Barzahlerschutz in die Verfassung: Was geht europarechtlich?

24. 08. 2023 | In Österreich hat sich nach einem Volksbegehren der Bundeskanzler dafür ausgesprochen, die Rechte von Bargeldnutzern in der Verfassung zu verankern. In der Slowakei ist das schon geschehen. Auch in Deutschland gibt es auf Bundesländerebene Bestrebungen, per Volksbegehren den Schutz des Bargelds in die Landesverfassung aufzunehmen. Die Frage ist: Was können EU-Mitgliedstaaten oder Bundesländer selbst regeln, ohne mit EU-Kompetenzen in Konflikt zu geraten?

In Österreich sammelte ein Volksbegehren für das Recht auf uneingeschränktes Barzahlen eine halbe Million Unterschriften, weshalb sich das Parlament mit dem Anliegen befassen muss. Bundeskanzler Nehammer hat sich jüngst dafür ausgesprochen, Bargeld als Zahlungsmittel verfassungsrechtlich abzusichern. Er will das Recht auf Bezahlen mit Bargeld sichern und die Versorgung mit Bargeld sicherstellen, etwa dass es in jedem Ort einen Bargeldautomaten oder eine vergleichbare Bargeldquelle gibt.

In der Slowakei hat der Nationalrat am 15. Juni eine Verfassungsänderung beschlossen, die den Einzelhandel grundsätzlich auf die Akzeptanz von Bargeld verpflichtet, Allerdings behalten Ladenbesitzer das Recht, die Annahme aus „angemessenen oder allgemein gültigen Gründen“ abzulehnen.

Die Rechtslage dazu wird maßgeblich mitbestimmt vom Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in meinem Verfahren um das Recht auf Barzahlung des Rundfunkbeitrages. Allerdings ist dazu und zu allem folgenden anzumerken, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshof viel Raum für Interpretation lässt und leicht in Widersprüche führt; aus meiner Sicht, weil die Richter sehr vom angestrebten Ergebnis her argumentiert haben. Außerdem ist anzumerken, dass ich juristischer Laie bin.

Vorschlag

Der österreichischen Regierung und Initiativen für Volksbegehren in deutschen Bundesländern empfehle ich die Aufnahme von Verfassungszusätzen,

  • wonach alle staatlichen Stellen im jeweiligen Zuständigkeitsbereich sicherzustellen haben, dass alle Abgaben und Gebühren sowie Leistungen von Betrieben in öffentlichem Mehrheitsbesitz und von Betrieben, die Leistungen der Grundversorgung im hoheitlichen Auftrag erbringen, mit Euro-Bargeld bezahlt werden können, ohne Nachteile gegenüber Nutzern anderer Zahlungsformen und ohne übermäßigen Aufwand für die Zahler,
  • wonach die Sparkassen auf die Förderung der flächendeckenden Versorgung mit kostengünstigen Bargelddiensten für die Einwohner und die Unternehmen zu verpflichten sind (gleichzeitig wären aus den Sparkassengesetzen etwaige Zielbestimmungen der Förderung des unbaren Zahlungsverkehrs zu streichen),
  • wonach u.a. Supermärkte, Baumärkte und Apotheken verpflichtet werden sicherzustellen, dass sie im Katastrophenfall in der Lage sind, ihre Waren gegen Bezahlung mit Euro-Bargeld abzugeben,
  • wonach zur Sicherung des Rechts auf Gesundheit, Teilhabe am öffentlichen Leben und Bewegungsfreiheit Transportbetriebe, Parkplatz- und Parkhausbetreiber, Gesundheitsbetriebe und Veranstalter von kulturellen Veranstaltungen für mehr als 100 Besucher Euro-Bargeld annehmen müssen, ohne unangemessene Nachteile gegenüber Nutzern anderer Zahlungsformen und ohne übermäßigen Aufwand für die Zahler,
  • und umfassender, wonach alle Bürger ein Recht auf analoges Leben haben, also ein Recht, öffentliche Leistungen in Anspruch zu nehmen und am öffentlichen Leben teilzunehmen, ohne dafür Computer und moderne, mit dem Internet verbundene Kommunikationsgeräte nutzen zu müssen.

