Erwiderung aus dem Mikrokreditlager auf meine Attacke gegen Yunus

29. 04. 2020 | Man sollte dem Mikrokredit-Guru und „Quacksalber“ Muhammad Yunus den Friedensnobelpreis aberkennen, hatte ich geschrieben. Denn keine seiner unrealistischen Heilsversprechen in Sachen Armutsbeseitigung sind eingetroffen. Ich finde das auch deshalb wichtig, weil heute die gleichen Quacksalberargumente von den Bargeldabschaffern a là Better Than Cash Alliance zur Tarnung ihrer wahren Motive vorgeschoben werden. Ein hochrangiger Mitarbeiter der deutschen Mikrokreditszene hat eine Erwiderung geschrieben.

Kurze Einordnung: Das Versprechen von Muahammad Yunus und der Mikrokreditlobbyisten lautete, die Armut dadurch zu beseitigen, dass man Menschen die sich selbständig machen wollen, oder die schon ein kleines Geschäft haben, auf nachhaltige Weise kleine Kredite gibt. Nachhaltig bedeutet in diesem Zusammenhang nicht-subventioniert. Um 2008 wurde die Benennung auf Mikrofinanz verbreitert, noch etwas später auf Finanzielle Inklusion. Das ist ein Begriff, der gern auch als Tarnbegriff für Bargeldbeseitigung verwendet wird (was aber im folgenden Austausch von Argumenten keine Rolle spielt).

Die Heiligsprechung des Quacksalbers Muhammad Yunus

Helmut Pojunke arbeitet für den Oikocredit Westdeutschen Förderkreis. Er legt Wert auf die Feststellung, dass er seine private Meinung schreibt und nicht eine offizielle Stellungnahme von Oikokredit. Oikocredit ist eine internationale Genossenschaft, die auf dem Gebiet der Entwicklungsfinanzierung tätig ist. Sie beschreibt ihre Tätigkeit so: „Inklusives Finanzwesen ist der größte Investitionsschwerpunkt von Oikocredit. (…) Diese Finanzierungen bieten Menschen, die bei einer herkömmlichen Bank keinen Kredit bekommen, Zugang zu Finanzdienstleistungen, schaffen Arbeitsplätze und kurbeln die lokale Wirtschaft nachhaltig an“

Kommentar

Helmut Pojunke erwidert auf meine Kritik am Mikrofinanzwesen (Nummerierung von mir):

1. In grosso modo: Einigen Aussagen von Herrn Häring kann ich durchaus zustimmen, insbesondere wenn er die überzogenen Erwartungen an Mikrokredite, die auch Herr Yunus befördert hat, anprangert, wenn er die begrenzte Wirkung von Mikrokrediten bemängelt, oder wenn er hervorhebt, dass ein rein individualistischer Ansatz (der die Bedeutung der Politik von (Sozial-)Staaten ignoriert) absolut nicht ausreicht um dauerhaft und wirkungsvoll Armut zu bekämpfen.

Aber – und das ist in meinen Augen ein großes Aber: der Artikel ist im Ganzen zwar schwung- und geistvoll geschrieben, leider aber in vielen Aspekten wenig fundiert bzw. schlicht falsch:

2.  „Denn Zinsen im hohen zweistelligen Bereich, oft bis 100 Prozent und mehr, sind keine Randerscheinung des Mikrokreditwesens, sie sind typisch dafür“:

Die Zahlen, die uns dazu vorliegen (z.B. in einer Studie von Richard Rosenberg von 2013) gehen von weltweit durchschnittlichen Zinsen in Höhe von ca. 30 % aus. Wir bei Oikocredit verwenden landesspezifische Zinsobergrenzen, die Mikrofinanzorganisationen berechnen dürfen, wenn wir diese refinanzieren (bei höheren Zinsen finanzieren wir nicht).

