Wie die Weihnachtseinkäufe aus dem Online-Handel so schnell zu Ihnen kommen

24. 11. 2023 | Ein Wiener Student hat für einen global aktiven Onlinehändler im Verteilzentrum gearbeitet und darüber seine Masterarbeit geschrieben. Wer gewohnheitsmäßig bei Amazon und Co. bestellt, kann darin aus erster Hand erfahren, wie die Arbeit im Verteilzentrum so organisiert wird, dass die fast ausschließlich migrantischen Arbeitskräfte am Fließband immer an der äußersten Belastungsgrenze arbeiten, bei maximaler Einsatzflexibilität und teilweise unbezahlter Arbeitszeit.

Die Masterarbeit von Lukas Stani ist deutlich leichter zu lesen als der etwas sperrige Titel: „Prekär, ethnisiert, digital und sozial kontrolliert – betriebliche Herrschaft im Panoptikon des digitalen Taylorismus im Onlineversandhandel“. Das gilt insbesondere für den Erfahrungsbericht (S. 51 bis 100). Die soziologische Analyse ist ebenfalls lesenswert, für diejenigen, die so etwas interessiert.

Die Beschreibung klingt, als handle es sich bei dem Online-Versandhändler um Amazon, aber sicher ist das nicht. Das Verteilzentrum befindet sich in Österreich, wo die Arbeitsgesetze anders sind als in Deutschland. Ich nehme an, in Deutschland ist eine Beschäftigung weit überwiegend in Leiharbeit, wie in dem beschriebenen Betrieb, nicht zulässig.

Hier ein paar kurze Leseproben. Die Lektüre des ganzen Werkes lohnt, denn die Beschreibung ist sehr anschaulich. Die Zwischenüberschriften sind von mir eingefügt.

„Das Fließband

Arbeiter*innen müssen mit der Arbeitslast, die das Fließband bringt, schlicht fertig werden oder Hilfe anfordern, wovor die meisten zurückschrecken, da das vom Management als schwache „Performance“, also als geringe bzw. langsame Arbeitsleistung gewertet wird, was zu Konsequenzen, wie Mahnungen zu schnellerer Arbeit, Drohungen, bis hin zur Kündigung führen kann.

Die Paketaufleger*innen sind in diesem Kontext die zentrale Position für den Verteilprozess und für das Management, denn wenn das Management ihnen genug Druck macht, und diese Arbeiter*innen dadurch genügend Pakete auf das Fließband legen und die Fließbänder schnell genug laufen, arbeiten alle weiteren Positionen, deren Arbeit (unter Anderem) vom Fließband gesteuert wird – also Position (3), (4) und (5) – auch so schnell wie vom Management zur Erfüllung der Zielvorgaben geplant.

Die Geschwindigkeit der Fließbänder bzw. die Frequenz ankommender Pakete ist selbst für einen jungen Mann in guter körperlicher Verfassung enorm belastend. Nach nur zwei bis drei Stunden der Arbeit am Fließband war ich, sowie andere Arbeitende bereits äußerst ausgelaugt.
 

Die Sortierer am Ende

Im Arbeitsbereich muss man sich mit den ein bis zwei anderen Sortierer*innen, die üblicherweise im selben eingeteilt werden, ausmachen, wer welchen Gang, bzw. welche Gänge zu bearbeiten hat. Dieser Aushandlungsprozess geschieht meistens nonverbal. Einzelne Sortierer*innen stellen sich in oder vor gewisse Gänge.

Diese Aushandlung ist auch deshalb relevant für die Arbeit, da das Management stets Leiharbeiter*innen zwar nach Auftragslage, aber dennoch standardmäßig in zu geringer Anzahl für den Arbeitsaufwand anfordert. Als Konsequenz sind vor allem die Positionen der Sortierer*innen stets unterbesetzt. In den ersten Arbeitstagen werden Arbeitende zumeist zu dritt vier Gängen zugeteilt. Bereits bei einer derartigen Einteilung ist das Arbeitsvolumen äußerst hoch.

