Panorama und die Toten nach Impfung: Schludern, Täuschen, Vertuschen

15. 02. 2021 | Die ARD-Sendung Panorama beantwortet auf Basis von Berechnungen des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) die Frage, ob die Corona-Impfungen zu Todesfällen geführt haben, mit nein. Schon die Berechnungen des PEI sind fragwürdig. Panorama vergleicht noch dazu die falschen Zahlen und ändert mit unvollkommener Offenlegung nachträglich das Video der Sendung.

Laut dem zuständigen und in der Panorama-Sendung von Donnerstag 11. Februar ausgiebig zitierten Paul-Ehrlich-Institut starben 113 Menschen in einem Zeitfenster von 18 Tagen nach einer Corona-Impfung. Bei 43 Fällen habe der Tod „eindeutig“ auf eine Krankheit wie zum Beispiel Herzinfarkt zurückgeführt werden können, sagt die Panorama-Sprecherin (min 6:30), unterlegt mit einer Grafik. (Absatz geändert, s.u.)

Bei 20 Fällen hätten sich die nach einer Impfung Gestorbenen durch Corona infiziert.

Bei 50 Fällen habe die Todesursache nicht geklärt werden können, teilt Panorama mit. Ob das bei allen Fällen daran liegt, dass die Angehörigen einer Obduktion nicht zugestimmt haben, oder ob die Todesursache in manchen Fällen einfach nicht eindeutig feststellbar war, wird nicht klar..

Dann spricht die Virologin an der TU München, Ulrike Protzer. Ihr zufolge wären im fraglichen Zeitfenster nach Impfung statistisch 100 (Zufalls-)Todesfälle von Geimpften zu erwarten gewesen. Die Redaktion blendet dann ein Schaubild mit den 50 Toten mit ungeklärter Todesursache ein und vergleicht das mit einer doppelt so hohen Säule von 98,8 erwartbaren Todesfällen. Sie lässt die Professorin schlussfolgern, dies zeige, dass die Impfung nicht ursächlich mit irgendwelchen Todesfällen in Zusammenhang stehe.

So wie Panorama es (falsch) erklärt, müssten die 98,8 statistisch zu erwartenden Todesfälle (ohne Einschränkung bei den Todesursachen) aber sachlogisch nicht mit der Anzahl der ungeklärten Todesfälle nach einer Corona-Impfung verglichen werden, sondern mit allen Todesfällen nach einer Corona-Impfung. Das waren 113.

Aber es ist ohnehin ganz anders. Im Sicherheitsbericht vom 4.2.2021 des Paul-Ehrlich-Instituts, aus dem Panorama Zahlen recht willkürlich entnommen hat, findet man die nicht ganz leicht verständliche Passage:

„Bei einer jährlichen Hintergrundinzidenz von 98,8 Todesfällen pro 100.000 Personen im Alter von 65 Jahren und älter sind innerhalb von 18 Tagen 77,7 Fälle von plötzlichem Tod (I46.1 nach ICD-10) oder Tod mit unbekannter Ursache (R96–R99 nach ICD-10) zu erwarten. Berücksichtigt man die 38 berichteten Fälle nach Comirnaty-Impfung mit unklarer Todesursache und bekanntem Zeitintervall im Alter ab 64 Jahren (s. oben), beträgt die standardisierte Mortalitätsrate (Standard Mortality Ratio,SMR) 0,49; 95%-Konfidenzintervall 0,35–0,67; p = 1,0. Das bedeutet, dass die beobachtete Anzahl an Todesfällen nach Impfung die erwartete Anzahl Todesfälle ohne Impfung nicht übersteigt.“

Die 50 Todesfälle nach Impfungen, die Panorama in den Vordergrund stellt, kamen beim Paul-Ehrlich-Institut noch etwas weiter vorne, als ein Zwischenschritt auf dem Weg zur kleineren Zahl 38, mit der das Institut rechnet.

