Sudans großes Grundeinkommensexperiment – eine geheime Kommandosache

26. 07. 2020 | Weltbank und Bundesregierung mauern, wenn man sie zur Finanzierung des riesigen Grundeinkommensexperiments im Sudan fragt. Es sieht ganz so aus, als habe die von der Bundesregierung ausgerichtete Geberkonferenz für Sudan lediglich der Ablenkung von den wahren Geldgebern und Organisatoren dieses  gigantischen Überwachungs- und Kontroll-Programms gedient.

Seit ich am 14. Juni über das Grundeinkommen im Sudan und am 1. Juli über das universelle Grundeinkommen als feuchten Traum des Weltwirtschaftsforums schrieb, ist bis zu der angekündigten Fortsetzung mehr Zeit vergangen als geplant. Denn es stellte sich als erstaunlich schwer heraus, Informationen über die Finanzierung des Programms und die am 25. Juni von der Bundesregierung ausgerichtete Geberkonferenz für den Sudan zu bekommen. Es scheint sich um eine geheime Kommandosache zu handeln.

Sudan als Versuchskaninchen für Bargeldabschaffung, universelles Grundeinkommen und Totalüberwachung

Auslöser meiner Absicht mehr über den Plan der Weltbank zusammenzutragen, im Sudan 80 Prozent der Bevölkerung mittels eines Mini-Grundeinkommens von fünf Dollar im Monat an die digitale Leine zu legen, war ein Tweet von Magdi M. Amin, der als Senior Berater des Finanzministeriums des Sudans firmierte, mit dem Motto „Zu einem neuen, inklusiven Sudan und Afrika durch ökonomische Reform und am Menschen orientierte Technologie“.

Amin entpuppte sich als „Investment Partner“ des in Washington ansässigen Omidyar Networks des libertären Gründers der Online-Plattform Ebay, Pierre Omidyar. Sein Fokus liegt „auf gewinnorientierten Investitionen in digitale Identität“. Bevor er zu Omidyar ging, war er 20 Jahre lang für die Weltbank tätig. Dort beriet der Princeton- und Johns-Hopkins-Absolvent die Führungsebene dabei, „den Privatsektor ins Zentrum der Entwicklungsarbeit zu stellen“, unter anderem durch eine „disruptive Technologiestrategie“.

In einem früheren Tweet von Januar, den ich auf seiner Timeline fand, verkündete Magdi seine Abordnung nach Karthum als Berater des Finanzministeriums. Die Weltbank hat also offenbar dem Finanzminister des Sudans, einem früheren Weltbank-Mitarbeiter, einen Senior Berater an die Seite gestellt, der vom Omidyar Network, einem Gründungsmitglied der Better Than Cash Alliance, bezahlt wird. Es sieht ganz so aus, als könnten dieser und das Omidyar Network das Grundeinkommensprogramm Sudan Family Support Program für 32 Millionen Menschen im Auftrag der Weltbank maßgeblich entwickelt haben.

Das Omidyar Network ist seit 2017 zusammen mit ihrer Better-Than-Cash-Alliance-Partnerin Bill & Melinda Gates Foundation, Geldgeber des von der Weltbank verwalteten Treuhandfonds zur Finanzierung der 2014 gestarteten Weltbank-Initiative Identification for Development (ID4D).

Das Omidyar Network hält sich unter anderem zugute, jüngst die Entwicklung einer Standard-Plattform für digitale nationale Identitäts-Systeme durch das International Institute for Information Technology in Bangalore, Indien, finanziert zu haben. Diese Plattform wird allen interessierten Regierungen umsonst „als öffentliches Gut“ zur Verfügung gestellt.

Man muss nicht lange überlegen, worin der „gewinnorientierte“ Teil der Investition in Identitätssysteme in diesem Fall bestehen könnte, für die das Omidyar Network und Magdi Experten sind. Eine Plattform zu kontrollieren, über die jede Menge (arme) Länder ihre zentralen nationalen Identitätssysteme aufbauen, birgt einen unglaublichen Datenschatz, sowohl was den finanziellen Wert, als auch die Kontrollmöglichkeiten angeht.

