Der Grünenpolitiker twitterte:
„Wer nach Deutschland kommt, um Schutz zu suchen und hier straffällig wird, kann keine Nachsicht erwarten. Der muss unser Land wieder verlassen. Das kann man auch nicht als soziales Problem bagatellisieren. Aber auch die Zahl Deutscher Straftäter steigt. Es wäre zu einfach, alles auf die gestiegene Migration zu schieben. Mehr Videoüberwachung an neuralgischen Punkten wie Bahnhöfen kann ein Baustein gegen Kriminalität im öffentlichen Raum sein. Denn Sicherheit ist eine Voraussetzung für Freiheit und deshalb erste Aufgabe des Staates.“
Bemerkenswert ist einmal, wie sehr man sich nun auch bei den Grünen, umzingelt von Fakten und öffentlicher Meinung, das Argument vom verwirkten Gastrecht zu Eigen macht. Dieses hatte der woke Linksliberalismus, etwa in Vice oder im grünen Hausblatt taz noch als rechtspopulistisch skandalisiert, als Sahra Wagenknecht so etwas sagte, und wenn die AfD es sagte erst recht. Jetzt, wo ein grüner Minister so etwas sagt, herrscht Schweigen im woken Blätterwald.
Bemerkenswert ist daneben, dass sich ein Grüner so ungeniert für Kameraüberwachung unbescholtener Passanten im öffentlichen Raum ausspricht, auf die vage Vermutung hin, dass das die Kriminalität senken könnte. Belege dafür gibt es nicht. In Wahrheit geht es wohl eher darum, Handeln vorzuschützen und ein (unbegründetes) Sicherheitsgefühl durch Überwachung zu produzieren. Es gab Zeiten, da waren die Grünen gegen den Polizeistaat, nicht für seinen Ausbau, auch noch beworben mit der Neusprech-Parole, dass Überwachung Voraussetzung für Freiheit sei.
Wahrheit ist Lüge. Freiheit ist Sklaverei. Krieg ist Frieden.
Belege Fehlanzeige
Eine der seltenen Studien zum Thema Kameraüberwachung und Kriminalität war die wissenschaftliche Auswertung eines Pilotprojekts der städtischen Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) zur Kameraüberwachung von U-Bahnen im Jahr 2006. Die BVG kündigte die Untersuchung nach Vorlage eines Zwischenberichts auf und beschloss, das Projekt auszuweiten. Den Zwischenbericht hielt sie geheim.
Als die Humanistische Union gerichtlich die Herausgabe des Berichts erreichte, stellte sich heraus, dass die Kriminalität in den überwachten U-Bahn-Linien sogar leicht angestiegen war. Bei mehreren Tausend Straftaten gab es nur gut zwei Dutzend Aufnahmen, auf denen man die Täter erkennen konnte. Die Straftäter hatten offenkundig keine Schwierigkeiten, sich auf die Kameras einzustellen.
Ein Bericht der Bürgerrechtsgruppe Big Brother Watch aus dem Jahr 2013 kam zu dem Ergebnis, dass die hohe Kameradichte in Großbritannien, die zweithöchste der Welt nach China, nicht zu weniger Kriminalität führt. Der Bericht zitiert Aussagen der Polizei, die zeigen, dass der massive Ausbau des Kamera-Überwachungsnetzes ohne wissenschaftliche Erkenntnisse und Begleitung stattfand.
In der Beschreibung eines vom Bundesforschungsministerium in Auftrag gegebenen Projekts heißt es 2011, Kameraüberwachung werde zwar „umfassend eingesetzt, ihre Effizienz ist aber nicht ausreichend belegt“. Eine 2005 veröffentlichte Meta-Studie kam zu dem Ergebnis, dass Kameraüberwachung in Parkhäusern die Fahrzeugdiebstähle reduziert, dass sie aber „in Stadtzentren und Wohngebieten sowie im öffentlichen Nahverkehr nur geringen oder keinen signifikanten Effekt auf die Kriminalität“ hat. Es ergab sich auch kein Erfolg hinsichtlich der Verringerung von Gewaltdelikten.
Eine 2018 veröffentliche „Evaluation der polizeilichen Videobeobachtung in Nordrhein-Westfalen gemäß § 15a PolG NRW“ durch das Kriminologische Institut Niedersachsen kam zu dem Ergebnis:
„Der wissenschaftliche Nachweis eines allgemein kriminalitätsreduzierenden Effekts der Videoüberwachung konnte bisher allerdings nicht überzeugend geführt werden. Für städtische und zentrumsnahe öffentliche Plätze fallen die Effekte sehr unterschiedlich aus, lediglich für die Eindämmung der Kriminalität in Parkhäusern und auf Parkplätzen sowie des Raubes und Diebstahls im öffentlichen Personennahverkehr erweist sich die Videoüberwachung nach bisherigen Befunden als wirksam.“
Und auch noch 2023 schreibt Prof. Dr. Christian Wickert, Dozent für die Fächer Soziologie und Kriminologie an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen:
„In Evaluationsstudien wurde Videoüberwachung nur ein geringer bis kein kriminalitätssenkender Effekt bescheinigt (vgl. z.B. Ratcliffe & Groff, 2018). Lediglich in Bezug auf Diebstähle von und aus Kraftfahrzeugen ermittelten Welsh und Farrington (2002) einen Rückgang um über 40 Prozent, Taschendiebstähle verringerten sich lediglich um zwei bis vier Prozent und auf Gewaltkriminalität hat die Videoüberwachung keinen Einfluss.“
Fazit
Überwachungskameras im öffentlichen Raum sind – außer für wenige Anwendungen mit wissenschaftlich belegtem Nutzen – als Schritte in Richtung Polizei- und Überwachungsstaat zu betrachten, nicht als effektive Maßnahmen zur Senkung der Kriminalität.
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Schon 2017 war Cem Özdemir ein Vorkämpfer der reaktionären Wendung der Grünen: