Interview: „Alfred Nobel mochte die Wirtschaftswissenschaften nicht besonders“

9. 10. 2014 | Aus Anlass der Bekanntgabe der Gewinner des Alfred-Nobel-Gedächtnispreises der Bank von Schweden am Montag 13.10. könnte dieses Interview von Interesse sein, dass ich vor der letzten Preisverleihung mit Prof. Avner Offer geführt habe. Offer, emeritierter Professor der Universität Oxford, hat die Geschichte des Ökonomie-Nobelpreises untersucht – in einem vom Institute of New Economic Thinking geförderten Projekt zusammen mit Philip Mirowski und Gabriel Söderberg.

Herr Professor Offer, bald wird der Gewinner des Ökonomie-Nobelpreises bekanntgegeben…

Nicht ganz. Es geht um den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis, gestiftet von der Schwedischen Reichsbank. Das ist nicht wirklich ein Nobelpreis wie die anderen von Alfred Nobel selbst gestifteten Preise. Alfred Nobel mochte die Wirtschaftswissenschaft nicht besonders.

Aber der Preis wird doch zusammen mit den anderen vom schwedischen König verliehen, und die Preisträger werden nach dem gleichen Verfahren ausgewählt.

Das stimmt. Die Reichsbank konnte seinerzeit die Nobelstiftung und die Schwedische Akademie der Wissenschaften überreden, den Preis mit den Wissenschaftspreisen von Alfred Nobel zu vermengen. Das war ein großer Coup.

Wie hat die Reichsbank das gemacht?

Darüber kann man nur begründet spekulieren. Die Stiftung kostet der Preis nichts. Die Reichsbank zahlt sogar noch zusätzlich 60 Prozent des Preisgeldes für die Verwaltung des Preises. Es könnte auch eine Rolle gespielt haben, dass die Reichsbank ein wichtiger Förderer der Wissenschaften in Schweden ist. Die Schwedische Akademie der Wissenschaften hätte so einen Förderer wohl nicht gern vor den Kopf gestoßen.

Warum hat ausgerechnet die Schwedische Reichsbank Geld gestiftet, um so einen internationalen Preis zu finanzieren?

Das ist eine interessante Geschichte. Der Ankündigung des Preises im Jahr 1968 ging einige Jahre zuvor ein heftiger Streit mit der sozialdemokratischen Regierung voraus. Die Notenbank, die nicht politisch unabhängig war, hatte ohne Konsultation und gegen den Willen der Regierung den Leitzins erhöht. Zwar erschien es dieser nicht opportun, den ungeliebten Notenbankchef Per Asbrink abzusetzen, aber sie konnte der Zentralbank ihre hohen Gewinne wegnehmen. Asbrink konnte erreichen, dass er einen Teil dieses Geldes bekam, um aus Anlass der 300-Jahr-Feier der Notenbank einen Preis zu stiften. Die Reichsbank kostete der Preis also nichts. Das Geld wäre sowieso weg gewesen.

Und was hatte die Reichsbank von dem Preis?

Da war einerseits das Vergnügen für Asbrink, vor den hundert internationalen Zentralbankern, die zur Jubiläumsfeier kamen, mit einem richtigen Knaller aufwarten zu können. Wichtiger war aber wohl, dass der Notenbank im Kampf um den Ausbau ihrer Unabhängigkeit der Nimbus der Wissenschaftlichkeit und Unparteilichkeit für die Ökonomik sehr zupasskam.

Ist es nicht ironisch, dass ein Wohlfahrtsstaat wie Schweden einen Preis stiftet, der sehr oft an Gegner des Wohlfahrtsstaats ging?

Wir hatten ursprünglich den Verdacht, dass das zum Plan der Reichsbank gehörte. Aber wir haben für einen solchen Plan kaum Indizien gefunden. In den ersten Jahren ging der Preis oft an Keynesianer und andere Ökonomen, die dem Wohlfahrtsstaat nicht feindlich gegenüberstanden.

Es gibt also keinen Hang zu marktgläubigen und staatsskeptischen Ökonomen bei der Auswahl?

Auf den ersten Blick nicht. Die Preisträger teilen sich ziemlich genau hälftig auf solche auf, die Staatseingriffen in die Wirtschaft eher positiv, und solchen, die ihnen negativ gegenüberstehen.

Und auf den zweiten Blick?

Umfragen zufolge sind zwei Drittel der Profession eher interventionsfreundlich. Sie sind also bei den Preisträgern unterrepräsentiert. Das zeigt sich auch daran, dass die eher linksgerichteten Preisträger im Durchschnitt eine deutlich höhere Anzahl von wissenschaftlichen Verweisen auf ihr Werk aufweisen.

Wie kam es dazu?

Das weithin wahrgenommene marktliberale Bias des Preises ist vor allem ein Ergebnis der Preisvergabe in der ersten Hälfte der 90er-Jahre. Damals agierte das Auswahlkomitee, als wäre es ein europäischer Brückenkopf der in den USA damals bereits dominanten marktliberalen Richtung in der Ökonomie. In dieser Zeit wurden besonders viele Ökonomen mit dieser Ausrichtung, vor allem von der Universität Chicago, geehrt.

Hat sich das danach geändert?

Ja. Ab 1995 wurden vermehrt auch wieder Ökonomen ausgezeichnet, die wirtschaftspolitisch deutlich links von Chicago standen. Im Großen und Ganzen muss man sagen, dass das Auswahlkomitee einen ganz guten Job gemacht hat, besonders einflussreiche Ökonomen mit unterschiedlichen Ausrichtungen und aus unterschiedlichen Fachgebieten auszuzeichnen.

Wie stehen Sie zu dem Preis?

Ich muss zugestehen: Wenn die Herausgeber der drei führenden internationalen Fachzeitschriften die Preisträger gekürt hätten, wäre wohl ein viel engeres und einseitigeres Feld von Preisträgern herausgekommen. Der Preis hat dazu beigetragen, die Grenzen dessen, was als respektable Ökonomik gilt, zu verbreitern. Aber ich sehe den Preis dennoch kritisch. Er schafft eine künstliche Trennung zwischen der Masse der guten Wirtschaftswissenschaftler und einer kleinen Respekt einflößenden Elite. Die Autorität, die dieser kleinen Elite zugeschrieben wird, geht weit über das sachlich gerechtfertigte Maß hinaus.

War die Stiftung des Preises also ein Fehler?

Für die Reichsbank nicht. Der Preis hat viel dazu beigetragen, dass die Wirtschaftswissenschaft in der öffentlichen Wahrnehmung zu einer exakten, unparteiischen Wissenschaft wie Physik oder Chemie aufgewertet wurde. Davon haben im Gefolge auch die Geldpolitiker profitiert.

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