Der Radikalenerlass 2.0 kommt – zuerst in Brandenburg

11. 03. 2024 | Die ganz große rot-schwarz-grüne Koaltion der radikalen Mitte im Brandenburg, die nach Umfragen im September allenfalls knapp eine Mehrheit der Sitze im Landtag erreichen wird, hat eine Gesetzesänderung angekündigt, die es der Regierungsbehörde Verfassungsschutz erlaubt, die Finanzen von regierungskritischen Bürgern und Organisationen auszuforschen und vor Verbeamtungen und bei Disziplinarverfahren gegen Beamte routinemäßig deren öffentliche Äußerungen zu bewerten.

Das ist mutig, denn die Kontrolle über diesen Apparat könnte an eine AfD-geführte Regierung gehen. Wahrscheinlich noch nicht nach den Wahlen im Herbst, aber vielleicht nach den übernächsten. Dann wird das Heulen und Zähneklappern groß sein.

Die Brandenburger Gesetzesnovelle weist sehr große Ähnlichkeit mit dem sogenannten Radikalenerlass von 1972 auf, der ebenfalls von einer SPD-geführten Regierung erdacht und dann in ganz großer Koaltion deutschlandweit eingeführt wurde. Er gilt nicht gerade als Sternstunde der Demokratie. (Darüber am Ende dieses Beitrags mehr.) Das ist wahrscheinlich der Grund, warum niemand in Brandenburg darauf Bezug nimmt.

Wie Tagesschau.de berichtet, sollen die Regierungs-Schlapphüte durch ein „gehärtetes“ Verfassungsschutzgesetz nicht mehr nur, wenn ein Gewaltbezug nachgewiesen werden kann oder „zu Hass und Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung“ aufgerufen wird,  in die finanzielle Ausforschung einsteigen dürfen. Es soll schon genügen, wenn irgendjemand Maßgebliches meint, dass „die freiheitlich demokratische Grundordnung bedroht sein könnte“. Sie muss also nicht einmal bedroht sein, es reicht, wenn sie bedroht sein könnte.

Und bedroht sein könnte sie offenbar schon, wenn jemand angebliche Fehlinformationen verbreitet, was im behördlichen und Mainstream-Sprachgebrauch der letzten Jahre bei regierungskritischen Äußerungen sehr schnell behauptet wird. Der Verfassungsschutz hat sogar die Bezeichnung verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates als andere Bezeichnung für scharfe Kritik an der Regierung erfunden.

In der übernächsten Legislaturperiode, nachdem eine etwaige AfD-Regierung die Führung des Verfassungsschutzes ausgetauscht hat, bekommen dann die Kritiker dieser AfD-Regierung den Verfassungsschutz an den Hals. Dann wird es keiner mehr gewesen sein wollen, der sich das ausgedacht hat.

Neben Fehlinformationen soll nach dem Bericht der Tagesschau auch „kämpferisch aggressives Verhalten oder Einschüchterung“ genügen, um den Verfassungsschutz in Aktion zu setzen. Wir erinnern uns: Während der Corona-Pandemie galten Spaziergänger in weiten Teilen Schwabens als so gefährlich und einschüchternd, dass Städte ihnen per Allgemeinverfügung mit dem Einsatz von Waffengewalt drohten, wenn sie keine FFP2-Maske aufsetzten. So viel zum Thema „kämpferisch aggressives Verhalten oder Einschüchterung“.

Anlass und vermeintliche Rechtfertigung des legislativen Schwenks ins Totalitäre ist das bis zur Unkenntlichkeit aufgebauschte Treffen einiger Rechter und Rechtsextremer in Potsdam im Herbst letzten Jahres. Aus dem gleichen angeblichen Grund will Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ein ähnliches Gesetz auf den Weg bringen.

Radikalenerlass und Berufsverbote 2.0

In Brandenburg geht die Regierungskoalition mit einem regelmäßigen „Verfassungstreue-Check“ für Beamte noch über die Pläne Faesers hinaus. Bevor Polizisten, Lehrer oder Justizbeamte verbeamtet werden, soll danach immer erst der Verfassungsschutz nach Durchschnüffeln öffentlich zugänglicher Quellen, wie beispielsweise Äußerungen auf Social-Media, beurteilen, ob sie auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.

Wir erinnern uns: Menschen, die zu Corona-Zeiten auf öffentlichen Plätzen aus der Verfassung vorlasen, wurden ausgesprochen ruppig auf den Boden des Grundgesetzes gedrückt, mit einem Polizeiknie im Nacken und den Händen auf dem Rücken.

Beamten gegen die ein Disziplinarverfahren läuft, etwa weil sie sich unbotmäßig in der Öffentlichkeit geäußert haben (sicher nicht, weil sie friedliche Spaziergänger oder Verfassungsvorleser zu Boden werfen und verletzen), will man ebenfalls die Beurteilung durch den Verfassungsschutz angedeihen lassen.

Anstatt eines Fazits, will ich in Auszügen wiedergeben, was die eher unverdächtige Bundeszentrale für politische Bildung über den ganz ähnlich gestrickten Radikalenerlass von 1972 schreibt, man könnte fast sagen, den geschichtsvergessenen Brandenburger Politikern ins Stammbuch schreibt:

„Am 28. Januar 1972 einigte sich die Ministerpräsidentenkonferenz gemeinsam mit Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) darauf, dass Bewerberinnen und Bewerber sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst fortan auf ihre Verfassungstreue hin überprüft werden sollten. (…) Das Wort vom „Berufsverbot“ ging um und fand sogar Aufnahme in fremde Sprachen. (…)

Aufgrund zunehmender Kritik aus dem In- und Ausland schwächte die mittlerweile von Helmut Schmidt (SPD) geführte Bundesregierung 1976 die Regelungen auf Bundesebene erstmals ab. Ab 1979 verabschiedete der Bund neue Richtlinien. Nur beim Vorliegen konkreter Verdachtsmomente sollten Informationen zu einer Person beim Verfassungsschutz angefragt werden, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten sei. Die SPD-regierten Länder hoben den Radikalenerlass in der Praxis ab Ende der 1970er-Jahre sukzessive auf. Hamburg stellte ab 1979 keine Regelanfragen mehr. 1985 setzte das Saarland den Erlass offiziell außer Kraft. In den folgenden Jahren rückten auch die damals Unions-geführten Länder vom Radikalenerlass ab, zuletzt Bayern im Jahr 1991.

1995 gab der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR ) einer niedersächsischen Lehrerin Recht, die entlassen worden war, weil sie DKP-Mitglied war. Die Entlassung verstoße gegen das Recht auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit der Europäischen Menschenrechtskonvention, so das Urteil. Die Klägerin wurde daraufhin rehabilitiert. Sie musste wiedereingestellt und die entgangenen Dienstbezüge samt Pensionsansprüchen nachgezahlt werden. (…)

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), selbst Betroffener des Erlasses, gestand im Januar 2022 ein, dass den Betroffenen Unrecht widerfahren sei und schloss eine Entschuldigung bei den Betroffenen nicht aus.“

Nicht nur während Corona, schon damals wurden besonders autoritäre Beschlüsse offenbar gern in einer Ministerpräsidentenkonferenz gefasst, damit nachher jeder und keiner die Verantwortung tragen musste. Vielleicht kommt man ja auch für den Radikalenerlass 2.0  wieder auf diese Idee.

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