Zur Erinnerung: Fallzahlen, Verdopplungszeit, R-Wert, Neuinfektionen und als Krönung die Inzidenz

13. 08. 2021 | Bundesregierung und Ministerpräsidentinnen konnten sich auf ihrer Tagung am 10. August nicht dazu entschließen, die beschlossenen Test-Schikanen für Ungeimpfte an einem anderen Kriterium als der fast nur noch von Karl Lauterbach für sinnvoll erachteten 7-Tagesinzidenz festzumachen. Hier zur Erinnerung ein Kurzportrait der bisher nacheinander verwendeten Kriterien, nebst Begründung – so vorhanden.

Fallzahlen, Verdopplungszeit, Reproduktionszahl. Schon oft haben sich die Kriterien geändert, von denen der Grad des Grundrechtsentzugs für die Menschen abhängig gemacht wurde.

Aufsummierte Fallzahl

Von Ende Februar bis Anfang März 2020 war das Kriterium die absolute Fallzahl. Täglich schaute die Nation wie gebannt auf die Entwicklung dieser Größe, die die Medien verrückter Weise von der amerikanischen Johns Hopkins Universität bezogen.

Das nachvollziehbare Ziel der Bemühungen um Eindämmung lautete damals „Die Kurve flach halten„. Der Anstieg der Fallzahlen sollte gebremst und soweit nach hinten gestreckt werden, dass das Gesundheitssystem nicht durch einen allzu großen Anstieg auf einmal überlastet wird.

Eine Überlastung des Gesundheitssystems wurde zwar von Politik und Medien immer wieder angedroht oder gar diagnostiziert, vor allem unter Verweis auf die Zahl der Patienten mit Covid auf Intensivstationen. Im Nachhinein stellte sich allerdings heraus, dass sehr vieles davon mit starken finanziellen Anreizen (und Möglichkeiten) für Krankenhäuser zu tun hatte, Patienten als Covid-Patienten zu klassifizieren und eine hohe Auslastung zu melden, notfalls durch Stilllegung von Kapazitäten.

Zur Erinnerung: 2020 waren laut Ministerium 4% der Intensivbetten mit Covid-Patienten belegt

Bei Berücksichtigung des Alters der Bevölkerung gab es 2020 keine Übersterblichkeit oder allenfalls eine sehr geringe und eine Überlastung des Gesundheitssystems gab es höchstens lokal eng begrenzt.

Verdopplungszeit

Passend zum Ziel der Kurvenverflachung wurde im März/April 2020 zunehmend die Verdopplungszeit der Fallzahlen in den Vordergrund gestellt, und schließlich von der Bundeskanzlerin als wichtigstes Kriterium bezeichnet. Dabei wurde die zunehmende Anzahl der Tests nicht berücksichtigt. Das wäre wegen der sehr vielen positiv Getesteten mit milden oder gar keinen Symptomen angezeigt gewesen. Merkel gab das Ziel aus, die Verdopplungszeit müsse von fünf Tagen „in Richtung von zehn Tagen gehen, damit unser Gesundheitssystem nicht überfordert wird“. Ein Lockdown und weitreichende Kontaktbeschränkungen wurden beschlossen und trat faktisch ab 16. und offiziell am 23. März in Kraft. Schon am 5. April erreichte die Verdopplungszeit der Gesamtzahl der Infizierten die angestrebten 10 Tage und verlängerte sich weiter. Die Zahl der täglichen Neuinfektionen ging zurück.

Reproduktionszahl, R-Wert

Also ging man ab Mitte April zur Reproduktionszahl als wichtigstem Maß über. Diese beschreibt, wie viele weitere Menschen ein mit dem Coronavirus Infizierter statistisch im Schnitt ansteckt. Liegt die Reproduktionszahl über 1, erhöht sich die Zahl der Neuinfektionen. Liegt sie drunter, sinkt sie.

