Wie ein Journalistenverband der unabhängigen Konkurrenz die Pressefreiheit nehmen will

12. 10. 2023 | Wess Brot ich ess, dess Lied ich sing, lautet ganz ungeniert das Credo des Deutschen Journalistenverbandes (DJV), der sich als Gewerkschaft und Interessenvertretung professioneller Journalisten versteht. Das schließt für diesen Verband ein, die Pressefreiheit auf die eigene Klientel und deren Arbeitgeber zu begrenzen und alle, die nebenberuflich oder ehrenamtlich die Öffentlichkeit mit Information und Analyse versorgen, zu entrechten.

Der DJV und sein Vorsitzender Frank Überall sind schon des öfteren mit einem sehr eigenwilligen Verständnis von Pressefreiheit und seriöser Berichterstattung unangenehm aufgefallen. Seit Beginn des russischen Einmarsches in der Ukraine hat der Verband ein neues blaugelbes Logo in den Farben der Ukraine.

In einem Gastbeitrag auf diesem Blog hatte der Jungjournalist Hakon von Holst berichtet, wie ihm ein Ministerium rechtswidrig keine Auskunft gibt, weil er keinen Presseausweis hat, den ihm die ausstellenden Verbände verweigern, weil sie ein Magazin, in dem einzelne seiner Beiträge erschienen sind, nicht mögen.

In diesem Zusammenhang wurde ich nun auf ein dabei noch nicht berücksichtigtes Urteil des Verwaltungsgerichts Minden von August hingewiesen (VG Minden, Beschluss vom 16.08.2023 – 1 L 729/23). Dieses hatte geurteilt, für das Vorliegen einer Pressetätigkeit sei ausreichend, einen Youtube-Kanal zu haben. Auch die ehrenamtliche Tätigkeit als Berichterstatter für die Öffentlichkeit konstituiere eine journalistische Tätigkeit. Dass der Kanal nur über eine beschränkte Reichweite verfügt, hält das Gericht für unschädlich. Es komme auf die potentielle Reichweite der Angebote an, „die bei internetbasierten Angeboten unbegrenzt ist“.

Es ging dabei darum, ob ein Gericht es dem Youtuber untersagen durfte, über ein Verfahren in eigener Sache zu berichten.

Der DJV erging sich daraufhin unter der Überschrift „Youtuber sind keine Journalisten“ in recht strenger Schelte des Gerichts.

DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall nannte die Entscheidung „verhaltensoriginell“ und fern von der notwendigen Kenntnis sozialer Netzwerke und etablierter Medien: „Wie will man eigentlich noch journalistische Angebote von lustigen Katzenvideos und anderem Klamauk unterscheiden?“, fragte er.

Diese Frage hat ihm das Gericht bereits beantwortet, aber so genau hat er sicherlich nicht gelesen. Man ist Journalist, wenn man die mit einer gewissen Regelmäßigkeit verbreiteten Informationen in hinreichendem Umfang journalistisch aufarbeitet. Das sei bei dem Youtuber gegeben. Bei „Katzenvideos und anderem Klamauk“ ist es in der Regel nicht gegeben.

Der traditionell mit Halbwahrheiten und Falschbehauptungen nicht geizende DJV-Vorsitzende verwies in diesem Zusammenhang auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der festgelegt habe, Journalist könne sich nur nennen, „wer regelmäßig oder professionell journalistisch arbeitet, also den Lebensunterhalt damit verdient“. Er rügte das Gericht: „Offenbar kennt das Verwaltungsgericht Minden die Rechtsprechung des EGMR nicht.“

Was es damit auf sich hat, kann man mit etwas Suchen in einer Stellungnahme des DJV zu Art. 17 der Entwürfe eines Europäischen Medienfreiheitsgesetzes finden. Dort beklagt der DJV, dass der gesetzliche Zensurdruck auf soziale Medienplattformen keine Ausnahmen für von Journalisten bereitgestellte Inhalte beinhalte. Dabei begegnet er dem Argument, dass sich ja jeder Journalist nennen könne, mit dem Gegenargument, der Europäische Gerichtshof habe unter Verweis auf eine Empfehlung einer Expertenkommission das Berufsbild des Journalisten klar definiert, und zwar dahingehend, dass ein Journalist seinen Lebensunterhalt mit Journalismus verdiene.

Das ist bestenfalls irreführend.

Der Menschenrechtsgerichtshof verwies im Kontext des Quellenschutzes für Journalisten auf eine Expertenempfehlung aus dem Jahr 2000. Youtube wurde 2005 gegründet. Vergleichbar wirkmächtige Medien wie heute gab es damals nicht. In der Expertenempfehlung werden Leserbriefschreiber und ähnliches als Beispiele für Nichtjournalisten genannt. Diesen Kontext und das Alter der Empfehlung zu verschweigen, wenn man ein Gerichtsurteil zu einem Youtuber scharf kritisiert und dem Gericht sogar vorwirft, die Rechtsprechung und die sozialen Medien nicht zu kennen, ist mindestens grenzwertig, wenn nicht bewusste Irreführung und auf jeden Fall dreist.

Außerdem heißt es in der Expertenempfehlung, wie der DJV zitiert (Seite 9) “

Journalist means any natural or legal person who is regularly or professionally engaged in the collection and dissemination of information to the public via any means of mass communication.

