Wie EZB und EU-Kommission klammheimlich unsere finanzielle Privatsphäre abschaffen wollen

26. 02. 2023 | Damit die Europäische Zentralbank (EZB) für den digitalen Euro jegliche Privatsphäre ausschließen kann, will die Kommission klammheimlich das bisherige Recht auf anonymes Bezahlen von Kleinbeträgen im Internet wegfallen lassen. Das Europaparlament soll das im Frühjahr durchwinken. Zeit, dass die Parlamentarier in Brüssel und in den Hauptstädten endlich aufwachen.

Die EZB entwickelt derzeit einen „digitalen Euro“. Wie der digitale Euro grob gestaltet  werden soll, hat die EZB im Bericht „Report on a digital euro“ im Oktober 2020 skizziert. Danach wird es sich im Kern um bei der EZB geführte Guthabenkonten für alle Bürger handeln, auf die man direkt oder – wahrscheinlicher – indirekt über Geschäftsbanken Zugriff bekommen wird, um mit den Guthaben zu bezahlen oder Geld auf diesen Konten zu empfangen.

Der wesentliche Unterschied zum digitalen Geld in Form von Guthaben auf Konten bei Geschäftsbanken besteht darin, dass die Guthaben einen Anspruch gegen die Notenbank verbriefen, und nicht gegen eine grundsätzlich konkursanfällige Geschäftsbank. Das hat der digitale Euro mit dem Bargeld gemein, das derzeit die einzige Möglichkeit für Normalbürger und Unternehmen (außer Banken) ist, staatlich garantiertes Geld zu halten. Guthaben auf Geschäftsbankenkonten stellen rechtlich nur einen Anspruch auf Auszahlung in Form von Bargeld dar.

Wichtigster Grund für die EZB, die Einführung eines digitalen Euros voranzutreiben, ist die rückläufige Bargeldverwendung. Man will auf die Zeit vorbereitet sein, wenn Bargeld möglicherweise keine nennenswerte Rolle im Zahlungsverkehr mehr spielt. Da Bargeld bisher das einzige gesetzliche Zahlungsmittel ist, würde der De-Fakto-Wegfall dieses Zahlungsmittels dem zweistufigen Geldsystem seinen rechtlichen Anker nehmen und die Aufgabe der EZB stark erschweren, die Giralgeldschöpfung durch die Banken zu steuern. In diesem Sinne heißt es im ersten Fortschrittsbericht zum digitalen Euro von September 2022 (S.3, eigene Übersetzung):

Ein digitaler Euro würde die Rolle des öffentlichen Geldes als Anker des Zahlungssystems im digitalen Zeitalter erhalten. (…) Die Menschen müssen darauf vertrauen können, dass privates Geld jederzeit in Zentralbankgeld umgewandelt werden kann. Durch die Bereitstellung eines monetären Ankers spielt Zentralbankgeld eine Schlüsselrolle bei der Aufrechterhaltung eines gut funktionierenden Zahlungssystems, der finanziellen Stabilität und letztlich des Vertrauens in die Währung. Dies wiederum ist eine Voraussetzung dafür, dass die Transmission der Geldpolitik und damit der Wert des Geldes erhalten bleibt.“

Für die Bürger ist Bargeld vor allem deshalb wichtig, weil es praktisch die einzige verbliebene Möglichkeit ist, beim Zahlungsverkehr seine Privatsphäre zu wahren. Deshalb ist eine wichtige Frage, ob der als Ersatz für das Bargeld konzipierte digitale Euro ebenso wie Bargeld anonymes Bezahlen ermöglichen soll. Für die Bürger ist die Antwort klar.