3. „Aber in der Masse ist das Kleinstunternehmertum, das mit diesen Mikrokrediten befördert wird, nicht ansatzweise in der Lage, die hohen zweistellige Renditen abzuwerfen, die nötig wären, um hohe zweistellige Zinsen zu zahlen.“

Ester Duflo/Abhit Banerjee, die nicht zu den Mikrofinanz-Fans gehören, haben in ihrem lesenswerten Buch „Poor Economics“ ein typisches Beispiel genannt: Die Markthändlerin, die am Morgen beim Lieferanten für 100 Pesos Ware kauft, diese am Tag verkauft, und dem Händler am Abend 104 Peso zurückzahlt (ein absolut typisches Beispiel von informeller Ökonomie in vielen Ländern) zahlt dem Lieferanten einen Zins von 4 % am Tag, das sind im Jahr 1.460% Zinsen. Im Vergleich dazu sind die Zinsen bei Mikrokrediten überschaubar.

4. „Das ging eine Weile gut. Die Mikrokreditgeber vergaben einfach noch mehr Kredite, mit denen die Armen die ersten Kredite bedienen konnten. Aber irgendwann um 2010, nachdem die Manager und Geldgeber der großen Mikrokredit-Unternehmen sich lange gesund gestoßen hatten, brach das Kartenhaus in vielen Ländern zusammen“.

Ja, es gab in verschiedenen Ländern regional begrenzte Krisen, dass das Kartenhaus zusammengebrochen sei, ist schlichtweg falsch. Vielmehr sehen wir in der Branche eine weiter wachsende Nachfrage von den Kreditnehmern, die man im Hinblick auf die Zahlen durchaus als „Abstimmung mit den Füßen“ begreifen kann: Kreditnehmer*innen 1997/2010/2018: 7,6 Mio; 137,5 Mio; ca. 300 Mio (Zahlen von der Mikrocredit Summit Campaign)

5. Wie gesagt: ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass in der Branche alles in Ordnung ist, es gibt schwarze Schafe, die Ihre Kunden mit intransparenten Verträgen über den Tisch ziehen; es gibt das Problem der Überschuldung, insbesondere, wenn Kredite zu Konsumzwecken aufgenommen werden und Schutzmechanismen (Prüfung der Schuldentragfähigkeit) nicht angewandt werden (im übrigen ist das bei uns in Europa nicht so viel anders…). Hier sehen wir eine Aufgabe von Oikocredit als internationaler Geldgeber: Partner im Globalen Süden darin zu unterstützen, die soziale Dimension ihrer Arbeit zu stärken und Kundenschutz-Prinzipien wie die SMART-Campaign zu fördern und zu verbreiten.

Wir tun dies in der Überzeugung, dass unser Beitrag als private Genossenschaft an dieser Stelle tatsächlich Nutzen stiften kann. Die Forderung, die Mikrofinanzkritiker oft erheben (besser wäre es, die Entwicklung eines Sozialstaats zu fördern, Arbeitsplätze in größeren Industrien zu schaffen, ein stabiles Rechtssystem zu errichten), ist zwar nicht falsch, hilft den Menschen vor Ort aber nicht in ihrer täglichen Frage, wovon sie am nächsten Tag leben sollen und verwehrt Menschen im Globalen Süden, eigenständig Entscheidungen zu treffen, die wir hier im Globalen Norden selbstverständlich treffen können.

Diese Argumente und noch einige mehr haben wir zuletzt im Magazin IV-2018 (Mikrofinanz neue denken) zusammengefasst, sie finden dies auf unserer Website hier: https://www.westdeutsch.oikocredit.de/aktuelles/magazin

