Die EU-Kommission hat Angst vor der Barzahlungsobergrenze

1. 06. 2015 | Bundesfinanzminister Schäuble hat der EU-Kommission ein schönes faules Osterei ins Nest gelegt, als er sich Anfang Februar für eine europaweit einheitliche Obergrenze für Barzahlungen aussprach und kurz später die EU-Finanzminister die Kommission beauftragten, bis 1. Mai einen Plan dafür vorzulegen (siehe Handelsblatt 1. Juni „Bei der Barzahlungsobergrenze hakt es in Brüssel“).

Jetzt ist es Juni und die Kommission zeigt wenig Begeisterung für das Projekt. Mit einem baldigen Vorschlag sei nicht zu rechnen, heißt es. Man will genau (und lange) abwägen, ob die Maßnahme unerwünschte Nebenwirkungen haben könnte. Das wundert mich gar nicht, denn das Ei ist vergiftet. Schäuble ist ein schlauer Fuchs. Er gab zwar dem internationalen Druck nach, sich dem Geleitzug zur Bargeldabschaffung anzuschließen, gab das sehr unpopuläre Thema dann aber sofort an die europäische Ebene ab. So kann er damit rechnen, bis zu den Bundestagswahlen Ruhe zu haben. Wenn der EU-Administration wider Erwarten der Wurf gelingt, ist Europa schuld. Wenn nicht, kann man das Thema bis nach den Wahlen durch die Brüsseler Amtsstuben wabern lassen.

Wenn sie könnte, würde die Kommission sicherlich sehr gern eine rigide europäische Barzahlungsgrenze einführen. Schließlich wurden einige der ersten nationalen Obergrenzen von Finanzministern mit intensivem Stallgeruch der EU-Kommission beschlossen bzw. verschärft (Mario Monti, Vitor Gaspar, Tommaso Padoa-Schioppa). Aber das Thema ist rechtlich sehr heikel. Das ist bisher in der Öffentlichkeit kaum jemand aufgefallen, weil die Kommission als Hüterin der Verträge und ihr juristischer Dienst sich mit den rechtlich fragwürdigen nationalen Obergrenzen bisher einfach nicht befasst haben. Und die Stellungnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) dazu liest niemand, wenn die EZB es nicht darauf anlegt.

Im Weg steht die EU-Verfassung (Artikel 128 VAEU), die Banknoten zu (unbeschränkten) gesetzlichen Zahlungsmitteln macht. Ein Staat kann nicht einfach den Bürgern verbieten, mit dem gesetzlichen europäischen Zahlungsmittel seine Rechnungen zu begleichen. Die EZB nennt in ihren fast schon possierlichen Rechtfertigungen der nationalen Beschränkungen, zu denen sie Stellungnahmen abgegeben hat (z.B. hier), nicht einmal Artikel 128 VAEU von 2009. Stattdessen beruft sie sich auf eine EU-Verordnung, also tiefer stehendes Recht, aus dem Jahr 1998 zur Einführung des Euro, also viel älter. Und nicht einmal auf die Verordnung selbst beruft sie sich, dort steht nämlich nichts von möglichen Beschränkungen für die Nutzung von Banknoten, sondern auf die Erwägungsgründe für eine Vorschrift, die es erlaubt, bestehende Begrenzungen für die Annahmepflicht bei Münzen beizubehalten (Erwägungsgrund 19 der Ratsverordnung EC Nr. 974/98. Die Kommission scheint auch keine bessere Rechtfertigung zu haben, sondern verweist auf die gleichen Erwägungsgründe besagter alter Rechtsverordnung, wenn sie gefragt wird.

Der Erwägungsgrund lautet:

Von den Mitgliedstaaten aus Gründen der öffentlichen Ordnung eingeführte Begrenzungen für Zahlungen in Banknoten und Münzen sind mit der den Euro-Banknoten und Euro-Münzen zukommenden Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels nicht unvereinbar, sofern andere rechtliche Mittel für die Begleichung von Geldschulden bestehen.“

Es ist aber mehr als fraglich, ob man aus den Erwägungsgründen einer nachrangigen, älteren Rechtsvorschrift schließen kann, dass eine ohne Einschränkung formulierte, viel später abgefasste Primärrechtsnorm einfach eingeschränkt werden kann. Auf jeden Fall entspricht es nicht üblichen Standards der Jurisprudenz, dies zu tun, ohne die einschlägige Primärrechtsnorm überhaupt in Betracht zu ziehen. Auch wird von der EZB einfach behauptet, es gäbe „andere rechtliche Mittel“ zur Begleichung von Geldschulden. Das ist der Fall bei der Regelung um die es in diesem Erwägungsgrund geht, die Begrenzung der Annahmepflicht für Münzen. Es gibt ja noch Banknoten, die ebenso gesetzliches Zahlungsmittel sind. Aber welches gesetzliche Zahlungsmittel steht noch zur Verfügung, wenn man Münzen UND Scheine nicht nur nicht annehmen muss, sondern nicht einmal mehr annehmen darf? Die EZB und die Kommission bleiben die Antwort schuldig.

Was die nationalen Gesetzgeber und die EZB sich an Rechtsbeugung erlauben können, wenn keiner hinsieht, ist das eine, was man sich als Kommission erlauben kann, wenn man eine umstrittene europaweite Regelung einführen will, ist das andere. Es gibt genug aufrechte Juristen, die die Unrechtmäßigkeit des Unterfangens benennen und an die Öffentlichkeit bringen würden. Damit würde man eine ganze Meute schlafende Hunde wecken. Denn dann würde klar, dass die bereits bestehenden nationalen Barzahlungsobergrenzen EU-rechtswidrig sind.

Deshalb gehe ich davon aus, dass es der Kommission am liebsten wäre, wenn diese unangenehme Angelegenheit wieder in Vergessenheit geriete – und Schäuble auch.

P.S. vom 2. Juli: Ich hätte etwas deutlicher machen sollen, warum Schäuble sich – meiner Ansicht nach – genötigt sah, auf den Geleitzug Richtung Bargeldbegrenzung pro forma aufzuspringen, und warum die anderen Finanzminister das dann so schnell in einen Auftrag an die Kommission übersetzten. Das kommt wohl aus den Terroranschlägen von Paris, nach denen alle der französischen Regierung unbedingte Unterstützung im Kampf gegen den Terror versprachen. Und für die französische Regierung gehören dazu Barzahlungsbeschränkungen.

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