1. 07. 2020 | Hören | Das Weltwirtschaftsforum, der Club der größten multinationalen Konzerne, propagiert seit einigen Jahren die Idee des weltweiten universellen Grundeinkommens. Dahinter steckt nicht Menschenfreundlichkeit, sondern Machtkalkül und Gewinnstreben. Die Überschneidungen mit den Kampagnen gegen das Bargeld und für die biometrische Identifizierung sind enorm.
Seit Längerem habe ich auf dem Plan, über das Universal Basis Income (UBI), das universelle Grundeinkommen, zu schreiben. Das ich es jetzt endlich tue, hat seinen Anlass darin, dass im Sudan dieses Konzept nun erstmals umgesetzt wird. Einen ersten Beitrag dazu habe ich schon geschrieben. Eine weitere Spurensuche zu den Hintergründen, Finanziers und Strippenziehern wird folgen.
Sudan als Versuchskaninchen für Bargeldabschaffung, universelles Grundeinkommen und Totalüberwachung
Ein weltweites Grundeinkommen für alle wäre so etwas wie die Krönung der Programme zur Massenüberwachung, die auf Betreiben oder mit tätiger Mithilfe von US-Regierung und Weltwirtschaftsforum bereits vorangetrieben werden. In diesen Kreisen denkt und plant man groß und sehr langfristig. Alle Erdenbürger sollen an das digitale System angeschlossen werden, das von der US-Regierung und den US-Digitalkonzernen kontrolliert wird. Das soll mit einem Strauß von Programmen bewerkstelligt werden. Dazu gehört die Beseitigung des Bargelds. Schlüsselspieler der Kampagne gegen das Bargeld sind auch maßgeblich an dem Grundeinkommensprojekt im Sudan beteiligt, namentlich mindestens USAID, Weltbank und das Omidyar Network. Das Weltwirtschaftsforum wirbt sowohl für finanzielle Inklusion als auch für das universelle Grundeinkommen.
Die wichtigsten Strippenzieher der globalen Kampagne gegen das Bargeld
Alle sollen außerdem mit einer eindeutigen biometrisch-digitalen Identifikation versehen werden. Für die Anbindung der weniger entwickelten Länder an das US-kontrollierte Internet hat die US-Entwicklungsbehörde USAID eine Vielzahl von Programmen. Dasselbe gilt für die Ausstattung aller Menschen mit einheitlichen Identifikationsnummern mit biometrischer Unterlegung, sodass all ihre Bewegungen in der digitalen Welt und zunehmend auch in der analogen Welt analysiert und gespeichert werden können. ID4 Afrika und ID2020 sind nur zwei Beispiele.
Die G20-Regierungen haben auf Betreiben des Weltwirtschaftsforums sogar beschlossen, Ferndiagnostik und Fernbehandlung in der Medizin und Digitalisierung des Schul- und Universitätsunterrichts, sowie mobiles Arbeiten zu fördern, und dabei mit den Telekom- und Digitalunternehmen zusammenzuarbeiten. In Entwicklungsländern werden auch Impfprogramme – zusätzlich zu ihrem originären Zweck – dafür genutzt, die biometrischen Daten von sehr vielen Menschen zu bekommen, die man anders kaum erfassen könnte.
ID2020 ist ein Programm, dass das Weltwirtschaftsforum maßgeblich vorantreibt, mit tatkräftiger Unterstützung verschiedener UN-Organisationen, die vom Geld der Konzerne und ihrer Stiftungen abhängig sind. Zwar wird dabei von dezentraler, selbstbestimmter Speicherung der Daten gesprochen. Aber man verlässt sich auf ein Machtgefälle, das dafür sorgt, dass diese Daten ständig „freiwillig“ herausgeben werden. Ein Paradebeispiel dafür ist das Programm „The Known Traveller“, das Weltwirtschaftsforum und US-Heimatschutzministerium und andere gemeinsam entwickelt haben. Im Zugverkehr zwischen Großbritannien und dem Kontinent soll das im nächsten Jahr, wenn keine EU-Datenschutzverordnung mehr im Weg ist, bereits Wirklichkeit werden.
Zu den Haupttreibern der Kampagne für biometrische Erfassung aller Menschen zählen die alten Bekannten Gates Stiftung, Omidyar Network, Weltbank, USAID und Weltwirtschaftsforum.