Eine von der EZB durchgeführte öffentliche Konsultation Ende 2020 ergab, dass das Thema Anonymität für diejenigen, die den digitalen Euro nutzen sollen, von vorrangiger Bedeutung ist, und dass der großen Mehrheit die Bewahrung der Möglichkeit zum anonymen Zahlen sehr wichtig ist. Dieser Präferenz widmen EZB-Vertreter regelmäßig Lippenbekenntnisse, nur um im nächsten Satz verbrämt zu sagen: „Das könnte ihr vergessen!“

Die EZB fabuliert Ergebnisse ihrer Bürgerbefragung zum digitalen Euro herbei
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In ihrem ersten Fortschrittsbericht (Link am 4.10.23 korrigiert) lässt die EZB durchblicken, wie viel, oder besser wie wenig, Privatheit sie sich für den digitalen Euro vorstellen kann (S.7; eigene Übersetzung).

„Vollständige Anonymität wird aus Sicht der öffentlichen Ordnung nicht als praktikable Option angesehen. Sie würde Bedenken aufkommen lassen, dass der digitale Euro möglicherweise für illegale Zwecke (z. B. Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung) verwendet werden könnte. Außerdem wäre es praktisch unmöglich, die Verwendung des digitalen Euro als Anlageform einzuschränken – eine Einschränkung, die aus Sicht der Finanzstabilität unerlässlich ist. In einem Basisszenario, das mit dem derzeitigen Rechtsrahmen vereinbar ist, würde ein digitaler Euro ein Datenschutzniveau bieten, das dem der derzeitigen digitalen Lösungen des Privatsektors entspricht.“

Die mehr als bescheidene Privatsphäre, die „derzeitige digitale Lösungen des Privatsektors“ ermöglichen, besteht darin, dass die Bank über unsere digitalen Zahlvorgänge ein detailliertes Logbuch unseres Lebens anlegt, dieses jahrzehntelang speichert und ständig automatisiert auf verdächtige Muster hin überprüft, welche sie gegebenenfalls an die Behörden melden muss. Der Datenschutz besteht lediglich darin, dass nicht Hinz und Kunz, sondern nur die Bank, Zahlungsverkehrsdienstleister und deren Partner unsere Zahlungsverkehrsdaten zu sehen bekommen, und nur Behörden in das Finanzlogbuch unseres Lebens Einblick nehmen dürfen. Letztere Begrenzung wird immer weiter aufgeweicht.

Wenn die EZB dieses Basisszenario für den digitalen Euro umsetzt, so bedeutet das, dass die Option, durch Bargeld einen Rest finanzieller Privatsphäre zu bewahren, mit dem Bargeld ersatzlos verschwindet.

Augenwischerei um „risikobasierten Ansatz“

Die EZB betreibt beträchtlichen verbalen Aufwand, es so scheinen zu lassen, als gäbe es Aussicht auf einen digitalen Euro, bei dem durch einen „risikobasierten Ansatz“ der Regulierung viel von der Privatsphäre gerettet würde, die das Bargeld derzeit noch ermöglicht.

Das Beratungsunternehmen Paysys Consultancy hat sich in seinem aktuellen Bericht für Kunden (Ausgabe 1, Februar 2023; nur für Abonnenten) unter dem Titel „Digitaler Euro: Das Konzept und die Folgen für Privacy“ ausführlich mit diesen Andeutungen beschäftigt und kommt zu dem Ergebnis, dass es sich um reine Augenwischerei handelt – ohne dies allerdings mit diesem hässlichen Wort auszudrücken.

Die Autoren stellen fest, dass die Argumente der EZB für die Nichtrealisierbarkeit von Anonymität sämtlich nicht stichhaltig sind. Und sie legen den Schluss nahe, dass EZB und EU-Kommission gemeinsam daran arbeiten, an Öffentlichkeit und Parlamenten vorbei jeden Rest von Privatsphäre aus dem Zahlungsverkehr zu tilgen.

