Ex-Nato-General Kujat zum Russland-Ukraine-Krieg

21. 01. 2023 | Im Interview mit der Schweizer Zeitung Zeitgeschehen im Fokus hat der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr und ehemalige Vorsitzende des Nato-Militärausschusses, Harald Kujat, sich sehr ausführlich und kritisch zur Rolle Deutschlands und der Nato im Ukraine-Konflikt geäußert. Hier einige der wichtigsten Aussagen.

Schon der Titel des Interviewbeitrags enthält zwei prägnante Aussagen des ehemaligen höchsten Nato-Militärs: „Ukrainekonflikt: «Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, die abgebrochenen Verhandlungen wieder aufzunehmen»“

Zur Berichterstattung in den Mainstream-Medien sagt Kujat u.a.:

„Der Ukrainekrieg ist nicht nur eine militärische Auseinandersetzung; er ist auch ein Wirtschafts- und ein Informationskrieg. In diesem Informationskrieg kann man zu einem Kriegsteilnehmer werden, wenn man sich Informationen und Argumente zu eigen macht, die man weder verifizieren noch aufgrund eigener Kompetenz beurteilen kann. (…)  Besonders ärgerlich finde ich, dass die deutschen Sicherheitsinteressen und die Gefahren für unser Land durch eine Ausweitung und Eskalation des Krieges so wenig beachtet werden.“

Über die Verhandlungen, die im März in Istanbul geführt wurden, sagt er, Russland habe sich damals bereit erklärt, seine Streitkräfte auf den Stand von vor Beginn des Angriffs auf die Ukraine zurückzuziehen. Die Ukraine hätte sich im Gegenzug verpflichtet, auf eine Nato-Mitgliedschaft zu verzichten und keine Stationierung ausländischer Truppen oder militärischer Einrichtungen zuzulassen. „Nach zuverlässigen Informationen“ habe der damalige britische Premierminister Boris Johnson in Kiew interveniert und eine Unterzeichnung verhindert. Seine Begründung sei gewesen, der Westen sei für ein Kriegsende nicht bereit. Und zum Schweigen der Medien darüber: „Ich habe jedoch erfahren müssen, dass deutsche Medien selbst dann nicht bereit sind, das Thema aufzugreifen, wenn sie Zugang zu den Quellen haben.“

Zum Argument, dass unsere Freiheit in der Ukraine verteidigt werde, sagt Kujat:

„Die Ukraine kämpft um ihre Freiheit, um ihre Souveränität und um die territoriale Integrität des Landes. Aber die beiden Hauptakteure in diesem Krieg sind Russland und die USA. Die Ukraine kämpft auch für die geopolitischen Interessen der USA. Denn deren erklärtes Ziel ist es, Russland politisch, wirtschaftlich und militärisch so weit zu schwächen, dass sie sich dem geopolitischen Rivalen zuwenden können, der als einziger in der Lage ist, ihre Vormachtstellung als Weltmacht zu gefährden: China.“

Russlands Hauptziel sei es, zu verhindern, dass der geopolitische Rivale USA eine strategische Überlegenheit gewinnt, die Russlands Sicherheit gefährdet. Je länger der Krieg dauert, desto grösser werde das Risiko einer Ausweitung oder Eskalation.

Zur beschlossenen Lieferung von Marder-Panzern an die Ukraine meint Kujat, dass bei einem niedrigen Ausbildungsstand des Bedienungspersonals und wenn ein Waffensystem nicht gemeinsam mit anderen Systemen in einem funktionalen Zusammenhang eingesetzt wird, der Einsatzwert gering sei. Dann bestehe die Gefahr der frühzeitigen Ausschaltung oder sogar das Risiko, dass die Waffe in die Hand des Gegners fällt.

Insgesamt könnten die westlichen Waffenlieferungen die Ukraine nicht in die Lage versetzen, ihre militärischen Ziele zu erreichen, sondern lediglich den Krieg verlängern. Und Russland könne die westliche Eskalation jederzeit durch eine eigene übertreffen.

Für Kujat wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, die abgebrochenen Verhandlungen wieder aufzunehmen. Die Waffenlieferungen bedeuteten, dass der Krieg sinnlos verlängert wird, mit noch mehr Toten auf beiden Seiten und der Fortsetzung der Zerstörung des Landes.

Scharf kritisiert Kujat das westliche Agieren im Zusammenhang mit dem Abkommen Minsk II. Angela Merkel habe unmissverständlich eingeräumt, sie habe das Abkommen Minsk II nur ausgehandelt, um der Ukraine Zeit zu verschaffen. Und die Ukraine habe diese auch genutzt, um militärisch aufzurüsten. Das habe auch der ehemalige französische Präsident Hollande bestätigt, und Petro Poroschenko, der ehemalige ukrainische Staatspräsident, ebenfalls. Er äußert Verständnis dafür, dass Russland das als Betrug betrachte. Und auch die Regierung der Ukraine kritisiert Kujat. Deren „Weigerung, das Abkommen umzusetzen, noch wenige Tage vor Kriegsbeginn“, sei einer der Auslöser für den Krieg gewesen.

Das Handeln der Bundesregierung in diesem Zusammenhang nennt er sogar einen Völkerrechtsbruch:

„Die Bundesregierung hatte sich in der Uno-Resolution dazu verpflichtet, das «gesamte Paket» der vereinbarten Massnahmen umzusetzen. Darüber hinaus hat die Bundeskanzlerin mit den anderen Teilnehmern des Normandie-Formats eine Erklärung zur Resolution unterschrieben, in der sie sich noch einmal ausdrücklich zur Implementierung der Minsk-Vereinbarungen verpflichtete. Das ist ein Völkerrechtsbruch, das ist eindeutig. Der Schaden ist immens. Man muss sich die heutige Situation einmal vorstellen. Die Leute, die von Anfang an Krieg führen wollten und immer noch wollen, haben den Standpunkt vertreten, mit Putin kann man nicht verhandeln. Der hält die Vereinbarungen so oder so nicht ein. Jetzt stellt sich heraus, wir sind diejenigen, die internationale Vereinbarungen nicht einhalten.“

Das waren nur kurze Auszüge aus dem langen, sehr gehaltvollen Interview. Ich empfehle sehr die Lektüre, weil man sehr selten Gelegenheit hat, Einschätzungen von kundiger Seite zu diesem Konflikt zu lesen, von denen man nicht annehmen muss, dass sie von den propagandistischen Zielen der einen oder der anderen Seite inspiriert sind.

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