Es waren also nicht insgesamt 98,8 Todesfälle oder 100 Todesfälle nach Impfungen zu erwarten, wie Panorama und Professorin Protzer behaupten, sondern 98,8 Fälle je 100.000 Menschen in einem ganzen Jahr, und auch nur die mit unbekannter Todesursache. Das wird dann vom Institut anhand der Impfhäufigkeit (1,5 Mio) und der Länge der untersuchten Frist (18 Tage) auf 77,7 zu erwartende Fälle mit unbekannter Todesursache im fraglichen Zeitfenster umgerechnet. Panorama hat eine völlig falsche Zahl für den Referenzwert herausgepickt und deren Bedeutung völlig falsch beschrieben. Auch auf der anderen Vergleichsseite picken sie sich eine andere Zahl heraus, als die vom Paul-Ehrlich-Institut verwendete.

Ein Aufklärungsversuch

Ich schrieb noch am Donnerstagabend E-Mails an Prof. Protzer, das Paul-Ehrlich-Institut und die Panorama-Redaktion. Am folgenden Morgen twitterte ich zusätzlich an die im Beitrag genannten Redakteurinnen, Robert Bongen, Lea Busch und Johannes Edelhoff, dass mir ihr Beitrag irreführend erscheine. Ich monierte, irregeführt von der falschen Darstellung im Panorama-Betrag, dass den statistisch zu erwartenden Todesfällen im 18-Tage-Zeitfenser die tatsächlich eingetretenen Todesfälle nach Impfung gegenübergestellt werden müssten, nicht nur diejenigen mit unbekannter Todesursache.

Vom Paul-Ehrlich-Institut kam am Freitag Nachmittag eine Antwort, in der die Pressesprecherin feststellte, dass der von Panorama verwendete Wert von 50 für die Todesfälle mit unbekannter Ursache nicht der richtige gewesen sei. Der richtige Wert sei aber noch niedriger. Zu dem noch viel falscheren Wert von 98,8 bzw. 100 zu erwartenden Todesfällen und der falschen Darstellung des Vergleichs sagte sie nichts.

Redakteur Robert Bongen antwortete am Samstag via Twitter: „Danke für Ihren kritischen Blick. In der Grafik zu den Todesfällen nach Impfung mit ungeklärter Ursache ist uns leider eine Zahlenverwechslung unterlaufen. Wir haben sie aus dem Film entfernt & die Berechnung auf unserer Seite erklärt. Grundaussage korrekt.“

Von Professorin Ulrike Protzer kam am Montag eine verwirrende, vielleicht auch verwirrte Antwort, in der sie unter anderem schreibt: „Alternativ kann man die Todesfälle mit unklarer Todesursache vergleichen – aber auch da sieht man keinen Anstieg..“ Eine Nachfrage blieb bisher unbeantwortet.

Ein intransparenter Reparaturversuch

In der ARD-Mediathek ist das geänderte Video des Beitrags unter neuem Link aufrufbar. Dort findet sich kein Hinweis auf die nachträgliche Veränderung des Beitrags. Unter dem Video heißt es dort nur: „Corona: Tod nach Impfung 11.02.2021 ∙ Panorama ∙ Das Erste“. Das erweckt den falschen Eindruck, das sei der Beitrag, der am 11.2.2021 in der ARD gezeigt wurde. Auch das Video der gesamten Panoramasendung in der ARD-Mediathek ist entsprechend geändert, ohne dass ich dort einen Hinweis auf die Änderung finden könnte.

Nur auf www.panorama.de wo das Video des Beitrags auch zu finden ist, gibt es einen Hinweis, zwar nicht am Video-Player oder im Video, aber immerhin am Ende der Textversion. Hingewiesen wird allerdings nur auf die kleinere von zwei vorgenommenen Änderungen.

Außerdem gibt es eine – soweit ich den verwirrenden Text richtig entschlüsseln kann – nicht korrekte Erläuterung des Fehlers der korrigiert wurde. Die Redaktion schreibt:

„Wir hatten dort die Todesfälle mit unbekannter Ursache nach Impfung mit den statistisch zu erwarteten Todesfällen mit unbekannter Ursache in derselben Altersgruppe verglichen. Dafür hatten wir die Zahlen 50 für unerwartete Todesfälle und 98,8 für die rechnerisch erwarteten Todesfälle genannt. Einige Zuschauerinnen und Zuschauer hatten angemerkt, dass man doch die insgesamt 113 Todesfälle nach einer Impfung hätte einbeziehen müssen. Das ist nicht richtig. Es ging ja um die Fälle, in denen die Todesursache nicht klar gewesen ist. Aber auch wir haben einen Fehler gemacht.“

Das ist falsch. Die Redaktion wollte vielleicht jeweils nur die Todesfälle mit unbekannter Ursache vergleichen. Ihre Erläuterung der Vergleichsbasis enthält aber weder im Original, noch im geänderten Video einen Hinweis darauf, dass es sich hier nur um Todesfälle mit unbekannter Ursache handelt. Hier machten also nicht die Zuschauerinnen einen Fehler, sondern die Redaktion machte ihren ersten Fehler. Er ist weiterhin im Video zu besichtigen.

Danach kommt eine völlig unverständliche Pseudoerklärung des eigenen (zweiten) Fehlers, wonach man statt der auf unverständliche Weise selbst ermittelten, angeblich richtigen Zahl 100 versehentlich die ähnliche Zahl 98,8 aus dem PEI-Bericht genommen habe. Deshalb habe man die entsprechende Grafik aus dem Beitrag entfernt.

So weit so schlecht. Was die Redaktion nicht mitteilt: Sie hat auch das Gespräch mit der Expertin Prof. Ulrike Protzer ausgetauscht. Es fehlen Sätze und andere kamen gegenüber dem Original hinzu.

So ganz überzeugt ist man wohl nicht von dem irgendwie selbst ermittelten Vergleichswert 100. Denn der Satz in dem Prof. Protzer diese Zahl als statistisch zu erwartende Anzahl von Todesfällen nennt, wurde herausgeschnitten.

Hier die einschlägige Passage der Originalsendung in Tonaufzeichnung vom Fernseher, ab Minute 8:20.

Und hier die gleiche Passage aus dem geänderten Video. Geändert wurde das Gespräch mit Professorin Protzer und es fehlt eine kurze Passage in der die Sprecherin die Grafik erklärt.

Unter den Videos auf Panorama.de und in der ARD-Mediathek steht:

„Es gibt bislang nicht einen einzigen belegten Fall, in dem eine Corona-Impfung zum Tod führte.“

Ziemlich irreführend, diese Vorspiegelung von sicherem Wissen, wenn man bedenkt, dass bei fast der Hälfte der Todesfälle die Todesursache nicht geklärt werden konnte und bei vielen der anderen einfach angenommen wurde, dass es nicht die Impfung war.

Fragwürdige Analyse des PEI

Das Ausklammern aller Fälle von „vermutlich“ bekannter Todesursache in dem statistischen Vergleich der Todesraten ist fragwürdig. Denn zum einen ist das Interesse, die genau Todesursache aufzuklären, in einer Normalsituation, in der ein alter Mensch stirbt, sehr viel geringer als bei Todesfällen direkt nach einer Impfung. Wenn selbst bei Todesfällen kurz nach einer Impfung, bei denen das Interesse an Aufklärung sehr groß sein sollte, fast die Hälfte der Todesursachen als unbekannt angegeben wird, darf man davon ausgehen, dass es bei „normalen“ Todesfällen alter Menschen noch viel mehr sind. Das würde die relative Mortalitätsrate nach Impfung nach unten verzerren.

Die Art, wie das Institut von der Gesamtzahl der Todesfälle nach Impfungen von über 100 auf die niedrige Zahl von 38 kommt erscheint auch im Detail sehr fragwürdig.

Abgezogen werden 20 Fälle von Covid-Infektionen, bei denen einfach Covid als Todesursache angenommen wird. Nichts schließt jedoch aus, dass eine kurz vorangegangene Impfung den Verlauf einer späteren Corona-Infektion verschlimmert oder dass eine Impfung einer schon infizierten Person die Krankheit verschlimmert und den Tod wahrscheinlicher macht.

Auch fällt die gegensätzliche Vorgehensweise sehr unangenehm auf. Todesfälle nach einer Corona-Infektion werden auch bei einer schweren Vorerkrankung standardmäßig zu den Corona-Toten gezählt. Bei einem Todesfall nach Corona-Impfung wird bei Vorliegen einer schweren Vorerkrankung davon ausgegangen, dass die Erkrankung die Todesursache war und nicht die Impfung.

Bei 33 Menschen mit schweren Vorerkrankungen geht das Institut entsprechend davon aus, dass sie „vermutlich“ (!) an diesen Vorerkrankungen verstarben. Deshalb werden sie ebenfalls ausgeklammert. Aber, dass geschwächte Menschen mit schweren Vorerkrankungen durch das Auslösen einer Immunreaktion per Impfung gefährdet werden können, ist eine unter Medizinern verbreitete Annahme.

Noch wilder wird es, wenn das Institut vier Todesfälle abzieht, weil der genaue zeitliche Abstand von der Impfung nicht bekannt ist und sieben weitere, weil der Impfstoff nicht angegeben wurde. Dem stehen bei der Vergleichszahl von 77,7 zu erwartenden Fälle keine entsprechenden Abzüge gegenüber. Eine Verzerrung der Relation nach unten erscheint offenkundig.

Es es leicht, festzustellen, dass die Massenimpfung nicht zu zusätzlichen Todesfällen geführt hat, wenn man einfach festlegt, dass alle Gestorbenen mit einer schweren Vorerkrankung an dieser gestorben sind, und nicht (auch) an der Impfung, Überzeugend ist es nicht.

Wollte man das unvoreingenommen überprüfen, würde man alle Todesfälle nach Impfung mit der Anzahl aller Todesfälle vergleichen, die im gleichen Zeitfenster statistisch zu erwarten gewesen wären.

Eine Angebot zur Stellungnahme zu diesen Kritikpunkten hat das PEI bisher nicht angenommen und auch keine spätere Stellungnahme angekündigt. Sonst hätte ich noch gewartet.

Was kann man tun?

Das Bezahlen des Rundfunkbeitrags gibt den Beitragenden zwar kein Recht bei der Programmgestaltung oder Personalauswahl irgendwie mitzuwirken, anders als bei anderen Organisationen, für die man Pflichtbeiträge bezahlt. Wenn Sie allerdings meinen, dass das Gebotene allzu weit hinter dem Versprochenen zurückbleibt, gibt es die Möglichkeit der Programmbeschwerde.

Diese wäre in diesem Fall zu richten an NDR – Intendanz – Herr Joachim Knuth – Rothenbaumchaussee 132 – 20149 Hamburg. Es empfiehlt sich, „Programmbeschwerde“ in den Betreff zu schreiben und auf die Grundsätze des Berichterstattung nach §10 des Staatsvertrags für Rundfunk- und Telemedien zu verweisen. Er lautet:

„Berichterstattung und Informationssendungen haben den anerkannten journalistischen Grundsätzen, auch beim Einsatz virtueller Elemente, zu entsprechen. Sie müssen unabhängig und sachlich sein. (…)“

Wenn die Beschwerde Substanz hat, befassen sich der Intendant und der Rundfunkrat relativ aufwendig damit. Normalerweise schmettern sie die Beschwerde ab. Selbst in diesem ziemlich klaren Fall von Schluderei und Fehlverhalten würde ich nicht unbedingt mit einer Rüge rechnen. Es könnte sich aber schon lohnen, die Probe aufs Exempel zu machen.

Ansonsten können Sie die am Beitrag Beteiligten und das Paul-Ehrlich-Institut um Aufklärung von vermeintlichen Ungereimtheiten und gegebenenfalls Korrektur bitten.

Änderungshinweis (18.02): Ich hatte irrtümlich geschrieben, die verwendeten Daten des PEI stammten aus dessen 3. Sicherheitsbericht. Ich habe das geändert in „Sicherheitsbericht vom 4.02.2021“. Der Link führte auf das richtige Dokument.

Änderungshinweis (29.3.): Aus Anlass der Antwort, die eine Leserin von der Panorama-Redaktion erhielt, habe ich das Paul-Ehrlich-Institut nochmals nach der korrekten Interpretation zweier Absätze im Sicherheitsbericht gefragt. Daraufhin habe ich den Vorwurf entfernt, die Panorama-Redaktion habe die Zuschauerinnen getäuscht, indem sie das Wort „vermutlich“ durch das Wort „eindeutig“ ersetzt habe. Tatsächlich soll sich das Wort „vermutlich“ im Bericht des Instituts aber auf etwas anderes beziehen. Das eingefügte Wort „eindeutig“ ist damit nur eine Verstärkung der Aussage des Berichts, aber keine Täuschung. Die verwirrend formulierten Absätze im Bericht lassen beide Interpretationen zu. Ich bitte den Fehler zu entschuldigen.

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