Diese Vorschlag will ich im folgenden begründen.

Was der Europäische Gerichtshof entschied

Das Grundproblem ist, dass die gemeinsame Währung und die Regelung dessen, was man damit machen kann, ausschließliche EU-Kompetenzen sind. Was es genau bedeutet, dass Euro-Bargeld (bisher noch alleiniges) gesetzliches Zahlungsmittel ist, darf also nur die EU regeln. Aus dem Urteil in meinem Verfahren von Januar 2021:

„Art. 2 Abs. 1 AEUV (ist) in Verbindung mit (…) dahin auszulegen, dass er (…) einen Mitgliedstaat daran hindert, eine Vorschrift zu erlassen, die in Anbetracht ihres Ziels und ihres Inhalts die rechtliche Ausgestaltung des Status der Euro-Banknoten als gesetzliches Zahlungsmittel determiniert. Hingegen hindert er einen Mitgliedstaat nicht daran, in Ausübung einer ihm eigenen Zuständigkeit, wie etwa der Organisation seiner öffentlichen Verwaltung, eine Vorschrift zu erlassen, die diese Verwaltung verpflichtet, die Erfüllung der von ihr auferlegten Geldleistungspflichten in bar zu akzeptieren.“

Der EuGH urteilte, dass §14 Bundesbankgesetz, der Bargeld zum alleinigen gesetzlichen Zahlungsmittel in Deutschland erklärt, unzulässig in EU-Kompetenzen eingreift und daher nicht mehr anzuwenden ist. Denn er will regeln, was die Eigenschaft des gesetzlichen Zahlungsmittels bedeutet. Der so ausgehebelte Paragraf hätte mir nach Rechtsmeinung des Bundesverwaltungsgerichts das Recht gegeben, den Rundfunkbeitrag bar zu bezahlen.

Stattdessen hat der EuGH entschieden, was eine ganz ähnliche Vorschrift im Artikel 128 des EU-Vertrags (VAEU) bedeutet. Er zog eine Verhältnismäßigkeitsabwägung aus dem Hut. Dieser zufolge dürfen Behörden Bargeldannahme verweigern, wenn der Staat damit Verwaltungskosten spart und die Bürger nicht übermäßig benachteiligt werden. Das steht dem entgegen, was bis dahin als Konsequenz der Eigenschaft des gesetzlichen Zahlungsmittels galt,

Aus Gründen des „öffentlichen Interesses“ darf eine Regierung dem Urteil zufolge die Modalitäten der Begleichung von Geldschulden regeln, soweit damit keine allgemeine Regelung der Eigenschaft des gesetzlichen Zahlungsmittels beabsichtigt ist, sondern diese allenfalls indirekt durch Ausübung einer eigenen Kompetenz der Regierung bewirkt wird.

Ausdrücklich erklärte der EuGH, dass es keine währungspolitische Festlegung wäre, wenn Mitgliedstaaten ihren Behörden vorschreiben würden, Bargeld anzunehmen. Es sei vielmehr lediglich eine Regelung des eigenen Verwaltungshandelns, für das sie die Zuständigkeit haben.

Die EU-Bargeldverordnung

Wichtig ist auch der von der EU-Kommission kürzlich vorgelegte Verordnungsentwurf zum Euro-Bargeld. Dieser soll einerseits regeln, wie weitreichend die Pflicht zur Annahme von Bargeld ist, andererseits die Mitgliedstaaten anhalten, dafür zu sorgen, dass die grundsätzliche Annahmepflicht nicht zu sehr ausgehöhlt wird. Außerdem gibt sie den Mitgliedstaaten auf, die Bargeldversorgung sicherzustellen.

Die Verordnung kann sich noch ändern. In Kombination mit der EuGH-Entscheidung ist er teilweise ziemlich verwirrend. Es wird nicht klar, wo EU-Kompetenzen an Mitgliedsstaaten delegiert werden und wo sich die EU koordinierend in Kompetenzen der Mitgliedstaaten einmischen will.

