Ein Argument von Reitter hat mich von etwas überzeugt, was mir vorher nicht richtig klar war. Die neoliberalen Vertreter von Grundeinkommensideen wie Götz Werner und Thomas Straubhaar, die im Gegenzug zum Grundeinkommen alle oder fast alle Sozialleistungen abschaffen wollen, sind wohl tatsächlich eine relativ kleine Minderheit, die es geschafft hat, die Diskussion medial zu dominieren. Wenn man zu lapidar warnt, wie ich das auch getan habe, dass das Grundeinkommen ein trojanisches Pferd der Neoliberalen sei, dann tut man damit vielen Befürwortern des Grundeinkommens aus den linken Spektrum unrecht und bringt sie unnötig auf.
Trojanisches Pferd der Neoliberalen?
Allerdings sind wir hier schon bei einem ersten, erhellenden inneren Widerspruch. Reitter analysiert treffend, dass die Neoliberalen die Unterstützung einflussreicher Kreise genießen und dadurch die Diskussion dominieren und sich als wichtigste Vertreter der Grundeinkommensidee erscheinen lassen konnten. Dem hält er entgegen, dass die neoliberalen Befürworter nur eine winzige und damit vermeintlich unbedeutende Minderheit seien. Deshalb sei das Gerede vom trojanischen Pferd Quatsch. (Das sind nicht Reitters genaue Worte, aber in etwa der Tonfall, in dem das Buch leider geschrieben ist.)
Ich würde hier einwenden, dass die Neoliberalen, wenn sie schon die Macht und den Einfluss haben, die mediale Diskussion um das Grundeinkommen derart an sich zu ziehen, auch die Macht und den Einfluss haben dürfen, jedwede Reform in Richtung Grundeinkommen genauso in ihrem Sinne zu beeinflussen. Jedenfalls wäre das ein Gedanke, mit dem man sich tunlichst auseinandersetzen sollte, um zu vermeiden, dass mit linkem Rückenwind etwas eingeführt wird, was dann neoliberal ausgestaltet wird und linken Zielen mehr schadet als nützt.
Vernachlässigung des globalen Südens?
Damit verbunden ist ein weiterer Bruch in Reitters Argumentation. Er wirft den Gegnern des bedingungslosen Grundeinkommens vor, allein anhand der Gegebenheiten in den Industrieländern zu argumentieren und den globalen Süden mit seinen ganz anderen Bedingungen zu ignorieren. Sonderbarerweise führt er das jedoch nicht aus, sodass man nicht erfährt, welche zusätzlichen Argumente für ein Grundeinkommen es im globalen Süden gibt.
Ich gehöre zu denen, die der Idee kritisch gegenüberstehen und das auch öffentlich vertreten haben. Auf mich trifft der recht verallgemeinernde Vorwurf Reitterers allerdings nicht zu, dass ich den globalen Süden vernachlässigen würde. Ich habe schon mehrfach über die aus meiner Sicht neoliberalen Projekte in Richtung Grundeinkommen geschrieben, die in zum Teil sehr großen Maßstab umgesetzt werden, und die von Institutionen wie der Großkonzernelobby Weltwirtschaftsforum propagiert werden.
Hauptakteure sind die Weltbank und die Großkonzerne aus dem Sillicon Valley und deren Stiftungen, bei denen man kaum anders kann, als davon auszugehen, dass es ihnen um Kontrolle, Überwachung und Datenraub geht.
Ein Beispiel ist der mindestens bis zum letzten Militärputsch verfolgte Plan, 80 Prozent der Bevölkerung Sudans auf ein Grundeinkommen von fünf Dollar pro Person zu setzen. Das Geld würde per Mobiltelefon ausbezahlt, sodass alle Bezieher an der digitalen Leine liegen würden. Auch andere Experimente mit vielen Tausend Empfängern in Entwicklungsländern arbeiten mit sehr geringen Beträgen, die gerade so zum Überleben reichen.
Das führt zu einer weiteren Gefahr, die deutlich wird, wenn man den globalen Süden mit in die Betrachtung nimmt. Die Befürworter des Grundeinkommens neigen zu einer globalen Betrachtungsweise, nach der die großen Wohlstandsunterschiede zutiefst ungerecht sind. Das ist auch richtig. Aber wenn man ein einheitliches globales Grundeinkommen einführt, oder nationale Grundeinkommen einander annähert, dann dürfte klar sein, dass nicht das hohe Niveau in Industrieländern, sondern das sehr niedrige Niveau in Entwicklungsländern die stärkste Anziehungskraft entfalten wird.