Das letzte Element in dieser Strategie ist das universelle Grundeinkommen, manchmal auch zusätzlich „bedingungslos“ genannt. Damit sollen die Menschen überall auf der Welt befriedet und abhängig gemacht werden. Diese vier Projekte gehören zusammen und befördern sich gegenseitig.
Das universelle Grundeinkommen
Seit 2017 wirbt das Weltwirtschaftsforum verstärkt für das universelle Grundeinkommen. Auf den Jahrestagungen in Davos werden seither regelmäßig Panel-Diskussionen und Vorträge dazu abgehalten. Die Website des Forums füllt sich mit Beiträgen zum Thema, geschätzt vier Fünftel positiv. Regelmäßig ist die Bill & Melinda Gates Stiftung direkt oder indirekt bei den verschiedenen Projekten involviert, wie schon bei der Better Than Cash Alliance, der Finanziellen Inklusion und den verschiedenen Programmen zur biometrischen Identifizierung.
„Die Alternative zum bedingungslosen Grundeinkommen ist zunehmende Wahrscheinlichkeit sozialer Unruhen, Konflikte und nicht beherrschbare Massenmigration.
Weltbank-Lead-Economist Laura Klapper wirbt beim Weltwirtschaftsforum mit einer schönen Verdrehung der bisherigen Argumentationskette für das bedingungslose Grundeinkommen. Bisher haben Weltbank, Finanzkonzerne und US-Regierung mit dem (falschen) Argument für finanzielle Inklusion geworben, damit könne man besonders effektiv die Armut bekämpfen. Nun betont die Weltbank-Ökonomin vor den Vertretern der Konzerne, dass noch nicht genug bedacht und gewürdigt werde, „dass digitale Zahlungen von Grundeinkommen die Leute in das Finanzsystem bringen können.“
Warum das so wichtig ist, hat Bill Gates auf dem Financial Inclusion Forum 2015 in Washington erklärt. Er betonte, dass die US-Regierung dafür sorgen müsse, dass alle Zahlungen in einem digitalen Finanzsystem unter Kontrolle der US-Regierung stattfinden, sodass sie alle Transaktionen beobachten und nötigenfalls blockieren kann. Passend zu dieser Zielsetzung, aber in der üblichen humanitären Einkleidung, haben erst vor zwei Wochen die Stellvertretende Generalsekretärin der UN, Kanni Wignaraja und der Chefvolkswirt des UN-Entwicklungsprogramms, Balazs Horvath, auf der Website des Weltwirtschaftsforums gewarnt: „Die Alternative zum bedingungslosen Grundeinkommen ist zunehmende Wahrscheinlichkeit sozialer Unruhen, Konflikte, nicht beherrschbare Massenmigration und das Gedeihen extremistischer Gruppen, die die soziale Enttäuschung nutzen und sich davon nähren.“
Besonders interessant ist die Einräumung, dass man es ganz so ernst nicht meint mit dem „bedingungslos“. Die UN-Spitzenmanager schreiben: „Es gibt gute Argumente dafür, einige ausgewählte Bedingungen zu haben – zum Beispiel solche, die sich auf öffentliche Güter beziehen, wie die Impfung aller Kinder und um sicherzustellen, dass sie alle zur Schule gehen. Solche Bedingungen würden dem Ziel der Armutsbeseitigung nicht zuwiderlaufen.“
Das bestätigt das, was Daniel Stelter auf seinem Blog „Think beyond the Obvious“ schon mutmaßte:
„Das bedingungslose Grundeinkommen wird bedingungslos beginnen. Aber man wird über Zeit feststellen, dass dies ziemlich teuer ist. Dann wird es zu Einschränkungen kommen. Zum Beispiel könnte man es für Kriminelle reduzieren. Oder für Menschen, die sich „asozial“ verhalten, heute z. B. keine Corona-Tracking-App laden. Einige werden das ablehnen, viele werden es aber für eine berechtigte Maßnahme halten. Genauso kann man anderes Verhalten sanktionieren – vom Müll auf die Straße werfen bis zu irgendwas. Warum sollte die Gesellschaft Leuten Geld geben, die sich nicht an die Regeln halten?
Wie das geht, machen seit einigen Jahren die Australier vor. Dort stellt die Regierung die Sozialhilfe zunehmend auf digitale Bezahlkarten um. Das erlaubt zu analysieren, was die Begünstigten mit dem Geld machen, und von vorne herein bestimmte Güterkategorien wie Alkohol oder Drogen zu blockieren.
