Die Wirtschaftsweisen tricksen und täuschen wieder: Sondergutachten zu Griechenland

 Die vier Trickser und Täuscher unter den Wirtschaftsweisen bleiben mit dem heute vorgelegten Sondergutachten zu Griechenland ihrer Gewohnheit treu, Falsches ohne Beleg zu behaupten und wissenschaftliche Belege für eigene Behauptungen aufzuführen, die das Behauptete gar nicht belegen.

In der vielteiligen und beliebten Reihe „Wie die Wirtschaftsweisen tricksen und täuschen“ hatte ich eine Vielzahl unwissenschaftlicher Literaturverweise aufgeführt, die das nicht belegten, was sie angeblich belegten, die sogar oft das Gegenteil des Behaupteten besagten. Im heute vorgestellten Sondergutachten zu Griechenland hat die Vierermehrheit des Sachverständigenrats zwar die Literaturverweise reduziert und somit auch die Anzahl der Falschzitierungen. Das führt dann etwa dazu, dass für die These der Reformverweigerung der griechischen Regierungen gar kein Beleg angeführt wird, obwohl der Minderweise Peter Bofinger in seinem Minderheitsgutachten darauf hinweist, dass die OECD festgestellt hat, dass kein Land so viele „Strukturreformen“ umgesetzt hat wie Griechenland.

In den verbleibenden Literaturverweisen frönt man immer noch dem alten Laster. Die Mehrheitsweisen schreiben:

Studien für die Vereinigten Staaten zeigen, dass der weitaus größte Teil der Schockabsorption dort durch die Kapital- und Kreditmärkte und nicht durch Finanztransfers oder den Bundeshaushalt geleistet wird (Feld und Osterloh, 2013).“

Damit wird eine zentrale These ihres Sondergutachtens gestützt, nämlich:

 „Somit ist eine Fiskalkapazität nicht erforderlich.“

Der Literaturverweis führt nicht direkt zu den behaupteten Studien für die USA, sondern zu einem Sachverständigenrats-Arbeitspapier des Wirtschaftsweisen Feld zusammen mit S. Osterloh aus dem Jahr  2013: „Is a fiscal capacity really necessary to complete EMU?“.

Das wirkt immerhin sehr aktuell. Muss es nur noch passen.

In dem Papier findet sich tatsächlich im einschlägigen Kapitel über Risikoverteilungs-Kanäle eine ähnliche Aussage wie im Sondergutachten:

The empirical literature (see section 2) has demonstrated that it is not fiscal integration, but financial integration which provides the largest contribution to risk sharing in existing monetary unions, such as the US.”

Wieder Präsens, sei bemerkt. Also weiter zu Kapitel 2 „Schockabsorption in einer Fiskalunion“, wo wir endlich fündig werden, allerdings unter der unerwarteten Zwischenüberschrift: „Risikoteilung in ruhigen Zeiten“. „Ruhige Zeiten“ sind nicht das, was man im Sinn hat, wenn man an die letzten Jahre in der Währungsunion denkt, und darüber diskutiert, wie man eine Wiederholung vermeiden kann.  

Angeführt wird im Wesentlichen eine einzige, Studie „Asdrubali et al. (1996)“, mit Daten aus den 60er, 70er und 80er Jahren. Das ist noch schlimmer als es scheint, weil die Autoren feststellen, dass die Glättungsbeiträge der verschiedenen Risikoausgleichs-Komponenten sich im Zeitablauf stark änderten. Eine globale Finanzkrise bei global stark integrierten und aufgeblähten Finanzmärkten ist in den damaligen Daten nicht enthalten. Es gibt also keinen Grund, sie für repräsentativ für heute zu erklären, wie die vier Weisen das tun. Im Gegenteil, es ist klar, dass sie nicht für heute gilt, wie wir noch sehen werden.

Angeführt wird zwar auch noch eine etwas weniger alte Studie aus dem Jahr 2002, die die Ergebnisse angeblich bestätigt. Das ist zwar in Teilaussagen der Fall, aber der Untersuchungsgegenstand dieser Studie hat nichts mit der Aussage der vier Mehrheitsweisen und des Arbeitspapiers zu tun. Es wird vielmehr nur die fiskalische Stabilisierung auf verschiedene Teilaspekte aufgeteilt. Daher wird in dem Arbeitspapier des Wirtschaftsweisen Feld auch nur die eine Uraltstudie zu den USA  in eine Überblickstabelle zu empirischen Ergebnissen aufgenommen.