Sie stellen zunächst fest, dass es keine technischen Hinderungsgründe für anonym nutzbares digitales Geld gibt. Zum Beispiel über aufladbare Karten, wie  die zeitweise angebotene Geldkarte, oder über vergleichbare Wallet-Lösungen für PC und Smartphone ließe sich das relativ leicht umsetzen. Doch die EZB will das keinesfalls zur Basis ihres digitalen Euro machen, sondern so etwas allenfalls als Nischenlösung für Kleinbeträge im Austausch von Privatpersonen untereinander ermöglichen.

Aber, wie Paysys überzeugend darlegt, ist das nur eine Karotte, die der Öffentlichkeit und den politischen Entscheidungsträgern vorgehalten wird, um ihnen nicht zu deutlich offenbaren zu müssen, dass mit dem Ersatz des Bargelds durch den digitalen Euro die finanzielle Privatsphäre völlig eliminiert werden würde.

Vorgeschobene Hinderungsgründe

Die beiden Hauptgründe dafür, Anonymität auszuschließen, finden sich auf Seite 27 des „Report on a digital euro“ von Oktober 2022:

„Die Rechtsvorschriften lassen keine Anonymität im elektronischen Zahlungsverkehr zu, und der digitale Euro muss grundsätzlich mit diesen Vorschriften in Einklang stehen.
Die Anonymität muss unter Umständen (…) auch ausgeschlossen werden, um den Kreis der Nutzer des digitalen Euro gegebenenfalls einzuschränken – beispielsweise um einige Nutzer außerhalb des Euroraums auszuschließen und übermäßige Kapitalströme zu verhindern oder um eine übermäßige Nutzung des digitalen Euro als Anlageform zu vermeiden.“

Was das erste Argument angeht, so zeigt Paysys, dass es in beiden Teilen nicht stimmt. Derzeit lassen Rechtsvorschriften nämlich durchaus noch Anonymität im digitalen Zahlungsverkehr zu, nämlich durch Nutzung von anonymen Guthabenkarten für die Zahlung von kleineren Beträgen (150 Euro für Präsenzzahlungen bzw. 50 Euro für Fernzahlungen). Und, für die Europäische Zentralbank gelten die Vorschriften ohnehin nicht. Sie kann sich freiwillig daran halten, muss es aber nicht. In ihrem Bericht über den digitalen Euro räumt die EZB das auch ein (S.20):

„Obwohl Zentralbankverbindlichkeiten nicht der Regulierung und Aufsicht unterliegen, sollte das EU-System bei der Ausgabe des digitalen Euro dennoch die Einhaltung regulatorischer Standards im Bereich des Zahlungsverkehrs anstreben.“

Die EZB argumentiert hier also mit (möglichen) künftigen Regeln, denen sie sich freiwillig unterwerfen will, tut aber meist so, als hätte sie gar keine andere Wahl.

Das zweite Argument hebt auf das Risiko ab, dass im Fall einer Finanzkrise mit Vertrauensverlust in die Banken ein Run in den digitalen Euro einsetzen könnte. Statt dass sich vor den Geschäftsbanken Schlangen von Kunden bilden, die ihre Guthaben in Form von Bargeld abheben wollen, würden sie diese einfach online in digitale Euro transferieren, was noch schneller als bei Bargeldabhebungen zum Zusammenbruch der betroffenen Banken führen würde.

Deshalb hat die EZB klar gemacht, dass sie beabsichtigt, eine Obergrenze von zum Beispiel 3.000 Euro pro Person für das Halten von digtialen Euro einzuführen. Daraus macht die EZB ein Argument, jederzeit den Inhaber jedes digitalen Euro-Guthabens kennen zu müssen.

Das ist jedoch, wie Paysys deutlich macht, eine völlig überzogene Forderung. Selbst wenn man akzeptieren wollte, dass die EZB mit einer solchen Obergrenze künstlich die Privilegien der Geschäftsbanken im derzeitigen Geldsystem bewahrt, so würden viel mildere Maßnahmen zur Durchsetzung genügen. Man könnte etwa die Kartenausgabe für anonyme digitale Euro auf eine pro Bank und Kunden begrenzen und mit einer Aufladegrenze von z.B. 150 Euro (oder 500 Euro) versehen. Dann könnte man der Bank im Krisenfall auch nicht mehr Liquidität als diese Obergrenze auf diesem Weg entziehen.

