Franz Schneider: Warum über Banken zu reden im Wahlkampf tabu ist

21. 09. 2021 | Ein Tabu ist ein Verbot, dessen Grund nicht erläutert wird. Wir unterwerfen uns einem Tabu wie selbstverständlich, weil wir überzeugt sind, dass eine Übertretung automatisch ein Unheil herbeiführen wird, schreibt Franz Schneider in diesem Gastbeitrag und stellt die Frage, warum das Reden über Banken im Wahlkampf ein Tabu ist.

Franz Schneider.* Es fällt auf, dass in keinem der bisherigen Duelle, Trielle oder „Quatrelle“ der Bundestagskandidaten das Wort Banken auch nur ein einziges Mal gefallen ist? Wir haben es da offenbar mit einem Tabu zu tun.

Ein Tabu ist ein Verbot, dessen Grund nicht bekannt ist, das aber trotzdem befolgt wird. Sigmund Freud sagt aber auch, dass eine starke Neigung im Unbewussten besteht, das Verbotene zu tun. Angesichts der medial und politisch unterdrückten kritischen Auseinandersetzung mit dem Bankentreiben besteht eine gewisse Hoffnung, die Gesellschaft zu verführen, das Verbotene zu tun.

Am Beispiel der verheerenden Situation im sozialen Wohnungsbau und des ungeheuren Mangels an bezahlbaren Wohnungen lässt sich beobachten, auf welch katastrophalem Bewusstseinsniveau die Problematik abgehandelt wird. Da ist von baurechtlichen Hürden, einer auch nach jahrzehntelanger Abspeckkur immer noch zu dicken Verwaltung, zu wenig Digitalisierung, einer illusorischen Baulandmobilisierung die Rede. Der Grund seien die geringen Renditeaussichten von öffentlichen Investoren. Warum aber auf dem privaten Immobilenmarkt die Rendite stimmt, dazu kein Pieps.

Um das zu verstehen, muss man sich die Mühe machen, in den Maschinenraum des Kapitalismus hinabzusteigen. Das tun nur wenige, denn dabei macht man sich „schmutzig“, wird sogar zum gesellschaftlichen „Dreckfink“, eben zum Tabubrecher.

Wenn sich die politisch Verantwortlichen im Maschinenraum des Kapitalismus auskennen würden, hätten sie begriffen, wie das Geldsystem funktioniert. Sie hätten verstanden, was Geld ist. Sie hätten begriffen, dass Geld kein neutraler Schleier ist, wie sie es in ihrer ökonomischen Ausbildung von ihren durch die Neoklassik geprägten Lehrern eingeimpft bekommen haben. Sie hätten sich also vermutlich selbst ein gutes Stück mit großem intellektuellem Aufwand von dieser Lehre emanzipieren müssen.

Eine Machterhaltungsideologie um das Geld

Geld ist ist nicht nur ein Schmiermittel, das den Güterstrom am Laufen halten soll. Das wird seit Jahrhunderten und heute immer noch von den Mächtigen in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft so behauptet. Es ist reine Ideologie, um die Geldmächtigen in ihrem Treiben nicht anzutasten. Es ist eine Machterhaltungsideologie.

Die Güterströme sind nicht einfach nur da, sie werden durch Geld erzeugt, sie werden durch Geld gelenkt. Die Geldströme ihrerseits werden durch Mächtige, die an den Geldhebeln sitzen, gesteuert.

Geld wird erzeugt, „es wird geschöpft“ sagt man. Das musste sogar die Bundesbank nach jahrezehntelangem Geziere in ihrem Monatsbericht vom April 2017 erstmals öffentlich zugeben. In der Bevölkerung ist das immer noch nicht angekommen, weil es einfach zu unglaublich ist. Man sagte den kleinen Leuten doch immer „spart fleißig“, dann könnt ihr euch später auch mehr leisten, oder „ihr könnt es der Bank geben, diese verleiht es dann und ihr könnt dafür Zinsen bekommen“. Die Gelderzeuger lachen sich einen Ast, weil die Leute das landauf, landab immer noch glauben.

