Stimmt es wirklich, Herr Pletter, …

… dass tausend Geisterfahrer auf Wolfgang Schäuble zurasen? Roman Pletter verteidigt in der Zeit vordergründig Deutschlands Wirtschaftspolitik gegen angelsächsische Kritik. Der junge stellvertretende Ressortleiter der Wochenzeitung ist ein steil aufsteigender Komet am Himmel des deutschen Journalismus. Deshalb ist nicht ganz unwichtig, was Pletter über die deutsch Wirtschaftspolitik denkt und schreibt.

Der frisch gebackene Harvard-Absolvent hat mit Mathias Döpfner, Nikolaus Blome und Richard David Precht gemeinsam, dass er als Richard F. Burns Fellow ein Journalismusstipendum in den USA bekam. Zusätzlich wählten ihn die Harvard University und die Studienstiftung des Deutschen Volkes für das McCloy-Programm aus – und damit für Höheres: Der Studienstiftung zufolge ermöglicht das Programm „künftigen Führungskräften ein zweijähriges Masterstudium an der Harvard Kennedy School. Neben der Qualifizierung für öffentliche und internationale Organisationen ist es Ziel des Programms, die transatlantische Verständigung zu fördern und die McCloy-Stipendiaten über das zweijährige gemeinsame Studium hinaus fortwirkend zu vernetzen.“

 Da ist es auf den ersten Blick erstaunlich, dass ausgerechnet Pletter es sich in einem seiner seltenen großen Texte zur Aufgabe macht, das angelsächsische Genörgel an der deutschen Wirtschaftspolitik zu widerlegen. Aber das tut er nur vordergründig. Er schreibt zwar zu Anfang, dass nicht der auf internationalem Parkett oft so einsame deutsche Finanzminister der Geisterfahrer sei, sondern all die Kritiker der deutschen Sparagenda.  Tatsächlich transportiert der Text „Ein Geisterfahrer? Nein Tausend“ aber die bekannten Washingtoner Vorlieben hinsichtlich der politischen Entwicklung Europas.

 „Den Rest Europas werden ein paar Milliarden Euro gegossen in deutschen Beton nicht retten“, schreibt er. Den „Alarmismus von ein paar Ökonomen-Schamanen“ verdammt er, die so tun als ob „Deutschland morgen zusammenbricht, wenn es nicht tausend neue Brücken baut“. Auch gegen eine „seltene Allianz von Industrie- und Gewerkschaftsvertretern“ wettert er, „die auf Aufträge und höhere Löhne spekulieren“. Kurz zuvor hatte er noch festgestellt, dass Schäubles schwarze Null im Haushalt nicht Selbstzweck ist, sondern dass es um Steigerung des Lebensstandards geht. Wovon aber hängt der Lebensstandard fürdie große Mehrheit der Bevölkerung ab? Von der Lohnhöhe. Wie kann man dann den Wunsch nach höheren Löhnen verdammen? Man kann, wenn man bei Lebensstandard vor allem an die Einkommen derer denkt, die Gewinn- und Vermögenseinkommen beziehen, oder deren Gehälter steigen, wenn sie diejenigen ihrer Untergebenen erfolgreich drücken.

 Dann kommt das Argument, dass die anderen europäische Staaten ja nur mehr Ausgaben von Deutschland wollten, damit sie selbst weniger sparen müssen, denn nur so gebe es aus ihrer Sicht eine Chance auf ein baldiges Ende der Krise. Das sei vordergründig richtig, so Pletter, aber „die Logik ist trügerisch“, setzt er sofort hinzu. „Die Euro-Staaten haben schon sehr hohe Schulden, ihr Schuldenberg ist größer als auf dem Höhepunkt der Euro-Krise. Seit 2008 ist er trotz der allerorten beklagten Sparpolitik um 44 Prozent auf 9,3 Billionen Euro gewachsen.“

 Dies ist der Schlüsselabsatz, mit dem Pletter begründet, warum weniger hartes Ausgabenkürzen der Regierungen nicht zielführend sein kann. Wobei „begründet“ nicht das richtige Wort ist. Er intoniert das nur. Eine naheliegende Logik würde sagen, diejenigen haben Recht gehabt, die vorher schon sagten, die Austeritätspolitik werde scheitern, weil sie die Wirtschaft kaputtmacht, die Staatseinnahmen einbrechen lässt und so nicht einmal zu Schuldenabbau führt. Genau das ist passiert, wie Pletter selbst berichtet. Man könnte dafür auch zusätzlich anführen, dass die Architekten dieser Politik, der IWF, die EU-Kommission und die EZB jahrelang mit ihren Wachstumsprognosen für die Programmländer krass daneben lagen, nämlich immer viel zu hoch, weil sie die absehbare wachstumsschädliche Wirkung der Ausgabenkürzungen leugneten.

 Nach dieser logisch kontraproduktiven Überleitung spult Pletter unter Rückgriff auf die These des Lieblingsideologen der  Wall-Street, Larry Summers, von der säkularen Stagnation, also vom  dauerhaft gesunkenen Wachstumspotential, das übliche Programm ab, das Wall-Street-affine Angelsachsen von Deutschland und Europa erwarten: Entmachtung der Nationalstaaten zugunsten Brüssels, Vergemeinschaftung der Schulden, Verkleinerung des Staates, Stärkung des privaten Kapitals usw.

Also doch keine Überraschung.

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