Zum Verständnis ist noch etwas weiter auszuholen. Die EU-Kommission hat auch einen Entwurf für eine Verordnung zum geplanten digitalen Zentralbankgeld vorgelegt, das die Europäische Zentralbank (EZB) herausbringen will. Meiner Überzeugung nach in Konkurrenz zum Euro-Bargeld, den Verlautbarungen nach nur zur Ergänzung.

Laut diesem Verordnungsentwurf soll die Verpflichtung den digitalen Euro anzunehmen maximal weitreichend sein. Es soll allen außer kleinen Geschäften ausdrücklich verboten werden, durch einseitige Erklärung die Annahme des digitalen Euro auszuschließen. In der Verordnung zum Euro-Bargeld gibt es diese Schutzvorschrift dagegen nicht. Alle Geschäfte sollen das Recht behalten, Bargeldannahme zu verweigern. Die Kommission will allerdings, dass dann eingegriffen wird, wenn dieses Recht von den Geschäften in einem Mitgliedsland so oft in Anspruch genommen wird, dass die Möglichkeit, in aller Regel mit Bargeld bezahlen zu können, ausgehöhlt wird.

Artikel 7 des Bargeld-Verordnungsentwurfs trägt den Mitgliedstaaten auf, anhand von Kriterien der EU-Kommission zu prüfen, ob die generelle Akzeptanz von Bargeld noch gewährleistet ist. Wenn das nicht der Fall ist, müssen sie Maßnahmen ergreifen, um Akzeptanz sicherzustellen. Der Artikel lautet (meine Übersetzung):

Artikel 7: Annahme von Zahlungen in bar

1. Um die Akzeptanz von Bargeld gemäß Artikel 4 Absatz 2 zu gewährleisten, überwachen die Mitgliedstaaten die Akzeptanz von Barzahlungen und den Umfang der einseitigen Ex-ante-Ausschlüsse von Barzahlungen in ihrem gesamten Hoheitsgebiet, in all ihren verschiedenen Regionen, einschließlich städtischer und nichtstädtischer Gebiete, auf der Grundlage der von der Kommission festgelegten gemeinsamen Indikatoren und bewerten die Situation.

2. (2) Die Mitgliedstaaten teilen die Ergebnisse ihrer Überwachung und Bewertung der Situation in Bezug auf den Umfang der Akzeptanz von Barzahlungen gemäß Artikel 9 Absatz 3 mit.

3. (3) Ist ein Mitgliedstaat der Auffassung, dass der Umfang der Annahme von Barzahlungen in seinem Hoheitsgebiet oder in Teilen davon die obligatorische Annahme von Euro-Banknoten und -Münzen untergräbt, so legt er die Abhilfemaßnahmen dar, die er gemäß Artikel 9 Absatz 4 zu ergreifen verpflichtet ist.“

Das deutet darauf hin, dass die Kommission, wohl zu Recht, Regelungen zur Sicherstellung der breiten Annahme von Bargeld als ihre EU-Kompetenz betrachtet, auch wenn sie die Umsetzung der Sicherungsmaßnahmen an die nationalen Regierungen delegieren will. Die Sicherung der allgemeinen Verwendbarkeit von Bargeld ist also kein Grund öffentlichen Interesses, der es einer nationalen Regierung erlauben würde, von sich aus tätig zu werden. Auch soll die Kommission nach Artikel 9 Abs. 4 das Recht haben, die von den Mitgliedstaaten ergriffenen Maßnahmen zu prüfen.

Wenn die slowakische Verfassung dem Einzelhandel vorschreibt, Bargeld grundsätzlich anzunehmen, und einfache Gesetze die Ausnahmen davon regeln, dann braucht es schon einige juristische Akrobatik um zum Schluss zu kommen, dass dies nicht die Akzeptanz von Bargeld gewährleisten soll, was eine EU-Kompetenz wäre.

