Trump – Ein geostrategischer Erklärungsversuch

Die USA haben sich unwahrscheinlicher Weise von TTIP abgewendet, die Briten haben unwahrscheinlicher Weise für den EU-Austritt gestimmt, Trump wurde extrem unwahrscheinlicher Weise Präsidentschaftskandidat und hat noch unwahrscheinlicherer Weise die Wahl gewonnen. Kanzlerin und Außenminister zeigen unwahrscheinlicher Weise offene Feindseligkeit zu einem gewählten US-Präsidenten. Zufälle? Unwahrscheinlich.

Es schien schon sehr, sehr unwahrscheinlich, dass ein unbeherrschter, sexverrückter, arroganter Rassist und Frauenverächter zuerst über ein Dutzend republikanische Konkurrenten aus dem Feld schlagen und dann die Präsidentenwahl gegen die Kandidatin des Establishments gewinnen würde. Und doch ist es passiert. Geholfen haben ihm Wikileaks und – ausweislich einer  von Wikileaks veröffentlichten E-Mail – Clintons Wahlkampfteam, das die Medien bearbeitete, damit sie Trump im Vorwahlkampf der Republikaner als ernstzunehmenden Kandidaten charakterisieren. Außerdem das FBI mit einer Verfahrenseröffnung gegen Clinton kurz vor der Wahl und – manchen Kritikern zufolge  Facebook.

Facebook! Die etablierten Medien haben sich klar gegen Trump und für die Kandidatin der Eliten positioniert. Blieben für ihn nur die sozialen Medien, und dort war er offenbar erfolgreich. Schon erstaunlich, stehen doch Facebook, Twitter und Co. mehr als nur im Ruf, den Ansinnen von Geheimdienstkreisen gegenüber nicht immer gänzlich verschlossen zu sein. Wir müssen uns also fragen: Gab es vielleicht nicht nur einen Kampf Trump vs. Establishment, sondern einen Kampf  Trump + x  vs. Establishment (ohne x)? Wer aber könnte x sein?

Keeping America Great

Nehmen wir Trumps Motto „Making America Great Again“ zum Ausgangspunkt, treten einen Schritt zurück und fragen uns, wie es um die Größe Amerikas (im Sinne USA) steht, uind was sie bedroht. Wie würden die Geostrategen an der Hoover-Institution und ähnlichen Orten die aktuelle Lage in Sachen Bewahrung der globalen Dominanz der USA einschätzen? Ziemlich düster, muss wohl die Antwort lauten. Der mit Abstand wichtigste Konkurrent der USA um geopolitischen Einfluss, China, baut Handelsstraßen nach Vorderasien und Europa (Neue Seidenstraßen), macht den USA in Afrika schwer Konkurrenz und baut seinen Einfluss in Asien beständig aus. Gerade hat sich mit den Philippinen ein wichtiger US-Alliierter in der Region Richtung China verabschiedet. Unterdessen ist die amerikanische Militärmaschinerie und Diplomatie mit gescheiterten oder sich ergebnislos hinziehenden Operationen in Irak, Afghanistan, Libyen, Ukraine  und Syrien in Beschlag genommen. Schlimmer noch, Russland wird durch Sanktionen und militärische Einkreisung den Chinesen praktisch in die Arme getrieben. Die Europäer werden zunehmend rebellisch, sodass an weitere Verschärfungen und einen Erfolg der Sanktionen gegen Russland nicht zu denken ist. Es droht eine weitere Niederlage, wenn man die Sanktionen irgendwann kleinlaut zurücknehmen muss oder – noch schlimmer – immer mehr Länder ausscheren.