Journalist ist jede natürliche oder juristische Person, die regelmäßig oder professionell mit der Sammlung von Informationen und deren Verbreitung in der Öffentlichkeit über ein beliebiges Massenkommunikationsmittel befasst ist.“ (Meine Übersetzung)

Aus dem schließt der DJV: „Journalist:innen kann sich also nur nennen, wer regelmäßig oder professionell arbeitet, sprich seinen Lebensunterhalt mit der Tätigkeit verdient.“ Es ist zwar grammatisch etwas unklar, ob sich der Nebensatz nach „sprich“ nur auf „professionell“ oder auf „regelmäßig oder professionell“ bezieht. Im Bergründungszusammenhang ist aber klar, das der DJV und Überall implizit und irreführend aus dem „oder“ ein „und“ machen und nur professionellen Medienleuten den Status und die Rechte eines Journalisten zuerkennen wollen.

Auch geht es bei der zitierten Expertenempfehlung von 2000 um Quellenschutz für Journalisten, was etwas ganz anderes ist als Auskunftsrechte für Journalisten und das Recht aus dem Gericht zu berichten. Dafür sind jeweils Abwägungen der Medienfreiheit mit anderen Rechten vorzunehmen, die zu unterschiedlichen Grenzen führen können. So argumentiert das Expertengremium in Sachen Quellenschutz mit dem starken Interesse professioneller Journalisten, weiterhin als Anlaufstelle für Informanten als sicher zu gelten. Ich würde das zwar auch bei ehrenamtlichen Journalisten so sehen, aber man kann da anderer Meinung sein. Wenn es aber darum geht, ob auch ein ehrenamtlicher Journalist Auskünfte von Behörden bekommen soll, so haben verschiedene Gerichte zu Recht geurteilt, dass das im Interesse der Medienvielfalt unabdingbar ist.

Frank Überall und der DJV möchten dagegen den alten Zustand bewahren, dass Pressefreiheit das Recht von 200 reichen Leuten ist, ihre Meinung zu verbreiten (Paul Sethe, Gründungsherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 1965).

Für befremdlich hält der DJV-Vorsitzende auch die mangelnde Abgrenzung im Urteil des Verwaltungsgerichts Minden zwischen professionellen Medienschaffenden und Hobbyjournalisten: „Bei Demonstrationen etwa müssen die Polizeikräfte weiter die Möglichkeit haben, Journalisten und Aktivisten zu unterscheiden. Der Besitz einer Videokamera kann nicht das Entscheidungskriterium sein.“ Auch Auskunftsansprüche gegenüber Behörden seien an die hauptberufliche journalistische Tätigkeit gekoppelt. Das müsse auch so bleiben.

Das Gericht hat sich aber nicht zu Demonstrationen geäußert, sondern zur Frage, wer ein Recht hat, aus einem Gerichtssaal zu berichten. Wenn Polizeikräfte bei Demonstrationen einen Presseausweis oder einen ähnlich klaren Nachweis journalistischer Tätigkeit verlangen, weil es vor Ort anders nicht geht, dann ist das halt so. Es hat aber nichts mit dem Auskunftstrecht gegenüber Behörden zu tun. Außerdem müssen Demonstrationen angemeldet werden, was der Polizei die Möglichkeit gibt, die Journalisteneigenschaft derer, die berichten wollen, vorab ohne Zeitdruck zu prüfen und entsprechende Nachweise auszustellen.

Überalls Behauptung, dass Behörden Auskunftsansprüche auf hauptberufliche Journalisten begrenzen dürfen, ist falsch.

Abwegig ist die vom DJV und Überall betriebene Begrenzung der Rechte von Journalisten auf hauptberufliche Medienleute auch deshalb, weil neben- und ehrenamtliche Journalisten in erhebliche Umfang die gleichen Pflichten und Risiken haben. Wenn sie etwas veröffentlichen, müssen sie für die Folgen von Fehlern haften. Mit der Haftung von Autoren begründet der DJV in seiner Stellungnahme zu Recht sein Ansinnen, dass auch Journalisten, nicht nur Verleger, vor Zensur durch Medienplattformen geschützt werden müssen:

„Neben dem Verleger haften für alle zivilrechtlichen Ansprüche mit Ausnahme der Gegendarstellung diejenigen, die einen rechtsverletzenden Beitrag erarbeitet oder daran mitgewirkt haben, also auch die Autor:innen. Sie behaupten ebenso die angegriffene Äußerung und gelten als haftbare „intellektuelle Verbreiter“. Wenn aber Journalist:innen für ihre Beiträge in Bezug auf alle Verbreitungswege genauso haften wie ihre Verleger, müssen sie umgekehrt auch genauso geschützt werden.“

Dass genau dieses Argument auch für ehrenamtlich Nachrichten und Meinungen verbreitende Menschen gilt, verkennt der DJV in seiner interessengeleiteten Verblendung.

Wenn es ihm um Pressefreiheit und nicht um Pfründe ginge, würde der Verband auch merken, wie sehr er mit seiner Politik der Pressefreiheit und damit letztlich auch den Interessen seiner Mitglieder schadet. Denn wenn Arbeitsbehinderung und Zensur der sozialen Medien normalisiert  und die Öffentlichkeit daran gewöhnt wird, dann wird der Schritt zur Zensur und Behinderung auch der Mainstream-Medien immer kleiner. Das vom DJV vehement begrüßte Verbot von russischen Sendern in Deutschland und Europa zeigt das deutlich.

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