Zwar kann und muss die Regierung nach der geplanten Verordnung die grundsätzliche Akzeptanz von Bargeld sicherstellen. Aber sie darf Maßnahmen dem Entwurf der Verordnung zufolge nur ergreifen, wenn diese breite Akzeptanz gefährdet ist. Sie darf das nicht willkürlich entscheiden, sondern muss Kriterien der EU-Kommission anwenden.

Die beschlossenen Maßnahmen wiederum werden von der Kommission geprüft. Welche das sein können, wird in Erwägungsgrund (6) der Verordnung beispielhaft angegeben:

„Ein Verbot oder eine Beschränkung einseitiger Ex-ante-Bargeldausschlüsse im gesamten Hoheitsgebiet oder in Teilen davon, beispielsweise in ländlichen Gebieten oder in bestimmten Sektoren, die als wesentlich angesehen werden, wie Postämter, Supermärkte, Apotheken oder das Gesundheitswesen, oder für bestimmte Arten von Zahlungen, die als wesentlich angesehen werden.“

Bei „wesentlich“ fehlt das „wofür“. Man darf es wohl umschreiben als „besonders wichtig für die Sicherstellung einr breiten Akzeptanz von Bargeld“, im Gegensatz etwa zu „wesentlich für die Wahrung der Grundrechte bestimmter Individuen oder Gruppen“.

EU-Kommissar fährt Österreich in die Parade

Per Twitter hat EU-Kommissar Martin Selmayr den Vorschlag des österreichischen Bundeskanzlers Nehammer, zum Bargeldschutz in der Verfassung umgehend kritisch kommentiert. Er sprach dem Land die Kompetenz zu substantiellen Schutzvorschriften ab: Er machte „fünf europarechtliche Anmerkungen, die vielleicht für die weitere Analyse und Vorgehensweise in Österreich hilfreich sind“: Hier gebe ich das Fazit  wieder (die gesamte, längliche Argumentation finden Interessierte unten im Anhang):

5. Europarechtliches Fazit zur Bargeld-Diskussion: Da das Euro-Bargeld durch vorrangiges EU-Recht bereits seit 1999 geschützt ist, kann eine nationale Regelung (sofern sie überhaupt europarechtlich zulässig wäre) inhaltlich zum Schutz des Euro-Bargeldes wenig Neues beitragen; sie könnte allenfalls deklaratorischer Natur sein und etwa wie folgt lauten: „Im Einklang mit dem vorrangigen Recht der Europäischen Union ist das Euro-Bargeld als gesetzliches Zahlungsmittel geschützt“. Wer das Euro-Bargeld in der Praxis stärker absichern möchte, sollte bei der Verabschiedung der Euro-Bargeld-Verordnung mitarbeiten, welche zahlreiche hilfreiche Konkretisierungen des EU-rechtlichen Begriffs des „gesetzlichen Zahlungsmittels“ enthält. In der Euro-Bargeld-Verordnung ist auch vorgesehen (Art. 8), dass die Mitgliedstaaten dafür sorgen müssen, dass auf ihrem gesamten Territorium, in all ihren Regionen, in Städten wie im ländlichen Raum, ausreichender und wirksamer Zugang zum Euro-Bargeld besteht. Für die vielen Menschen, die in bar bezahlen möchten, ist neben der währungsrechtlichen Grundsatzentscheidung, dass das Euro-Bargeld seit 1999 durch EU-Recht als gesetzliches Zahlungsmittel geschützt ist, ebenso die Verfügbarkeit von Geldautomaten/Bankomaten in ihrer näheren Umgebung von zentraler Bedeutung. Eine entsprechend verlässliche und flächendeckende Grundversorgung in enger Zusammenarbeit mit der Kreditwirtschaft sicherzustellen, ist in der Tat eine wichtige Aufgabe für die nationalen Regierungen und Parlamente.“

Wichtig und richtig ist, dass nicht mit dem „Schutz des Bargelds“ argumentiert werden sollte, denn das ist EU-Aufgabe. Wie argumentiert wird, ist wichtig, denn die Gerichte werden das gegebenenfalls später zugrunde legen um festzustellen, ob eine Regelung beabsichtigt festzulegen, was die Eigenschaft des gesetzlichen Zahlungsmittels konkret bedeutet.