Allzu teuer darf es natürlich nicht sein. Nur so viel gibt es, dass die Armen sich dafür freiwillig biometrisch registrieren und mit einem technischen Gerät verknüpfen lassen. Genug, damit sie dort bleiben oder hingehen, wo man sie haben will. Die Anreize zu arbeiten, müssten intakt bleiben. Das lässt sich leicht bewerkstelligen. Das universelle Grundeinkommen solle ausreichen, eine Person auf einem bescheidenen Minimalniveau am Leben zu erhalten („sustain a person at a modest minimum“).
Was das bedeutet, lässt sich an den größten Experimenten zum Grundeinkommen in Kenia und Sudan besichtigen.
Das kenianische Programm wird von der US-Organisation GiveDirectly durchgeführt. Bescheidene 22 Dollar im Monat, rund 75 Cent am Tag, beträgt dort das Grundeinkommen, das etwas über 20.000 Menschen bekommen. Es wird jeweils das ganze ausgewählte Dorf bedacht, und zwar zwölf Jahre lang. Im Sudan sollen gut 32 Millionen Menschen noch bescheidenere fünf Dollar im Monat bekommen. Das sind etwa 16 Cent am Tag.
Derartige Programme, von denen es in kleinerem Maßstab bereits sehr viele gibt, sollen die traditionelle Entwicklungshilfe nicht ergänzen, sondern nach Möglichkeit ersetzten. Ziel ist es, staatliche Mittel und Spendengelder, die bisher in die Entwicklungshilfe fließen, in solche Programme umzulenken. GiveDirectly geht von 150 Mrd. Dollar Entwicklungshilfe im Jahr aus, und rechnet vor, dass das ausreichen würde, um die 700 Millionen extrem Armen auf der Welt zu unterstützen. Wenn man rechnet, kommt man auf 18 Dollar pro Person und Monat. Das ist billig.
GiveDirectly, Liebling von Wall Street und Silicon Valley
Die Gründer und Direktoren der Organisation GiveDirectly kommen von Google (Jacquelline Fuller), McKinsey (Sheezar Jeddy, Kamau Waiuri) oder der UN (Rohit Wanchoo), arbeiten für von der Gates-Stiftung geförderte Institute (Paul Niehaus) oder haben früher für die Stiftung gearbeitet (Fuller). Sie sind Mitglieder im Council on Foregin Relations (Jeddy, Michael Faye) und wurden zu „Young Global Leaders“ des Weltwirtschaftsforums gekürt (Faye). Ausgebildet wurden sie alle an den Universitäten Harvard, Stanford und Oxford.
Als Geldgeber und Partner zuerst genannt wird auf der Website von GiveDirectly USAID, die beim Außenministerium angesiedelte US-Entwicklungshilfebehörde. Ein weiterer Geldgeber ist der Global Innovation Fund. Dessen Aufsichtsräte und wohl auch Geldgeber kommen von den Entwicklungshilfebehörden von USA, Großbritannien und Australien, der Gates-Stiftung, dem übrigen Silicon Valley und großen Finanzinstituten.
Massiv beworben wird GiveDirectly von der einflussreichen Organisation Give Well, die spendenwilligen Personen und Institutionen karitative Einrichtungen empfiehlt, die nach ihrer Einschätzung besonders kosteneffizient Gutes tun. Das wird vor allem daran gemessen, wie viel es kostet, über diese Organisationen ein Leben zu retten.
Give Well wurde 2007 von Hedgefonds-Managern an der Ostküste der USA gegründet, sitzt heute aber in San Francisco, weil die Hauptunterstützung heute von US-Digitalkonzernen kommt.
Zusammengefasst zeigt das: GiveDirectly genießt die Unterstützung von und beste Vernetzung mit den obersten Silicon-Valley-, Wall-Street- und Regierungskreisen. Die Entwicklungshilfebehörden zumindest der Angelsachsen, unterstützen den Ansatz von GiveDirectly, Hilfe für arme Länder auf (digitale) Überlebenshilfe für deren Ärmste zu reduzieren.
