Bekenntnisse des Hofnarren Norbert Häring

Gerstern, am 24. Februar, durfte ich auf der recht gut besuchten Jahrestagung der Keynes-Gesellschaft  in Graz (in Österreich scheint es mehr Rest-Keynesianer zu geben wie im viel größteren Deutschland) den Preis ebendieser Keynes-Gesellschschaft für Wirtschaftspublizistik 2014 entgegennehmen. Meine kurze Dankesrede hieß: „Bekenntnisse des Hofnarren Norbert Häring“.

Lieber Her Hagemann, liebe Mitglieder der Keynes Gesellschaft,

bei so manchem Journalistenpreis würde ich mir zwei Mal überlegen, ob ich ihn annehme – wenn denn der unwahrscheinliche Fall einträte, dass man ihn mir antrüge. Ihr Preis jedoch freut und ehrt mich sehr. Denn sie sind eine Gruppe von Anhängern einer an den Rand gedrängten wissenschaftlichen Schule. Sie wählen jedes Jahr einen der wenigen verbliebenen Wirtschaftspublizisten mit unorthodoxen Ansichten, um der Öffentlichkeit zu zeigen, dass es so etwas wie die Keynes-Gesellschaft und derartige Publizisten noch gibt. Mitzuhelfen beim Retten bedrohter Arten, ist ein ehrenvolle Aufgabe. Vielen, herzlichen Dank daher, für die ehrenvolle Wahl. Ich werde versuchen, Ihr Vertrauen zu rechtfertigen. Das Preisgeld gebe ich den Organisatoren einer Konferenz, die im November in Berlin stattfinden soll. Es geht um die überfällige Reform der Lehrinhalte in der Ökonomik.

Nächsten Monat darf ich bei einem Seminar vortragen, das Keynes-Biograph Robert Skidelsky im House of Lords organisiert hat. Das Thema des Seminars ist „Ökonomie und Macht„. Das  hat mich inspiriert, hier etwas verwandtes zu reden, über die wichtige Rolle des Hofnarren. Darüber, warum es eine gute Idee war, für den damaligen Handelsblatt-Chefredakteur und heutigen Herausgeber, Gabor Steingart, ausgerechnet einem Quertreiber wie mir eine tägliche Kolumne anzutragen – ausgerechnet in einer wirtschaftsliberalen Zeitung wie dem Handelsblatt / und sie mich über zwei Jahre lang bestücken zu lassen. Das hat viel mit Marie Antoinette zu tun.

Königin Marie Antoinette wird nachgesagt, – wohl zu Unrecht –sie habe den zynischen Spruch losgelassen, das Volk solle doch Kuchen essen, wenn es kein Brot habe. Tun wir mal so, als ob das stimmte. Auf jeden Fall war man bei Hofe in Frankreich abgehoben genug von dem, was das gemeine Volk bewegte, dass die Anekdote eine gewisse Plausibilität bekam. Weshalb ich das erwähne? Marie Antoinette und ihr Ehemann Louis XVI fielen der französischen Revolution zum Opfer. Sie wurden geköpft. Ähnlich ging es einem großen Teil ihres Hofstaats und der französischen Nobilität.

Für Potentaten aller Art, nicht nur für absolute Monarchen, ist es sehr schwer, den Kontakt zur Realität zu behalten. Sie sind von Günstlingen umgeben, die ihnen nach dem Munde reden und Unangenehmes von ihnen fern halten. Deshalb hält sich ein kluger  und aufgeklärter Herrscher einen Hofnarren, der ihm ungeschminkt und ungestraft die Wahrheit über das sagen darf und soll, was bei Hof und vor allem  was außerhalb des Hofes vorgeht.