Das halte ich neben dem Kontrollaspekt für den Hauptgrund, warum neoliberale Akteure und Organisationen wie das Weltwirtschaftsforum das globale Grundeinkommen für so eine tolle Sache halten. Selbst wenn man diese Angleichung nicht will, würde es sehr schwer, sich der Argumente dafür zu erwehren, die von interessierter Seite mit Macht vorgetragen würden. Jeglicher Ruf nach Solidarität und Unterstützung für die Armen in einem reichen Land würde mit dem moralisierenden Vortrag gekontert, man solle doch lieber solidarisch mit den noch viel Ärmeren in anderen Ländern sein, und dafür sorgen, dass deren minimales Grundeinkommen ein bisschen größer wird.
Die Stiftungen, die groß angelegte Experimente zum Grundeinkommen in Entwicklungsländern durchführen, propagieren das als die bessere Entwicklungspolitik. Sie greifen staatliche Zuschüsse aus den Entwicklungshilfeetats ab und werben dafür, dass private Spenden in solche Grundeinkommen fließen. Bei aller Kritik an der bisherigen Entwicklungshilfe: Das sieht doch sehr danach aus, dass auf Entwicklung einfach verzichtet werden soll und die Armen stattdessen mit einem gerade so zum Überleben reichenden Grundeinkommen ruhig gestellt und kontrolliert werden sollen. In Anbetracht der Konkurrenz um knappe Ressourcen auf der Welt ist mir durchaus plausibel, dass Weltwirtschaftsforum und Co. so denken würden.
Wenn Reitter diese Sorgen entkräften können sollte, so erfahren wir es in seinem Buch leider nicht.
Materielles Existenzminimum oder Teilhabe
Ein weiterer innerer Widerspruch Reitters führt dazu, dass er einem der wichtigsten Knackpunkte der Debatte ausweicht. Er referiert vorne zustimmend eine Definition des Grundeinkommens, wonach das Grundeinkommen bedingungslos ist, Jeder und jede es erhält, und:
„Die zur Verfügung gestellte Summe soll ein bescheidenes, aber dem Standard der Gesellschaft entsprechendes Leben, die Teilhabe an allem, was in dieser Gesellschaft zu einem normalen Leben gehört, ermöglichen.“
So verstehe auch ich die linke Variante des bedingungslosen Grundeinkommens. Auch Reitter legt diese erkennbar immer dann zugrunde, wenn es darum geht, was das Grundeinkommen leisten soll.
Aber, wenn es darum geht, was es kostet, und was der Einzelne im Gegenzug (freiwillig) leistet, dann ist meist von Sicherung des materiellen Überlebens die Rede, oder ähnlichen Formulierungen. Auch das Finanzierungsbeispiel Reitters verstehe ich so, dass es eher das materielle Überleben sicherstellen würde, als die Teilhabe an allem, was in der Gesellschaft zu einem normalen Leben gehört. Für mich bedeutet die erste Definition Konsummöglichkeiten etwas unter dem Durchschnitt bzw. Median der Gesellschaft, die zweite Definition Konsummöglichkeiten weit darunter.
Diese Uneindeutigkeit in der Definition gibt große Freiheitsgrade in der Argumentation, die eine sinnvolle Diskussion kaum noch möglich machen. Es ist im linken Spektrum kaum umstritten, dass das materielle und soziale Überleben bedingungslos, also auch ohne Arbeitszwang, zu sichern ist. Der Streit geht darüber, ob das auch für ein Konsumniveau auf Höhe dessen gelten soll, das jemand hat, der unterdurchschnittlich verdient und dafür vielleicht eine wichtige, aber für die meisten unangenehme Arbeit verrichtet.
Die Frage, ob auch Menschen ohne finanziellen Bedarf das Grundeinkommen bekommen sollen, ist dagegen zweitrangig. Das kann tatsächlich darüber geregelt werden, dass das Grundeinkommen bei denen, die es nicht brauchen, teilweise oder ganz wieder weggesteuert wird. Man sollte sich nur nicht der Illusion hingeben, dass dadurch die Bedarfskontrolle wegfiele. Im Gegenteil. Sie wird nur auf das Steuersystem verlagert, wo sie effizienter und genauer stattfindet.
Wer zahlt?
Reitter tadelt die Gegner des Grundeinkommens für die Unterstellung, die hart arbeitende Bevölkerung müsse das Grundeinkommen finanzieren. Das sei nicht so. Selbstverständlich müsse es über eine viel höhere Besteuerung von Kapitaleinkommen und Vermögen finanziert werden. Dann würden normal verdienende Arbeitnehmer mehr bekommen, als sie bezahlen. Auch damit macht es sich Reitter zu einfach und übersieht innere Widerspruch in seiner Argumentation.
