Hakon von Holst. Der konservative österreichische Regierungschef Karl Nehammer (ÖVP) will Euro-Bargeld als Zahlungsmittel in Verfassungsrang erheben. Weil die Menschen ein Recht auf Banknoten und Münzen hätten, wären drei Schritte notwendig, heißt es aus dem Bundeskanzleramt:
- Die verfassungsrechtliche Absicherung von Bargeld als Zahlungsmittel
- Sicherstellen, dass auch weiterhin mit Bargeld bezahlt werden kann
- Sicherung einer Grundversorgung mit Bargeld unter Einbindung der Nationalbank
Im September soll es einen runden Tisch mit den zuständigen Ministerien, Branchenvertretern und der Nationalbank geben. Ziel sei es, die drei Punkte »bestmöglich, verhältnismäßig und rechtssicher umzusetzen«, so Nehammer.
Sozialdemokraten grundsätzlich offen
Der SPÖ-Klubobmann im Nationalrat Philip Kucher kommentierte: »Auch wenn wir hundert Mal das Wort Bargeld in die Verfassung schreiben, gibt es damit keinen einzigen« Bankomaten zusätzlich in Österreich. Es brauche ein Bargeldversorgungsgesetz, damit jeder Bürger problemlos Geld von seinem Girokonto abheben kann und »überall damit bezahlen darf«.
Mittlerweile gebe es in 450 der insgesamt 2100 Gemeinden des Landes entweder keinen Geldautomaten mehr oder die Kommune müsse für ihn finanziell aufkommen. Laut SPÖ erwirtschaftete der heimische Bankensektor im vergangenen Jahr einen Gewinn von 10,2 Milliarden Euro. Die Branche könne daher problemlos verpflichtet werden, in jeder Gemeinde mindestens einen Geldautomaten zu unterhalten. Das dürfe gerne in die Verfassung Eingang finden.
Ein Automat je Kommune? »Durch solche Festlegungen schränkt man auch die Möglichkeiten ein«, findet allerdings der ÖVP-Kanzler. Man müsse »Freiraum lassen«.(Anmerkung N.H.: Was er damit meint ist nicht ganz klar. Vielleicht die Möglichkeit, Bargeld im Supermarkt abzuheben.)
Regierungschef mangelhaft informiert
Ein Reporter erkundigte sich bei Karl Nehammer, wie er zu Bargeldlimits stehe. Denn geht es nach EU-Parlament und -Kommission, muss der Bürger bald ab bestimmten Schwellen digital bezahlen. Der Kanzler: »Wir haben schon Höchstgrenzen, auch in Österreich – die liegt, glaube ich, bei 10.000 Euro. Ich halte das für eine gute Regelung.«
Tatsächlich greift in der Alpenrepublik kein Verbot für die Barzahlung. Ab 10.000 Euro muss der Händler lediglich seinen Kunden identifizieren (1), und zwar seit Umsetzung der vierten EU-Geldwäscherichtlinie. Dennoch will die EU-Kommission den Bürger zwingen, ab einem Rechnungsbetrag von 10.000 Euro die Dienste einer Bank in Anspruch zu nehmen.
Fehlender Kontext in der Berichterstattung
Die Nachrichtenagentur Reuters meldete am 4. August 2023: »Österreichs Regierungschef stellt sich hinter die rechtsextreme Forderung, Bargeld in der Verfassung zu verankern[.]« Schließlich wäre es die FPÖ gewesen, die sich jahrelang dafür eingesetzt habe. Deren Parteichef Herbert Kickl wirft dem Bundeskanzler auch gleich Ideendiebstahl vor.
Man sollte von Politikern erwarten dürfen, dass sie im Sinne des Bürgers miteinander kooperieren und ihre Befindlichkeiten und Parteiinteressen zurückstellen. 530.000 Bürger unterstützten das Volksbegehren »für uneingeschränkte Bargeldzahlung«, bei nur 6,4 Millionen Wahlberechtigten.
Wenn die Schwelle von 100.000 Unterstützern überschritten wird, muss sich der Nationalrat mit dem Anliegen befassen. 2023 setzte sich die FPÖ im Parlament für eine Volksabstimmung ein. Der Bürger möge darüber befinden, ob die Verfassung ergänzt werden soll: um einen Schutz vor staatlichen Barzahlungsgrenzen, vor Einschränkungen bei der Bargeldannahme im Waren- und Dienstleistungsverkehr sowie um die Garantie für eine barrierefreie Versorgung mit Banknoten und Münzen.
Die Sozialdemokraten um Kai Jan Krainer im Nationalrat und Manfred Mertel im Bundesrat wollten mit einem gewöhnlichen Gesetz sicherstellen, dass für die Akzeptanz von Bargeld im Einzelhandel und die Verfügbarkeit von Geldscheinen durch Bankautomaten garantiert ist.