Was passieren kann, wenn man keinen guten Hofnarren hat, will ich ihnen noch an einem weniger extremen Beispiel zeigen, dem deutschen Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, vulgo: den fünf Weisen. Diese fünf Professoren dürfen die Regierung mit ökonomischem Sachverstand beglücken – in Form eines dicken Jahresgutachtens. Einer wird traditionell auf Vorschlag der Gewerkschaften berufen. Ihm ist die Rolle des Hofnarren zugedacht, denn die anderen vier sind den Arbeitgeberinteressen verbunden – einfach schon, weil es in Deutschland kaum ein Wirtschaftswissenschaftler zu einer Universitätsprofesssur, geschweige denn zu Renomee bringt, der nicht dem neoklassisch-neokeynesianischen Mainstream die Treue geschworen hat – und neoklassisch-neokeynesianisch heißt nichts anderes als arbeitgeberfreundlich.

Nun herrscht aber im Sachverständigenrat kein Klima, das dem Hofnarrentum zuträglich ist. Wenn man seine Botschaft nicht hören, will, kann der Beste Hofnarr nichts ausrichten. Der abweichende Wirtschaftsweise verlor denn auch bald Lust daran, an allem herumzukritteln und sich so bei seinen Kollegen unmöglich zu machen. Wo es ihm wichtig genug ist, schreibt er eine abweichende Meinung, den Rest trägt er desinteressiert mit. Und die Medien, die seit langem geübt darin sind, arbeitnehmerfeindliche Sprüche  für den Ausweis von ökonomischem Sachverstand zu halten, geben die Pressemitteilung des Rates wieder, berichten, dass die Regierung einen verdienten Tadel bekommen hat, und fragen nicht weiter nach.

Wie damals bei Hofe lässt es natürlich die Sitten verlottern, wenn man tun kann, was man will und einen niemand dafür kritisiert. Aber, wenn man es zu toll treibt, werden, wie damals in Frankreich gegenüber dem Adel, Forderungen laut nach ABSCHAFFEN.

Genau das ist dem Rat mit seinem letzten Gutachten passiert. Als ich den Begriff „die Wirtschaftsweisen“ bei der Suchmaschine DuckDuckGo eingab, bekam am 31.12.2014 unter den 10  ersten Fundstellen unter anderem folgende Überschriften:

Die Anstalt enttarnt die sogenannten „Wirtschaftsweisen …auf Platz 2

Kommentar: Schafft die Wirtschaftsweisen endlich ab …

Wer ist besser: die Wirtschaftsweisen oder der Laie mit dem Taschenrechner…?

Wie die Wirtschaftsweisen tricksen und täuschen: Teil 7 …

Linke fordert Abschaffung der Wirtschaftsweisen

Und das, obwohl wichtige, staatstragende Medien wie die FAZ und die Welt die Kritik nahezu totschwiegen und den Chef der Weisen zu willfährigen Rechtfertigungsinterviews einluden.

Ich habe die Suche am 1. Februar nochmal mit Google wiederholt, um zu sehen, ob der Effekt bis dahin vielleicht verflogen war. Aber die Eingabe von „Die Wirtschaftsweisen“ ergab unter den zehn ersten Fundstellen unter anderem:

Die Wirtschaftsweisen liegen praktisch immer falsch (auf Platz 2).

Schafft die Wirtschaftsweisen endlich ab –

Wie die Wirtschaftsweisen tricksen und täuschen: Teil 3

Wie die Wirtschaftsweisen tricksen und täuschen (Teile 5-7)

Um soleche Katastrophen zu vermeiden, braucht man Hofnarren. Sie müssen laut warnen, wenn die Räte den Kontakt mit der gesellschaftlichen Realität verlieren und allen Ernstes planen, mitten in einer tiefen Finanz- und Wirtschaftskrise, ein Gutachten vorzulegen mit dem Titel „Mehr Vertrauen in Marktprozesse“. Sie müssen ihnen rectzeitig den Kopf waschen, wenn sie vorhaben,  die Zunahme der Ungleichheit, über die die ganze Welt diskutiert,  für einerseits nur eingebildet und andererseits ganz normal zu erklären. Sie müssen dafür sorgen, dass der Stab des Rates nicht in vorauseilendem Gehorsam massenhaft die wissenschaftliche Literatur passend macht und selektiv darstellt, unter Missachtung wissenschaftliche Mindeststandards.