Gegen das Argument vom trojanischen Pferd zum Abbau des Sozialstaats brachte er vor, dass die Sozialleistungen ohnehin wenig taugen und auch so schon abgebaut werden. Da ist einiges dran. Aber: Er vergleicht hier den Status Quo eines unvollkommenen, unterfinanzierten und falsch finanzierten Sozialstaats mit dem Ideal eines allein von den Reichen reichlich finanzierten Grundeinkommens.
Das ist kein relevanter und fairer Vergleich. Er müsste den realen Sozialstaat vergleichen mit einem Grundeinkommen, das mit gleich wenig Geld von den Reichen auskommt, oder das ideal finanzierte Grundeinkommen mit einem traditionellen Sozialstaat, der genauso viel Geld von den Reichen zu verteilen hat. Das Grundeinkommen implizit mit einem Schlaraffenland zu assoziieren, bei dem der Widerstand der Reichen gegen die Enteignung einfach so verschwindet oder gebrochen wurde, lässt dieses zwar attraktiv aussehen. Aber fair und zielführend ist diese Art der Auseinandersetzung mit Gegenargumenten nicht.
Empfänger als Ausbeuter?
In einem Buch von Johannes Mosmann zum Grundeinkommen, das ich rezensiert habe, wird ein arbeitender Mensch mit den Worten zitiert, die er einem Talkshowgast entgegenhält, der meint einen Anspruch zu haben, das der Staat ihm die freie Ausübung seiner „Geistesarbeit“ mit einem Grundeinkommen ermöglicht:
„Ich mache jeden Tag den Buckel krumm, um die Dinge hervorzubringen, die Du nachher konsumierst, und Du willst im Gegenzug selbst definieren, was Du tust, in derselben Zeit, in der ich für Dich schufte? Du hast doch nicht mehr alle Tassen im Schrank!“
Auf diesen Einwand geht Reitter nicht ein. Er wischt die Besorgnis des Schmarotzertums mit dem Argument beiseite, das mache die Menschen schlechter als sie sind, denn (fast) alle Menschen möchten und würden etwas zur Gesellschaft beitragen. Aber sie sollten selber entscheiden können, was. Das ist schön und gut. Aber solange er sich nicht dazu äußert, ob das ausreicht, damit sich genug Leute finden, die im heißen Teergestank Straßen reparieren, die Toiletten leeren und Müll beseitigen, ist es nicht sehr überzeugend. Man muss diejenigen, die lieber irgendwelche Geistesarbeit verrichten, als solche unangenehmen Arbeiten, nicht Schmarotzer nennen. Ich würde ein solches Verhalten für normal halten.
Man kann versuchen zu argumentieren, diejenigen, die solche Arbeiten heute aus materiellem Zwang machen, würden davon befreit und dafür würden diese Arbeiten künftig so gut bezahlt werden müssen, dass sich genug Freiwillige locken (statt zwingen) lassen. Aber das würde ich gerne durchargumentiert lesen. Es könnte meines Erachtens leicht dazu führen, dass die Auskömmlichkeit des Grundeinkommens durch Preissteigerungen von vielen den elementaren, aber auf nicht unbedingt angenehme Weise hergestellten Waren und Dienstleistungen, bald nicht mehr wirklich gegeben ist.
Grundeinkommen als Idealtypus
Schieben wir Fragen der Durchsetzung beiseite und fragen, ob eine egalitäre Gesellschaft, in der es keine großen Wohlstandsunterschiede gibt, mit einem Grundeinkommen gut zurecht kommen würde. Sollte man es ihr empfehlen? Wir nehmen also den Kapitalismus und seine Auswüchse weg, den Reitter mit dem Grundeinkommen überwinden will. Es ist ja auch interessant, wie Reitter richtig betont, ob das Grundeinkommen als idealer Referenzpunkt, als Zielvorstellung taugt. Reitter bejaht das entschieden. Ich habe Zweifel.
Ich finde es erhellend, mir eine naturverbundene Jäger- und Sammlergesellschaft aus 50 Leuten vorzustellen, in der es wenig Arbeitsteilung gibt und das meiste, was gejagt und gesammelt wird, in einen gemeinsamen Topf kommt. Geld gibt es nicht, dafür enge soziale Bindungen und Schuldbeziehungen über schenken und beschenkt werden. Alle sind elementar auf diese Bindungen angewiesen. Ein Mensch mit allgemein akzeptierter Autorität teilt wo nötig Aufgaben zu und schlichtet Streit. Wer nicht richtig mitmacht, sich den sozialen Bindungen nicht fügt, bekommt mehr oder weniger deutliche Signale der Missbilligung.