Gemeinden in Not
Falls Bundeskanzler Karl Nehammer tatsächlich erwägen sollte, auch den Zugang zu Bargeld durch die Verfassung zu schützen, dann hätte er dabei eher bei der SPÖ als bei der FPÖ abgekupfert. Es war der Sozialdemokrat Andreas Kollross, der in den vergangenen Jahren von sich reden machte, wenn es um hohe Gebühren für die Bargeldauszahlung oder das Sterben der Geldautomaten ging (2).
Ende Juli 2023 berichteten Medien über die Forderung der SPÖ, die Versorgung mit Bargeld sicherzustellen. »Menschen haben ein Recht auf ihr eigenes Bargeld«, sagte Kollross. Für die Gemeinden ist es von Interesse, dass ein Geldautomat im Ort ist. Das soll sogar der lokalen Wirtschaft zugute kommen, wenn man den Präsidenten des Österreichischen Gemeindebunds Glauben schenkt. Für die Banken aber bedeutet Bargeld Kosten, also wird der Automat abgebaut. Spitzfindige Zahlungsdienstleister treten daraufhin an die Bürgermeister heran und bieten einen Deal an: Bankomat gegen Geld. Die Kommune Kemeten im Burgenland zahlte dafür bislang 3500 Euro im Jahr. In Zukunft soll sie 27.000 überweisen, sonst ist der Automat weg.
In diesem Kontext also steht die Initiative von Karl Nehammer. Der Vollständigkeit halber sei ergänzt: 2019 brachten sowohl SPÖ als auch FPÖ und ÖVP jeweils eigene Anträge in den Nationalrat ein, Bargeld in Verfassungsrang zu heben. Keiner erhielt die erforderliche Mehrheit. Damals ging es weder explizit um die Akzeptanz noch um die Verfügbarkeit von Bargeld. Die FPÖ-Variante lautete: »Die Verwendung von Bargeld unterliegt keinen Einschränkungen.« SPÖ und ÖVP wollten diesen Satz durch Ausnahmen ergänzen.
EU-Länder dürfen Währung schützen
Die Stuttgarter Nachrichten schreiben unter dem Titel „Brüssel kontert eine Wiener Bargeld-Posse“, der Vorstoß von Karl Nehammer komme überraschend, »denn niemand möchte den Österreichern ihr Bargeld wegnehmen.« Den entscheidenden Zusatz erwähnte die Zeitung nicht: Bargeld als Zahlungsmittel soll von der Verfassung abgesichert werden. Das ist ein Unterschied. Die EU-Kommission drängt die Barzahlung mit verschiedenen Maßnahmen zurück. In größeren Städten in den Niederlanden lehnen bereits sechs Prozent der Einzelhändler Bargeld ab. Es spricht nichts dagegen, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Wenn sich der Bürger an eine bargeldlose Welt gewöhnt, wird es politisch immer schwieriger, das Bargeld zu schützen. Voraussicht ist gut.
Ein EU-Beamter klärte den Bundeskanzler (via Twitter) über seine nicht vorhandenen Kompetenzen auf. Die Zuständigkeiten würden in Brüssel liegen. Dann erfährt der Leser des Tweets oder der Stuttgarter Nachrichten allerdings, dass die Mitgliedsstaaten sehr wohl die Aufgabe besitzen, die Akzeptanz und Verfügbarkeit von Bargeld sicherzustellen, also ein funktionsfähiges Zahlungssystem zu gewährleisten. So steht das auch in der geplanten Bargeld-Verordnung der EU-Kommission.
Während Brüssel seinen digitalen Euro per Rechtsverordnung von vornherein mit möglichst universeller Akzeptanz ausstatten will, soll zunächst gemäß der Bargeld-Verordnung weiterhin den EU-Ländern überlassen bleiben, inwieweit sie den Schutz der Barzahlung verwirklichen. Das geht aus der Bargeld-Verordnung hervor. So gesehen ist die Initiative von Karl Nehammer richtig. Es wäre jedoch angebracht, dass sich der Bundeskanzler auch auf EU-Ebene dafür einsetzt, dass der digitale Euro nicht gegenüber Bargeld bevorzugt behandelt wird.
Am besten, das Parlament beschließt, nicht nur Akzeptanz und Verfügbarkeit von Banknoten und Münzen sicherzustellen, sondern auch die Regierung durch die Verfassung darauf zu verpflichten, sich auf EU-Ebene zu allen Zeiten für das Bargeld einzusetzen.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Bargeldverbot.info
Kommentar von Norbert Häring: Die Problematik der nationalen Kompetenz, die Bargeldverwendbarkeit auf dem (nationalen) Rechtsweg zu schützen, ist komplex. Dazu werde ich einen eigenen Beitrag verfassen.