Stattdessen ist mit dem Schutz von Rechtsgütern zu argumentieren, für die die Mitgliedssaaten zuständig sind, etwa die Sicherstellung einer bürgernahen Verwaltung oder das Recht auf Teilhabe am öffentlichen Leben und auf Bewegungsfreiheit.

Darf ein Mitgliedstaat eine Bargeld-Annahmepflicht verfügen?

Was nach dem Urteil des EuGH problemlos möglich sein sollte, wäre eine Verfassungsvorschrift, die alle öffentlichen Stellen und wohl auch alle Unternehmen in mehrheitlichem öffentlichen Besitz verpflichtet, Bargeld anzunehmen, ohne damit irgendwelche Nachteile für die Zahler gegenüber anderen Zahlungsmitteln zu verbinden. Das gilt sowohl auf Bundesebene, als auch auf Landesebene.

Zulässig ist gemäß dem EuGH-Urteil außerdem, wenn Bund oder Länder einzelnen Gläubigern vorschreiben, aus Gründen des öffentlichen Interesses, Bargeld anzunehmen. Das Interesse könnte zum Beispiel im Schutz derer liegen, die kein Konto haben und auf bestimmte Leistungen angewiesen sind. Dieses Ziel der „finanziellen Inklusion“ hat der EuGH aus den Grundrechten europäischer Bürger abgeleitet.

Deshalb sollte es möglich sein, durch nationale Gesetze oder Verfassungszusätze für grundrechtsrelevante Sektoren, wie öffentliche Verkehrsmittel, Apotheken, Postämter, Supermärkte, Parkhäuser, Wasser- und Energieversorger, Mautstraßen etc., eine Bargeldannahmepflicht aufzuerlegen. Das dient dann nicht der Regelung der Währung, sondern der Wahrung von Rechten, wie der Teilhabe am öffentlichen Leben auch ohne Konto, auf Gesundheit oder auf Schutz der Privatsphäre. Auch der Katastrophenschutz kommt als Begründung dafür in Frage, dass bestimmte Sektoren darauf verpflichtet werden, zumindest jederzeit in der Lage zu sein, Bargeld anzunehmen.

Dazu ein Hinweis: Entgegen dem, was das Bundesverwaltungsgericht und der EuGH trotz mangelnden Nachweises durch unsere Gegenseite als offenkundig annahmen, bringt die Pflicht zur Bargeldannahme in Massenzahlungsverfahren keine unverhältnismäßigen Kosten mit sich. Es gibt Dienstleister, die die Bargeldannahme im Auftrag  effizient und für kleines Geld übernehmen. Die beiden höchsten Gerichte haben unsere wiederholten Hinweise und den der EZB hierauf geflissentlich ignoriert.

Wie sieht es mit Vorschriften zur Bargeldversorgung aus?

Der EuGH hat sich mit dieser Frage im oben genannten Urteil nicht befasst.

Nach den Vorstellungen der Kommission sollen die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass der Zugang zu und die Versorgung mit Bargeld ausreichend ist. Dazu heißt es im Verordnungsentwurf:

Artikel 8: Zugang zu Bargeld

1. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass in ihrem gesamten Hoheitsgebiet in allen Regionen, einschließlich der städtischen und nichtstädtischen Gebiete, ein ausreichender und effektiver Zugang zu Bargeld besteht. Um einen ausreichenden und effektiven Zugang zu Barmitteln zu gewährleisten, überwachen die Mitgliedstaaten den Zugang zu Barmitteln in ihrem gesamten Hoheitsgebiet, in allen ihren verschiedenen Regionen, einschließlich städtischer und nichtstädtischer Gebiete, auf der Grundlage der von der Kommission festgelegten gemeinsamen Indikatoren und bewerten die Situation.

2. Die Mitgliedstaaten teilen die Ergebnisse ihrer Überwachung und Bewertung der Lage in Bezug auf den Zugang zu Barmitteln gemäß Artikel 9 Absatz 3 mit.

