Ifo-Institut muss sich wegen nicht offengelegter Studienfinanzierung durch die INSM erklären

19. 07. 2020 | Der Ökonomenverband VfS verlangt von seinen Mitgliedern bei Forschungsergebnissen die Offenlegung von Geldgebern . Das Ifo-Institut nimmt diese Vorschrift gern ziemlich locker, wenn sie von der Arbeitgeberlobby INSM Geld für Studien bekommt.

Zwei leitende Ökonomen des renommierten Münchner Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo reklamierten einen wissenschaftlichen Coup für sich: Mitten in der Diskussion um die derzeit wegen der Coronakrise außer Kraft gesetzte Schuldenbremse hätten sie nachgewiesen, „dass Fiskalregeln das Wirtschaftswachstum nicht gebremst haben. Im Gegenteil haben Fiskalregeln das Wirtschaftswachstum im Durchschnitt tendenziell eher gefördert – sofern sie in der Verfassung verankert waren.“

In einem am 10. Mai veröffentlichten Erklärvideo dazu sagte Autor Niklas Potrafke, Leiter des Ifo-Zentrums für öffentliche Finanzen: „Wir glauben, dass dieser Befund wichtig ist für die gegenwärtige Debatte“, denn „wir werden uns sehr bald überlegen müssen, wie wir von dieser hohen Staatsverschuldung wieder herunterkommen“.

Das Video zeigt Potrafke neben einem großen Ifo-Logo. Produziert hat das Video offenkundig nicht das Institut, sondern die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Es ist eingebettet in einen Beitrag von Potrafke und Co-Autor Klaus Gründler für den „Ökonomenblog“ der von Arbeitgeberverbänden getragenen wirtschaftspolitischen Lobbyvereinigung. Eröffnet wird das Video mit der Einblendung des Schriftzugs Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Das Logo der Initiative wird an Schnittstellen kurz eingeblendet.

Eine Ifo-Sprecherin sagte jedoch, das Video sei vom Ifo produziert worden.

Zusammen mit dem Video und dem Blogbeitrag von Potrafke und Gründler veröffentlichte die INSM eine Pressemitteilung, in der sich Geschäftsführer Hubertus Pellengahr auf die Studie von Potrafke und Gründler beruft, um zu fordern, dass Deutschland langfristig zur Schuldenbremse zurückkehren müsse – und außerdem: „Das Geld muss jetzt zur Krisenbewältigung eingesetzt werden und nicht zur Erfüllung von Wahlversprechen wie der Grundrente.“

Der Pressetext erklärt ansatzweise die ungewöhnliche Form und den ungewöhnlichen Ort, den die Ifo-Forscher für die Verbreitung ihrer Forschungsergebnisse gewählt haben: Potrafke und Gründler haben ihre Studie „exklusiv im Rahmen eines Forschungsberichts für die INSM ausgewertet“. Das Ifo-Institut wies am gleichen Tag in einer knappen Pressemitteilung auf den Forschungsbericht für die INSM hin.

Nachkontrollieren zunächst unmöglich

Wer allerdings überprüfen wollte, wie die Autoren zu ihren von der INSM verbreiteten Schlussfolgerungen kamen, die im Gegensatz zu denen vieler anderer Ökonomen stehen, konnte die Studie am 11. Mai kaum finden.

Denn als „CESifo-Forschungsbericht“ wurde sie erst zehn Tage später veröffentlicht. Bei der INSM gab es nur einen Link auf eine Kurzversion ohne Details, den die Autoren als „Forschungsbericht“ für die INSM geschrieben hatten. Mit Glück und Suchen konnte man allenfalls eine vorläufige Fassung der Studie finden, die Co-Autor Gründler zu Diskussionszwecken auf seine eigene Webseite gestellt hatte. (Inzwischen verlinkt die weiterhin verfügbare Ifo-Pressemitteilung auf die aktuelle Fassung des Arbeitspapiers.)

