16. 09. 2020 | Aus einer Sonderauswertung des Statistikamtes ging hervor, dass die Sterblichkeit in Deutschland im Jahr der Pandemie nicht höher war als normal und deutlich weniger hoch als im schweren Grippejahr 2018. Daraus hatte ich gefolgert, dass „man den Bürgern in Deutschland zur Rettung von Leben (und Gesundheit) in der Corona-Pandemie um ein Vielfaches höhere Kosten und Einschränkungen aufgebürdet hat, als man das sonst zur Erreichung des gleichen Ziels in Erwägung ziehen würde.“ Dazu kam Widerspruch auf den ich eingehen möchte.
Offenbar ist durch meinen Beitrag nicht ganz klar geworden, worauf ich hinaus will, jedenfalls nicht für alle.
Sonderauswertung des Statistischen Bundesamts zeigt normale Sterblichkeit im Jahr der Pandemie
Meine Antworten auf die folgende Leserzuschrift (>> … <<) sind direkt unter den jeweiligen Absätzen eingefügt (N.H. … N.H. Ende).
>> Hallo Herr Haering, ich kann ihren Schlussfolgerungen nicht zustimmen. Was sicherlich richtig ist, ist die Tatsache, dass man bei der Grippewelle 2018 Gegenmaßnahmen nicht im selben Maße wie dieses Jahr durchsetzen konnte. <<
N.H. „Durchsetzen konnte“ impliziert, dass man etwas durchsetzen wollte. Mir ist nicht bekannt, dass über Maßnahmen nach Art der gegen Corona ergriffenen auch nur nachgedacht oder diskutiert wurde. Diese Grippetoten wurden einfach so hingenommen und es war nie ein politisches Thema, ob oder was man dagegen tun sollte. N.H. Ende
>> Was man allerdings aus der Statistik und den von ihnen zitierten Graphen sehr deutlich erkennen kann ist, dass der Peak der Übersterblichkeit sehr gut mit dem Peak der Todesopfer die laut RKI Covid zuzuordnen sind korreliert.<<
N.H. Ich stelle nicht im geringsten in Abrede, dass es Tote und Schwerkranke durch Covid-19 gab. Ich lenke das Augenmerk darauf, dass es zwei Jahre vorher sehr viel mehr Tote wegen Grippe gab. Über Schwerkranke ist nichts bekannt. N.H. Ende
>> Danach gehen diese Zahlen herunter. Dies korreliert auch zeitlich mit dem Einsetzen der allseits bekannten Gegenmaßnahmen. Somit kann man implizieren, dass diese gewirkt haben (dem stimmen sie ja auch zu, wenn ich richtig gelesen habe).<<
N.H. Es scheint plausibel, dass die Kontaktbeschränkungen und Lockdowns die Ausbreitung des Virus gehemmt haben. Der bloße zeitliche Gleichlauf ist aber noch kein Beweis dafür, dass und wie entscheidend sie dafür waren. Auch Grippewellen ebben von selbst ab. Manche Länder haben mit noch einschneidenderen Maßnahmen keine zeitnahe Trendumkehr erreicht, andere, wie Schweden, hatten mit viel weniger einschneidenden Maßnahmen einen ganz ähnlichen zeitlichen Verlauf. Man kann hier nur Plausibilitätsüberlegungen anstellen, aber welche Maßnahmen in genau welchem Umfang und Dauer wie hilfreich und notwendig waren, weiß man nicht wirklich. (Siehe auch Studie im Nachtrag unten.) Nicht nur in dieser Leserzuschrift, sondern ganz verbreitet wird argumentiert, als hätte es nur die zwei Alternativen gegeben, genau die drastischen Einschränkungen für genau den Zeitraum zu verfügen, wie die Regierung das gemacht hat, oder aber gar nichts zu tun. Das ist nicht richtig. Es gab und gibt jede Menge Variationsmöglichkeiten. Man kann die Schulen und/oder Kindergärten und/oder Universitäten schließen oder offenlassen, einige Wochen schließen oder einige Monate. Man kann die Restaurants schließen oder es bei Abstands- und Hygieneregeln belassen. Man kann die Obergrenzen für Menschenansammlungen in beliebig kleinen Schritten variieren. Man kann all diese Maßnahmen früh lockern oder spät. Die schwedische Regierung hat sehr viel weniger drastisch reagiert als die deutsche. Trotzdem ist auch in Schweden nichts aus dem Ruder gelaufen. N.H. Ende
