In einer kürzlich veröffentlichten Untersuchung nimmt die Medizinergruppe das Zustandekommen der im Januar 2024 beschlossenen Impfempfehlung gegen Meningokokken B für Säuglinge und der im August 2021 beschlossenen Impfempfehlung gegen COVID-19 für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren unter die Lupe.
Meningokokkenimpfung für Säuglinge
Die Stiko lieferte wenige Argumente für die Meningokokken-Impfempfehlung, dagegen aber sehr viele, stellt ÄFI fest. Hauptargument dafür sei die relative Häufigkeit mit der Erkrankungen schwer verlaufen. Die Krankheit trete jedoch mit 0,4 Fällen pro 100.000 Einwohnern sehr selten auf. In anderen Ländern mit höheren Inzidenzen, wie etwa den USA, gebe es keine allgemeine Impfempfehlung für Säuglinge. Ab welchem Schwellenwert eine Standardimpfung in der Bevölkerung aus Public-Health-Sicht einen Nutzen haben könnte, lasse die Stiko offen.
Die Wirksamkeit des einzigen in Deutschland verfügbaren Impfstoffs, Bexsero, werde nur durch Beobachtungsstudien gestützt, die anfällig für Verzerrungsrisiken seien. Daten darüber, wie lange die Schutzwirkung anhält, lägen nicht vor, was gerade eine Impfempfehlung für Säuglinge sehr fragwürdig erscheinen lässt. Die Stiko erkenne auch an, dass keine Herdenimmunität durch den Impfstoff zu erwarten sei, da Studien keinen Effekt auf das Trägertum des Virus festgestellt hätten. Eine extrem hohe Anzahl an Impfungen sei nötig, um einen schweren Verlauf zu vermeiden und Kosteneffektivität für das Gesundheitswesen sei nicht gegeben. All diese Gegenargumente führt die Stiko laut AFI selbst an. Ein Mitglied der Arbeitsgruppe Meningokokken der STIKO habe außerdem früher für GSK (den Hersteller von Bexsero) gearbeitet.
Für ÄFI ergibt sich schon allein aus den Argumenten der STIKO eine fehlende Sinnhaftigkeit der Impfempfehlung. Hinzu komme, dass die Stiko keine Studien zu möglichen schweren Nebenwirkungen diskutiert habe, weil in der Suchstrategie nicht explizit nach Nebenwirkungen gesucht worden sei.
Covid-Impfung ab 12 Jahren
Zur Empfehlung der Covid-Impfung von Teenagern habe die Stiko keine wissenschaftlichen Hintergrundpapiere veröffentlicht. Noch im Juni 2021 lehnte sie die Standardimpfung ab, im August 2021 schwenkte sie um und kündigte erst im April 2023 die Rücknahme der Impfempfehlung an. Dabei habe die Stiko laut ihrer Epidemiologischen Bulletins fortwährend COVID-19 für eine „milde Erkrankung im Säuglings-, Kindes-, und Jugendalter“ gehalten. Bei ihrer Empfehlung im August 2021 vermerkte sie zudem noch, es gäbe keine Daten zur Wirksamkeit der Impfung gegen schwere Erkrankung, Hospitalisierung und Tod bei Kindern und Jugendlichen. Es scheine, als habe man sich lediglich auf die Daten zu Erwachsenen gestützt.
Laut Stiko sollte die Impfempfehlung die psychosozialen Folgen der sogenannten Pandemie für Kinder und Jugendliche abmildern, aber ausdrücklich nicht zur Voraussetzung für die soziale Teilhabe gemacht werden. Durch ihre Impfempfehlung öffnete die Stiko jedoch vorhersehbar dieser für nicht geimpfte Jugendliche so belastenden Ungleichbehandlung Tür und Tor. Welche alternativen Maßnahmen zur tatsächlich wirksamen Abmilderung psychosozialer Risiken für Kinder zur Verfügung standen, habe die Stiko nicht erörtert. In leicht erkennbarem Gegensatz zur Begründung ihrer Impfempfehlung habe die Stiko diese im April 2023 mit dem Argument der Seltenheit der Erkrankung zurückgenommen. Dieses Argument habe jedoch – auch in der Analyse der Stiko – stets gegolten.
Empfehlungen und Ausblick
Die Stiko muss nach Einschätzung von ÄFI das während der COVID-19-Pandemie mit ihren Impfempfehlungen bei Bevölkerung und Ärzten verspielte Vertrauen zurückgewinnen. Zur Entwicklung ihrer Empfehlungen raten die Mediziner der Stiko einen vertieften Blick auf die ÄFI-Methodik zu werfen. Für die Kommunikation der Empfehlungen habe das Netzwerk für evidenzbasierte Medizin einen transparenten und verständlichen Standard angeregt, dem sich ÄFI anschließt.
Die Chancen, dass sich das von Gesundheitsminister Karl Lauterbach nach eigener Willkür weitgehend neu besetzte Gremium ohne weiteren massiven Druck von Medien und Bürgern an diese Empfehlung hält, sind jedoch gering. Denn im Zuge der Neubesetzung wurde die Stiko – wie berichtet – in ein Netzwerk von kampagneführenden, staatsnahen Verhaltenswissenschaftlern eingebunden, mit dem expliziten Auftrag, die Impfbereitschaft zu steigern und dem deutlichen impliziten Auftrag, verlässlich und vorausschaubar (positive) Impfempfehlungen abzusondern.
Das fügt sich ein in die parallel zur Stiko-Umstrukturierung vorangetriebene und verabschiedete Verpflichtung der Mitgliedsregierungen durch die WHO in der Gesundheitspolitik die sozialen Verhaltenswissenschaften – also Psychotricks – stärker zu nutzen. Entsprechend gehört auch eine Kommunikationswissenschaftlerin (manipulativer Ausrichtung) zu den von Lauterbach ausgewählten Stiko-Mitgliedern.
Da die Menschen aber – entgegen der Grundannahme Lauterbachs und seiner Hilfswissenschaftler – nicht blöd sind, wird die neue Stiko es nicht schaffen, die auch aufgrund des Fehlverhaltens der alten eingebrochene generelle Impfbereitschaft zu steigern. Wenn das offenkundig wird, dürfte es in absehbarer Zeit Anlass zum Umsteuern geben. Denn eine Stiko, der keiner vertraut, nützt der Pharmabranche wenig.