Neue Gründe werden geschaffen

Bisher könnte man sich, wie von Paysys dargelegt, noch darauf berufen, dass man auch mit anonymen Geldkarten Kleinbeträge gänzlich anonym bezahlen kann, und dieses Maß an Anonymität auch für den digitalen Euro einfordern. Aber die Kommission will mit einer neuen Regulierung klammheimlich und begründungslos diese Möglichkeit des anonymen Bezahlens von Kleinbeträgen im Internet beerdigen, so Paysys. Und die EZB verweist vorsorglich für die Ablehnung jeglicher Anonymität des digitalen Euro schon einmal auf diese mögliche, noch nicht verabschiedete künftige Regulierung.

Die Zahlungsverkehrs-Berater sehen deshalb einen engen Zusammenhang zwischen den beiden Vorhaben einer Einführung eines nicht-anonymen digitalen Euro und der Beseitigung der Möglichkeit anonyme Bezahlkarten anzubieten.

Im sogenannten AML-Package (Anti-Geldwäsche-Paket) der Kommission von 2021, das im zweiten Quartal dieses Jahres verabschiedet werden soll, ist die bisherige Ausnahmeregel für anonymes Bezahlen von Kleinbeträgen mittels Karte einfach ohne jede Begründung weggefallen. Das würde neben anonymen Kreditkarten auch Geschenkgutscheinkarten betreffen, sofern sie nicht vom Gutscheinschuldner selbst ausgegeben werden. Sie zählen als e-Geld.

Die etwas komplizierten Details und Hintergründe dieses Vorgangs sind in einem öffentlich verfügbaren Beitrag von Paysys von April 2022 nachzulesen. Im aktuellen Report gibt es (nur für Abonnenten) eine Aktualisierung dieses Berichts.

Paysys äußert einen Verdacht, warum die Kommission den ungewöhnlichen und anrüchigen Weg geht, auf diese wichtige Änderung nicht hinzuweisen und sie nicht zu begründen. Sie wolle so eine öffentliche Diskussion darüber, und um die Anonymität des digitalen Euro, vermeiden – bisher mit einigem Erfolg.

Lediglich in den Niederlanden habe es unter sehr großem öffentlichen Interesse eine Anhörung dazu im Parlament gegeben. Das Parlament hat beschlossen, die Regierung aufzufordern, sich für die Möglichkeit des anonymen Bezahlens einzusetzen. Die Regierung ignoriere diese Aufforderung der Volksvertreter allerdings bisher.

Im zweiten Quartal wird es ernst

Die Kommission will voraussichtlich im 2. Quartal 2023 einen Vorschlag zur Regulierung des digitalen Euro vorlegen. Danach müssen sich das EU-Parlament und die Finanzminister der Euro-Länder mit der Kommission auf einen gemeinsamen Vorschlag einigen. Ebenfalls in diesem Frühjahr wird laut Paysys voraussichtlich das Europäische Parlament seine Position zum „AML Package“ verabschieden. Es ist zu hoffen, dass die Parlamentarier bis dahin aufgewacht sind und sich nicht von der Kommission hinter die Fichte führen lassen, indem sie den nicht begündeten und nicht sinnvoll zu begründenden Wegfall anonymer digitaler Kleinzahlungen ohne Fragen und Protest durchrutschen lassen.

Und wenn das aufgehalten wurde, ist es an der Zeit, der EZB einige sehr nachdrückliche und unangenehme Fragen zu stellen, warum sie den Bürgern die Bewahrung jeglicher finanzieller Privatsphäre unmöglich machen will.

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