In ersten Kapitel seines Jahresgutachtens mit den wirtschaftspolitischen Empfehlungen – welche abzugeben den Wirtschaftsweisen per Gesetz eigentlich verboten ist – schreibt der Sachverständigenrat in Ziffer 64: „Empirische Studien belegen insgesamt positive Wohlfahrtseffekte für TTIP, wobei die Unsicherheit der Schätzungen relativ hoch ist.“ In Kasten 6 auf Seite 40 lernen wir, dass Hauptquelle für diese Erkenntnis Gabriel
Felbermayr vom Ifo-Institut ist, der die Auswirkungen eines imaginären Freihandelsabkommens in zwei Studien für die Bertelsmann-Stiftung und für das Wirtschaftsministerium „untersucht“ hat.
Bei beiden Studien mit ihren sehr unterschiedlichen (aber immer positiven) Ergebnissen ist das Interesse der Auftragsgeber allzu deutlich, wissenschaftlich anmutende Argumentationshilfe zu bekommen. Der Sachverständigenrat zitiert im Kasten vermeintlich die Bertelsmann-Studie von Felbermayr:
„Felbermayr et al. (2013a) quantifizieren die möglichen Auswirkungen von TTIP auf die Handelsströme und den Welthandel. Ein umfassendes Abkommen, mit dem alle tarifären und nicht-tarifären Handelshemmnisse abgebaut werden, kann zu einer Zunahme des transatlantischen Handels um etwa 80 % führen.“
15 Zeilen weiter heißt es noch:
„Hingegen führt ein umfassendes Abkommen zu weltweiten Beschäftigungszuwächsen: In Deutschland lägen sie bei 110 000 Personen (das entspricht einem Zuwachs von 0,3 %) und in der EU bei bis zu 400 000 Beschäftigten. In der übrigen Welt könnte jedoch die Beschäftigung um 240 000 Personen zurückgehen.“
Die Zahlen die der Rat hier zitiert sind aus der Studie Felbermayrs für das Wirtschaftsministerium (2013b), nicht aus der für Bertelsmann (2013a), wie der Rat fälschlicher Weise angibt. Letztere ermittelt ganz andere Zahlen, was eigentlich dazu einladen würde, sich etwas näher damit zu befassen als der Rat das tut. Aber das ist bei weitem nicht das Schlimmste.
Mit der vom Rat (falsch) zitierten Studie habe ich mich – weil sie so exzessiv für die TTIP-Propaganda benutzt wurde – bereits am 13.11.2013 in einer Kolumne im Handelsblatt befasst, unter dem Titel: „Stimmt es, dass das Freihandelsabkommen mit den USA Jobs schafft?“ Darin warf ich dem Ifo-Institut ganz undiplomatisch vor, die Öffentlichkeit zu täuschen.
„Wenn das Abkommen zu einer ambitionierten Absenkung nichttarifärer Barrieren führt, dann entstehen bis zu etwa 110 000 neue Arbeitsplätze in Deutschland„, stand in der Zusammenfassung des Gutachtens vorn. Diese Zahl griffen die Medien damals auf und diese Zahl gibt auch der Sachverständigenrat kritiklos wider. Aber was steht dahinter:
Wer sich ein paar Stunden Zeit nahm und sich bis Seite 100/101 durch für Laien unverständliche Modellbeschreibungen kämpfte, der konnte erfahren, dass sich diese Zahl auf das sogenannte „Binnenmarktszenario“ bezieht, von dem man lernte: „Dieses Szenario enthält auch jene Reduktion der effektiven Handelskosten, die sich aus dem europäischen Binnenmarktprogramm ergeben, insbesondere die Personen und Kapitalfreizügigkeit, gemeinschaftliche wettbewerbspolitische Institutionen und weitgehende Abmachungen zur öffentlichen Beschaffung.“ Hier handle es sich um ein „sehr optimistisches Szenario, welches erhebliche Unsicherheiten involviert„, räumte Ifo ein. Das Wort Unsicherheiten ist dabei natürlich auf absurde Weise deplaziert, wenn es darum geht, dass das Szenario – wie wir gleich sehen werden – so unrealistisch ist, wie es nur sein kann.