Merkel warnte, dass bereits ein leichter Anstieg der Reproduktionszahl gravierende Folgen hätte – schon bei 1,1 „sind wir im Oktober wieder an der Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems“. Bei 1,2 würde die Belastungsgrenze sogar schon im Juli erreicht, so Merkel, bei 1,3 bereits im Juni.

Letztlich ist das ein Spiel mit der Mathematik, das sie als Physikerin natürlich gut beherrscht. Jede ANHALTENDE exponentielle Steigerung einer Größe – also um einen festen Prozentsatz –  lässt diese extreme Höhen erreichen. Denn wenn der Wert steigt, wird bei festem Steigerungssatz auch die Zunahme immer größer, nur dass in der Natur dauerhaftes exponentielles Wachstum praktisch nicht vorkommt.

Die Aussage des R-Werts ist im Prinzip die gleiche wie die Aussage der Verdopplungszeit, aber es gibt leichte Abweichungen im zeitlichen Verlauf. Als am 23. März der Lockdown begann, war bereits ein deutliches Absinken des R-Wertes sichtbar. Dass er bereits unter 1 gesunken war, wusste man erst einige Tage später. Gut, dass die Reproduktionszahl da noch nicht der Hauptindikator war, denn sonst wäre ein Lockdown schwer zu rechtfertigen gewesen.

Akut Infizierte

Zur gleichen Zeit, Mitte April, als die Anzahl der bereits Genesenen die der neu Infizierten überstieg und allzu offensichtlich wurde, dass die aufsummierte Anzahl der Infizierten über die Zeit ein unsinniges Maß für eine Gesundheitskrise ist, ging man zu den akut Infizierten über.

Neuinfektionen

Als ab Ende April alle bisherigen Notstandskriterien deutlich nach unten zeigten und der Reproduktionswert die 1 unterschritt, gab RKI-Vizepräsident Lars Schaade als Voraussetzung dafür, über eine graduelle Wiederherstellung der Grundrechte nachzudenken, die Bedingung aus, dass die Zahl der Neuinfektionen auf „wenige Hundert pro Tag“, sinken müsse.

Hauptquelle bis hierhin war eine Analyse von ntv.de.

7-Tages-Testinzidenz

Nachdem man den kritischen Sommer mit seinen sehr niedrigen Fallzahlen, R-Werten und Neuinfektionen glücklich überstanden hatte, ohne alle Grundrechtseinschränkungen aufheben zu müssen, verlegte man sich im Herbst bei saisonal wieder steigenden Fallzahlen auf die sogenannte 7-Tages-Inzidenz der Neuinfektionen, die bis heute der Maßstab zur Auslösung oder Beendigung und zunehmend auch zur Rechtfertigung von Grundrechtseinschränkungen ist.

Normalerweise misst die Inzidenz das Auftreten einer Krankheit je 100.000 Einwohner, wobei entweder diejenigen gezählt werden, die sich als Kranke mit Symptomen in Behandlung begeben, oder eine repräsentative Erhebung stattfindet. Hier werden dagegen positiv Getestete je 100.000 Einwohner gezählt, was den Inzidenzwert eines Kreises oder Landes davon abhängig machte, wieviel dort getestet wurde. Entscheidend für diese Verzerrung ist, dass durch die PCR-Tests auch viele gesunde Menschen, die keine oder nur milde Symptome aufweisen als infiziert gezählt werden, sodass sie ohne die Testaktivität nie „entdeckt“ würden.

Die ersten Kreise mit besonders hohen Inzidenzen wurden im Oktober in einen harten Lockdown geschickt, einschließlich Ausgangssperren. Darunter war Berchtesgadener Land, mit dem ich mich damals näher beschäftigt habe. Trotz einer extrem hohen Inzidenz gab es dort nie einen Gesundheitsnotstand. Es gab Kreise mit deutlich geringerer Inzidenz und deutlich mehr Intensivpatienten und toten an und mit Covid, und umgekehrt.

