Ergänzungen vom 1.3. | 27. 02. 2023 | Es ist ein sehr schlechtes Zeichen für den Zustand von Presse und Rundfunk, dass die Redaktionen Faktenchecker-Abteilungen aufgelöst haben, die die eigenen Aussagen checken, und dafür nun Faktenschecker beschäftigen, um unbotmäßige Konkurrenz-Medien und deren Berichte zu diskreditieren. Wenn es dafür noch eines Beweises bedurfte, haben ihn die Tagesschau-Faktenfinder mit der Widerlegung der vermeintlichen Aussage geliefert, dass die Nordstream-Pipeline mit Sprengstoff in Form von Pflanzen gesprengt wurde.
Wenn man seine Faktenchecks allein darauf konzentriert, Aussagen zu widerlegen oder wenigstens falsch aussehen zu lassen, die dem Regierungsnarrativ widersprechen, dann kann es schon mal vorkommen, dass man, wie die Tagesschau auf ihrer Netzseite die Meldung verbreitet, ein afrikanischer Erfinder habe einen Fernseher entwickelt, der Strom abgibt, statt welchen zu verbrauchen, und dass er wegen verbreitetem Rassismus mit dieser genialen Erfindung noch keinen kommerziellen Durchbruch erzielt hat.
Oder man berichtet am 13. Juni 2022 in der Tagesschau um 16 Uhr und der Hauptsendung um 20 Uhr über den Beschuss der ostukrainischen Stadt Donezk, schiebt diesen aber entgegen der zugrundeliegenden Meldung der Nachrichtenagentur Reuters und des eigenen Live-Blogs der Tagesschau den Russen in die Schuhe, obwohl es die Ukrainer waren. Der Fehler wurde erst drei Tage später fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf dem Tagesschau-Blog „berichtigt“ und der Fernsehbeitrag auf eine, den Fehler verschleiernde Weise geändert. (Dieser Absatz und der folgende, sowie das Bildschirmfoto wurden am 1.3. eingefügt.)
Oder man lässt in der Tagesschau vom 27. Februar 2023 Romana Pop als Verbraucherschützerin die Heizungsaustausch-Pläne des grünen Minister Habeck loben und vergisst dabei – nicht zum ersten Mal – zu erwähnen, dass sie bis 2021 hochrangige, grüne Funktionsträgerin war.
Früher war die Aufgabe von „Faktencheckern“ bei Medienhäusern, solche Meldungen vor Veröffentlichung auf ihren Wahrheitsgehalt und ihre Vollständigkeit zu prüfen. Nicht mehr.
„Faktenchecks“ nur noch beim Gegner
Heute werden die Faktenchecker, Faktenfinder und Faktenfüchse von dpa, Tagesschau, Bayerischem Rundfunk und anderen Medienhäusern in Gang gesetzt, wenn ein Medium außerhalb des Mainstream mit einer Nachricht großes Aufsehen erregt, die in der Regel dem Regierungsnarrativ widerspricht und die bei den Mainstream-Medien nicht zu lesen war.
So etwa als der (bisher) angesehene US-Enthüllungsjournalist Seymour Hersh auf Substack seine Recherche zur Sprengung der Nordstream-Pipeline veröffentlichte und unter Berufung auf eine Quelle schrieb, die USA mit Unterstützung von Norwegen seien die Täter gewesen.
Als Hersh am 8.2. seine Analyse veröffentlichte, wurde sofort der ARD-Faktenfinder Pascal Siggelkow in Marsch gesetzt. Gleichzeitig haben Tagesschau und Co. offenbar kein Problem damit, dass die deutsche Regierung nichts über ihre Erkenntnisse sagen will, wer eine der wichtigsten deutschen Infrastruktureinrichtungen in einem terroristischen Akt in die Luft gesprengt hat. Das Thema wird weitgehend ignoriert.