3. Ist ein Mitgliedstaat der Auffassung, dass ein ausreichender und effektiver Zugang zu Barmitteln nicht gewährleistet ist, so legt er die Abhilfemaßnahmen dar, zu denen er sich gemäß Artikel 9 Absatz 4 verpflichtet.“

Als mögliche Maßnahmen zur Sicherung der Bargeldversorgung sind in Erwägungsgrund 7 des Richtlinienentwurfs genannt:

„Anforderungen an den geografischen Zugang von Zahlungsdienstleistern, die Bargeldabhebungsdienste erbringen, um Bargelddienste in einer ausreichenden Zahl von Zweigstellen, in denen sie tätig sind, oder über einen benannten Bevollmächtigten für reine Online-Kreditinstitute vorzuhalten, oder um eine ausreichende Dichte von Geldautomaten, in denen sie tätig sind, vorzuhalten, wobei eine gute geografische Verteilung im Verhältnis zur Bevölkerung zu berücksichtigen ist, auch unter Berücksichtigung eines möglichen gemeinsamen Betriebs von Geldautomaten. Weitere Abhilfemaßnahmen könnten Empfehlungen an Nicht-Kreditinstitute wie unabhängige Geldautomatenbetreiber, Einzelhändler oder Postämter umfassen, die dazu ermutigen, die Bargelddienstleistungen der Banken zu ergänzen.“

Soweit es um die Sicherstellung der generellen Nutzbarkeit von Bargeld geht, haben die Mitgliedstaaten offenbar nach Einschätzung der Kommission nur delegierte Kompetenzen, die jederzeit von der EU geändert werden können.

Wenn diese Auffassung zuträfe, dürfte daher eine verfassungsrechtliche Festlegung von Regeln oder Instrumenten der Bargeldversorgung nur möglich sein, wenn die Begründung nicht allgemein die Sicherung der Bargeldversorgung ist, sondern aus anderen Zielen abgeleitet ist. Finanzielle Inklusion und Katastrophenschutz kommen hier allerdings nicht in Frage, da Menschen ohne Konto Geldautomaten nicht nutzen können und diese bei andauerndem großflächigen Stromausfall nicht funktionieren.

Was kann in Landesverfassungen geschrieben werden

Mindestens in Niedersachsen gibt es Bestrebungen, über ein Volksbegehren ein Recht auf Bargeld in die Landesverfassung aufzunehmen.

Die Artikel 47 (Volksinitiative), 48 (Volksbegehren) und 49 (Volksentscheid) der Niedersächsischen Verfassung ermöglichen den Niedersachsen zu bestimmen, dass sich der Niedersächsische Landtag mit gewissen Sachthemen beschäftigen oder über Gesetzentwürfe beschließen muss oder sie können selbst abschließend über durch Volksbegehren eingebrachte Gesetzentwürfe abstimmen.

Ein vergleichbares Recht für das Volk mittels direkter Demokratie auch Sachverhalte auf Bundesebene zu regeln, gibt es in Deutschland leider nicht.

Wie auf Bundesebene sollte es auf Landesebene ohne weiteres möglich sein, per Verfassungszusatz alle Behörden in Niedersachsen und alle öffentlichen Betriebe auf die Annahme von Bargeld zu verpflichten.

Um private Unternehmen zur Bargeldannahme zu verpflichten, braucht man auf Landesebene einen eigenen Kompetenzbereich, in dem eine Annahmeverpflichtung für bestimmte Sektoren zur Zielerreichung beitragen kann. Katastrophenschutz dürfte ebenso dazugehören wie die Sicherstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in den Regionen. Schutz der Privatsphäre eventuell auch. Darüber hinaus traue ich mir mangels verwaltungsrechtlichen Wissens keine hinreichend fundierten Mutmaßungen zu.

Bei Maßnahmen zur Sicherung der Versorgung mit Bargeld liegt eine Schwierigkeit darin, dass die Bankenaufsicht eine Bundeskompetenz ist. Ein Bundesland dürfte daher keine Möglichkeit haben, durch Einwirkung auf die Geschäftsbanken die Bargeldversorgung sicherzustellen.