Bundesweit stieg die Inzidenz im Oktober auf Werte um 100. Es wurde der November-Wellenberecher-Lockdown beschlossen, der schließlich ein halbes Jahr dauern sollte. Dafür war entscheidend, dass Bundeskanzlerin Merkel am 2.11. ein in der kalten Jahreszeit kaum erreichbares Sinken der Inzidenz unter 50 zur Bedingung machte, um den Lockdown wie in Aussicht gestellt nach einem Monat wieder beenden zu können.

Ziel war es jetzt nicht mehr in erster Linie, eine Überlastung des Gesundheitswesen zu verhindern, sondern den Gesundheitsämtern zu ermöglichen, bei allen registrierten Neuinfizierten deren Kontakte nachzuverfolgen und in Quarantäne zu schicken. Das erklärte man als im Durchschnitt bis zu einem Inzidenzwert von 50 für möglich, was allerdings ziemlich umstritten war. „Das Maß für die Überforderung von Kontaktnachverfolgung und Testkapazitäten lässt sich aus der Inzidenz der Neuinfektionen ableiten“, hieß es im Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz zusammen mit dem Bund vom 16.  November 2020. Ignoriert wurde bei dieser Argumentation, dass die Gesundheitsämter nur die entdeckten Fälle und nicht die viel höher liegende Dunkelziffer nachverfolgen. Daher handelt es sich bei Inzidenzen unter 50 nur um eine bürokratisch vorgetäuschte vollständige Kontrolle des Infektionsgeschehens.

Am 4. März 2021 enthoben sich die Regierenden der Notwendigkeit, ein Ende des Dauer-Wellenberecher-Lockdowns zu beschließen und automatisierten die Entscheidung auf Kreise bezogen unter Verweis auf verschiedene Inzidenz-Schwellenwerte. Eine Videoschaltkonferenz von Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten beschloss, quasi-automatische Lockerungen oder Wiedereinsetzungen der Grundrechtseinschränkungen bei Inzidenzen unter 100, unter 50 und unter 35.

Gleichzeitig wurde allerdings eine massive Ausweitung der Testungen beschlossen, insbesondere von Schülern und Unternehmen, aber auch der allgemeinen Bevölkerung, und zwar mithilfe der nun massenhaft verfügbaren Schnell- und Selbsttest. Dadurch ging die Inzidenz voraussehbar wochenlang kräftig nach oben und die Lockerungen mussten warten.

Entgegen allen Versprechungen bessere Indikatoren als die Inzidenz zu finden, die infolge der dramatisch gesunkenen Sterblichkeit und Hospitalisierungsquote noch fragwürdiger geworden war als ohnehin schon, beschlossen die Kanzlerin und Ministerpräsidenten nun wieder den gleichen Automatismus für die Schikanen für Ungeimpfte, um sie zum Impfenlassen zu nötigen. Bei einer Inzidenz von über 35 müssen sie sich für fast alles was sie tun wollen, täglich testen lassen.

Das ist ein sich selbst treibender Prozess. Die starke Ausweitung der Tests treibt die Inzidenz nach oben und sorgt so dafür, dass die Schikane so schnell nicht aufhört, was wiederum die Anzahl der Tests und damit die Inzidenz hochhält. Das hat im März schon einmal funktioniert, warum nicht noch einmal.

Da kaum noch Leute an Covid sterben oder ins Krankenhaus kommen, hat man die Inzidenz vom Indikator zum Ziel erhoben. Es kommt nicht mehr darauf an, die Überlastung des Gesundheitswesens oder eine starke Übersterblichkeit zu verhindern. Es kommt allein darauf an, die Inzidenz unter bestimmte, willkürlich gesetzte Werte zu drücken, wobei die Verordnungsschreiber alle Hebel haben und auch nutzen, um zu verhindern, dass das früher passiert als es zu den Plänen des Zentralkomitees der Durchregierenden passt.

Print Friendly, PDF & Email