Das International Institute for Information Technology ist ein privates Institut, das unter anderem von Microsoft, IBM und dem indischen IT-Konzern Infosys finanziert wird. Mit dem Geld von Omidyar und Weltbank wird über dieses Institut der Datenschutzhorror Aadhaar in alle Welt exportiert. Aadhaar ist eine mit viel Unterstürzung von Bill Gates und Co. entwickelte, zentrale biometrische Regierungsdatenbank für über eine Milliarde Bürger, die für alle öffentlichen und privaten Zwecke genutzt werden soll und zunehmend muss.

Weltbank und Bundesministerien mauern

Meine Neugier war hinreichend geweckt. Ich wollte vom Bundesaußenministerium, das die Sudan-Geberkonferenz organisiert hatte, wissen, wer denn die Geldgeber der 1,8 Milliarden Dollar waren, die angeblich zusammenkamen. Von der Weltbank wollte ich wissen, was es mit den in einem Weltbank-Dokument zum Sudan Family Support Program genannten Beträgen auf sich hatte, und aus was für einem Treuhandfonds das Program mit wessen Geld finanziert werden würde.

Von der Weltbank bekam ich am 29. Juni die Auskunft: „Das Projekt ist noch in der Entwicklungsphase und durchläuft gegenwärtig den normalen Genehmigungsprozess. Es ist den Exekutivdirektoren der Weltbankgruppe noch nicht zur Diskussion und Entscheidung vorgelegt worden.“

Das ist eine sehr befremdliche Auskunft, denn schon am 25. Juni hatte Weltbankpräsident David Malpass zum Abschluss der Sudan-Geberkonferenz gesagt: „Auf Bitten der Regierung haben wir zusammen mit der Regierung das Sudan Family Support Program“ entwickelt. Es kostet 1,9 Mrd. Dollar und soll Transfers von fünf Dollar im Monat pro Person für 80 Prozent der Bevölkerung finanzieren, unter Nutzung von digitalen und anderen Auslieferungsmechanismen. Die Weltbank hat einen „Sudan Transition und Recovery Support multi-donor trust fund“ eingerichtet, um die Beiträge der Partner zu kanalisieren. Bis August wollen wir bis zu einem Maximum von 400 Mio. Dollar (beisteuern), um das Sudan Family Support Program zu unterstützen.

Wenn die Exekutivdirektoren dieses schon angelaufene Programm tatsächlich Ende Juni noch nicht einmal andiskutiert hätten, wäre der Entscheidungsfindungsprozess bei der Weltbank ziemlich problematisch. Rückfragen zur Aufklärung des Widerspruchs und die Zusatzfrage nach einer Liste der Geldgeber für den Treuhandfonds wurden von der Weltbank nicht mehr beantwortet, trotz der Versicherung man stehe jederzeit für Fragen zur Verfügung.

Das Bundesaußenministerium gab nur vage Auskünfte zu den Geldgebern und zur Finanzierung des Grundeinkommensprogramms im Sudan und verwies für weitere Auskünfte zum Treuhandfonds bei der Weltbank und zur deutschen Beteiligung daran zuständigkeitshalber an das Entwicklungshilfeministerium. Dieses schrieb mir nach geraumer Zeit, das Außenministerium werde mich anrufen. Das geschah zwar, erbrachte aber nur das vage Versprechen, irgend etwas zu schicken, was bisher nicht geschehen ist.

Ich erfuhr vom Außenministerium lediglich, dass knapp die Hälfte des Geamtbetrages von 1,8 Mrd. Dollar von der EU und EU-Mitgliedstaaten erbracht worden sei, davon 150 Mio. von der Bundesregierung. Insgesamt hätten über 30 Staaten und Organisationen Geld zugesagt. Wieviel von dem zugesagten Geld in den Fonds fließt, der das Grundeinkommensprojekt finanziert, blieb offen.

Ich hörte mir die Geberkonferenz-Statements an. Die teilweise groteske Veranstaltung mit sehr viel Heiko Maas und Dank an Heiko Maas vermittelte den Eindruck, dass der Zielwert von 1,8 Mrd. Dollar nur dadurch zusammenkam, dass jeder alles was er dem Sudan sowieso schon an Hilfen leistet, nochmal aufzählte –  manchmal ein bisschen oder auch deutlich aufgestockt gegenüber dem Vorjahr. Der US-Vertreter verglich sogar mit 2017, um eine eindrucksvolle Steigerung verkünden zu können. Die genannten Summen waren meist bescheiden und sie beinhalteten jede Art von Geldtransfer und oft auch nur technische oder administrative Hilfe oder medizinisches Material. Was explizit für die Finanzierung des Familienunterstützungsprogramms zugesagt wurde, war extrem bescheiden.

