Bei der Verteidigung von Bill Gates dürfen journalistische Grundsätze nicht im Weg stehen

28. 04. 2020 | Wenn man so reich und mächtig ist, und sich so intensiv in Global Governance betätigt wie Bill Gates, dann zieht man Kritik und Angriffe auf sich, auch wenn man wohlmeinend ist. Aber zum Glück kann man als reicher Wohltäter auf die Medien zählen. Wie derzeit, wo die Welt und andere mit Faktenchecks die Gerüchte und Verschwörungstheorien zerpflücken, die sich um Gates Wirken ranken.

„Feindbild Bill Gates – Vier Behauptungen und was dahintersteckt“, betitelt die Welt „ihren“ Faktencheck vom 27. April. Eine Behauptung, dass er seine Kinder nicht impfen lässt,  ist albern und wohl tatsächlich nicht belegbar. Schlüssig widerlegt wird auch, dass er ein Patent auf das Corona-Virus habe. Bestätigt wird, dass Gates zu den größten Geldgebern der WHO gehört, allerdings wird die vorher zugespitzte These als übertrieben beurteilt. Und eine ist für mich besonders interessant, weil ich darüber geschrieben habe:

BEHAUPTUNG I: Gates will im Kampf gegen den Erreger den Menschen Mikrochips einpflanzen lassen – und so die totale Kontrolle erlangen.
BEWERTUNG: Falsche Zusammenhänge.
FAKTEN: Gates schrieb im März, dass irgendwann „digitale Zertifikate“ Auskunft darüber geben könnten, wer eine Infektion mit dem Coronavirus bereits durchgestanden hat oder – sobald das möglich ist – dagegen geimpft ist. Diese Aussage wurde mit vollkommen anderen Projekten verrührt, die von der Gates-Stiftung unterstützt werden – etwa Forschungen zur digitalen Identifizierung, zu einer Technik, die Impfungen im Infrarotlicht auf der Haut anzeigt, sowie zu Verhütungsmethoden via Mikrochips. Mit dem Coronavirus haben sie nichts zu tun.

Ich weiß nicht, ob ich mich hier angesprochen und geehrt fühlen soll. Dazu hatte ich tatsächlich die nachträglich aus dem Video herausgeschnittene Aussage von Gates „mit vollkommen anderen Projekten verrührt“ und ausführlich begründet, wo ich die Verbindungslinien sehe.

Bill Gates beschreibt Covid-19 als ersten Anwendungsfall der Known-Traveller-Horrorvision des Weltwirtschaftsforums

Habe ich damit zigtausende Leser dieses Beitrags in die Irre geführt. Die Welt-Faktenchecker sagen ja, denn die Projekte haben nichts miteinander zu tun, weil …, ja weil? Kein Weil. Das wird einfach so hingeschrieben. Trust me!

Also will man wissen, wer der oder die Faktenchecker waren, und stellt fest, dass der Artikel keinen Autor und keine Autorin hat. Auch keine sonstige Quelle ist angegeben. Auch kommt der ganze Artikel durchgängig ohne Quellenangaben aus. Sonderbarer Faktencheck.

Aber zum Glück gibt es Suchmaschinen. Über sie erfährt man, dass dieser Faktencheck, abgesehen von unterschiedlichen Einleitungen, praktisch wortgleich auch auf vielen anderen Webseiten zu lesen ist, darunter ntv.de, web.de, Kölner Stadt-Anzeiger , Greenpeace-Magazin und General-Anzeiger,

ntv.de lässt die Urheberschaft mit einer kryptischen Quellennennung am Endes des Artikels nur erahnen: „ntv.de, Cindy Riechau, dpa“. Von ntv. stammt die kurze Einführung. Wenn man dächte, Cindy Riechau arbeite für ntv, läge man falsch. Sie ist die Redakteurin, die den Beitrag für die Deutsche Presseagentur (dpa) geschrieben hat. Bei web.de und Kölner Stadt-Anzeiger steht klein und ehrlich „dpa“ unter dem Artikel. General-Anzeiger (Bonn) und Greenpeace Magazin schreiben ganz transparent „Cindy Riechau, dpa“ in die Autorenzeile.

Der dpa-Artikel selbst hätte (als mutmaßliche Quelle) durchaus nennen können, dass „correctiv“ schon am 20. Januar einen Faktencheck zu einem Teil der Behauptungen veröffentlicht hat. RTL.de haben diese Quelle in ihrem Gates-Verteidigungsbeitrag vom 30. Januar genannt. Aber wenn man das gleiche drei Monate später nochmal aufkocht, ist eine Quelle von Januar wohl nicht opportun.

Auch der Spiegel hat mit einem Faktencheck von Anti-Gates-Gerüchten, mit einer Home Story und mehr sein Möglichstes getan, den großen Wohltäter als ebensolchen erscheinen zu lassen.

Das ist nicht ganz unproblematisch, bekommt der Spiegel doch immer wieder Geld von Gates‘ Stiftung. Vor einem Jahr hat der Spiegel das Projekt „Globale Gesellschaft“ angekündigt, bei dem von der Gates-Stiftung finanzierte Reporter in allen Erdteilen für den Spiegel berichten sollen. Auch vorher gab es schon Geld von der Stiftung für Spiegel-Projekte, etwa für das Projekt “The New Arrivals”, von dem Multimedia-Reportagen zu den Themen Migration und Flucht finanziert wurden. In der Datenbank der Gates Stiftung ist für 2018 eine Zuwendung von 2,5 Millionen Dollar an Spiegel Online ausgewiesen. Ein Hinweis auf mögliche Interessenkonflikte in den Berichten über Gates und seine Stiftung? Fehlanzeige.

Damit steht der Spiegel keineswegs allein. Die Gates Stiftung lässt schon seit vielen Jahren sehr viel gemeinnütziges Geld auf die Redaktionen der Welt herabregnen, auf dass der Journalismus besser und die Reputation des Gönners höher werde. Mit einigem Erfolg.

Nachtrag (2. 05. 2020): Ich wurde darauf hingewiesen, dass in einem Beitrag vom 16.4.2020 mit dem Titel: „Corona-Pandemie Gates-Stiftung spendet weitere 150 Millionen Dollar„, den Spiegel Online von der Nachrichtenagentur dpa übernahm folgende Offenlegung steht.

„Offenlegung: Die Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt das SPIEGEL-Projekt Globale Gesellschaft über drei Jahre mit einer Gesamtsumme von rund 2,3 Mio. Euro. Unter dem Titel Globale Gesellschaft berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa, die Beiträge erscheinen im Auslandsressort des SPIEGEL.

Es wirkt verkehrt, dass große eigene exklusive Beiträge über Gates, wie die oben verlinkten, ohne diese Offenlegung erscheinen, während bei einem dpa-Beitrag, der in vielen anderen Portalen ebenfalls erschien, die Offenlegung für nötig befunden wird. Immerhin hat man ja bei einem Faktencheck zur Gates-Verteidigung oder eine Home Story in besonderem Maße die Möglichkeit und Verantwortung zu entscheiden, ob man das im Lichte des eigenen Interessenkonflikts tatsächlich tun will. Um so dringlicher, aber wohl auch um so peinlicher, wäre eine Offenlegung.

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