Wenn das gut funktioniert tut jeder nach Kräften, was er kann und bekommt, was er braucht.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre ein Fremdkörper in so einer Gesellschaft. Es würde in etwa bedeuten, dass jedem zugesichert würde, dass er – sagen wir – genau ein 60stel von allem Gejagten und Gesammelten bekommt, unabhängig davon, ob er sich am Jagen und Sammeln beteiligt, oder ob er seinen Beitrag eher darin sieht, sich und die anderen mit Gesang oder Gedichten zu erfreuen.
Die Botschaft wäre klar, denn sonst bräuchte es das Grundeinkommen nicht: Wir erwarten nicht von Dir, dass Du Dich auf konkrete Weise beteiligst. Du entscheidest selbst, was Du tun und beitragen willst. Was immer es ist, es ist in Ordnung.
Das kann zwar befreiend für das Individuum sein. Aber für diese Gesellschaft halte ich es nicht für einen Fortschritt. Sie mag durchaus einen Barden haben. Aber der hat nicht ohne Rückkopplung mit der übrigen Gesellschaft entschieden, dass sein bester Beitrag Gesang ist.
Vom Beispiel wieder zurück aufs Grundsätzliche, das ich damit verdeutlichen will: Die Befürworter eines Grundeinkommens setzen auf ein Instrument dessen, was sie eigentlich bekämpfen wollen, auf Geld, das einen frei verfügbaren Anspruch des Individuums an die Gesellschaft verbrieft. Geld, und darauf aufbauend der Markt, sind soziale Technologien, die davon ausgehen und befördern, dass der Einzelne für sich ist, und am Markt auf andere trifft, die für sich sind. Alle sozialen Beziehungen in dem von der Geldwirtschaft erfassten Bereich schnurren – wenigstens im Kern – auf die eine monetäre Dimension zusammen. Geldwirtschaft geht von Vereinzelung und schwachen sozialen Bindungen aus und fördert das auch.
Es ist natürlich unrealistisch, Geld beseitigen zu wollen. Ich möchte es auch gar nicht. Aber ich halte es in Hinblick auf die Ziele der Grundeinkommensbefürworter, die ich teile, für sinnvoller, den monetären Bereich zu verkleinern, anstatt ihn durch ein Grundeinkommen eher noch zu vergrößern.
Konkret meine ich damit staatliche Wohnungspolitik, die dafür sorgt, dass jeder bezahlbaren, anständigen Wohnraum bekommen kann. Ein freies, staatliches Gesundheitswesen, damit Gesundheit keine Frage des Geldes ist. Eine gute soziokulturelle Infrastruktur, kostenlos oder mit niedrigen Nutzungspreisen, also Schwimmbäder, Schulessen, Musik und Theater der nicht allzu teuren Sorte, Freizeitsport und andere Vereine, guter und günstiger Nahverkehr.
Dann lässt sich ohne weiteres mit Sozialleistungen traditioneller Art und ohne intensive Bedarfsprüfung sicherstellen, dass nicht nur das materielle Überleben, sondern auch die soziale Teilhabe für alle gewährleistet ist.
Reitter schreibt auf Seite 226, der Grundeinkommensvorschlag schließe an diese Forderungen an, gehe aber noch darüber hinaus, indem er die Arbeit als Lohnarbeit überwinde. Lohnarbeit setzt er mit Kapitalismus gleich, der so überwunden werde.
Ich habe bei allen drei Aussageteilen mindestens starke Zweifel:
Der Grundeinkommensvorschlag reiht sich nicht ein, sondern steht in latenter Konkurrenz zu den Vorschlägen nach einer Entmonetarisierung wichtiger Lebensbereiche. Denn er baut auf Geld, nicht auf freie Sachleistungen, und die Finanzierung der soziokulturellen Infrastruktur kostet Geld, das nicht gleichzeitig für ein Grundeinkommen zur Verfügung steht.
Die Lohnarbeit wird nicht überwunden, es sei denn, man verzichtet auf alles, was keiner ohne gut entlohnt zu werden, tun will.
Der Kapitalismus ist nicht mit Lohnarbeit gleichzusetzen. Auch in einem genossenschaftlich verfassten Wirtschaftswesen kann und würde es wohl Lohnarbeit geben.
Letzteres ist ein wichtiger Punkt, weil ich auch gern den Kapitalismus überwinden würde, es aber für zielführender halte, bei dessen Kern anzusetzen. Und der besteht daraus, das Kapitalisten dank der Unterstützung eines kapitalistischen Geldsystems sich für leistungslose Eigentumsrechte (insbesondere an Unternehmen und Boden) bezahlen lassen können. Ich sehe nicht, wie ein Grundeinkommen das grundsätzlich ändern würde. Dagegen spricht schon, mit welcher Begeisterung sich manche Neoliberale und das Weltwirtschaftsforum für Varianten des Grundeinkommens einsetzen.
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