Der Reputationsschaden für die Institution Sachverständigenrat und die einzelnen  Räte dürfte irreparabel sein. Es hätte der wirtschaftsliberalen Sache gut getan, wenn es viel mehr kritische Diskussion im Rat und mehr kritische Distanz bei den Journalisten gegeben hätte, wenn es mit anderen Worten mehr Hofnarren gegeben hätte. Dann wäre der Realitätsbezug nicht verloren gegangen und die Sitten wären nicht so verlottert. Der Sachverständigenrat wäre noch eine weithin respektierte Institution.

Sie würden sich sicherlich wundern, meine Damen und Herren, wenn ich nicht auch die Griechenland-Saga anführen würde, als ein Beispiel dafür, was passieren kann, wenn es nicht genug Hofnarren gibt, die unbequeme Wahrheiten aussprechen. Deutschland ähnelte während der letzten Wochen, als die Verhandlungen mit der griechischen Regierung stattfanden, Dresden während der DDR-Zeit –ein Tal der Ahnungslosen. Es wurde gefüttert mit Informationen von Medien, die es mehrheitlich als ihre Aufgabe betrachteten, die deutsche Regierungslinie dem Volk nahe zu bringen und ihr so dabei zu helfen die vermeintlichen deutschen Interessen zu verteidigen. Die zum Teil extrem feindselige Tonlage gegenüber den Griechen und der Regierung in Athen, unterfütterten die deutschen Medien – die österreichischen übrigens etwas weniger – damit, dass sie die griechische Sicht der Dinge weitestgehend ausblendeten.

Am 18. Februar, zwei Tage nach dem zweiten Treffen der Eurogruppe, sah ich mich genötigt, einfach mal auf meinem Weblog die wichtigsten Passagen der beiden Reden zu übersetzen, die Yanis Varoufakis vor der Eurogruppe gehalten hatte. Der deutsche  Finanzminister hatte danach jeweils gesagt, die Griechen hätten keine konkreten Vorschläge vorgelegt und keiner verstünde, was sie wollten. Die deutschen Medien funkten das anstandslos über das Tal der Ahnungslosen. Auf die schräge Idee, zu berichten, was die Griechen vorgeschlagen hatten, kam kaum ein Medium. Die Reden von Varoufakis, die ich übersetzte, machen deutlich, wie weit von der Wahrheit Schäubles  Behauptung war.

Der Informationsbedarf war groß. Binnen wenigerTage lasen mehr als 12.000 Menschen meinen Text. Er wurde damit sofort zum meistgelesenen Artikel auf meiner Website. Der zweitmeistgelesen Text hieß übrigens bis Montag: „Die deutschen Medien versagen völlig in der Griechenland-Berichtserstattung“.

Meine Damen und Herren, es ist schwer, einen Kompromiss im beiderseitigen Interesse zu finden, wenn in den Medien derart negative Emotionen geschürt werden und die Interessenlage und Vorschläge der Gegenseite derart konsequent ausgeblendet werden. Man läuft Gefahr, blind ins Unglück zu stolpern. Das ist am Montag gerade nochmal vermieden worden. Im Herbst wird in Spanien Podemos vielleicht die Macht übernehmen. Wann Ähnliches in Portugal und Italien passiert, könnte eine Frage der Zeit sein. Im Tal der Ahnungslosen jedoch nehmen die meisten die verzweifelten Treueschwüre volksferner Regierungen im Süden für den Willen der dortigen Bevölkerung.

Aus Mangel an Hofnarren ist das Potential für Überraschungen riesig. Hoffen wir, dass es angenehme Überraschungen werden. Vielen Dank. 

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