Schon am 9.2. war Siggelkow mit einem Beitrag zur Stelle, der einen Eimer Fragezeichen über den Hersh-Bericht schüttete und betonte, dass Russland die Hersh-Version gefalle. In einem weiteren langen Beitrag vom 23.2. breitete er das Motiv des russischen Narrativs weiter aus und sammelte zusammen, was man alles an dem detaillierten Bericht über den Hergang der Aktion in Zweifel ziehen könnte.
Sprengstoff in Pflanzenform
Dabei unterlief ihm ein ausgesprochen peinlicher Fehler und kein echter Faktenchecker weit und breit las seinen Beitrag und konnte den offensichtlichen Fehler vor Veröffentlichung ausmerzen. Aufgrund eines Übersetzungsfehlers schrieb Siggelkow:
„Hersh schreibt, die Taucher hätten den plastischen Sprengstoff C4 „in Form von Pflanzen auf den vier Pipelines mit Betonschutzabdeckungen“ platziert.“
Dazu befragte er den Sprengstoffexperten David Domjahn und zitierte diesen vier Absätze lang mit der Feststellung, dass das sehr unplausibel sei und nicht stimmen könne.
Das Dumme war nur, dass im englischen Satzteil „plant shaped C4 charges“, der dieser Aussage zugrunde lag, nicht „plant“ und „shaped“ zusammengehören, im Sinne von pflanzenförmig (sonst wären sie mit Bindestrich zu verbinden), sondern „plant“ das Verb ist und „platzieren“ bedeutet und „shaped C4 charges“ ein Fachbegriff ist für C4-Sprengstoff, der so geformt ist, dass die Sprengung das Sprenggut abschneidet.
Der große Abschnitt zu diesem Thema wurde später gelöscht.
Sprengstoffexperte kritisiert ARD
Auf seinem Blog Sprengtechnik.de berichtet der Experte Domjahn, wie es zu dem Missverständnis kam und übt heftige Kritik an der ARD. Ihm wurde nur die falsche Übersetzung vorgelegt. Diese kommentierte er und erklärte die Aussage für Unsinn. Was er aber nicht verstehen will, ist, dass
- die ARD einen einzelnen Journalisten ohne Fachkenntnis damit betraut, bei einer derart technisch und anderweitig komplexen Geschichte zu bestimmen, was Wahrheit, was Halbwahrheit und was Irrtum oder Lüge ist,
- dass das offenbar niemand kritisch gegengelesen hat,
- dass zwischen ca. 13 Uhr und 16:30 Uhr, als er selbst Siggelkow anrief und über den Fehler informierte, niemand bei der ARD auf die vielen Hinweise im Twitter-Account der Tagesschau und in den sonstigen sozialen Medien reagierte, sodass der Unsinn vom Pflanzensprengstoff fast vier Stunden online war.
Lehren ziehen
Ich fühle mich nicht wohl damit, einen peinlichen Fehler eines Kollegen auszuwalzen und habe mich daher erst spät dazu entschieden. Ich habe es letztlich aus zwei Gründen doch getan, denn:
- der Fall macht ein großes Problem unserer Medienlandschaft besonders deutlich. Nämlich dass einige besonders einflussreiche Medien sich einbilden, sie hätten das Recht und die Fähigkeit zu entscheiden, was bei politisch umstrittenen Themen die „Wahrheit“ ist, und zwar ihre Sicht der Dinge, die nicht zufällig der Regierungslinie entspricht,
- es ist leider damit zu rechnen, dass das Faktenchecker- und -finderunwesen trotz dieses Desasters weitergeht. Für diesen Fall möchte ich diesen Beitrag zum kommentierten Verlinken zur Verfügung haben.
Aber vielleicht gehen die Verantwortlichen bei ARD, dpa und Co. ja auch in sich, und besinnen sich auf alte journalistische Tugenden und Gebräuche. Darauf, dass Faktenchecker vor allem die eigenen Berichte vor Veröffentlichung auf Fehler checken sollten. Das wäre mal ein produktiver Einsatz dieser Teams.