SPD verbreitet hartnäckig Falschinformationen zu Pandemievertrag und Internationalen Gesundheitsvorschriften

29. 03. 2024 | Die in der SPD-Bundestagsfraktion für globale Gesundheitsfragen zuständige Abgeordnete Tina Rudolph hat auf Abgeordnetenwatch auf die Frage geantwortet, warum sie von „hochgradig transparenten Verhandlungen“ zum WHO-Pandemieabkommen und zur Reform der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) gesprochen hat, wo es sich doch eher um Geheimverhandlungen handle und der Verhandlungsstand zur IGV-Neufassung nicht veröffentlicht wird.

Wie berichtet hatte SPD-Berichterstatterin Tina Rudolph im Bundestag die Verhandlungen zum Pandemieabkommen und zur IGV-Reform als Sternstunde der Demokratie bezeichnet. Im Folgenden die Antwort von Tina Rudolph vom 28.3. auf eine ungläubige Bürgeranfrage hierzu, mit meiner Kommentierung:

„Sehr geehrter Herr F.,

vielen Dank für Ihre E-Mail zum Thema der internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) und den Verhandlungen zu einem internationalen Pandemieabkommen der WHO. Im Internet kursieren zu den laufenden Verhandlungen bei WHO leider viele Desinformationen, die bewusst zur Verunsicherung der Bevölkerung beitragen sollen.“

Kritik als „bewusste Verunsicherung der Bevölkerung“ zu diskreditieren ist eine schäbige Masche von kritikunfähigen Herrschern.

„Es wird etwa behauptet, dass die WHO mit der Verabschiedung des Abkommens willkürlich Pandemien ausrufen könnte – eine Art Notstandsituation, welche die WHO befähigen würde, über nationale Regierungen hinweg Maßnahmen einzuleiten (sog. „Gesundheitsdiktatur“). Besondere Sorge gilt auch einer vermeintlichen „Einschränkung der Grund- und Menschenrechte“, d.h. dem Einsatz von Maßnahmen wie Maskenpflicht, Quarantäne, Lockdowns und Impfpflichten. Hinzukommt der Vorwurf irregulärer vermeintlicher Geheimverhandlungen und irregulärer geheimer oder zurückgehaltener Dokumente. Zu all diesen Behauptungen hat im September 2023 im Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags eine öffentliche Anhörung stattgefunden, deren Aufzeichnung ich Ihnen sehr ans Herz legen würde. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die meisten der Bedenken hier durch das Entkräften der Falschinformationen ausgeräumt werden konnten:“

Der Generaldirektor der WHO kann in der Tat willkürlich Pandemien ausrufen. „Willkürlich“ verstanden im Sinne von nur gebunden an vage formulierte Kriterien, ohne jede Rechenschaftspflicht und Kontrolle.

Es handelte sich bei der besagten Anhörung des Pandemieausschusses um eine sehr oberflächliche Veranstaltung. Im Kern vertrat dort eine Vertreterin des Bundesgesundheitsministeriums ihre abweichende Meinung zugunsten von Pandemievertrag und IHR. Die Petitentin war nicht gut vorbereitet.

„Der WHO-Pandemievertrag und die Überarbeitung der IGV werden von den 194 Mitgliedsstaaten gemeinsam verhandelt. Es werden hier also keine Entscheidungen ohne die WHO Mitgliedsstaaten getroffen, die dann Bestand hätten und durchgesetzt werden könnten. Dazu hat die WHO weder die Befugnisse, noch die Möglichkeiten (schon gar nicht Sanktionsmöglichkeiten), sondern die WHO wird auch weiterhin im Grunde Normen setzen und Empfehlungen aussprechen, die Nationalstaaten dann umsetzen können – oder eben nicht. Daran wird sich nichts ändern.“

Der deutsche WHO-Berater Hajo Zeeb sagte kürzlich zur Diskussion, ob die Entscheidung des RKI im März 2020, die Risikoeinschätzung hochzustufen und damit Lockdowns zu ermöglichen, auf Druck der Regierung getroffen wurde: „Das sind internationale Abstimmungen, oft auf Weltbevölkerungsniveau wie bei der WHO. Und da kann ein Land wie Deutschland nicht plötzlich sagen: Nein, wir finden das aber alles anders.“

