Digitalisierung als Geschenk an die Gesundheitsbranche: Endlich sagt die Regierung es offen

1. 12. 2023 | Die Bürger haben kein Interesse an elektronischen Patientenakten und auch die Ärzte müssen zur Digitalisierung im Gesundheitswesen genötigt werden. Wem dient sie also? Aktuelles Zitat von Karl Lauterbach zur Vorstellung der Pharmastrategie der Bundesregierung: „Die Pharmaindustrie braucht Daten“. Der Tagesspiegel titelt dazu: „Lauterbach-Pläne könnten Wirtschaft Milliardeneinnahmen bescheren.“

Karl Lauterbach verbreitete per X (Twitter) einen Presseartikel über ein bevorstehendes vertrauliches Gespräch von Pharmagrößen mit Kanzler, Gesundheits- und Wirtschaftsminister am 30.11. weiter. Darin wird berichtet, dass die Regierung eine Pharmastrategie verkünden wolle, um den Standort Deutschland für die Pharmakonzerne noch attraktiver zu machen, ihnen also noch höhere Gewinne zu ermöglichen. Lauterbachs erste Worte dazu: „Die Pharmaindustrie braucht Daten.“

Dieser erste Satz dürfte seine Prioritäten und die der Gesundheitskonzerne treffend beschreiben. Am deutlichsten drückt das der Tagesspiegel mit seiner Überschrift aus: „Lauterbach-Pläne könnten Wirtschaft Milliardeneinnahmen bescheren“

Im Kern wolle die Regierung den Zugang zu Gesundheitsdaten erleichtern, bürokratische Hürden abbauen und für bessere Forschungsbedingungen sorgen, berichtet das Handelsblatt. Grundlage ist eine Studie im Auftrag des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), die am 28.11. vorgestellt wurde. Danach würde es für die Gesundheitsbranche einen gewaltigen (Gewinn-)Schub auslösen, wenn Deutschland bei der Digitalisierung schneller Fortschritte erzielen würde. Das brächte acht Milliarden Euro zusätzliche Bruttowertschöpfung (Löhne und Gewinne) pro Jahr. Dafür müssten allerdings die Datennutzungsmöglichkeiten deutlich über das hinaus verbessert werden, was bisher geplant sei. Mit anderen Worten: Wer sich auf Versicherungen der Politik hinsichtlich Datenschutz und Selbstbestimmungsrecht über eigene Daten verlässt, der ist ganz schön naiv.

Zur Gesundheitswirtschaft werden Pharmabranche, Medizintechnik, Biotech und Digital Health gezählt. Digital Health ist das Feld, auf dem sich Digitalkonzerne wie Google, Apple und Meta mit hohem Einsatz engagieren.

Nach kurzem Nachdenken sollte eigentlich jedem klar sein, dass die schönen Sprüche zur Standortqualität Deutschlands, die man durch das erzwungene Hochladen all unserer Gesundheits- und Krankheitsdaten in die Cloud – also auf Server der US-IT-Konzerne – angeblich verbessern und konkurrenzfähig halten wolle, nur Augenwischerei ist. Man muss ja nicht in Deutschland (oder Europa) ansässig sein, um diese Daten zu bekommen. Man braucht dafür vor allem Datenexpertise und Geld, mit dem man Wissenschaftler an Hochschulen zur Forschungskooperation bewegen kann, denn diese bekommen die Krankheitsdaten am leichtesten.

Wer hat denn das meiste Geld und die größte Datenexpertise? Die Konzerne aus dem Silicon Valley. Sie haben große Ambitionen, den Gesundheitsmarkt aufzumischen. Wie in anderen Bereichen, die sie bereits monopolisiert haben, wollen sich Apple und Co. als Türsteher etablieren, die auf jedem Glied der Wertschöpfungskette die Hand aufhalten. Sie werden in erster Linie profitieren. Die Pharmakonzerne erst in zweiter Linie – und nicht unbedingt die hier forschenden und produzierenden.

Noch hat die Regierung das Ergebnis der vertraulichen Kungelrunde mit den Konzernchefs und ihre Pharmastrategie nicht bekannt gegeben. Aber so viel ist schon klar, Wir werden von dieser Regierung zum Narren gehalten und zu auszubeutenden Daten-Ressourcen degradiert.

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