Thüringen hat eine absurde und wohl rechtswidrige Anti-Bargeld-Verordnung erlassen

2. 03. 2021 | In Thüringen dürfen Geschäfte wegen Corona wie im übrigen Deutschland keine Kunden einlassen, aber kontaktlos Waren nach Vorbestellung abgeben. In Thüringen darf dabei allerdings nicht bar bezahlt werden, obwohl Bargeld erwiesener Maßen keine größere Ansteckungsgefahr mit sich bringt als z.B. Kartenzahlungen mit Unterschrift oder Pin, von Haltestangen in Bussen und Bahnen ganz zu schweigen.

In der „Dritten Thüringer Verordnung über außerordentliche Sondermaßnahmen zu Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus Sars-Cov-2″, zuletzt geändert am 18. Februar 2021 heißt es in §8 Abs 2:

„Zulässig sind ausschließlich zum Versand, zur Lieferung oder zur Abholung vorgesehene Telefon- und Onlineangebote; die Abholung bestellter Waren durch Kunden ist nur zulässig, sofern die Übergabe kontakt- und bargeldlos außerhalb der Geschäftsräume erfolgt.“

Die Begründung dazu lautet:

„Zulässig ist die Bereitstellung von Waren zur Abholung, wenn die Übergabe kontakt- und bargeldlos erfolgt. Dies kann durch Zahlung mittels Bank- oder Kreditkarte, Vorauszahlung oder gegen Rechnung erfolgen.“

Bargeld ist gesetzliches Zahlungsmittel. Seine Nutzung wird hier verboten. Der Europäische Gerichtshof meint, das sei zulässig, wenn es sachlich begründet und verhältnismäßig ist. Als sachliche Begründung kommt hier nur in Frage, dass die Nutzung von Bargeld ein höheres Infektionsrisiko beinhaltet als die anderen Zahlungsformen. Dafür gibt es keine Anhaltspunkte. Europäische Zentralbank und Bundesbank haben klargestellt, unter Verweis auf Studien, dass mit der Nutzung von Bargeld keine höheres Infektionsrisiko einhergeht als mit vielen anderen Alltagshandlungen. Die Nutzung von Bank- und Kreditkarten mit PIN, die auf von vielen benutzten PIN-Pads einzugeben ist, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht sicherer, das gleiche gilt für Unterschrift mit von vielen genutzten Schreibgeräten.

Es fehlt also ein sachlicher Grund.

Die Formulierung ist außerdem so unklar, dass sie nach meiner Laienmeinung schon deshalb ungültig sein dürfte. Die Übergabe (der Waren) muss kontakt- und bargeldlos erfolgen, heißt es. Waren werden aber immer bargeldlos übergeben. Also muss man raten, worauf sich kontaktlos und bargeldlos beziehen soll. Beides auf den Übergabevorgang UND den Bezahlvorgang? Das kann eigentlich nicht sein, denn Kartenzahlung, soweit nicht die kontaktlose Variante gewählt wird, ist eben nicht kontaktlos, aber laut Begründung trotzdem erlaubt. Aus dem Verordnungstext lässt sich das aber nicht erschließen. Übergabe kontaktlos und Bezahlung bargeldlos? Aber warum? Man kann Bargeld ebenso kontaktlos übergeben wie Waren.

Eine Verordnung, die nicht nur willkürlich Handlungen verbietet, sondern einem nicht einmal eindeutig und verständlich sagt, was man tun muss und darf, um keine Sanktionen befürchten zu müssen, kann kaum rechtmäßig sein.Erst am Montag 1. März hat das Thüringer Verfassungsgericht zwei Corona-Verordnungen von Sommer für nichtig erklärt, weil die Bußgeld-Regelungen darin nicht hinreichend genug bestimmt gewesen seien. So müssten Fälle möglicher Ordnungswidrigkeiten „schon aufgrund des Gesetzes vorausgesehen werden können und die Voraussetzungen der Ordnungswidrigkeit sowie Art und Maß der Sanktionen im Gesetz selbst hinreichend deutlich beschrieben werden“, heißt es in dem Urteil. Daran aber habe es gemangelt; die Bürger hätten den Verordnungen die Voraussetzungen für bußgeldbewehrte Tatbestände „nicht hinreichend deutlich entnehmen“ können.

Die Thüringer Rechtsanwältin Ivonne Peupelmann (kontakt@peupelmann-rechtsanwalt.de) plant, für betroffene Einzelhändlerinnen dagegen zu klagen.

Nachtrag (19:45 Uhr): Wie ich soeben erfahren habe, ist bereits ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und ein Normenkontrollantrag gegen die Verordnung von anderer Seite anhängig. Zur einstweiligen Anordnung könnte diese Wochen noch eine Entscheidung ergehen.

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