Man könnte es daher keinem Geostrategen verdenken, wenn er zu dem Schluss kommen würde, ein Umsteuern sei dringendst erforderlich um Amerika groß zu halten. Statt Russland muss China eingehegt werden. Mit Russland muss man sich verständigen um die kräftezehrenden fruchtlosen Konflikte in Nahen Osten zu beenden, zu verhindern, dass Russland notgedrungen zum Juniorpartner Chinas wird und zu verhindern, dass Russland und Europa sich verständigen und eine bedrohliche Allianz aus Industriegroßmacht und Rohstoff- und Atomgroßmacht bilden.

Was wäre aus Sicht eines Geostrategen mit dieser Diagnose im Einzelnen notwendig:

  • Das Transpazifische Handelsabkommen TPP sollte idealer Weise aufgehalten und die Möglichkeit geschaffen werden, Russland mit aufzunehmen, anstatt es zusammen mit China an den Rand zu drängen.
  • Das US-europäische Handelsabkommen TTIP, das eine US-EU-Freihandelszone unter Ausschluss Russlands schaffen würde, kann so nicht verabschiedet werden.
  • Das EU-kanadische Handelsabkommen CETA ist unbedingt abzuschließen. Es legt die EU handelspolitisch auf den Westen fest und erschwert ihr den Handel mit Russland. Ohne die USA in irgendeiner Weise zu binden, erlaubt es US-Konzernen auf dem Umweg über kanadische Töchter, von allen Vorteilen zu profitieren.
  • China ist zum neuen Hauptgegner zu erklären und durch wirtschaftlichen und militärischen Druck an einem Ausbau seines Einflusses zu hindern. 
  • Mit Russland ist Entspannung und Kooperation zu suchen. Das Land ist als Juniorpartner gegen China zu gewinnen. 
  • Europa ist gespalten und sowohl von Russland als auch China fern zu halten.
  • Da man sich selbst mit Russland dann wieder gut versteht, kann man den Europäern sagen, sie müssen künftig für den Schutz durch amerikanisches Militär bezahlen, wenn sie ihn weiter haben wollen.

Das ist in weiten Teilen ziemlich genau das geopolitische Programm von Trump, in anderen Teilen ist es zumindest kompatibel damit.

Natürlich hatte Trump noch mehr in petto. Die Mauer an der mexikanischen Grenze, Abschiebungen von Ausländen, Einreisesperren gegen Muslims. Wenn meine Einschätzung zutrifft, dann wird Trump seine geopolitisch-diplomatische Programmatik sehr viel entschlossener angehen, als die innenpolitische. Was nicht heißen soll, dass auf Einwanderer jetzt nicht schwere Zeiten zukommen könnten.

Die hyperventilierenden Transatlantiker in Medien und Regierung, die aufgeregten Apelle an die Nato-Bündnistreue der USA, scheinen die These zu bestätigen, dass es gegen Europa geht. Die Empörung ist nur zu verständlich. Man hat gegen die starke Skepsis von Lesern, Zuschauern und Parteivolk erst TTIP propagiert, dann Ceta durchgeboxt. Man hat auf Geheiß des US-Geheimdienstes eine schon genehmigte Übernahme eines deutschen durch ein chinesisches Unternehmen verhindert und damit die deutsch-chinesischen Beziehungen schwer belastet. Man hat auf starken amerikanischen Druck hin jahrelang Sanktionen gegen Russland aufrechterhalten, die der europäischen Wirtschaft sehr, der US-Wirtschaft kaum schaden, usw., usf. Und jetzt darf zum Dank ein Präsident an die Macht kommen, der sich mit Russland verbünden und Europa mit Truppenabzug drohen will.

Brexit? Passt!

Aus der skizzierten Geostrategensicht trifft es sich gut, dass die Briten wider alle Vorhersagen und Erwartungen beschlossen haben, die EU zu verlassen. So kommt man nicht in die Verdrückung den engsten und treuesten Alliierten unter den Folgen des Politikwechsels leiden zu lassen. Vielmehr wird Britannien frei, in der neuen weltwirtschaftlichen und geopolitischen Landkarte die passenden neuen Handelsallianzen zu schmieden.