Anders dürfte es bei Sparkassen aussehen. Deren Geschäft wird in den Landessparkassengesetzen geregelt. Das ist nicht ganz unerheblich, denn die Sparkassen haben in letzter Zeit oft Vorreiter für die Bargeldverdrängung gespielt. Dabei sind sie für den ländlichen Raum, wo die Bargeldversorung zuerst schwierig wird, von besonderer Bedeutung. Eine Vorschrift in der Verfassung, die die Sparkassen auf das Ziel einer möglichst guten Versorgung mit Bargeld und möglichst hohen Akzeptanz von Bargeld verpflichtet, könnte daher hilfreich sein. Näheres wäre durch Reform des Sparkassengesetzes zu regeln, für das eine Volksinitiative einen Vorschlag ausarbeiten könnte.

Auch andere Akteure der Bargeldversorgung unter der gewerberechtlichen Aufsicht des Landes könnten verpflichtet werden, zur Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse zur Bargeldversorgung in schlecht versorgten Regionen beizutragen.

Wichtiger Hinweis

Diese Ausführungen und Empfehlungen sind als Beitrag eines juristischen Laien zu verstehen. Sie sollen vor allem eine Diskussionsgrundlage sein. Auf Fehler und sinnvolle Ergänzungen, die mir zur Kenntnis gebracht werden – bitte nur von Menschen, die nicht vermuten, sondern genau wissen, wovon sie reden – werde ich hier hinweisen. Ab ca. 6. September nochmal vorbeizuschauen, könnte sich lohnen.

Anhang

Argumentation von Martin Selmayr im Twitter-Thread

1. Der Euro unterliegt als einheitliche Währung in der Europäischen Währungsunion allein der Gesetzgebungszuständigkeit der EU: Seit 1.1.1999 ist die Währung in den Euro-Teilnehmerstaaten der Euro, der als einheitliche Währung die bisherigen nationalen Währungen ersetzt hat. Die den Euro betreffende Währungspolitik und das den Euro regelnde Währungsrecht liegen heute in der ausschließlichen Zuständigkeit der EU (Art. 3 Abs. 1 Buchstabe c sowie Artikel 127 bis 133 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU). Ausschließliche Zuständigkeit bedeutet, dass in Fragen betreffend den Euro nur die EU gesetzgeberisch tätig werden und verbindliche Rechtsakte erlassen darf (Art. 2 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU). Der Übertragung der Währungssouveränität auf die EU hat Österreich bei seinem Beitritt zur EU am 12.6.1994 per Volksabstimmung, die eine Gesamtänderung der Bundesverfassung bewirkt hat, zugestimmt.

2. Die EU garantiert bereits seit 1999 das Bargeld: Anders als die meisten EU-Staaten gewährleistet die EU durch vorrangiges EU-Recht das Bargeld als gesetzliches Zahlungsmittel. Art. 128 Abs. 1 Satz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU legt auf EU-Verfassungsebene (nur änderbar, wenn alle 27 EU-Staaten zustimmen und diese Änderung ratifizieren) fest, dass die von der EZB und (mit ihrer Genehmigung) von den nationlen Zentralbanken ausgegebenen Euro-Banknoten im Euroraum die einzigen Banknoten sind, die „gesetzliches Zahlungsmittel“ sind. Ferner bestimmt die Euro-Verordnung 974/98 in ihrem Art. 11 Satz 2, dass auch die von den Mitgliedstaaten ausgegebenen, auf Euro und Cent lautenden Münzen gesetzliches Zahlungsmittel sind (begrenzt pro Zahlung auf 50 Münzen). Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat durch Urteil vom 26.1.2021 (verb. Rs. C-422/19 u. C-423/19, Dietrich und Häring/Hessischer Rundfunk, EU:C:2021:63, Randnr. 56) bestätigt, dass nach vorrangigem EU-Recht der „Grundsatz“ gilt, „dass es in der Regel möglich sein muss, eine Geldleistungspflicht mit Euro-Bargeld zu erfüllen.“ Der Status der Euro-Banknoten und Euro-Münzen als gesetzliches Zahlungsmittel erfordere „eine grundsätzliche Annahme von Euro-Bargeld“. Für jeden Schuldner müsse daher die Möglichkeit gewährleistet sein, eine Geldleistungspflicht in der Regel mit Euro-Bargeld zu erfüllen. Ausnahmen von diesem Grundsatz seien nur möglich, wenn sie einem öffentlichen Interesse dienen und die grundsätzliche Möglichkeit unberührt lassen, erforderlichenfalls (z.B. wenn der Schuldner über keine elektronischen oder digitalen Zahlungsmöglichkeiten verfügt) auch in Euro-Bargeld zu bezahlen. Der EuGH urteilte explizit (Randnr. 62), dass das EU-Recht „einer Regelung entgegensteht, die die rechtliche oder faktische Abschaffung des Euro-Bargelds bezweckt oder bewirkt, indem sie insbesondere die Möglichkeit untergräbt, eine Geldleistungspflicht in der Regel mit solchem Bargeld zu erfüllen.“