Diese Wahrnehmung deckt sich mit einer Analyse des Atlantic Council, einer Nato-Vorfeldorganisation. Deren Autor, der laut seinem Twitter-Profil früher für den CIA im Sudan gearbeitet hat (im Artikel heißt das, er war „Chief of staff to the Special Envoy for Sudan“), schreibt darin, es sei schon vor der Konferenz klar gewesen, dass keine großen Summen zusammenkommen würden, weshalb man diese nicht Geberkonferenz, sondern „Partnerschaftskonferenz“ genannt habe. Die Versprechen seien voller dehnbarer Mathematik und Doppelzählungen gewesen, die reale Zunahme der Unterstützung „moderat“.

Zwischenresümee

Mein Zwischenresümee daraus – eine begründete Vermutung, mehr nicht: Die Geberkonferenz diente dazu, dem Grundeinkommensexperiment im Sudan, das vor allem der Überwachung und Bevölkerungskontrolle dient, ein Mäntelchen der intergouvernmentalen Legitimität umzuhängen. So als seien es gewählte Regierungen aus aller Welt, die es finanzieren und betreiben, und nicht Omidyar Stiftung, Gates Stiftung, Rockefeller Stiftung und Weltwirtschaftsforum. Also diejenigen, die zusammen mit und durch US-Regierung, Weltbank und UN, das Programm zur biometrisch-digtialen Erfassung der Weltbevölkerung in zentralen, von den USA aus ansteuerbaren Datenbanken vorantreiben. Irgendwo müssen die 1,9 Mrd. Dollar ja herkommen, die das schon angelaufene Programm kosten soll. Von den Regierungen kommt es nicht überwiegend. Es wurde nur so getan, ich vermute, damit die Rolle des Silicon Valley nicht so auffällt.

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Das würde jedenfalls erklären, warum um die Finanzierung und Organisation des Familienunterstützungsprogramms im Sudan so ein Geheimnis gemacht wird.

Es würde auch passen zu der letzten Geberkonferenz, die die Bundesregierung mutmaßlich ebenfalls auf Geheiß der US-Regierung veranstaltet hat. Damals ging es darum, Regierungsgelder zusammenzusammeln und sie ohne Bedingungen oder Rechenschaftslegung Gruppen und Allianzen der globalen Gesundheitspolitik zuzuführen, die von Bill Gates und den großen Pharmakonzernen dominiert werden.

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Wie der Sudan zum Tanzbär wurde

Wer nun Interesse bekommen hat, sich etwas genauer mit der jüngsten Entwicklung im Sudan zu beschäftigen, der findet einen guten Einstieg in drei Analysen der International Crisis Group (ICG) von Januar 2019 („Improving Prospects for a Peaceful Transition in Sudan“), von Oktober 2019 („Safeguarding Sudan‘s Revolution“) und von Juni 2020 („Financing the Revival of Sudan’s Troubled Transition“), also vor und nach der Revolution, die zur Absetzung von Militärdikator Al Bashir und seine Ablösung durch eine von den Miilitärs dominierte, militärisch-zivile Übergangsregierung mit USA-liiertem Personal geführt hat.

Die ICG ist eine 1995 auf Initiative von US-Politikern und des Carnegie Endowment for International Peace mit Stiftungsgeld von George Soros gegründete Gruppe, die „anstrebt, die führende Organistion zu sein, die unabhängige Analyse und Beratung anbietet, wie man tödliche Konflikte verhindert, löst oder besser managt.“ Ihr Einfluss ist groß.

Man lernt in diesen Berichten unter anderem, dass Sudan schon unter Al Bashir von Saudi Arabien und anderen unterstützt wurde, damit es im saudischen Jemen-Krieg auf der richtigen Seite mitkämpft, und aus Europa, damit es Migranten aus Afrika nicht durchlässt. Die USA näherten sich schon unter Al Bashir dem „Terrorregime“ an, das wie vom Internationalen Währungsfonds empfohlen, die Treibstoffsubventionen drastisch kürzte und damit die Bevölkerungsrevolte auslöste, die zum (gewünschten) Sturz von Al Bashir führte.