Ein libertäres Projekt zum Gesellschaftsumbau
Die Philosophie des universellen Grundeinkommens passt perfekt zur libertären Philosophie des Silicon Valley, wonach
- der Markt alles am besten regelt,
- auch das Karitative,
- jeder eine Chance haben sollte, sein Glück am Markt zu machen,
- am Besten als Unternehmer,
- sonst als Anbieter von Arbeitskraft an einem wirklich freien Arbeitsmarkt.
Facebook-Chef Mark Zuckerberg warb für das Grundeinkommen mit dem Argument, es könne allen ein Polster geben, das es ihnen erlaube, Neues auszuprobieren. Scott Santers, einer der eifrigsten Propagandisten des Grundeinkommens und serieller Gründer von Lobbygruppen für die Idee, argumentierte in Davos beim Weltwirtschaftsforum, das Grundeinkommen könne die Grundbedürfnisse absichern und viele der heutigen bedürftigkeitsgeprüften Sozialleistungen ersetzen. „Das universelle Grundeinkommen wäre ein Versprechen gleicher Chancen, nicht gleicher Ergebnisse.“ Es sorge für einen wirklich freien Arbeitsmarkt, bei dem die Teilnahme freiwillig ist. Der Anreiz zu arbeiten werde bewahrt, denn jeder Dollar, den man verdiene bleibe einem, egal zu welchen Lohn und egal ob als Gelegenheitsjob, in fester Anstellung oder als sogenannter Gig- oder Klick-Arbeiter.
Das ist der feuchte Traum der Libertären, besonders derer aus dem Silicon Valley. Heerscharen von Klickarbeitern, die von einem kleinen Grundeinkommen am Leben gehalten werden, warten darauf, den nächsten Auftrag zu ergattern oder für sehr kleines, aber nicht ganz so kleines Geld bei Amazon in den Lagerhäusern zu arbeiten.
Es gäbe keinen Grund mehr für die lästigen Abweichungen vom perfekten Arbeitsmarkt, wie Mindestlohn, Kündigungsschutz, Tarifverträge, Abfindungen, Diskriminierungsverbote. Denn das alte Argument, die Arbeitnehmer müssten schließlich von ihrer Arbeit leben können, fiele weg, wenn auch „leben“ eher als „überleben“ definiert wäre, denn als menschenwürdiges Leben mit sozialer Teilhabe.
Man sollte sich nicht davon täuschen lassen, dass in der Grundeinkommensdiskussion in den Industrieländern nicht von fünf oder 25 Dollar im Monat die Rede ist, sondern von 800, 1000 oder 1200 Dollar oder Euro im Monat. In der Schweiz gab es sogar über ein noch viel höheres Grundeinkommen eine (erfolglose) Volksabstimmung.
Man erinnere sich nur an die Diskussion um die vielen drastischen Rentenkürzungen und Mindestlohnsenkungen in Griechenland, als das Land, oder besser seine Kreditgeber, während der Euro-Krise mit EU-Hilfskrediten gerettet wurden. Den Politikern und Bürgern, die dagegen protestierten, und denen, die sich solidarisch erklärten, wurde entgegengehalten, dass die Renten in Bulgarien und Rumänien noch viel niedriger seien. Und diese Länder würden schließlich mit für die „Rettung“ Griechenlands bezahlen.
Genau diese Argumentation wird wieder geführt werden, wenn ein sehr kleines Grundeinkommen einmal in weiten Teilen der Welt durchgesetzt worden ist. Dann werden sich diejenigen in den Industrieländern, die für ein relativ hohes oder steigendes Grundeinkommen in ihren Ländern einsetzen, fragen lassen müssen, ob sie nicht lieber solidarisch mit denen in den armen Ländern sein wollen, die nur einen Bruchteil davon bekommen. Zuerst müsse man für ein höheres Grundeinkommen dort eintreten, sonst sei man Nationalist oder gar Rassist.
Wenn man Solidarität vom nationalen Kontext jederzeit in den globalen Kontext umlenken kann, lässt sich – aus Sicht der Marktradikalen – der Sozialstaatssumpf trocken legen, indem man ihm die gesellschaftliche Unterstützung entzieht.
Wer einigermaßen gut ausgebildet und klug ist, und den Schutz der Arbeitsgesetze heute schon nicht braucht, wird damit kein Problem haben. Im Gegenteil: Er oder sie kann sich einen Immigranten für die niederen Arbeit billig ins Land holen, jedenfalls wenn es nach Leuten wie dem Google-Forschungsmanager Glen Weyl geht, der mit dem marktradikalen Chicago-Professor Eric Posner dafür warb, dass sich jeder einen Immigranten halten dürfen soll, und damit sogar im etablierten Magazin „Politico“ abgedruckt wurde.
