7. 12. 2015 | Der Mikrokreditgeber FINCA nimmt die Vorwürfe, die ich auf diesem Blog geäußert habe, offenkudig sehr ernst und hat nun auch eine deutsche Übersetzung seiner Erwiderung zur Verfügung gestellt. Am Ende finden Sie dazu zwei Anmerkungen von mir. Meine Kritik erhalte ich aufrecht.
Sehr geehrter Herr Häring,
nachdem ich auf ihren Blog-Beitrag „Die soziale Maske der Mikrokredit-Mafia rutscht“ gestoßen bin, sehe ich mich veranlasst, auf Ihre Behauptungen zu antworten. Ich glaube, dass wir die gemeinsame Sorge um die Interessen von Kunden teilen. Auch steht FINCA einer offenen Diskussion über die Frage, wie Menschen weltweit – unabhänging davon wo sie leben – am besten mit wichtigen Finanzdienstleistungen versorgt werden können, aufgeschlossen gegenüber.
Da FINCA einer der Autoren der gemeinsamen Studie „Überschuldung in Mexiko: ihre Auswirkung auf Kreditnehmer“ ist, würde ich gerne einige wichtige Klarstellungen vornehmen und mit der Korrektur eines sachlichen Fehlers beginnen: den 74% der Kreditantragsteller, die überschuldet sind, wurde – anders als Sie behaupten – kein Kredit gegeben, um bestehende Schulden zu tilgen. Vielmehr wurde ihnen im Einklang mit der Politik von FINCA geraten, keine weiteren Schulden aufzunehmen, und ihre Kreditanträge wurden abgelehnt. Die Angabe von 74% wurde lediglich zitiert, um einen Eindruck von der Größenordung des Überschuldungsproblems in Mexiko zu vermitteln – ein Problem, das wir nach bestem Wissen und Gewissen zu lösen versuchen, wie unsere ehrliche Studie und die darin enthaltenen Empfehlungen zeigt.
Des weiteren ist unsere Beobachtung, dass viele Kreditnehmer nach besten Kräften versuchen, ihre Kredite zurückzuzahlen, Teil unserer Argumentation zugunsten eines besseren Verbraucherschutzes – ein Anliegen, das Sie vermutlich unterstützen. Unser Ziel bei der Aufdeckung der Verwundbarkeiten von Kreditnehmern in Schwierigkeiten ist es ja gerade, deren Ausbeutung anzuprangern, während wir gleichzeitig den hohen Stellenwert aufzeigen, den ein kontinuierlicher Zugang zu Kredit für Kunden hat, wenn der Kredit verantwortlich vergeben wird.
Ich denke, es ist wichtig, diese Tatsachen und Schlussfolgerungen klarzustellen, da wir wahrlich auf der gleichen Seite stehen, wenn es um den Schutz von Kreditnehmern vor ausbeuterischem Verhalten geht, sei es durch Mikrofinanz-Institutionen oder andere der zahlreichen Akteure, die sozial Schwache ausnutzen würden.
Es mag Sie ebenfalls interessieren, dass unsere Tochtergesellschaft in Mexiko gegenwärtig einen Zertifizierungsprozess der „Smart Campaign“ durchläuft. Die Grundsätze des Kundenschutzes der „Smart Campaign“ sind bereits in der Politik von FINCA verankert; der Zertifizierungsprozess ist jedoch ein sehr strenges Verfahren, bei dem extern die Einhaltung dieser Prinzipien geprüft wird, und wir erwarten den Abschluss dieses Prozesses in den ersten Monaten des nächsten Jahres. Für den Fall, dass Sie mit den Grundsätzen des Kundenschutzes nicht vertraut sein sollten, lege ich Ihnen die folgende Internetseite, auf der Sie mehr über diese Initiative erfahren können, dringend ans Herz:
Der Vergleich der Arbeit von FINCA mit Kredithaien oder Schneeballsystemen, bei denen Kredite einzig und allein zu dem Zweck an Menschen vergeben werden, damit diese damit andere Kredite bedienen können, ist vollkommen unhaltbar. In Ihrem Artikel verwechseln Sie FINCA mit jenen Geschäftemachern und unverantwortlichen Kreditgebern, vor denen die Mexiko-Studie gerade warnt und deren Praktiken darin herausgestellt werden sollen.
3) In Ländern wie Mexiko, in denen mittlerweile ein Überschussangebot an Kredit verfügbar ist, ist der Bedarf an verantwortungsbewußten Kreditgebern groß. Kredite, die an die Bedürfnisse und die Zahlungsfähigkeit der Kunden angepasst sind, sind ein Teil davon. Regierungen sind ebenfalls gefordert durch angemessene Gesetzgebung, die Aufklärung von Kunden und die Unterstützung von Informationszentralen über Schuldner. Hierfür hat die Arbeitsgruppe der CEOs der führenden Mikrofinanzinstitutionen ein Modellgesetz erarbeitet, für dessen Umsetzung sie eintritt.