Gegenüber finanziell und politisch schwächeren Staaten hat die WHO im Verein mit der US-Regierung wirksame Druckmittel, um zu bewirken, dass diese den Empfehlungen der WHO Folge leisten. Dazu kann gehören, Hilfskredite von Weltbank oder Internationalem Währungsfonds hieran zu knüpfen. Während der Corona-Pandemie geschah das bereits. Auch über Vereinbarungen im Rahmen der Welthandelsorganisation könnte in Zukunft Druck aufgebaut werden, indem Länder, die sich etwas über Nichtbefolgung von Lockdown-Empfehlungen „unlautere Vorteile“ verschaffen, mit Handelssanktionen belegt werden.

Wenn der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags im Sinne der Rechtsauffassung der Regierungskoalition schreibt, die WHO habe nicht die Kompetenz und die Mittel, um den Einwohnern eines WHO-Mitgliedstaates mit Zwangsmitteln hoheitlich gegenüberzutreten und Grundrechte einzuschränken, und Grundrechtseingriffe wären daher allein die Folge eines souveränen staatlichen Handelns, so geht das am Kern der Sache vorbei. Eine Regierung kann sehr wohl von Kräften außerhalb der WHO genötigt werden, den Empfehlungen der WHO zu folgen.

„Die IGV müssen bspw. auch vor dem Inkrafttreten durch die Weltgesundheitsversammlung [genehmigt werden]. Dafür ist der nächste Termin im Mai 2024 und auch wenn Nationalstaaten zu dem sehr späten Zeitpunkt einzelne Bestandteile der IGV meinen nicht mittragen zu wollen, dann können sie es dort auch immer noch offiziell anbringen. Bitte schauen Sie dazu auch gern in den Artikel 21 und fortfolgende in der WHO-Verfassung (https://apps.who.int/gb/bd/PDF/bd47/EN/constitution-en.pdf?ua=1 ).“

Hinweis: Eckige Klammer zu Vervollständigung eines unvollständigen Satzes von mir ergänzt.

Artikel 21 ist der falsche Artikel. Frau Rudolph meint offenkundig Artikel 22. Die Tatsache, dass die Regierungen einer Anwendung der neuen IGV auf ihr Land widersprechen können, ist kein gültiges Argument dagegen, dass eine Regierung, die den IGV zustimmt, damit Macht an die WHO abgibt.

Die Frist innerhalb derer die Regierungen der Anwendung widersprechen können, wurde jüngst auf 12 Monate verkürzt. Das bedeutet, dass es für eine neu gewählte Bundesregierung nach den Wahlen 2025 schon zu spät wäre zu widersprechen. Der Bundestag muss nicht gefragt werden und zustimmen. Die neuen Regel treten automatisch in Kraft, wenn nicht innerhalb der Frist widersprochen wird. Die USA wollten die Frist sogar auf sechs Monate verkürzen, wohl um einem im Herbst neu gewählten Präsidenten die Möglichkeit des Widerspruch zu nehmen.

„Ein zukünftiger Pandemievertrag – so er denn tatsächlich kommen wird – wird sogar durch den Deutschen Bundestag gehen und ihm dort ausdrücklich zugestimmt werden müssen. Nationalstaaten sind üblicherweise sehr sensibel und sehr sorgsam, wenn es darum gehen könnte, dass nationale Befugnisse, bzw. Souveränität angetastet werden könnten. Sie finden deshalb an sehr vielen Stellen in den Verhandlungsprotokollen immer wieder entsprechende Passagen, die diese Sensibilität und Zurückhaltung zum Ausdruck bringen. Entsprechend finden sich in den Protokollen der Kontrollgruppen und Verhandlungsgruppen auch entsprechende Aussagen, die genau das unterstreicht, dass die Mitgliedsstaaten am Ruder sind und es nicht aus der Hand geben. Wenn Sie zum Beispiel nach den Ergebnissen darauffolgender Sitzungen zu den IGV auf der WHO Website schauen und diese miteinander vergleichen, dann sehen Sie, dass die Kritikpunkte aufgenommen wurden und die Texte entsprechend der Einbringungen der Nationalstaaten angepasst wurden. Es kann als ein sehr guter Ausdruck der demokratischen Kontrolle verstanden werden.“

