Die EZB fabuliert Ergebnisse ihrer Bürgerbefragung zum digitalen Euro herbei

18. 07. 2021 | Was tut man, wenn die Pläne fertig sind, aber man noch die Bürger befragen muss? Man stellt die Fragen so, dass Widerspruch kaum möglich ist, und wo nötig biegt man sich die Antworten so zurecht, dass sie zu den vorgefassten Plänen passen. Genau so ist die Europäische Zentralbank (EZB) in Sachen digitaler Euro vorgegangen.

Die EZB hat die Ergebnisse ihrer Bürgerbefragung zum digitalen Euro veröffentlicht und gleichzeitig beschlossen, die Pläne dafür weiter voranzutreiben.

Erst einmal möchte ich meinen Leserinnen und Lesern danken, dass sie sich so zahlreich an der Befragung beteiligt und die EZB dadurch genötigt haben, zu solch fragwürdigen Mitteln zu greifen. Fabio Panetta, das zuständige EZB-Direktoriumsmitglied, spricht von Rekordbeteiligung an der Umfrage, die von 12. Oktober 2020 bis 12. Januar 2021 stattfand.

Vermutlich weil wir auf diesem Blog Werbung dafür gemacht haben, kam knapp die Hälfte der 7761 Antworten aus Deutschland. Relativ zur Bevölkerung war die Beteiligung in Deutschland, Luxemburg und Österreich zwei- bis dreimal so hoch wie in Italien und Frankreich.

Erfundene Unterstützung für das Projekt

Für Panetta beweist die Rekordbeteiligung das große Interesse an den Vorteilen des digitalen Euro, also einer direkt von der Zentralbank ausgegebenen digitalen Form des Euro. Und im Resümee des Berichts der EZB zu den Befragungsergebnissen heißt es:

„Insgesamt sind die meisten Befragungsteilnehmer bereit, einen digitalen Euro zu unterstützen, insbesondere in Anbetracht der Festlegung des Eurosystems seit Beginn seiner öffentlichen Äußerungen zu dem Thema, dass es einen digitalen Euro nicht nutzen würde, um Bargeld abzuschaffen oder die Zinsen in der Volkswirtschaft zu senken.“

Wer meinen damaligen Blogbeitrag zu der Umfrage gelesen hat, kann sich über diese Aussage nur wundern, hatte ich doch schon damals moniert, dass die EZB keine Frage vorgesehen hatte, die es einem erlaubt hätte, zu antworten, dass man den digitalen Euro nicht will. Die Fragen drehen sich ausnahmslos darum, welche Ausgestaltung man vorzieht, und welche Aspekte einem wichtiger oder weniger wichtig sind.

Die Aussage, die Bürger unterstützten die Einführung eines digitalen Euro ist eine Erfindung der EZB, jedenfalls ist sie nicht durch die Befragung gedeckt. Das demonstriert, dass man ihr und ihren Intentionen in Sachen digitalem Euro nicht trauen sollte.

Lippenbekenntnisse zum Bargeld

Was die Erklärung der EZB angeht, sie wolle das Bargeld nur ergänzen, nicht zurückdrängen, so gibt es recht viele Indizien, dass das nur Lippenbekenntnisse sind. Dazu gehören aus der jüngsten Zeit:

  • Die fortgesetzte Beteiligung des Eurosystems (EZB plus nationale Zentralbanken des Euroraums) an der Globalen Partnerschaft für finanzielle Inklusion, die eng mit der Better Than Cash Alliance zusammenarbeitet. Letztere hat das erklärte Ziel, das Bargeld zu beseitigen. Finanzielle Inklusion ist in der Praxis nicht viel mehr als ein Tarnwort für Bargeldbeseitigung.
  • Die Tatsache, dass die EZB ihre im letzten Sommer verabschiedete „Bargeldstrategie“ mehr versteckt als offensiv vertritt.
  • Die Tatsache, dass die EZB eine Arbeitsgruppe für den digitalen Zahlungsverkehr damit beauftragt hat, Hindernisse für die Bargeldnutzung zu untersuchen, und dass sie es zugelassen hat, dass dort eine Diskussion über die Anti-Bargeld-Aktivitäten der Banken blockiert wurde.
  • Die für das Bargeld nicht konstruktive Rolle der EZB in meinem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof betreffend der Pflicht von öffentlichen Einrichtungen zur Bargeldannahme.
  • Die Tatsache, dass die EZB bei ihren Plänen hartnäckig auf einen digitalen Euro abzuzielen scheint, der in physischen Einkaufssituation genutzt werden kann wie Bargeld, also als direkte Konkurrenz zum Bargeld.
  • Die Tatsache, dass der Chef der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die die internationalen Arbeiten an digitalem Zentralbankgeld koordiniert, unwidersprochen von der EZB davon spricht, dass die Option des Bargelds wegfällt, und die besseren Überwachungsmöglichkeiten durch digitales Zentralbankgeld gegenüber Bargeld betont und lobt.

Gerade weil die EZB keinerlei Anstrengung unternommen hat, den Europäischen Gerichtshof davon zu überzeugen, die Bedingungen für die Ablehnung von Bargeld eng auszulegen, wirkt eine Aussage von Panetta auf mich fast wie Hohn, wonach Menschen im Euroraum Zugang zu einem „universell akzeptierten Zahlungsmittel“ in Form von Bargeld haben. Der EuGH hat skandalöser Weise geurteilt, dass Annahmeverweigerung durch öffentliche Stellen und einschränkende Gesetze möglich sind, solange diese nicht direkt zur völligen Bargeldbeseitigung führen. Zunehmend akzeptieren selbst Busse und Behörden kein Bargeld mehr und die EZB hat bisher nicht öffentlich erkennen lassen, dass sie das stört.