Die erfahrenen Kolleg*innen übernehmen meistens zwei Gänge und müssen für diesen Arbeitsaufwand mehrere Stunden im Dauerlauf arbeiten. Die neuen Arbeitenden sind meist relativ langsam, da sie im Umgang mit den digitalen Geräten ungeübt sind. Egal ob neu oder eingearbeitet, bereits die Arbeit in einem einzelnen Gang bedeutet hohen Arbeitsdruck. Dennoch werden Arbeitende schon nach wenigen Arbeitstagen standardmäßig so eingeteilt, dass die Bearbeitung von zwei Gängen notwendig wird.

Das bedeutet eine enorme Arbeitsverdichtung und -belastung. In diesen Fällen müssen sich die Betreffenden im Dauerlauf zwischen zumindest zwei Gängen hin- und herbewegen und in hoher Geschwindigkeit viele Pakete aufnehmen, scannen, in ihre Destination legen oder werfen und verbuchen. Obwohl die Benutzung der digitalen Geräte schnell zu erlernen ist, ist es körperlich äußerst belastend die Pakete einzuordnen, da sie in sehr kurzen Intervallen auf die Ablagen gelegt werden und über 30 Kilogramm wiegen können.
 

Die Taktgeber vorne

In den Paketauflegeteams kann es zu Konflikten kommen. Arbeitende auf Position zwei maßregeln regelmäßig jene auf Position eins bzw. machen ihnen Druck schneller zu arbeiten. Das machen sie deshalb, da sie (Position zwei) digital überwacht werden. Damit sind sie selbst dem Management gegenüber ‚verantwortlich‘ für das Team.

So wird die formelle Hierarchie durch den Einsatz einer Vertrauensperson im Team ergänzt, die den Druck des Managements ins Team weiterträgt. Bei Unterschreitung der digital (durch das Gerät von Person zwei) gemessenen Zielvorgeben bekommt das gesamte Team bzw. im Zweifelsfall Person zwei Ermahnungen oder Drohungen der Vorgesetzten zu hören.

Sind die Teams ‚zu langsam‘, sinken ihre Leistungen also unter die Mindestanforderung, kann das das Management zum Anlass nehmen Konsequenzen, bis hin zur Kündigung, zu ziehen. Eine Zielvorgabe wird mittels persönlichem Druck von den höheren Hierarchieebenen (auf Position (10) bzw. (8) in Skizze 1), an die Paketauflegeteams oder insbesondere an Person zwei in diesen Teams weitergegeben.

Auf Position zwei werden deshalb zumeist Personen eingesetzt, die die Managementdoktrin (viele Pakete in wenig Zeit zu bearbeiten) besonders übernommen haben (siehe Abschnitt 5.3). Diese Personen werden dadurch trotz hierarchischer Gleichstellung mit den anderen Personen in den Teams vom Management instrumentalisiert, um ihre Zielzahlen als Mindestziel weiter zu kommunizieren.

Ein digital überwachter Etikettierer auf Position zwei im Paketauflegeteam machte beispielsweise dem ersten im Team (der die Pakete auf das Fließband hebt) während einer gesamten Schicht Druck. Das geschah, nachdem ein Schichtmanager wiederholt zu dem Team gegangen war und gesagt hatte, das Team arbeite langsam. Der Etikettierer im Team war allerdings scheinbar der Firmenlogik sehr zugetan und versuchte den Arbeiter auf Position eins im Team mit ständigen Aufforderungen („komm schon“ und „schneller“) und Rügen („du bist so langsam“) zu noch schnellerem Arbeiten zu treiben. Ersterer hievte aber bereits so viele Pakete in kürzester Zeit, wie er konnte.
 

Elektronische Vorarbeiter

Sortierer*innen nehmen die Pakete, scannen sie, werfen sie, wie von den Vorarbeiter*innen angewiesen, in die leuchtenden Destinationen und scannen auch diese. Bei einer erfolgreichen Verbuchung gibt der Scanner eine Tonfolge von sich, die Erfolg signalisiert, bei einer falschen Lokalisierung ertönt eine, die den Misserfolg bedeutet.

