Wie die Deutsche Presseagentur für Wirecard wirbt und das Bargeld bekämpft

20. 08. 2019 Mein Kandidat für den schlechtesten und übelsten Anti-Bargeld-Propagandabeitrag des bisherigen Jahres ist die Deutsche Presseagentur dpa mit einem sehr weit verbreiteten Text vom 18. August. Darin werden die Gewinninteressen des Bezahldienstleisters Wirecard ausführlich bedient, seine Behauptungen als neutrales Expertenwissen dargestellt und totale Überwachung der Kunden als schöne neue Bezahlwelt der Zukunft gepriesen.

Auf FAZ.net hieß der Beitrag „Die Liebe zum Bargeld schwindet“. Auch auf Welt.de und Stern.de und bei unzähligen Regionalzeitungen wurde der Beitrag wortgleich abgedruckt. Im Vorspann war zu erfahren:

„Die Deutschen gelten gemeinhin als bargeldverliebt. Doch diese Liebe scheint allmählich zu erkalten. Fachleute erwarten eine rasante Beschleunigung des Trends zum elektronischen Bezahlen

Erster Satz: „Die Verbraucher in Deutschland rücken immer schneller von ihrer einstigen Vorliebe für das Bargeld ab.“

Es handelt sich also um einen sogenannten Immer-Mehr-Artikel. Damit behelfen wir Journalisten uns, wenn es keinen (respektablen) Anlass gibt, einen Artikel gerade jetzt zu schreiben. Dann wird ein Trend als Anlass konstruiert. Weil schon bis zum Überdruss geschrieben wurde, dass mehr digital bezahlt wird und weniger bar, legt man eins drauf und lässt die deutschen Sonderlinge nicht nur abrücken, sondern „immer schneller abrücken“. Ein Beleg für die Beschleunigung findet sich nicht.

Der Anlass des Artikels bleibt im Dunkeln. Aus den Tatsachen, dass sieben Mal „Wirecard“ genannt wird, und dass die Wirecard-Produktchefin eine der nur zwei genannten „Fachleute“ im Artikel ist, und ausführlich zitiert wird, darf man den Anlass bei Wirecard vermuten. Ganz am Ende des langen Artikels erfährt man, dass Wirecard „kürzlich auf der Hauptversammlung in München“ den Aktionären Bezahlverfahren mit biometrischer Identifikation vorgeführt hat, also z.B. per Gesichtserkennung oder Fingerabdruck.

Es wäre ziemlich unseriöser Journalismus, einen solchen unternehmensbezogenen Anlass für einen Artikel so zu verwischen und trotzdem das entsprechende Unternehmen weit in den Vordergrund zu rücken. Der Aufbau einer Ersatzbegründung für die Geschichte per Trend geschieht auch noch handwerklich sehr schlecht. Eine „im März veröffentlichte“ Studie einer Unternehmensberatung zur geringen Nutzung von mobilen Bezahlverfahren muss herhalten für einen Artikel im August. Und dann kommt: „Aber das Bild ändert sich. So sind seit 2018 [!] Apple Pay und Google Pay auch in Deutschland verfügbar.” 2018 liegt auf meinem Kalender deutlich vor März 2019. Aber Hauptsache „Wirecard ist überall dabei“.

Ansonsten gibt es noch alte Zahlen der Bundesbank bis 2018, die den vorgeblichen Trend seit Frühjahr 2019 belegen sollen. Unterirdisch, aber gut genug, um von FAZ und Co. vieltausendfach weiterverbreitet zu werden.

Schöne neue Totalüberwachung

Der gruselige Kern des Artikels kommt in der zweiten Hälfte, wo das Ende der Ladenkasse und der Durchmarsch der biometrischen Identifizierung herbeigeschrieben wird. Die Ladenkasse werde langfristig verschwinden heißt es, denn Schlangestehen sei unbeliebt. Weil man mit dem eigenen Mobiltelefon ein immer zuverlässigeres Identifikations- und Überwachungsgerät bei sich trage, könne es langfristig die Ladenkasse ersetzen, meint die Wirecard-Produktchefin: „Das Mobiltelefon ist die Identifikation des Menschen.“ Und weiter: „„Es ist jetzt schon technisch möglich, Artikel im Regal mit dem Smartphone zu scannen und den Bezahlvorgang auszulösen.“ Ebenso möglich ist das Bezahlen über Gesichtserkennung wie per Handauflegen über Scanner.

Amazon Go als ungenanntes Vorbild

In den USA eröffnet der Amazon-Konzern derzeit in schneller Folge neue Amazon-Go-Läden nach diesem Prinzip. Dort gibt es keine Kassen, aber dafür das modernste, was die Überwachungstechnologie zu bieten hat, um jede Bewegung jeder Person im Laden lückenlos verfolgen und zuordnen zu können. Seine Gesichtserkennungssoftware „Rekognition“ vermarktet Amazon zu Dumpingpreisen an Polizeibehörden, zusammen mit der zugehörigen Cloud-Speicherkapazität für die Polizeibilder. So kann Amazon seine Gesichtserkennung weiter trainieren und an einem weltweiten kommerziellen Überwachungsmonopol arbeiten, für den eigenen Gewinn und für die gesteigerte Datenzufuhr an die US-Geheimdienste.

Während es in den USA zunehmende Proteste und erste Gesetze dagegen gibt, dass die Totalüberwachung per Gesichtserkennung vom digitalen Bereich nun auch auf die analoge Welt ausgedehnt werden soll, will uns die dpa das als schöne neue Zukunftswelt verkaufen. Wir sollen uns glücklich schätzen, dass Konzerne wie Wirecard solche Überwachungstechnologie entwickeln und auf uns anwenden, nur weil wir dadurch vielleicht eine Minute an der Kasse sparen.

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