Das Recht, Geld zu erzeugen, hat eigentlich per Gesetz nur der Staat. Er hat das Währungsmonopol, das er an die Zentralbank delegiert hat. Gesetzlich und wertmäßig abgesichertes Geld kann nur die Zentralbank erzeugen. Eigentlich.

Privatisierung eines staatlichen Vorrechts

Private Geschäftsbanken ebenso wie mittlerweile öffentlich-rechtliche Sparkassen und genossenschaftliche Banken haben sich dieses Recht im Laufe der Geschichte angeeignet. Ohne jemals durch Gesetz dafür die Ermächtigung erhalten zu haben, schöpfen sie ihr eigenes Geld, das Giralgeld. Es wurde einfach staatlich akzeptierte „gängige Praxis“. Der Staat erklärte sich stillschweigend einverstanden, dass Kunden zur Bank gehen können und dort für ihr Giralgeld auf dem Girokonto Bargeld, also gesetzliches Zentralbankgeld ausbezahlt bekommen. Zur Freude der Banken.

Mittlerweile zirkulieren im Geldkreislauf zwischen Kunden und Banken 85% Giralgeld (Stand 2020). Dieses Giralgeld kommt in die Welt, indem Banken Kredit geben oder indem sie anderen, die keine Banken sind, etwas abkaufen, ein Grundstück, oder Aktien zum Beispiel, hauptsächlich aber durch Kredite. Je mehr Kredite, umso mehr Giralgeld, umso mehr Gewinnmöglichkeiten für die Banken. Durch die dunklen Vernüpfungen der Banken mit dem Schattenbankensystem und der darin vorhandenen unheilvollen Rolle der Geldmarktfonds potenzieren sich die destruktiven Auswirkungen der Kreditvergabe noch um ein Vielfaches.

Kredit für Spekulation statt Investition

Die riesigen Geldmengen, die über den Kredit in das Geldsystem hineingepumpt werden, sei es durch die Zentralbanken, die auf die Vermittlung durch die Geschäftsbanken angewiesen sind, sei es in Eigenregie durch die Geschäftsbanken, fließen zum größten Teil in Anlageformen, die auf Wertsteigerung spekulieren. Seit Jahren „saufen die Pferde nicht mehr“, das heißt, die produktive klassische unternehmerische Investition dümpelt vor sich hin. Hauptsächlich fließen die Kredite in Immobilien und Aktien. Hier stehen Erwartungen im Vordergrund, vor allem die Erwartung, dass der Wert der Immobilie oder der Kurs der Aktie steigt.

Das, was da realisiert wird und für wen das gut oder schlecht ist, spielt überhaupt keine Rolle, Hauptsache, die Rendite stimmt. „Deutsche Wohnen“, die größte deutsche Wohnungsgesellschaft mit 154 000 Wohnungen, steigert die Dividende seit 8 Jahren. Innerhalb der letzten 10 Jahre hat sie sie um jährlich 18,8% gesteigert.

Wie also soll da der soziale Wohnungsbau oder die bezahlbare Wohnung noch eine Chance haben? Er hätte eine, denn der Groll in der Bevölkerung ist gewaltig. Beste Bedingungen für Tabubrecher, aber wo bleiben sie?

*Franz Schneider ist Professor (emeritus) für Wirtschaftsfranzösisch und Mitglied der Geldreformbewegung Monetative

Ergänzender, eigenwerblicher Hinweis von Norbert Häring

In meinem demnächst erscheinenden Buch „Endspiel des Kapitalismus“ mache ich Vorschläge, wie man die Wohnungsmisere für die untere Hälfte der Bevölkerung (nach Einkommen) beenden kann. Dazu gehört, die Finanzierung in die Hände staatlicher oder genossenschaftlicher Banken zu geben und den Boden der gewinnorientierten Spekulation zu entziehen. Das Beispiel Wien zeigt, dass das geht.

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