Ist nur ein Drittel der „Corona-Opfer“ an Covid gestorben?

4. 11. 2021 | Wer positiv auf das neuartige Coronavirus getestet wird, gilt als Covid-Kranker, auch wenn er gar nicht erkrankt ist. Wer nach einem positiven Test stirbt, geht als „Covid-Toter“ in die Statistik ein, wer ins Krankenhaus kommt, oder erst dort positiv getestet wird, gilt meist als Covid-Patient. Allmählich lichtet sich jedoch der Nebel um den Anteil der lediglich mit – und nicht wegen – Covid hospitalisierten oder gestorbenen Menschen. Die Stadt Halle kommuniziert hier vorbildlich transparent.

Die Daten sind da, aber sie werden meist gut versteckt oder unter Verschluss gehalten. Aber hier und da findet man etwas.

Bundesweit die Hälfte wegen Covid in Krankenhäusern

Das Magazin „multipolar“ hat mit viel Mühe aus den Abrechnungsdaten der Krankenkassen ermittelt, dass nur rund die Hälfte der „Covid-Patienten“ wegen Covid im Krankenhaus behandelt werden. Bei den anderen ist Covid eine Nebendiagnose.

In Thüringen 67 Prozent

Aus dem täglich veröffentlichten Lage-Flyer des Landes Thüringen geht hervor, dass dort den Meldungen der Kreisgesundheitsämter zufolge von den 12.353 „Corona-Patienten“ in Krankenhäusern nur 8322 WEGEN Corona im Krankenhaus behandelt werden. Das sind 67% oder zwei Drittel. Das dürfte die Obergrenze sein, denn: Die Anteile schwanken sehr stark zwischen Kreisen. Ob jemand wegen oder mit Covid behandelt wird, erfordert mindestens einen Blick in die Krankenakte und eine kurze Abwägung. Weshalb die plausibelste Annahme ist, dass Verzerrungen in der Meldepraxis in aller Regel zu höheren Quoten der Wegen-Covid-Behandelten führen.

In Halle nur gut ein Drittel „an Corona“ gestorben

Die Stadt Halle informiert regelmäßig über die Anzahl der Toten, die „mit dem Virus“ und die „an dem Virus“ gestorben sind, zuletzt am 23. Oktober 2021:

Danach sind bis dahin von den 362 gestorbenen Hallensern mit Corona-Bezug (erste Zeile)  234  „mit dem Virus“ gestorben, nur 128 „an dem Virus.“  Nur 35% wären demnach an Covid gestorben, ein bisschen mehr als ein Drittel.

Halle-Statistik

 

(Änderungshinweis (14:30 Uhr): In der Ursprungsversion hatte ich mich auf die Daten vom 18. Oktober als vermeintlich letztverfügbare bezogen und einen Auszug der Mitteilung dokumentiert, die einen Zahlendreher enthielt. Zwischenzeitlich sind auch die Daten vom 4. November veröffentlicht. Die Zahl der an Covid Verstorbenen hat sich um eins auf 129 erhöht, die Quote auf 36%.)

Auf Anfrage teilte die Stadt Halle zur Ermittlung der Daten mit:

„Maßgeblich für die Unterscheidung zwischen „an Corona verstorben“ und „mit Corona verstorben“ ist der jeweilige Totenschein. Wird darin die Covid-Erkrankung als primäre Todesursache festgestellt, gilt der Fall als „an Corona verstorben“, war Covid eine Begleiterkrankung, wird der Fall als „mit Corona verstorben“ gewertet. Aus diesem Grund werden Todesfälle grundsätzlich erst nach Eingang des Totenscheins im Fachbereich Gesundheit veröffentlicht“

Die entsprechend aufgegliederten Todesfall-Daten werden der Auskunft zufolge in der Regel nur montags oder wenn es neue Todesfälle gab, in das Informationsblatt aufgenommen.

RKI vernebelt nach Kräften

Vom zuständigen Robert-Koch-Institut (RKI) gibt es sehr unterschiedliche Vorgaben und Darstellungen zur Meldepraxis bezüglich Wegen-oder-Mit-Corona. Den meldenden Krankenhäusern wird gesagt:

„Meldepflichtig ist jede Hospitalisierung in Bezug auf COVID-19. Das bedeutet, dass der Grund der Aufnahme in Zusammenhang mit der COVID-19-Erkrankung steht, aber ein direkter kausaler Zusammenhang zum Zeitpunkt der Meldung noch nicht hergestellt werden muss. Dies soll eine niedrigschwellige, zügige und aufwandsarme Meldung gewährleisten. Wird bei Aufnahme der betroffenen Person jedoch deutlich, dass die Krankenhausaufnahme in keinem Zusammenhang mit der COVID-19-Diagnose steht, z.B. bei einem Verkehrsunfall, dann besteht keine Meldepflicht.“

Was zum Beispiel die Thüringische Landesregierung in folgende Handlungsanweisung für die Statistiker und Melder übersetzt:

„Analog zum RKI wird die 7-Tage-Hospitalisierungsinzidenz nach Meldedatum (…) für alle hospitalisierten Fälle (unabhängig vom Grund der stationären Aufnahme) berechnet.“

Oder das Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg in den FAQs zu den Lageberichten:

„Für die Berechnung der 7-Tage-Hospitalisierungsinzidenz werden die nach Infektionsschutzgesetz (IfSG) an das LGA übermittelten COVID-19 Fälle herangezogen, für die aktuell in der Meldesoftware eine Hospitalisierung angegeben ist; unabhängig von Angaben zu einzelnen Symptomen, zum Grund der Hospitalisierung oder zum klinischen Bild. Für die Berechnung ist das Meldedatum maßgeblich, also das Datum, an dem das Gesundheitsamt zum ersten Mal vom Fall Kenntnis nimmt.“

Das bedeutet: In Baden-Württemberg werden auch corona-positive Unfallopfer ohne Symptome dem RKI als Covid-Fälle im Krankenhaus gemeldet.

Der Öffentlichkeit gegenüber heißt es dagegen, via Medien:

„Gemeldet werden sollen laut RKI nur Patienten, die aufgrund ihrer Infektion eingeliefert werden.“

oder in den Wochenberichten des RKI:

„Es ist nicht vollständig auszuschließen, dass einige hospitalisierte Fälle möglicherweise eine asymptomatische COVID-19-Infektion hatten, die beim Krankenhausaufenthalt aufgrund einer anderen Ursache identifiziert wurde, auch wenn nach der Meldeverordnung nur Krankenhausaufnahmen mit einem COVID-19-Bezug gemeldet werden sollen.“

Das widerspricht der Instruktion des RKI im ersten Zitat, dass der kausale Zusammenhang bei Aufnahme noch nicht hergestellt sein muss. Bei vielen Beschwerden weiß man bei Aufnahme noch nicht, ob sie durch eine Covid-Erkrankung verursacht oder verstärkt werden, oder unabhängig davon sind. Der Beinbruch oder Verkehrsunfall mit Covid-Nebendiagnose sind klare, aber seltene Fälle.

Klarstellen will das RKI auf Anfrage nicht, welche Version richtig ist.

Gesundheitsämter blockieren

Leserinnen und Leser dieses Blogs (und Journalisten) haben bei den Gesundheitsämtern ihrer Kreise (und beim DIVI) auf die Veröffentlichung aussagekräftigerer Daten gedrängt, insbesondere was das Gründe der Hospitalisierung angeht, und mir die Antworten zukommen lassen (bzw. veröffentlicht). Sie zeigen zumeist ein bedenkliches Verständnis von Informationspflichten des Staates und Informationsrechten der Bürger:

  • Der Zollernalbkreis (B.-W.) will keine differenzierteren Daten veröffentlichen, denn „es würde nur Verwirrung stiften, meldeten wir abweichende Zahlen. Darüber hinaus sind die Maßnahmen nicht kreisscharf an die Hospitalisierungsinzidenz bzw. die Intensivbettenbelegung gekoppelt, womit Sie mit den kreisscharfen Informationen ohnehin nichts anfingen.“ Auf Nachbohren: „Das LGA (Landesgesundheitsamt N.H.) hat auf ausdrückliche Nachfrage (anlässlich Ihrer Anfrage) unsererseits versichert, dass es keine differenzierteren Angaben von uns wünscht. (…) Es wird uns jeder positiver Test gemeldet, unabhängig von einer entsprechenden Symptomatik.“
  • Rosenheim (Bayern) lässt wissen: „Daten, die eine Unterscheidung nach „mit Corona“ und „wegen Corona“ zulassen liegen uns – dem Gesundheitsamt Rosenheim – nicht vor.“
  • Der Rhein-Kreis Neuss (NRW) behauptet: „Die in unseren Veröffentlichung genannten Personen in Krankenhäusern sind alle aufgrund einer Erkrankung mit dem Coronavirus im Krankenhaus. Wer also beispielsweise wegen einem Beinbruch im Krankenhaus ist, dort dann positiv getestet wird und nur milde Symptome hat, fließt beispielsweise nicht ein.“ Wenn der erste Satz stimmte, würden sie dort eine ziemlich sonderbare Grafik mit irreführender Legende erstellen, wenn sie „Infizierte“ (alle) und „Infizierte im Krankenhaus“ (nur mit schweren Symptomen?) nebeneinanderstellen.
  • DIVI (Verband der Intensivmediziner) antwortete dem Journalisten Tim Röhn auf die Frage, ob Informationen dazu übermittelt werden, ob ein gemeldeter Covid-Patient wegen oder mit Covid auf der Intensivstation behandelt wird,  mit nein, und dabei werde es auch bleiben, weil die Unterscheidung für den Pflegeaufwand etc. nicht relevant sei.

Ein ähnlich diverses und widersprüchliches Bild ergeben die Antworten auf Anfragen nach dem Anteil der Geimpften in den Krankenhäusern und Intensivstationen. Damit wollen wir uns in einem Folgebeitrag befassen.

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