Direkte Zugänge zu den Hamburger Behörden müssen erhalten bleiben! Migrations- und Sozialberatungsstellen kritisieren dysfunktionale Effekte der Digitalisierung
Auch die Ämter haben ihren kundennahen Beratungs- und Dienstleistungsauftrag zu erfüllen. Die Erreichbarkeit der Behörden wird trotz zunehmender Digitalisierung insgesamt schlechter, nicht besser. Digitale Zugangserfordernisse erhöhen für viele Menschen generell die Schwellen zu Ressourcen (Leistungen, Wohnungssuche, etc.) und grenzen weniger gebildete, ältere, nicht deutschsprachige und von Armut betroffene Menschen aus. Vor dem Hintergrund mangelnder digitaler Bildung und finanzieller Voraussetzungen verstärkt diese Entwicklung in allen gesellschaftlichen Bereichen die soziale Ungleichheit.
Viele Menschen werden auf Dauer von sozialer Teilhabe abgehängt. Das darf nicht passieren. Die Anforderungen digitaler Grundbildung beim Zugang zu Behörden werden stetig ausgeweitet. Digitale Fähigkeiten, der Besitz technischer Geräte, ein Internetzugang und eine E-Mail-Adresse werden immer häufiger einfach vorausgesetzt. In zunehmenden Fällen werden Menschen bei der Antragstellung oder Terminvergabe einfach auf digitale Verfahren verwiesen. Die Möglichkeit einer direkten Vorsprache wird häufig nicht mehr benannt.
Da Deutsch zu sprechen für viele Migrant:innen leichter ist als zu schreiben, stellt die schriftliche Kommunikation eine zusätzliche Hürde dar. Die meisten Ratsuchenden haben nur ein Smartphone zur Verfügung, in denen die gesamte digitale Kommunikation sowie wichtige Anhänge und Dokumente nicht gesichert werden können. Einen eigenen Laptop oder einen Drucker besitzen die wenigsten.
Die Erfahrungen der Coronapandemie haben einen Digitalisierungsschub beim Zugang zu den Behörden ausgelöst. Der im Prinzip wünschenswerte Ausbau digitaler Dienste führt nun dazu, dass die telefonischen und direkten Kund:innenkontakte weiterhin eingeschränkt und die Klient:innen selbst auf Abstand gehalten werden. Auch aufgrund des Personalmangels, so entsteht der Eindruck, wird die Präsenz der Klient:innen in den Behörden anscheinend immer mehr zum Störfaktor. Die Behörden umgeben sich Schritt für Schritt mit einem Abschottungsring aus Terminbuchungserfordernissen, digitaler Antragstellung und Telefon-Hotlines.
Die direkte Erreichbarkeit der Sachbearbeitung weicht einer Anonymisierung und personellen Austauschbarkeit, so dass Menschen immer häufiger den Eindruck gewinnen, sich an eine Blackbox zu wenden. Sie hoffen und warten auf eine Antwort ohne die Zusicherung eines verbindlichen Kontakts. Gerade bei dringlichen Fällen, wenn schnelle Lösungen gebraucht werden, funktioniert ein solches System bisher nur schlecht. Ein erheblicher Teil der Menschen, die die Behördendienstleistungen in Anspruch nehmen müssen, ist immer stärker auf technisch und sprachlich vermittelnde Beratungsstellen angewiesen.
Die Sozial-, Migrations-, Jugend- und Gesundheitsberatungsstellen geraten durch die starke Inanspruchnahme und die Höherschwelligkeit der Behördenkontakte immer weiter unter Druck, anstatt Entlastung zu erfahren. Ohne die Beratungsstellen würden viele Anträge auf Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, einfach nicht gestellt werden. Dazu kommen die Funktionsprobleme vieler Online-Tools, die nicht ausgereift und damit ineffektiv sind, so dass die Arbeit erschwert wird und mehr Zeit kostet. Der Kampf mit den Online-Tools führt paradoxer Weise oft dazu, dass doch der Post- und Papierweg beschritten werden muss. Einige Beispiele für die dysfunktionalen Effekte der Digitalisierung illustrieren aktuelle Missstände in der Hamburger Verwaltung:
Die Jobcenter halten zwar Infotheken für dringliche Fälle offen, faktisch werden Kund:innen aber nicht immer vorgelassen, sondern teils vom Wachpersonal, teils vom Personal an den Infotheken trotz Begleitschreiben fortgeschickt. Die Ausgabe von Antragsformularen oder die Annahme abzugebender Dokumente oder Eingangsstempel wird häufig verweigert. …
Weitere Beispiele aus Hamburg und die Logos der Beratungsstellen finden Sie im offenen Brief.