Der Staat macht sich beim Lieferkettengesetz einen schlanken Fuß

3. 03. 2023 | Mit dem Lieferkettengesetz hat sich die Regierungskoalition ein sehr ambitioniertes Programm zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt auf der Welt ausgedacht. Erheblich belastet werden dadurch nicht nur Großkonzerne, die Produktion ins Ausland verlagern, sondern auch mittelständische Unternehmen, die Vorleistungen importieren, und der gemeinnützige Sektor, aber nicht die öffentliche Verwaltung. Weltverbesserung nur zu Lasten Dritter.

Weder deutsche Unternehmen noch deutsche Konsumentinnen und Konsumenten sollen davon profitieren, dass andernorts Menschenrechte mit Füßen getreten werden oder die Umwelt verpestet wird.

So will es der deutsche Gesetzgeber. Seit Beginn des Jahres müssen Unternehmen mit mindestens 3.000 Arbeitnehmern, ab 2024 ab 1.000 Arbeitnehmern, ihre unmittelbaren Zulieferer auf umfangreiche Standards verpflichten und Kontrollmechanismen vereinbaren.

Während der britische Modern Slavery Act (2015) und das niederländische Gesetz gegen Kinderarbeit (2019) sich auf extreme Formen der Menschenrechtsverletzung fokussieren, ist das deutsche Lieferkettengesetz breit angelegt. Verstöße gegen die örtlichen Bestimmungen zu Arbeitsschutz und Arbeitszeit („Arbeitspausen“), ungleiche Bezahlung oder die Ungleichbehandlung aufgrund Alters oder Gewerkschaftszugehörigkeit werden ebenso erfasst wie die „nicht umweltgerechte Entsorgung von Abfällen“. Eingrenzungen auf besonders schwere Fälle der jeweiligen Rechtsverletzung finden sich nur punktuell in dem langen Katalog.

Die EU-Kommission strebt nun eine Richtlinie an, die weite Teile des deutschen Gesetzes aufnimmt, aber die Anwendungsschwelle branchen- und umsatzabhängig auf 500 bzw. 250 Arbeitnehmer absenkt. Das hat nicht mehr viel mit hochprofitablen multinationalen Konzernen zu tun, die man sich vorstellt, wenn man an globalisierte Produktion denkt. Und auch nicht mehr viel, wenn man die Verpflichtung von Produktionauslagerern begrüßt, auch am neuen Produktionsort umfassend für die Einhaltung der Menschenrechte und den Schutz der Natur zu sorgen.

Mit dem Gedanken an ein mittelständisches Unternehmen einer gefährdeten Branche sieht es vielleicht schon etwas anders aus. Abzusehen ist auch, dass das zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle kaum in der Lage sein wird, die Einhaltung des Gesetzes wirksam zu kontrollieren. Gesetzestreue wird damit zum Wettbewerbsnachteil für Unternehmen. Da die Einhaltung solcher Verpflichtungen für große Unternehmen, die in Milliardenvolumen Vorleistungen importieren, viel weniger ins Gewicht fällt, als für kleinere. Weil es bei kleinen Firmen um viel bescheidenere Beträge und viel weniger enge Lieferbeziehungen geht, wird daraus leicht ein regulatorischer Wettbewerbsvorteil für die Großen.

Nimmt man dazu noch in den Blick, dass Gesetz und Richtlinie auch für den gemeinnützigen Sektor gelten (werden), kommen noch größere Zweifel, ob hier der Aufwand für die Belasteten und der mögliche Ertrag in Form besserer Arbeitnehmerrechte und besseren Umweltschutzes in einem vernünftigen Verhältnis stehen. So heißt es in den „Fragen und Antworten“ auf der Netzseite des Bundesamts:

„Gemeinnützige Unternehmensformen des Privatrechts fallen ohne Einschränkung in den Anwendungsbereich des Gesetzes.“

Auch der Geschäftsführer einer Stiftung mit Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und Altenpflegezentren steht vor der Herausforderung, das Gesetz operativ umzusetzen. Das stößt schnell an praktische Grenzen.

Was einen sehr großen Sektor angeht, hatten die Parlamentarier der Regierungskoalition jedoch ein Einsehen in die Grenzen der Belastbarkeit. Da müssen die hehren Ziele der Weltverbesserung zurückstehen. Die Rede ist von der öffentlichen Verwaltung.

Bund, Länder, Gemeinden und andere öffentliche Arbeitgeber fallen nur mit einem kleinen Teil ihrer Tätigkeit unter das Lieferkettengesetz, nämlich nur, wenn und soweit sie Betriebe gewerblicher Art unterhalten, wie die Müllabfuhr oder ein Krankenhaus. Das Beschaffungswesen für das Gros der Staatstätigkeit wird nicht erfasst denn es gilt laut Bundesamt:

Juristische Personen des öffentlichen Rechts, d.h. Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts, fallen nur unter das Gesetz, soweit sie unternehmerisch am Markt tätig sind. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des LkSG auf juristische Personen des öffentlichen Rechts ist dabei, dass der unternehmerisch tätige Teil der juristischen Person die Voraussetzungen des § 1 LkSG (eigenständig) erfüllt. (…) Eine unternehmerische Tätigkeit am Markt liegt vor, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts Dritten gegenüber eine Dienstleistung oder ein Produkt anbietet und dabei das Anbieten der Dienstleistung oder des Produktes in Konkurrenz zu anderen Marktteilnehmenden (anderen Unternehmen und/oder anderen JPöR) geschieht. Der Einkauf von Leistungen ist nur insoweit Bestandteil der unternehmerischen Tätigkeit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts i. S. d. LkSG, als er zum Zwecke der o.g. Marktbetätigung erfolgt.

Die Bürgermeisterin, die ein neues Rathaus errichtet, mag erleichtert sein, dass sie nicht darauf achten muss, nur Materialien zu verwenden, die ohne „schädliche Bodenveränderung, Luftverunreinigung oder schädliche Lärmemission“ in fremden Ländern produziert wurden. Doch diese Nachsicht des Staates sich selbst gegenüber, während er gleichzeitig andere in kaum zu bewältigender Weise belastet, ist nicht in Ordnung. Sich allein aufgrund Anderen auferlegter Leistungen im Glanz der Weltverbesserung zu sonnen, während man sich selbst einen schlanken Fuß macht, ist unanständig.

Wenn die Verpflichtungen aus dem Lieferkettengesetz zu umfassend sind, als dass die öffentliche Verwaltung sie mit vertretbarem Aufwand erfüllen könnte, wofür einiges spricht, dann ist die Lösung nicht, die öffentliche Verwaltung auszunehmen, sondern die Verpflichtungen so zu gestalten, und auf das Wesentliche zu reduzieren, dass alle Verpflichteten sie mit vertretbarem Aufwand erfüllen können.

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