4) Die von Ihnen zitierte Angabe zur Vergütung des CEOs (US$ 1,4 Mio.) in der 2014 IRS Form 990, die FINCA in der vergangenen Woche veröffentlicht hat, spiegelt nicht das von Rupert Scofield in 2014 tatsächlich erhaltene Gehalt wider, und tatsächlich hat er auch keine Gehaltserhöhung erhalten. Das tatsächliche Brutto-Gehalt in 2014 belief sich auf US$ 415.547. Dies ist im Anhang zur Form 990 ausgewiesen. Die „Gesamt-Vergütung“ von US$ 1,4 Mio. enthält zukünftige Altersversorgungsansprüche und Steuern, die gemäß der Anforderungen der US-Steuerbehörden in dem Jahr ausgewiesen werden müssen, in dem die Ansprüche an die Altersversorgung rechtlich wirksam werden; für Rupert Scofield war dies im Jahr 2014 der Fall. Über das genannte Brutto-Gehalt hinaus wurden an ihn keine Bar-Zahlungen vorgenommen. Der Betrag von US$ 1,4 Mio. schließt ebenfalls zusätzliche gestundete Arbeitgeberleistungen ein, die bereits in einem vergangenen Jahr in der Form 990 ausgewiesen wurden und die nun erneut ausgewiesen werden mussten, wie dies in den Zusatzangaben des Formulars erläutert wird. Ein ähnlicher Sachverhalt betrifft die Vergütung, die für mindestens einen anderen Angestellten im Formular 990 ausgewiesen wird; alle Details hierzu befinden sich im Anhang.
Obwohl ich keine Debatte über die konkrete Höhe des Gehalts unseres CEOs führen möchte, sei zum Thema Gehaltsvergleiche folgendes angemerkt: gemäß der „Charity Navigator’s 2014 CEO Compensation Study for the U.S:“ betrug das durchschnittliche Gehalt von CEOs von großen gemeinnützigen Organisationen US$ 256.143 (unter „groß“ wurden dabei Organisationen mit jährlichen Ausgaben von mehr als US$ 13,5 Mio. verstanden – im Gegensatz hierzu hat FINCA konsolidierte Gesamtausgaben von mehr als US$ 300 Mio.); das höchste Gehalt in dieser Gruppe betrug US$ 3,733,930.
Bezüglich der übrigen Mitglieder unser Führungsmannschaft unterscheidet sich FINCA International von anderen gemeinnützigen Organisationen dadurch, dass wir in komplexen, regulierten Finanzinstitutionen arbeiten, die in zahlreichen Ländern Spareinlagen mobilisieren, und daher mit den gleichen fachlichen Anforderungen an Bankgeschäfte und Risikomanagement konfrontiert werden wie Institutionen des privaten, gewinnorientierten Bankensektors. Wir brauchen daher die fähigsten Angestellten, die wir für uns gewinnen können, um die Nachhaltigkeit der Arbeit von FINCA sicherzustellen, um vielen Menschen den Zugang zu Finanzdienstleistungen zu ermöglichen (was die Aufnahme von internationalen Krediten erfordert, die dann an Kunden, die Kapital für ihre kleinen Unternehmen benötigen, weiterverliehen werden) und gleichzeitig die Spareinlagen von Kunden sowie die beträchtlichen öffentlichen Investitionen, mit denen der Aufbau von FINCA unterstützt wurde, zu schützen. Wir suchen und finden dafür Menschen, die eine an unserer Mission orientierte Motivation mit jenen fachlichen Kenntnissen und Erfahrungen verbinden, die für uns notwendig sind, um der Verantwortung gegenüber allen Beteiligten gerecht zu werden.
Mit freundlichen Grüßen,
Allison Scuriatti
Deputy to the President & CEO
Anmerkungen von Norbert Häring
FINCA veröffentlicht abseits der Formulare an die Steuerbehörde keine Informationen über die Vergütung des CEO oder des übrigen Führungspersonals. Die Smart-Campaign, in deren Rahmen FINCA eine Zertifizierung anstrebt, ist eine Initiative eines anderen großen Mikrokreditgebers, ACCION. Das Zertifikat haben auch hochumstrittene Unternehmen wie die mit ACCION liierte mexikanische Compartamos Banco den größten Mikorkreditgeber in Lateinamerika. Wenn es in Mexiko ein Überschuldungsproblem der Mikorkreditnehmer gibt, dann hat Compartamos, das mit extem hohen Zinsen extrem hohe Renditen für die Kapitalgeber erwirtschaftet, einen beträchtlichen Anteil daran.
Aus dem Wikipedia-Eintrag (Englisch) über Compartamos:
„In 2007 Compartamos controversially raised $467 million from the issue of an IPO, earning large returns for private investors as well as philanthropic backers such as ACCION International and the World Bank without raising any additional capital.
Compartamos attracted fierce criticisms in the wake of the IPO for enriching wealthy private investors with returns on equity of 53% generated from charging interest rates in excess of 100% from those in poverty.[2][4]. Microfinance pioneer Muhammad Yunus described Compartamos’s priorities as „screwed up“ and suggested they should not be compared with the microcredit projects he had championed. The Consultative Group to Assist the Poor, a World Bank affiliate that provided some of the early funding for Compartamos, argued that the IPO was the consequence of a justifiable earlier decision to take private investment to expand their capacity to offer loans, but expressed concern Compartamos may be placing shareholders‘ interests ahead of their clients