3. Ein EU-Mitgliedstaat ist nach Auffassung des EuGH (Randnr. 56) durch die ausschließliche Zuständigkeit der EU für den Euro und das Euro-Bargeld nicht daran gehindert, in Ausübung seiner eigenen Befugnisse, wie etwa der Organisation seiner öffentlichen Verwaltung, eine Maßnahme zu erlassen, die diese Verwaltung zur Annahme von Barzahlungen seitens der Bürger verpflichtet (also z.B. die Zahlung bestimmter Steuern und Abgaben in bar zu ermöglichen) oder auch aus einem Grund des öffentlichen Interesses eine Ausnahme von dieser Verpflichtung für hoheitlich auferlegte Zahlungen einführt, vorausgesetzt, es bleibt grundsätzlich die Möglichkeit bestehen, erforderlichenfalls (z.B. wenn der Schuldner über keine elektronischen oder digitalen Zahlungsmöglichkeiten verfügt) auch in Euro-Bargeld zu bezahlen.

4. Da sich das individuelle Zahlungsverhalten durch die Digitalisierung fortschreitend verändert – 2022 zahlten bereits 41% der Menschen in der EU per Karte, App oder Überweisung, im Vergleich zu 21% 2016 – hat die Europäische Kommission am 28.6.2023 vorgeschlagen, das EU-rechtlich garantierte Euro-Bargeld durch einen digitalen Euro zu ergänzen, um den Euro auch im digitalen Zeitalter für die Zukunft abzusichern. Weltweit arbeiten bereits 114 Staaten an einem solchen digitalen Zentralbankgeld. Da in der EU das Euro-Bargeld durch vorrangiges EU-Recht geschützt ist, kann der neue digitale Euro nur als zusätzliche Zahlungsmöglichkeit ergänzend neben das fortbestehende Euro-Bargeld treten. Die Kommission hat zugleich am 28.6.2023 vorgeschlagen, den EU-rechtlich seit 1999 bestehenden Schutz des Euro-Bargelds als gesetzliches Zahlungsmittel durch eine eigene Euro-Bargeld-Veordnung weiter zu verstärken. Der Grundsatz, dass Geldleistungspflichten mit Euro-Bargeld erfüllt werden können, wird in Art. 4 der Euro-Bargeld-Verordnung bekräftigt; Ausnahmen sind in Art. 5 für wenige, eng definierte Fälle definiert (z.B. wenn es offenkundig unverhältnismäßig wäre, eine Euro-Banknote mit hohem Nennwert als Zahung für einen kleinen Geldbetrag anzunehmen); https://economy-finance.ec.europa.eu/system/files/2023-06/COM_2023_364_1_EN_ACT_part1_v6.pdf. Die Euro-Bargeld-Verordnung muss noch vom Europäischen Parlament und dem EU-Ministerrat (bestehend aus den Finanzministern der 27 EU-Mitgliedstaaten, die mit qualifizierter Mehrheit entscheiden) angenommen werden.

Print Friendly, PDF & Email