Wenn Bürger und Publizisten die Sorge äußern, dass nationale Souveränität beschnitten werden könnte, dann ist das „bewusste Verunsicherung der Bevölkerung“, weil in Wahrheit völlig ausgeschlossen sei, dass so etwas passieren könne. Wenn Regierungen oder Kontrollkommission diese Sorge äußern, und sich dagegen wenden, dann ist das ein Beweis für die Umsicht und Sensibilität der Regierenden und ein Beweis dafür, dass die Bürger sich keine Sorgen machen müssen. Rudolph fordert hier nichts anderes ein als blindes Vertrauen und Kadavergehorsam.

Wer gemäß Rudolphs Empfehlung die jüngsten verfügbaren Ergebnisse liest, nämlich diejenigen der 7. Sitzung“, der IGV-Verhandlungskommission, und daraus irgendetwas mit Substanz ableiten kann, muss hellseherische Fähigkeit haben. Rudolph bezieht sich hier sehr wahrscheinlich auf Informationen, die den Mitgliedern des Bundestags-Ausschusses für Globale Gesundheit zur Verfügung stehen, aber nicht der Öffentlichkeit.

„In den entsprechenden Verhandlungsgremien sitzen Fachexperten und Fachexpertinnen auch aus Deutschland und alle relevanten Ministerien in Deutschland sind hierzu im regelmäßigen Austausch. Alle relevanten Verhandlungsstände und Dokumente finden Sie auf der Website der WHO. Dort kann man sich auch Sitzungen anschauen. Es besteht ein hohes Maß an Transparenz. Ich sende Ihnen hier zwei Links, wo Sie alle notwendigen Materialien finden sollten:

https://www.who.int/teams/ihr/ihr-review-committees/review-committee-regarding-amendments-to-the-international-health-regulations-(2005)

https://apps.who.int/gb/wgihr/

Hier finden Sie alle Materialien der Verhandlungssitzung aus Februar 2024: https://apps.who.int/gb/wgihr/e/e_wgihr-7.html

Der erste angeführte Weblink führt zum Bericht eines Review Committee (Kontrollgruppe) von Februar 2023, also 13 Monate alt. Der jüngste veröffentlichte „Verhandlungsstand“, der (auch auf dieser Seite) veröffentlicht ist, ist die Zusammenstellung aller Änderungsvorschläge von Herbst 2022, über die die Kontrollgruppe befunden hat. Auch unter dem zweiten angegebenen Link, zur Netzseite der IGV-Verhandlungskommission, finden sich nur Änderungsvorschläge, keine echten Verhandlungsstände, bis 2022.

Der mutmaßlich jüngste Verhandlungsstand von Februar 2024 wird geheim gehalten, gelangte aber versehentlich kurzzeitig an die Öffentlichkeit. Es ist also eine Falschbehauptung dass „alle relevanten Verhandlungsstände und Dokumente“ auf der WHO-Seite einsehbar sind.

„(…) Insgesamt unterstützt die SPD-Bundestagsfraktion grundsätzlich sowohl die Verhandlungen zu einem globalen Pandemieabkommen als auch die Reform der IGV, um die weltweite Pandemievorsorge zu stärken. Es ist unsere Überzeugung, dass die aktuellen Überlegungen nicht zu Lasten unserer nationalen Souveränität gehen, sondern uns in einer Pandemie erst handlungsfähig machen.

Ich hoffe, Ihnen mit diesem Schreiben etwas mehr Klarheit über den Sachverhalt und die Zielrichtung der Debatte gegeben zu haben.

Mit freundlichen Grüßen
Tina Rudolph“

Fazit

Die Behauptung von Tina Rudolph, dass alle relevanten Verhandlungsstände zur IGV-Reform von der WHO veröffentlicht seien, ist falsch. Sehr viele andere Behauptungen von ihr sind grob irreführend. Offenbar nimmt sich Rudolph ihren gewohnheitsmäßig lügenden Parteifreund Karl Lauterbach zum Vorbild.

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