Europäische Diktatur per Schuldenbremse: Flüchtlingskrise, Bankenkrise und Portugal machen sie sichtbar

7. 02. 2016 | Durch die europäischen Regeln zur Defizitbegrenzung werden die meisten Staaten in permanentem Fiskalnotstand gehalten. Die EU-Kommission und Deutschland nehmen sich aber die Freiheit, gemeinsam bestimmte Ausgaben oder Ausgabenkategorien für defizitunschädlich zu erklären. Das gibt ihnen große technokratisch-hegemoniale Macht über die Haushalte der Mitglieder der EU und insbesondere der Währungsunion. Ausgaben in der Flüchtlingskrise sind nur das letzte Beispiel.

 1. Flüchtlingskrise: Unter der Überschrift „ EU bietet Italien für Türkei-Hilfe Entgegenkommen beim Defizit an“ berichtete Reuters am 1. Februar, die EU-Kommission wolle die Finanzhilfen der Mitgliedsländer zur besseren Versorgung von Flüchtlingen in der Türkei bei den EU-Haushaltsregeln außen vor lassen. Dies habe die Brüsseler Behörde  den EU-Staaten schon  im Dezember mitgeteilt. Italien reiche das allerdings nicht. Einem EU-Diplomaten zufolge fordere Premier Renzi gegenüber Merkel, dass sein Land für 2016 zusätzlich drei bis vier Milliarden Euro an Kosten im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise aus der Defizitberechnung herausnehmen kann. Dies sei von deutscher Seite abgelehnt worden. Eine Sprecherin der EU-Kommission sagte dazu laut Reuters, die Kommission  werde die Kosten der Flüchtlingskrise bei jedem Land einzeln und erst nach den getätigten Ausgaben prüfen. Die Bundesregierung habe gegenüber diesem Vorgehen bereits im Herbst Zustimmung signalisiert.

2. Bankenhilfen: Auch bei der Bewältigung der Finanzkrise wurde von den Technokraten im Sinne der Banken der großen Länder wie Deutschland und Frankreich fein säuberlich zwischen guten und schlechten Ausgaben unterschieden. Nur die schlechten Ausgaben, also insbesondere alle konsumtiven, also die für unnötigen Sozialklimbim und die Bezahlung von Staatsdienern, sollten in die Defizitrechnung eingehen. Gute Ausgaben, wie die zur Rettung der Banken, die sich verzockt hatten, gingen nicht ein. So kam es, dass die Defizite sich in engen Grenzen hielten, und doch die Schuldenquoten der Länder um 20, 30, 40 Prozentpunkte oder mehr nach oben schossen. Die Übernahme von Bankenschulden durch den Staat wurde als eine gute Sache und deshalb nicht defizitwirksam erklärt. Das hält natürlich renommierte Ökonomen auf der Payroll der Banken nicht davon ab zu behaupten, es habe gar keine Austerität gegeben, weil ja die Ausgaben der Staaten – jetzt einschließlich der Ausgaben für die Bankenrettung, die keinerlei Nachfragewirkung entfalten – gar nicht gesunken seien.

 3. Portugals neue Regierung: Portugal ist ein weiteres Beispiel. Als kleines Land hat es nicht das Privileg wie Deutschland und Frankreich, Defizitregeln einfach außer Kraft setzen zu können, wen sie lästig werden. Das musste das Land schon einmal erfahren, als es als erstes unter das Brüsseler Spardiktat kam, zu seinem Pech ein paar Jahres bevor Deutschland und Frankreich ebenfalls Haushaltprobleme bekamen und die Regeln außer Kraft setzten, auf deren Basis Portugal geknechtet und in die Dauerrezession gespart worden war. Und nun  muss die neue Regierung, die gern das neuerliche Kaputtsparen der Konjunktur zur angeblichen Behebung der Bankenkrise beenden würde, sich mit einer EU-Kommission um jedes Zehntel Prozent mögliches zusätzliches Defizit streiten. Der Kampf ist ungleich. Die Kommission hat nicht nur die europäischen Daumenschrauben aufzubieten, sondern die Drohung, dass portugiesische Anleihen von den Ratingagenturen als Schrott eingestuft werden, sodass private Investoren sie nur noch zu hohen Zinsen und die EZB gar nicht mehr kaufen würden. Dem Land droht dann die Zahlungsunfähigkeit und es muss zu Kreuze kriechen. Die EU-Kommission weiß das. Portugal kann nicht auf Gnade hoffen. Wahlen dürfen in solchen Ländern nichts verändern, wie Herr Schäuble so schön gesagt hat. Für Deutschland gilt natürlich das gleiche. Dort wird das darüber gewährleistet, dass alle maßgeblichen Parteien in Sachen Europapolitik einer Meinung sind. Dass diese sich stark von den Vorliebe sehr großer Teile der Bevölkerung unterscheidet, spielt keine Rolle. Das ist das Schöne an der repräsentativen Demokratie.

P.S. (8.2.): Ein Leser weist mich auf einen Gastbeitrag der Notenbankchefs von Deutschland und Frankreich in der „Süddeutschen“ hin, in dem diese beiden nicht gewählten Technokraten ganz ungeniert fordern, die gewählten Regierung sollten ihre Macht nach Europa abgeben. Jens Weidmann und François Villeroy de Galhau schreiben, Europa stehe angesichts der hohen Defizite und wirtschaftlichen Ungleichgewichte „ganz eindeutig an einem Scheideweg“. Sie plädieren dafür, dass die Euroländer „in erheblichem Maße Souveränität und Befugnisse auf die europäische Ebene übertragen, um das Vertrauen in den Euroraum wiederherzustellen. Dazu fordern sie die Schaffung eines gemeinsamen Finanzministeriums, den Aufbau einer effizienten und weniger fragmentierten europäischen Verwaltung sowie die Bildung eines stärkeren politischen Gremiums, das Entscheidungen trifft und der parlamentarischen Kontrolle unterliegt. Letzteres ist Augenwischerei, da nicht einmal das EU-Parlament vernünftige demokratische Befugnisse hat, ein künstlich geschaffenes Euroraum-Parlament hätte noch weniger davon.

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