Wer nur die Informationen auf den INSM-Kanälen bekam und die Studie entweder nicht suchte, oder nicht fand, dem entgingen einige interessante Inkonsistenzen, die Basis für gewissen Zweifel hätten sein können.

Im Ökonomenblog der INSM unterfütterten Potrafke und Gründler ihre These mit einer Grafik, die – nach Jahrzehnten gruppiert – für Länder mit Schuldenregeln in der Verfassung höhere Wachstumsraten ausweist als für Länder mit Schuldenregeln nur in nachgeordneten Gesetzen. Das ist ein sonderbarer Vergleich, um die steilen Thesen damit zu belegen: denn im Fokus der Studie und der INSM-Schlussfolgerungen steht der Vergleich von Ländern mit Schuldenregeln in der Verfassung und allen anderen Ländern.

ifo-grafik

Hätten die Autoren für den INSM-Blog statt der gewählten Grafik, die nur im Anhang der Studie zu finden ist, eine der Grafiken aus dem Hauptteil verwendet, hätte das ihre mutige These weit weniger gut unterfüttert.

Denn dort sah man in einer Grafik, die Länder mit Schuldenregeln in der Verfassung mit Ländern ohne jene Regeln vergleicht, dass in den vergangenen drei Jahrzehnten letztere jeweils deutlich stärker wuchsen. Aus einer Mitte Juni veröffentlichten neuen Version des Arbeitspapiers ist diese zu Zweifeln einladende Grafik allerdings entfernt worden. Ein Hinweis auf die Revision ist dem weiterhin mit dem Datum Mai 2020 geführten Arbeitspapier nicht zu entnehmen.

Eine weitere Sonderbarkeit, die einem entging, wenn man keinen Zugriff auf die Originalstudie hatte: Auf der Ebene der Bundesländer und vergleichbarer subnationaler Gebietskörperschaften wurde gar nicht der direkte Zusammenhang der Schuldenregeln mit dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) gemessen, sondern mit der Intensität der nächtlichen Beleuchtung laut Satellitenaufnahmen. Diese Intensität der Beleuchtung wurde als Indikator für das BIP verwendet. Studienautor Potrafke begründete das damit, dass für manche Länder, zum Beispiel die Schweiz, keine hinreichend langen vergleichbaren Reihen für das subnationale BIP vorhanden seien.

Hinweis auf Geldgeber fehlt

Bei der Veröffentlichung der Studie als CESifo-Arbeitspapier zehn Tage später erwähnte das Ifo-Institut in einer kurzen Pressemitteilung den externen Geldgeber nicht. Auch im Arbeitspapier selbst wurde er nicht erwähnt.

In wissenschaftlichen Arbeiten sind alle in Anspruch genommenen Finanzierungsquellen anzugeben.

Der Ethikkodex des Vereins für Socialpolitik (VfS), der maßgeblichen Ökonomenvereinigung für den deutschsprachigen Raum, schreibt vor: „In wissenschaftlichen Arbeiten (einschließlich Diskussionspapieren) sind alle in Anspruch genommenen Finanzierungsquellen in Form einer Fußnote oder einer ausführlichen Dokumentation auf der Webseite des Autors anzugeben. In wissenschaftlichen Arbeiten sind Sachverhalte zu benennen, die auch nur potentiell zu Interessenskonflikten oder Befangenheit des Autors/der Autorin führen könnten.“

Niklas Potrafke bestätigte auf Anfrage, dass vom INSM für die Vorab-Auswertung der Studie bezahlt wurde. Dass er das im Arbeitspapier nicht offenlegte, begründet er damit, dass man den Forschungsbericht für die INSM und das Arbeitspapier als unabhängig voneinander betrachte.

Die Trennung wurde allerdings im Wesentlichen nur dadurch hergestellt, dass das Arbeitspapier mit zehn Tagen Verzögerung veröffentlicht wurde. Trotzdem wolle man die Anfrage zum Anlass nehmen, den Hinweis auf den Geldgeber in künftigen Fassungen aufzunehmen, sagte Potrafke.