Dazu musste man nur noch mit dem auf Seite 98 gelernten kombinieren, wo es hieß:
„Das Binnenmarktszenario unterstellt eine sehr starke gegenseitige Absenkung der Marktzutrittsbarrieren zwischen den USA und der EU. Hinsichtlich der Handelsbarrieren erscheinen diese beiden Märkte für deutsche Firmen als fast identisch (der einzige Unterschied besteht in den höheren Transportkosten für weiter entfernte Märkte).“ Und schon weiß man:
Es ist das Szenario, in dem die USA faktisch ein Mitglied der EU werden und alle sprachlichen, rechtlichen und kulturellen Handelshindernisse beseitigt sind und die gleiche Währung benutzt wird.
Obwohl die Autoren hinten in der Studie explizit schrieben, ein anderes Szenario, mit weitaus geringeren Arbeitsplatzeffekten sei das „präferierte“, wurde für die Zusammenfassung und die Pressemitteilung das Ergebnis aus dem völlig unrealistischen Szenario verwendet. „Die Öffentlichkeit darf sich getäuscht fühlen“, schrieb ich damals.
Ich stellte auch die Frage, wie Ifo Folgen eines Abkommens so genau schätzen kann, von dem die Öffentlichkeit noch keine konkreten Inhalte kennt. Tatsächlich hat das Institut einfach durchschnittliche Auswirkungen von Handelsabkommen anderer Länder zugrunde gelegt. Das berücksichtigt jedoch nicht, kritisierte ich, dass die Zollschranken zwischen der EU und den USA schon auf ein kaum noch relevantes Niveau gesenkt wurden. Nur so kann Ifo aber zu dem Ergebnis kommen, dass der Handel zwischen den EU-Staaten und den USA durch ein Abkommen um durchschnittlich 79 Prozent steigen würde und entsprechend viele Jobs entstünden.
Auf die Vorwürfe erwiderte der leitende Studienautor Gabriel Felbermayr seinerzeit im Handelsblatt, ich hätte übersehen, dass die berechneten Effekte nur „den Möglichkeitenraum“ ausleuchteten. Gäbe es keine Handelsbarrieren, müsste der Importanteil der USA bei etwa 85 Prozent und jener Deutschlands bei 95 Prozent liegen. Es gebe also reichlich Raum für weitere Liberalisierung, gerade auch zwischen EU und USA, schloss er daraus.
An meinem Hauptvorwurf – der Täuschung der Öffentlichkeit – ging diese Erwiderung wohl nicht ganz zufällig völlig vorbei .Diesen Vorwurf bekräftigte ich damals in einer weiteren Handelsblatt-Kolumne ausdrücklich, worauf Felbermayr erwiderte:
„Wir schrieben in der Einleitung des technischen Berichtes von ‚bis zu etwa 110 000 neuen Arbeitsplätzen‘. Jeder Leser muss diese Zahl als Obergrenze verstehen.“ Aus Tabelle 4 der im Februar auf den Ifo-Seiten veröffentlichten Zusammenfassung gehe eindeutig hervor, dass mit der Zahl ein Binnenmarktszenario gemeint ist.“
Er redete sich also damit heraus, dass es sich nur um einen „technischen Bericht“ gehandelt habe, in dem man offenbar täuschen darf. Und wer genug detektivischen Spürsinn habe, habe durchaus wissen können, was für ein absurd unrealistisches Szenario diesen Arbeitsplatzeffekten zugrunde liege, so die Ausflucht.
Die Wirtschaftsweisen hatten diesen Spürsinn offenkundig nicht, trotz der Hilfestellung durch das Handelsblatt, wenn sie ein Jahr nach diesem öffentlichen Schlagabtausch schreiben: „… führt ein umfassendes Abkommen zu weltweiten Beschäftigungszuwächsen: In Deutschland lägen sie bei 110.000 Personen.“ Zumindest der Leser des Jahresgutachtens hat mit dem was er dort präsentiert bekommt keine Chance herauszufinden, dass mit umfassendem Abkommen gemeint ist, dass die USA der EU und der Euro-Währungsunion beitreten und Kultur und Rechtssystem von der EU übernehmen, oder umgekehrt. Die Weisen scheinen auch nicht zu Felbermayrs Kategorie „Jeder Leser“ zu gehören, welche die Zahl 110.000 „als Obergrenze verstehen muss.“ Schließlich schreiben sie im Indikativ und lassen auch noch die Einschränkung „bis zu“ weg.