Der wenig ausgeprägte Hang zu Wahrheit und Klarheit zieht sich durch den Bericht.

Bürger befragen trotz Vorfestlegung

Die internationale Arbeitsgruppe der Notenbanken zu Grundsätzen für digitales Zentralbankgeld hatte sich in ihrem Abschlussbericht von Oktober 2020 bereits darauf festgelegt, dass die Beteiligung privater Unternehmen ein zentrales Element sein müsse. Das passt zur Aussage Panettas, dass der digitale Euro nur ein Erfolg sein könne, wenn er für Finanzintermediäre gewinnbringend ist.

Das beißt sich mit der vorherrschenden Antwort auf eine entsprechende Frage in der Bürgerbefragung. Dort hatte die EZB drei verschiedene Konzepte beschrieben:

  1. Ein digitaler Euro, der Privatsphäre und Datenschutz betont und der Offline genutzt werden kann,
  2. ein digitaler Euro mit größerem Potential für zusätzliche Dienstleistungen, der innovative Eigenschaften und andere Vorteile für Bürger und Geschäfte ermöglicht,
  3. ein Kombination aus beiden.

Hier haben die Bürger, der EZB zufolge, mehrheitlich hohen Schutz der Privatsphäre vorgezogen, selbst wenn das die Nutzbarkeit für Offline-Transaktionen und die Möglichkeiten, zusätzliche innovative Dienstleistungen zu erhalten, begrenzt. „Es ist bemerkenswert, dass sogar eine Kombination aus beiden Optionen weniger populär ist, als die Alternative mit dem höchsten Schutz für die Privatsphäre“, schreibt die EZB.

Das deckt sich mit den Antworten auf die Frage, welche Eigenschaften den Menschen bei einem digitalen Euro am wichtigsten wären. Das ist mit 43% Nennungen mit weitem Abstand der Schutz der Privatsphäre, vor Sicherheit (18%) und umfassender Nutzbarkeit, die mit 11% nur auf ein Viertel der Nennungen kommt und der (von der EZB immer wieder betonten) Nutzbarkeit Offline, die nur auf 8% Nennungen kommt.

So weit so klar – und so unbequem für eine Notenbank, die sich darauf festgelegt hat, private Finanzdienstleister zu beteiligen, denen viele Menschen misstrauen. Was macht man? Man biegt. In allen resümierenden Aussagen tut die EZB so, als hätte die Befragung das Ergebnis gebracht, dass die Bürger total spitz auf zusätzliche Finanzdienstleistungen in Zusammenhang mit einem digitalen Euro seien. Vor allem dadurch, dass bei den gewünschten Eigenschaften durchgängig Privatsphäre, Sicherheit und breite Nutzbarkeit zusammen genannt werden, so als wären sie den Menschen in etwa gleich wichtig.

Die EZB strengt sich auch sehr an, den irreführenden Eindruck zu erwecken, als bestehe ein verbreiteter Wunsch, auf Anonymität des digitalen Euro zu verzichten, damit besser gegen Geldwäsche und Terrorfinanzierung vorgegangen werden kann. Das äußert sich in Sätzen wie:

„Konfrontiert mit der Thematik Geldwäsche und Finanzierung von Terrorismus sind die antwortenden Bürger in der Lage das bevorzugte Niveau von Privatsphäre genauer zu qualifizieren als in den Fragen bis dahin.“

Sprich: Mit einer hinreichend lenkenden Frage waren wir in der Lage, von den wenigen, die diese Frage im Expertenteil beantworteten, die gewünschten Antworten zu bekommen.

Auf ganz ähnliche Weise kommt die EZB zu der Feststellung:

„Die große Mehrheit der Antwortenden sieht eine Rolle für Intermediäre im Ökosystem des digitalen Euro, hauptsächlich als einen Weg, die Einführung zusätzlicher innovativer und effizienter Dienstleistungen zu ermöglichen und deren Integration mit bestehenden Angeboten zu erleichtern.“

Diese irreführende Behauptung steht in diametralem Gegensatz der von knapp 8000 Menschen beantworteten Frage 4 zum bevorzugten Modell. Sie stützt sich auf die stark lenkend formulierte Frage 5 aus dem Teil für Experten, der von weniger als halb so vielen Menschen gültig beantwortet wurde:

„Wir hätten gern Rückmeldung von Experten, die in der Finanz- und der Tech-Branche arbeiten, damit wir beurteilen können, wie der digitale Euro sicher und effizient bereitgestellt werden kann. Wir wollen sicherstellen, dass dessen Ausgestaltung nicht unbeabsichtigt kommerzielle Lösungen beschränkt.

Frage 5: Welche Rolle sehen Sie für Banken, Zahlungsdienstleister und andere kommerzielle Anbieter beim Angebot digitaler Euro für Endnutzer?“

So zu tun, als wären die relativ wenigen, relativ stark interessengeleiteten Antworten auf diese Frage aussagekräftiger als die entgegenstehenden, zahlreicheren Antworten auf Frage 4, ist in hohem Maße irreführend. Aber da die EZB sich schon bei Abfassung des Fragebogens festgelegt hatte, dass die Kommerziellen eine starke Rolle spielen sollen, blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als dieses nicht gerade vertrauenerweckende Vorgehen.

Nachtrag (19.07.): Ein aufmerksamer Leser hat mich darauf hingewiesen, dass die EZB in dem Fragebogen geschrieben hatte, nach dem Ende der Antwortfrist würden alle Kommentare auf der Webseite der EZB veröffentlicht. Falls das tatsächlich geschehen sein sollte, hätte die EZB sie sehr gut versteckt.

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