Politico veröffentlicht Plädoyer für Wiedereinführung der Sklaverei
Überhaupt ist Immigration ein Zauberwort. Wenn es Arbeits-Immigration aus armen Ländern nach Bedarf gibt, dann müssen zwei Einkommen nicht mehr reichen, um eine ganze Familie zu versorgen. Wenn der Nachwuchs ausbleibt, weil viele Menschen nicht genug verdienen um Wohnraum und alles übrige für eine Familie zu bezahlen, steht ein Heer junger Menschen in anderen Teilen der Welt bereit, sich für wenig Geld anwerben zu lassen.
Die schlecht Ausgebildeten, weniger Geschickten und weniger Klugen werden in dieser Grundeinkommenswelt mit Verweis auf ihre Grundsicherung dazu genötigt, die miesesten Jobs für kleinstes Geld anzunehmen.
Eine einsame Gegenstimme
Der einzige kritische Artikel zum universellen Grundeinkommen, den ich auf der Website des Weltwirtschaftsforums gefunden habe, stammt von Daron Acemoğlu. Das ist eine Art Wunderkind der Mainstream-Volkswirtschaftslehre. Er lehrt am MIT in Boston und schreibt, wenn die Wahl nur zwischen Massenverelendung und Grundeinkommen bestünde, sei ein Grundeinkommen selbstverständlich besser. Aber, ein allgemeines Grundeinkommen sei allenfalls finanzierbar, wenn man tiefe Einschnitte in das übrige Netz der Sozialleistungen macht.
„Das universelle Grundeinkommen hat alle Merkmale von ‚Brot und Spiele‘.
Es gibt aber Alternativen, so Acemoğlu, die klar vorzuziehen wären. Dazu zählt er die Verbesserung des Sozialsystems, wo dieses Mängel aufweist und politische Maßnahmen, die für gleichmäßigere Markteinkommen sorgen, also für höhere Löhne für die Benachteiligten. „Mittelklasse-Arbeiter, die ihren Job verloren haben, wollen eine Chance auf einen anderen Mittelklasse-Job, nicht staatliche Transfers“, stellt er klar.
Acemoğlu ergänzt einen sehr wichtigen Punkt, um den die Möchtegern-Technokratenherrscher aus dem Silicon Valley einen großen Bogen machen. Solche politischen Maßnahmen werden demokratisch ausgehandelt und tragen dazu bei, dass die Leute sich für Politik engagieren. Ein universelles Grundeinkommen als eierlegende Wollmilchsau der Politik tut das Gegenteil: Es wird von ganz oben auf die unbeteiligten Menschen herabregnen gelassen und entmündigt sie.
Besonders krass ist das bei dem Kenia-Experiment von GiveDirectly zu sehen. Dort kommen die Abgesandten aus den USA in ein armes Dorf, erzählen der Dorfversammlung, dass sie jedem ein Handy geben und ihnen künftig jeden Monat darüber 22 Dollar zukommen lassen wollen. Wenn die Dorfältesten oder die Dorfversammlung nicht gleich mitziehen, weil sie denken, dass bei so einem unglaublichen Angebot etwas faul sein muss, dann ziehen sie weiter. „Wir gehen in jedes Dorf nur einmal“, wird ein stolzer Vertreter von GiveDirectly in einem Pressebericht zitiert.
Acemoğlu charakterisiert den Ansatz des Silicon Valley und des Weltwirtschaftsforums, der von den Regierungen mindestens der USA, Großbritanniens und Australiens unterstützt wird, sehr treffend mit den Worten: „Das universelle Grundeinkommen hat alle Merkmale von ‚Brot und Spiele‘, die das römische und das byzantinische Reich nutzten um Unzufriedenheit zu zerstreuen und die Massen ruhigzustellen, anstatt ihnen ökonomische Chancen und politische Mitsprache zu ermöglichen.“
Viele der heutigen sozialen Probleme hätten ihre Wurzeln in der Missachtung des demokratischen Prozesses. „Die Lösung ist nicht, genug Krümel zu verteilen, um die Leute daheim, abgelenkt und sonstwie befriedigt zu halten, sondern den demokratischen Prozess wiederzubeleben.“