Neue Runde im Krieg gegen das Bargeld (4): EU-Kommission will letzte Reste von Privatsphäre im Internet ausmerzen

23. 11. 2016 | Wer daran zweifelt, dass Beseitigung jeglicher Privatsphäre in Gelddingen Ziel der Anti-Bargeld-Aktivisten ist, und nicht bloß Nebeneffekt, der sollte sich mit den Vorschläge der EU-Kommission für die Überarbeitung der 4. EU-Geldwäscherichtlinie befassen. „Nackt im Netz“ soll zur unentrinnbaren Norm werden.

Mit ihrem am 5. Juli 2016 vorgelegten Vorschlag will die Kommission die Möglichkeit beseitigen, Kleinbeträge im Internet unter Wahrung der Privatsphäre zu begleichen, indem man sogenannte Prepaid-Karten benutzt. Das sind Einweg- oder aufladbare Kreditkarten, die man an Kiosken oder Tankstellen kaufen kann.

So wichtig ist das der Kommission, dass sie dieses Verbot vorschlägt, bevor die erst vor einem Jahr verschärften Regeln der vierten Geldwäscherichtlinie zu Prepaid-Karten in nationales Recht übernommen worden sind. Das muss erst bis Mitte 2017 geschehen.

Es ist zwar in diesem Fall nicht das Bargeld, dem der Garaus gemacht werden soll. Aber die Verbindung ist eng. Mit den eine gewisse Anonymität gewährenden Prepaid-Karten meint man unauffällig und ohne Proteststürme schon einmal das machen zu können, was beim Bargeld noch nicht geht – abschaffen. Der Europäische Gesetzgeber betrachtet Prepaid-Karten ausdrücklich „als Ersatz für Banknoten“ und unterwirft sie deshalb den Verpflichtungen zur Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung. Das bringt für die ausgebenden Stellen und teilweise die Zahlungsempfänger insbesondere Identifikationspflichten bezüglich der Nutzer mit sich. Allerdings können die Mitgliedstaaten nach bisherigem Rechtsstand Prepaid-Karten von der Pflicht zur Feststellung und Überprüfung der Identität des Kunden freistellen (Art. 12 Abs. 1 GW-RL). Bedingung ist, dass erwiesenermaßen ein geringes Risiko besteht, und strikte risikomindernde Maßnahmen ergriffen werden

Das galt bisher als gegeben, wenn die Prepaid-Karten ausschließlich für den Erwerb von Waren oder Dienstleistungen genutzt werden und der elektronisch gespeicherte Betrag so gering ist, dass eine Umgehung der Vorschriften über die Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung ausgeschlossen werden kann. Mit der vierten Richtlinie hat die Kommission die ohnehin niedrige Höchstgrenze für anonyme Prepaid-Produkte weiter gesenkt. Bevor diese Senkung greift, will sie diese nun für Zahlungen im Internet ganz sperren und keine Ausnahmen mehr zulassen.

Peter Schaar, ehemaliger Bundesdatenschutzbeauftragter und Vorsitzender der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz (EAID), hat in einem Gutachten festgestellt, dass die von der Kommission geplante generelle Identifizierungspflicht dazu führen würde, dass anonymes Einkaufen und Bezahlen im Internet selbst bei Bagatellbeträgen praktisch unmöglich ist. Das nimmt den Nutzern die Möglichkeit, das Risiko eines Missbrauchs ihrer Finanzdaten beispielsweise durch IT-Spionage unter Ausnutzung unzureichend gesicherter IT-Systeme der Verkäufer zu reduzieren. Vielleicht noch wichtiger: anonymer Medienkonsum per Online-Medien würde dadurch unmöglich gemacht oder stark erschwert. Gerade erst haben NDR-Recherchen gezeigt, dass mit sensiblen Internet-Transaktionsdaten massenhaft Handel und Schindluder getrieben wird, und dass sich diese Daten leicht konkreten Personen zuordnen lassen. Daraus zieht die Brüsseler Behörde nicht etwa die Konsequenz endlich ihrer Pflicht nachzukommen und etwas zum Schutz der Bürger vor diesem Missbrauch zu tun, sondern im Gegenteil will sie versuchen, es den Bürgern unmöglich zu machen, sich dem Missbrauch zumindest bei Alltagsgeschäften zu entziehen.

Es scheint mir als Rechtslaien ziemlich offensichtlich, dass diese weitgehende Abschaffung von Privatsphäre im Netz durch die übergriffige Brüsseler Behörde „erheblichen datenschutzrechtlichen Bedenken“ begegnet,  wie Peter Schaar das höflich ausdrückt. Die anlasslose, verdachtsunabhängige massenhafte Überwachung und Datenspeicherung widerspricht dem in Art. 8 EU-Grundrechtecharta verbürgten Grundrecht auf Datenschutz. Sie verletzt die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung (EuGH, 08.04.2014 – C-293/12 und C-594/12) und dürfte kaum mit der eben erst beschlossenen Datenschutzgrundverordnung (2016/697 – DS-GVO) vereinbar sein. Ebenso offensichtlich widerspricht sie den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, da es keine Möglichkeit für den deutschen Gesetzgeber mehr gebe, die europarechtlichen Vorgaben verfassungskonform umzusetzen.

Wenn ihnen schon gleichgültig ist, was die Bürger wollen, so sollten sich die Brüsseler Technokraten doch langsam wieder ein klein bisschen an das geltende Recht erinnern.

Rückblick:

Folge 1: Neue Runde im Krieg gegen das Bargeld: Ab jetzt macht die Bundesbank mit

Folge 2: Neue Runde im Krieg gegen das Bargeld (2): Bargeldabhebung wird teuer, Medien werben um Verständnis und Indien erklärt Bargeld für ungültig

Folge 3: Neue Runde im Krieg gegen das Bargeld (3): Australien folgt Indien, zum Wohl der Banken

Weitblick:

Dossier zu Bargeldabschaffung und Widerstand

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