Die Empfehlungen des ICG, wie man Al Bashir zum Abdanken bewegen könnte, und was seither passiert ist, etwa die verweigerte Überstellung Al Bashirs an den Internationalen Strafgerichtshof, die von den USA und allen anderen Regierungen klaglos akzeptiert wird, deuten darauf hin, dass die Revolution keine so ganz rein sudanesische Angelegenheit war, wie sie in der Berichterstattung dargestellt wurde.

Dass der Sudan selbst kein Geld für das von der Weltbank ausgeheckte Grundeinkommensprogramm hat, liegt laut ICG unter anderem daran, dass das Militär weiterhin das meiste Geld für sich reklamiert und die Regierung die Gehälter der Staatsangestellten als Ausgleich für die Inflation vervielfacht hat. Für beides gibt es Kritik weder von der ICG noch von den „Partnerregierungen“ des Sudan. Als Al Bashir noch an der Regierung war, war das anders. Aber wer kritisiert schon eine abhängige Regierung, die es einem erlaubt, die Bevölkerung nach Gusto für große Sozialexperimente zu verwenden.

Sudan ist kein Einzelfall

Ähnliche Programm wie im Sudan gibt es in (noch) kleinerem Maßstab viele. Die Ambitionen sind groß.

In Bangladesch finanziert die Gates Stiftung seit 2013 der dortigen großen Hilfsorganistion BRAC einen Innovationsfonds für digitale Finanzdienste. Damit sollen die Programme der Organisation möglichst weitgehend auf mobile Finanzlösungen umgestellt werden. Hinzu kommt aktuell Geld für ein Forschungsprogramm von BRAC zu Digitalen Finanzdiensten.

Das Geld scheint im Sinne von Gates zu fruchten. In einem Beitrag vom 1. Juli erläutert die (angelsächsische) Chefin des Sozialinnovationslabors von BRAC, welches von der Gates Stiftung und den Entwicklungshilfebehörden von USA und UK finanziert wird, wie man daran arbeite, die BRAC-Hilfsprogramme für die Armen von Nahrungsmittelhilfe und Ähnlichem auf Geldanweisungen über das Mobiltelefon umzustellen.

Die UN-Entwicklungsorganisation UNDP hat am 23. Juli eine Broschüre herausgebracht, deren Autoren dafür werben, drei Milliarden Menschen auf digitalem Weg während der Corona-Krise ein Grundeinkommen zukommen zu lassen.

Es ist bei dieser Art Vorschlag mit Händen zu greifen, auch wenn es nicht ausdrücklich gesagt wird, wie damit – neben dem an die digitale Leine legen der Weltbevölkerung – die Sozialleistungen international angeglichen würden, für die Allerärmsten nach oben, für den Rest nach unten, auf Überlebensniveau.

Das universelle Grundeinkommen: Der feuchte Traum des Weltwirtschaftsforums

Nachtrag (31.07.2020): Heute ist die Antwort vom Auswärtigen Amt gekommen. Sie enthält Partialinformationen von deutscher und EU-Seite, aber nichts darüber, wie viel oder gar von wem in den Treuhandfonds für das Sudanesische Grundeinkommen fließt. Ich glaube der Bundesregierung sogar, dass sie nicht mehr weiß. Wenn allerdings der angebliche Ausrichter einer solchen Hilfskonferenz so wenig Ahnung hat, was dabei herausgekommen ist, dann lässt das hinsichtlich seiner wahren Rolle ziemlich tief blicken.

Nachtrag (6.8.2020): Finanzminister Ibrahim al-Badawi, der für das mit dem IWF vereinbarte Reformprogramm und das Sudan Family Support Program zuständig war, ist im Juli einer größeren Kabinettsumbildung zum Opfer gefallen. Seiner Darstellung zufolge ging es dabei vor allem um Kompetenz zur Umsetzung des in Teilen der Übergangsregierung umstrittenen IWF-Reformprogramms. Die Umsetzung des Familienunterstützungspgrogramms, für das möglicherweise ohnehin die finanziellen Mittel fehlen, dürfte damit sehr unsicher geworden sein.

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