Vergleich der Krisenperformance von Schweden und Deutschland
>> Der Vergleich mit der Grippe ist fragwürdig, hauptsächlich da gegen Grippe sowohl ein Impfstoff als auch eine Behandlung existiert. Was bedeutet, das man aktiv dagegen vorgehen kann. Bei Covid ist dies leider nicht der Fall. Entgegen ihrer Behauptung tappt man dort immer noch meist im Dunklen. Was wiederum heißt, dass das Einzige, was wir wissen, die implementierten Gegenmaßnahmen sind. <<
N.H. Ich weiß nicht, welche Behauptung gemeint ist. Bei Covid hat man am Anfang falsch behandelt und dadurch wohl viel Schlimmes angerichtet. Man wusste es nicht besser. Heute weiß man es besser. Jetzt ist die Sterblichkeit in allen Altersgruppen deutlich gesunken. Es gibt kaum noch Covid-19-Tote und sehr wenige Covid-19-Patienten in Intensivbehandlung. Die vielen Grippetoten 2018 (viel mehr als durch Covid-19) sind trotz der vorhandenen Impfung und der bekannten Behandlungsmethoden gestorben. Die Kontaktbeschränkungen und Lockdowns, wie sie gegen Covid-19 verfügt wurden, hätten wahrscheinlich viele Grippetote verhindern können. Es wurde nicht einmal darüber nachgedacht, diese (statistischen) Leben auf diese Weise zu retten. N.H. Ende
>> Dadurch bin ich mir nicht sicher worauf sie eigentlich hinaus wollen. Hätte man bei der Grippe die gleichen Gegenmaßnahmen ergreifen sollen? <<
N.H. Natürlich nicht. Man kann zwar keinen Preis für ein Leben oder die Gesundheit eines Menschen angeben, aber man kann feststellen, welche Kosten die Gesellschaft bereit ist in kauf zu nehmen, um das Risiko, dass manche Mitglieder der Gesellschaft Leben oder Gesundheit verlieren, zu reduzieren. In kaum einer relevanten Gruppe von Lebensrisiken werden pro statistisch gerettetem Leben auch nur annähernd so viel Kosten in Kauf genommen, wie das bei Covid-19 verfügt wurde. Ich will darauf hinaus, dass man früher und dafür weniger drastisch hätte reagieren sollen und die Einschränkungen auch früher hätte lockern sollen. Ich will darauf hinaus, dass man es mit der Angstpropaganda maßlos übertrieben hat und noch übertreibt, was für einen großen Teil der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schäden verantwortlich ist. N.H. Ende
Nachtrag (17.9.)
Drei US-Ökonomen haben in der Studie „Four Stylized Facts About Covid-19“ analysiert, wie sich die Zunahme der Covid-Todesfälle in verschiedenen Ländern und US-Bundesstaaten entwickelt hat, mit folgendem Ergebnis (Abstract, meine Übersetzung):
„Wir dokumentieren vier Fakten über die COVID-19-Pandemie weltweit, die für diejenigen relevant sind, die die Auswirkungen von nicht-pharmazeutischen Interventionen (NPIs) auf die COVID-19-Übertragung untersuchen. Erstens: In den Ländern und US-Bundesstaaten, die wir untersuchen, fielen die Wachstumsraten der täglichen Todesfälle durch COVID-19 innerhalb von 20-30 Tagen, nachdem jede Region 25 kumulative Todesfälle zu verzeichnen hatte, von einem breiten Spektrum anfänglich hoher Werte auf Werte nahe Null. Zweitens: Nach dieser Anfangsperiode haben sich die Wachstumsraten der täglichen Todesfälle überall in der Welt um Null oder darunter bewegt. (…)
Wir argumentieren, dass die Nichtberücksichtigung dieser vier stilisierten Fakten dazu führen könnte, dass die Bedeutung politisch mandatierter NPIs für die Gestaltung des Fortschreitens dieser tödlichen Pandemie überbewertet wird.