Meine Replik

  1. Herr Pojunke gibt mir in einem einzigen Satz in meinen wichtigsten Kritikpunkten Recht, nur um dann sehr ausführlich mit Mäkeleien an Detailfragen den Eindruck zu erwecken, ich wüsste nicht, wovon ich schreibe und sei unseriös. Das ist nicht schön.
  2. Her Pojunke widerspricht meiner Feststellung nicht wirklich, dass die Zinsen im hohen zweistelligen Bereich liegen und oft bis 100 Prozent reichen. 30 Prozent ist im hohen zweistelligen Bereich und Literaturstellen wie zum Beispiel M. Bateman, S. Blankenburg und R. Kozul-Wright (eds), 2019. „The Rise and Fall of Global Microcredit. Development, Debt and Disillusion“  enthalten Zinsübersichten, die einen üblichen Wert deutlich über 30 Prozent nahelegen, zumal gerade sehr große kommerzielle Mikrokreditgeber durch sehr hohe Zinsen auffallen. Eine einzige Studie aus dem Jahr 2013 für die Jahre 2004-2011 zu zitieren reicht da nicht wirklich, um mich im Jahr 2020 der Unseriosität zu überführen, zumal die von Herrn Pojunke angeführte Studio von CGAP verlegt und wohl beauftragt wurde, einer Gruppe, die für Mikrofinanz (und Bargeldbeseitigung) Lobbyarbeit macht. Und dummerweise ist die Studie auch noch verfügbar, sodass man gleich auf den ersten Seiten nachlesen kann, dass dort nicht die effektiven Jahreszinsen ermittelt wurden, sondern die deutlich niedrigeren Zinseinnahmen auf das Gesamtportfolio eines Mikrokreditgebers. Diese beziehen, wie man nachlesen kann, Tricks nicht mit ein, mit denen die Zinsbelastung nach oben getrieben wird und können in erheblichem Maße Kredite beinhalten, die eher kleinere Unternehmenskredite sind, als Mikrokredite und entsprechend niedrigere Zinsen haben. Man findet dort auch Sätze wie: „Kreditgeber, die das untere Ende, also eine ärmere Klientel bedienen, sind im Durchschnitt erheblich profitabler als andere.“ Armut bekämpfen ist ein sehr gutes Geschäft. Und man findet auf Seite 5 eine Grafik, die sehr deutlich zeigt, dass die Zinsen (sogar die dort verwendeten niedrigeren) bis 100 Prozent reichen. Beispielhaft ein paar von den landestypischen Zinsobergrenzen von Oikocredit zu erfahren, die Herr Pojunke erwähnt, hätte mich schon interessiert. Hier würde ich engagierten Geldgebern raten, nachzuhaken.
  3. Der Vergleich hinkt extrem. Herr Pojunke berichtet von einer Marktfrau, die ihre Waren von einem Zwischenhändler bezieht. Das wird auch noch so sein, wenn sie einen Mikrokredit bekommt. Deswegen wird sie den Zwischenhändler und seinen Gewinn nicht ausschalten können. Duflo und Banerjee gehören außerdem zu den von der Mikrokreditbranche und ihrer Lobby meistzitierten „Wissenschaftlern“. Dem tut keinen Abbruch, dass sie nach langen Jahren der Bodenbereitung zuletzt auch ein paar kritische Töne zu den unrealistischen Versprechen des Mikrofinanzwesens geäußert haben.
  4. „Regional begrenzte Krisen“ halte ich für einen Euphemismus für das, was passiert ist. Immerhin wurde der Name Mikrokredit und bald auch Mikrofinanz wegen dieser „regional begrenzten Krisen“ als toxisch fallengelassen. Wovon soll es uns überzeugen, dass es weiter Nachfrage nach Mikrokrediten gibt, und die Branche also noch gut im Geschäft mit den Armen ist und ihre „überdurchschnittlichen Profitraten“ damit macht? Das heißt vor allem, dass die Armen keine gute Alternative haben. Es heißt nicht, dass es nicht besser wäre, eine gute Alternative zu schaffen, mit Zinsen sehr deutlich unter 30, 40 und 50 Prozent.
  5. Die SMART-Kampagne, die Oikocredit fördert, ist eine maßgeblich von großen Spielern zum Aufpolieren des ruinierten Rufs ins Leben gerufene Weißwaschkampagne. Das trifft etwa auf ACCION zu, die beim Börsengang von Compartamos, dem als gemeinnütziges Unternehmen gestarteten, übelsten Mikrokredithai in Mexiko, sehr viel Geld verdient hat, das unter anderem für hohe Gehälter verwendet wird (siehe „Mehr zum Thema“).

Mehr zum Thema:

Die soziale Maske der Mikrokredit-Mafia rutscht  und FINCA-Replik mit Anmerkungen von mir (zu ACCION und Compartamos)

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