Als Zugabe wollen wir noch kurz die Behauptung der Weisen beleuchten, „Studien belegen insgesamt positive Wohlfahrtseffekte für TTIP“. Tatsächlich behaupten die windigen Studien von Felbermayr ausdrücklich solche positiven Wohlfahrtseffekte. Irgendwo wird dann im Vorbeigehen in Klammer kurz erklärt, dass man Wohlfahrtseffekte mit Einkommenseffekten gleichsetzt. Genau diese Strategie übernimmt auch der Sachverständigenrat. Während die positiven Wohlfahrtseffekte in der ersten Textziffer des Haupttextes behauptet werden, findet sich der Klammerzusatz, dass es in Wahrheit um Einkommenseffekte geht, nur im siebten Absatz des Kastens 6. Der Rat tut gut daran, das so zu verstecken, denn die Gleichsetzung von Wohlfahrt und Einkommen (nicht weiter erklärt ob Durchschnitts-, Median- oder sonst ein Einkommen) ist aus wissenschaftlicher Sicht ein Killer. Das geht gar nicht, schon gar nicht so nebenher wie Felbermayr das tut und die Weisen das übernehmen. Wohlfahrt ist ein ganz anderes Konzept als das (wahrscheinlich gemeinte) Durchschnittseinkommen.
Es gibt keinen Grund und keine Rechtsfertigung von Wohlfahrtseffekten zu sprechen, wenn man den Effekt auf das Durchschnittseinkommen meint. Aber es ist offenkundig kein Versehen. Es klingt nämlich so schön, als ob die ganze Bevölkerung, das ganze Land oder so etwas ähnlich Allumfassendes von TTIP profitiere. Durchschnittseinkommen lädt dagegen zu der Frage ein, ob vielleicht nur die profitieren, denen es ohnehin schon besser geht.
Mit Verteilungseffekten hat sich Felbermayr aber ausdrücklich nicht befasst. Und damit will er sich auch nicht befassen. In einem ntv-Interview hat er die Einladung des Interviewers zu bestätigen, dass die Vorteile von TTIP nicht nur bei den Unternehmen sondern auch „bei den Menschen“ lägen, als unwissenschaftliche, klassenkämpferische Rhetorik zurückgewiesen. Danach wurde er zwar konzilianter und bestätigte, dass die schon Einkommensstärkeren auch stärke profitieren würden, fügte aber hinzu, auch die Einkommensschwachen könnten profitieren. Das muss man sowohl sprachlich als auch sachlich verstehen als: es ist nicht ausgeschlossen, dass auch sie profitieren.
Wenn man von Wohlfahrt redet, kann man nicht einfach zusammenzählen, beziehungsweise die Verluste des Einen mit Gewinnen des Anderen saldieren. Denn, da ist sich die Mainstream-Ökonomik seit vielen Jahrzehnten einig: Nutzen ist nicht zwischen Personen vergleichbar und kann daher auch nicht addiert werden. Wenn man irgendwo versteckt in einem Klammereinschub sagt, was man damit meint, und das etwas ganz anderes ist, dann ist das Täuschung des Lesers. Die fünf Weisen wissen nämlich sehr gut, dass man Wohlfahrt nicht mit Einkommen gleichsetzen darf.
Die fehlende Nutzenvergleihbarkeit und –addierbarkeit ist schon schlimm genug. Aberes ist noch schlimmer. Man kann im Durchschnitt der Armen ziemlich sicher davon ausgehen, dass ein zusätzlicher Euro ihnen viel mehr wert sein wird als den Reichen im Durchschnitt. Wenn, wie Felbermayr einräumt, Handelsliberalisierung zu steigender Ungleichheit führt, und wenn man annehmen muss, dass es auch Verlierer, vor allem bei den Armen gibt, dann darf man erst recht nicht Durchschnittseinkommen und gesamte Wohlfahrt gleichsetzen. Denn dann muss man stark mit der Möglichkeit rechnen, dass die Verlierer in Nutzenkategorien mehr verlieren als die Gewinner gewinnen. Wenn man es trotzdem tut und gleichzeitig Verteilungsüberlegungen ausklammer, handelt man unethisch, indem man die Leser täuscht.
Eine Minderheitsmeinung zu diesem Teil des Kapitels gab es nicht. Die fünf Weisen waren sich einig.
Ein Text von Franz Garnreiter zu Felbermayrs TTIP-Studien ist als ergänzende Lektüre empfehlenswert.
Meine Blogbeiträge und einen Gastbeitrag von Fritz Glunk zum Thema TTIP und CETA finden Sie im Auswahlmnü oben unter Themen – Investorenschutz.