Institut musste sich gegenüber dem VfS erklären

Der Vorsitzende des VfS-Ausschusses für Wirtschaftswissenschaft und Ethik, Richard Sturn von der Universität Graz, schrieb auf Anfrage zur Bedeutung der Transparenzregel: „Besonders in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften existieren vielfältige Möglichkeiten und Anreize, Expertise in interessenpolitisch verzerrter Form in den öffentlichen Diskurs einzubringen.“

Und weiter: „Die Wissenschaft kann nur dann ihren Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Probleme leisten, wenn sie die Integrität ihrer forschungsleitenden Prinzipien unter allen Umständen wahrt und auch effektiv kommuniziert.“
Der Ethik-Beauftragte des Vereins, Urs Schweizer von der Universität Bonn, richtete in Reaktion auf die Anfrage des Handelsblatts eine Empfehlung, an den Vereinsvorstand, tätig zu werden.

Der Vorstand antwortete Schweizer: „Der Ethikkodex ist uns sehr wichtig. Wir haben daher unmittelbar eine Sondersitzung des gesamten engeren Vorstands durchgeführt, um uns mit dieser Angelegenheit zu befassen. Wir werden ihr mit der gebotenen Intensität nachgehen und wie von Ihnen empfohlen mit den Autoren Kontakt aufnehmen.“ Wie genau die Empfehlung des Ethik-Beauftragten lautete, war nicht zu erfahren.

In der Neufassung des Ifo-Arbeitspapiers von Mitte Juni findet sich am Ende der Danksagungen auch Dank an die INSM „für Unterstützung“. Dem Vernehmen nach hat dieser etwas vage Hinweis dem VfS als Erfüllung der Anforderung genügt, „alle in Anspruch genommenen Finanzierungsquellen in Form einer Fußnote anzugeben“.

In der Zusammenarbeit zwischen Ifo-Institut und INSM gab es schon in der Vergangenheit grenzwertige Fälle. So veröffentlichte Potrafke 2019 in der Fachzeitschrift „Wirtschaftsdienst“ zusammen mit zwei Co-Autoren einen Beitrag zur deutschen Budgetzusammensetzung im OECD-Vergleich. Darin wurde darauf hingewiesen, dass dieser auf einer im Vorjahr veröffentlichten Ifo-Studie basiert, „erweitert um Daten für 2017 und weitere Ländervergleiche“. Nicht offengelegt wurde, dass diese Basisstudie im Auftrag der INSM erstellt worden war.

Potrafke schrieb dazu auf Anfrage, der Artikel im „Wirtschaftsdienst“ sei ein eigenständiger Beitrag, wie schon der zeitliche Abstand von einem Jahr zeige. Es werde darin eine neue Ausgabenkategorie beschrieben und eine neue Referenzgruppe von südeuropäischen Ländern eingeführt.

Mit der Wortwahl „basiert auf“ sei nur ein allgemeiner inhaltlicher Bezug zur Studie für die INSM gemeint. Die INSM habe weder direkt noch indirekt an der Erstellung des Artikels im „Wirtschaftsdienst“ mitgewirkt, noch habe sie um eine Publikation im „Wirtschaftsdienst“ gebeten.

Schlussbemerkungen

Das Ifo ist bei weitem nicht allein, wenn es die Offenlegungregeln hinsichtlich möglicher Interessenkonflikte und externer Geldgeber locker handhabt. Das ist schlechter Usus unter deutschen Ökonomen. Der Verein für Socialpolitik nimmt seinen eigenen Ethikkodex auch nicht gerade ernst. Vor dem hier beschriebenen Fall sind keine Fälle bekannt geworden, in denen der VfS wegen Nichteinhaltung von dessen Vorschriften aktiv geworden wäre, obwohl es an Gelegenheiten dafür durchaus nicht mangeln würde.

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