ja immer recht. Märkte sollen in der Lage sein, so die Effizienzhypothese, für die Professor Eugene Fama fünf Jahre nach dem letzten großen Marktkrach den Nobelpreis erhalten hat, alle öffentlich verfügbaren Informationen in kürzester Zeit in die Marktpreise einzubringen.
Die negativen Informationen scheinen derzeit nicht durchzudringen oder sie werden ignoriert. Blackrocks Jeff Shen ließ sich der fantastischen Preise wegen zu einer geradezu spirituellen Äußerung verleiten: „Wie die Märkte verschiedene Grundlagen, Stimmungen oder Strömungen bewerten, ist für uns alle ein großes Mysterium“, sagte er.
Staaten sorgen für Rettung
Aber so mysteriös ist das gar nicht. Nachdem Gott Noah angewiesen hatte, eine Arche zu bauen, um die Sintflut zu überleben (Genesis 7), konnte es kaum verwundern, dass er und die Seinen als einzige wieder Land sahen.
Spätestens seit 2008 wissen auch die Märkte, dass die Staaten für ihre Rettung sorgen, ja dass Helfer aus ihren eigenen Reihen hierfür herangezogen würden. Und wo die Politik versagt oder zu kleinmütig ist, helfen die Zentralbanken nach. So hat die amerikanische Zentralbank nun schon zum zweiten Mal die größte Vermögensverwaltungsgesellschaft Blackrock mit der Aufgabe betraut, in ihrem Namen marktstabilisierende Geschäfte zu tätigen.
Auch macht bekanntlich Übung den Meister: Wie man Märkte rettet, das weiß mittlerweile jeder Zentralbanker. Wie man ganze Volkswirtschaften vor dem Abgrund bewahrt, das aber steht in den Sternen, vor allem wenn durch breit gestreute Rettungsmaßnahmen die Märkte nicht in Verdruss gebracht werden sollen. Denn ohne die geht es bekanntlich nicht.
*Katharina Pistor ist Professorin für vergleichendes Recht an der Columbia University in New York. Ihr sehr lesenswertes Buch „Der Code des Kapitals – Wie das Recht Reichtum und Ungleichheit schafft“ ist am 16. November 2020 bei Suhrkamp auf deutsch erschienen (440 Seiten, 32 Euro, engl. Orignialtitel „The Code of Capital“).