Wenn es einen Teil x des Establishments mit dieser geopolitischen Interessenlage geben sollte, und dieses x die Wahlen mit beeinflusst haben sollte, dann wären das sicherlich im Kern Leute aus der Geheimdienstcommunity bzw. solche, die auf diese Einfluss ausüben können. Nur sie haben die Möglichkeit, Wikileaks mit passendem Material zu versorgen und über die sozialen Medien wie Twitter und Facebook auch die unwahrscheinlichsten Wahlergebnisse zu Stande zu bringen, sei es in den USA oder in Großbritannien.

Nicht nur Reality-TV

Das soll nicht heißen, dass der Wahlkampf um die US-Präsidentschaft nur eine riesige Reality-TV-Shows war. Es gibt durchaus das übrige Establishment, das sich bis zuletzt heftig der radikalen Neuausrichtung der amerikanischen Geopolitik widersetzt hat. Dazu gehörte natürlich Hilary Clinton, die unbedingt Präsidentin werden wollte, mit ihren Unterstützern. Und da sind diejenigen Teile des militärisch-industriellen Komplexes, die im Rahmen der gegenwärtigen Politik gute Geschäfte machen und bei einem Schwenk von vielen kleineren heißen Militäreinsätzen zu lediglich kaltem Krieg mit China Verluste erleiden, sowie alle diejenigen,  deren Geschäfte mit China durch einen Handelskrieg bedroht wären. 

Holzschnittartig formuliert wäre das ein Machtkampf zwischen langfristig geostrategisch orientierten Kräften und eher am eigenen kurz- bis mittelfristigen ökonomischen Gewinn orientierten Kräften. Wenn das so wäre, und man das letzte Jahr Revue passieren lässt, so müsste man wohl zu dem Schluss kommen, dass die erste Gruppe schon seit geraumer Zeit an entscheidenden Fäden zieht (TTIP-Aufgabe, Brexit, Verzicht auf Forderung nach Assad-Rücktritt, Rücknahme der Rebellenunterstützung).

Bleibt die skeptische Frage, ob man wirklich, selbst wenn der skizzierte geopolitische Schwenk beabsichtigt ist, einen wie Trump ins Präsidentenamt hieven muss. Geht das nicht auch mit einem vernünftigen Menschen? Wohl schon. Aber mit Trump geht es besonders gut. Eine solche Wende gegen starke ökonomische und ideologische Beharrungskräfte durchzusetzen, braucht einen autokratisch auftretenden Typ. Auf die nette Art geht das kaum. Und glaubwürdig sollte es auch sein, und so aussehen, als sei es der Wunsch des Volkes. Clinton und einige andere hätten einen kompletten 180-Grad-Schwenk vollführen und die eigene Politik für gescheitert erklären müssen. Im Wahlkampf hätten sie das unmöglich zum Programm machen können. Und kein anderer kann so glaubwürdig wie Trump den Europäern drohen, die Truppen abzuziehen. Das ist ein „Game of Chicken“ (Feiglings-Spiel), wie die Spieltheoretiker sagen, bei dem derjenige gewinnt, den der Gegenüber für draufgängerischer hält. Dann gibt jener nämlich zuerst nach, bevor es zum Zusammenstoß und damit zu schweren Schäden für beide kommt.

Die deutschen und europäischen Kriegs- und Außenpolitiker jedenfalls haben das Ausweichmanöver schon vor Monaten eingeleitet. Sie reden schon seit geraumer Zeit davon, dass Deutschland/Europa nun mehr „Verantwortung“ übernehmen müsse, mehr für Militär ausgeben und selbst mehr Kriegseinsätze führen müsse. Ihnen wurde offenkundig signalisiert, was kommen würde. Und Unions-Fraktionschef Kauder zog als wichtigste Lehre aus dem Trump-Sieg, dass man nun die Weichen für eine europäische Armee stellen müsse.

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