Werden Pakete falsch sortiert oder kommt es zu technischen Fehlern, so bedeutet das für die Sortierer*innen ein Problem, da es für Fehler eigentlich keine Zeit gibt. Die Suche nach einem falsch sortierten Paket konnte bei vollen Säcken mehrere Minuten dauern. Diese Minuten haben Sortierer*innen aufgrund der Frequenz ankommender Pakete am Fließband nicht. Das Gerät aber lässt nicht zu, dass die Arbeit wiederaufgenommen wird, ohne das betreffende Paket zu finden und erfolgreich seiner vorbestimmten Destination zuzuweisen.

Arbeitende kennen allerdings geheime Tricks. Wenn man das Gerät neustartet, vergisst es, dass ein Paket falsch verbucht worden war. Allerdings muss das Gerät zu diesem Zweck heruntergefahren und wieder hochgefahren werden. Das bedeutet auch, dass eine neue Anmeldung, eine neue Zuweisung zur aktuellen Tätigkeit und weitere Einstellungen nötig sind, die ebenso Zeit kosten, wie die Suche nach einem verschollenen Paket unter vielen anderen. Es reicht, dass man einige Momente – zum Beispiel für die Suche nach einem falsch sortierten Paket, für eine Neuanmeldung oder auch nur für eine WC-Pause – die Arbeit unterbricht, damit Ablageflächen teilweise schon derart befüllt sind, dass der Arbeitsaufwand kaum mehr aufzuholen ist.

Werden die Ablageplätze zu voll und die Paketannahmearbeitenden (4) können aus Platzmangel keine Pakete mehr auf sie legen, müssen sie diese in dem schmalen Raum zwischen Fließband und der Paketablagestation ablegen. Die kleineren Pakete sammeln sie in Boxen. Damit verringert sich der Platz, den sie zum Arbeiten haben.

Sortierer*innen sind somit mehreren Dynamiken des Drucks ausgeliefert. Sie müssen sich zum Ersten der Arbeitsgeschwindigkeit des Fließbandes unterordnen. Zum Zweiten wussten sie, dass wenn man das nicht schaffte, man es den Kolleg*innen auf Position vier (4) (Skizze 1 & 2) schwerer machte. Zum Dritten sind sie digital überwacht. Die Scanner leiten nicht nur die Arbeit an, sondern zeichnen auch jedes erfolgreich verortete Paket auf.
 

Im digitalen Panoptikum

Die Arbeitsleistung kann nur aufgrund der digitalen Überwachung nachverfolge werden. In den drei Schlüsselsituationen verschränken sich bei den digital überwachten Arbeiter*innen (Sortierer*innen und Paketaufleger*innen, auf die die meisten Arbeiter*innen entfallen) digitale und direkte Kontrolle.

Den Arbeiter*innen wird durch gezielte Hinweise auf die digitale Überwachung oder durch gezielte Drohungen, bei nicht-Erfüllung der digital erfassten Arbeitsziele gedroht. Auf diese Weise ‚nudgt‘ das Management die Arbeiter*innen in wichtigen Situationen dahingehend sich mehr anzustrengen.

Die Arbeiter*innen bekommen allerdings nicht viele Möglichkeiten zu testen, welche Arbeitsleistung für das Management akzeptabel ist. Da bereits eine einmalig dokumentierte geringe Arbeitsleistung mit einer Kündigungsdrohung beim nächsten Mal kommentiert wird, ist es den Arbeiter*innen meistens sehr ernsthaft daran gelegen schnell zu arbeiten, um den Arbeitsplatz nicht zu riskieren.

Hier spielt auch die marginalisierte Stellung am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft eine wichtige Rolle. Die Arbeiter*innen hoffen auf Festanstellungen und möchten sich deshalb besonders anstrengen, damit sie zu den 10% gehören, die das Unternehmen, laut Angaben von Vorarbeiter*innen, übernimmt. Zwar ist dieses Versprechen oft falsch, jedoch entfaltet es in Kombination mit den Drohungen und Ermahnungen eine Wirkung, die die migrantischen Arbeiter*innen großteils zur Selbstkontrolle antreibt.“

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