Hinzu kommt, dass sie Sachverständigenratsmehrheit selbst eine gegenteilige Aussage zur eigenen Behauptung trifft, wenn sie andernorts schreibt:

Die Wirtschaftsaufschwünge in den späteren Programmländern vor dem Jahr 2008 basierten auf starken Kapitalzuflüssen aus dem Ausland….. Die globale Krise nahm ihren Ausgang darin, dass die Akteure am Markt die zu erwartende Profitabilität vergangener Investitionen, insbesondere im Immobiliensektor, neu bewerten mussten. … Der resultierende Einbruch der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage ..“

Das ist die Einräumung, dass in „unruhigen Zeiten“ die Kapitalmarktverflechtung gerade zum Gegenteil von Risikoteilung führen kann, wenn, nämlich die Investoren von außerhalb plötzlich das Weite  aus besonders von der Krise betroffenen Regionen suchen. Zudem verteidigen die vier Weisen die Rettungsprogramme für die Krisenländer damit, dass ohne diese die Banken der Kernländer in große Schwierigkeiten gekommen wären. Die Finanzverflechtung hat also gerade die fiskalischen Hilfsprogramme verursacht, die sie angeblich ersetzen soll.

Das ist in der von der Ratsmehrheit angeführten alten US-Studie auch schon angedeutet, heißt es doch dort, dass die Risikoteilung über Kreditmärkte nur bei kurzfristigen Produktionseinbußen funktioniert, nicht bei anhaltenden Problemen. Bei anhaltenden Problemen verkehrt sie sich wie gesehen ins Gegenteil, weil man dann mangels Kreditwürdigkeit die Einkommenseinbußen eben gerade nicht durch Kreditaufnahme kompensieren kann, sondern sogar versuchen muss, Kredite aus dem geschrumpften Einkommen zurückzuzahlen.

Auf die methodischen Probleme der zitierten Studie selbst, wollen wir gar nicht näher eingehen, nur kurz erwähnen, dass problematisch ist, dass Einkommensglättung über Pendlereinkommen und einbehaltene Gewinne der Unternehmen aus Datengründen sachfremd der Glättung über den Kapitalmarkt zugerechnet werden, während bei der Glättung über staatliche Transfers die regionale Verteilung des Staatskonsums ignoriert wird.

Von Bedeutung ist die Philosophie hinter der Studie. Ich behaupte: Bei der Diskussion um die Notwendigkeit oder Nichtnotwendigkeit fiskalischer Transfers hat kaum jemand die Vermögens- und Einkommensveränderungen der Kapitalbesitzer im Sinne, fast jeder dagegen die Erwerbseinkommen und die Arbeitslosigkeit. Vor allem die Kapitaleinkommen sind es naturgemäß, die über die Kapitalmärkte geglättet werden. Das ist für die politische Diskussion von sehr geringer Relevanz.

Beispiel: Wenn etwa im bevölkerungsarmen Alaska mit seiner großen Öl- und Rohstoffindustrie die Gewinne pro Kopf sehr stark schwanken, je nachdem, wie die Ölpreise stehen und entsprechend die Branchenlage ist, so hat das in der Tat keine allzu großen Auswirkungen auf den durchschnittlichen Alaskaner, weil er von diesem Geld eh nur im statistischen Durchschnitt etwas sieht, aber nicht tatsächlich. Es stimmt zwar auch, dass sehr vieles von dem Mehr und Weniger der Ölgewinne in anderen Bundesstaaten getragen bzw. genossen wird, weil dort die Besitzer der einschlägigen Unternehmen beheimatet sind. Für den durchschnitlichen Alaskaner wäre es aber auch weitgehend egal, wenn sie alle ihren Sitz in Anchorage hätten. Die Arbeitslosigkeit und die Löhne würden deshalb nicht mehr oder weniger schwanken.

Zwischenresümee

Die Behauptung: „Studien für die Vereinigten Staaten zeigen …“ ist entgegen dem durch Zitation erweckten Eindruck unbelegt. Weder ist der Präsens angemessen, noch sind es mehrere Studien. Beides wird verborgen, indem nicht auf die angeblichen Studien verwiesen wird, sondern auf ein zwischengeschaltetes eigenes und aktuelles Arbeitspapier, in dem dann die relevanten Passagen weit verstreut sind. Dass nur eine einzige Uraltstudie zitiert wird, wird zusätzlich dadurch verschleiert, dass eine weitere, inhaltlich nicht einschlägige Studie als vorgeblicher Beleg herangezogen wird. Außerdem wird die sehr wichtig Einschränkung „in ruhigen Zeiten“ komplett unterschlagen. Ferner wird nicht klargestellt, dass mit Einkommensglättung hier den Kapitaleinkünften eine Rolle zugewiesen wird, die ihr in der Diskussion um Fiskaltransfers gemeinhin nicht gegeben wird.

Parallelen zum Juncker-Bericht

Wer den Ende Juni veröffentlichten Fünfpräsidentenbericht zur Komplettierung der Währungsunion gelesen hat, wundert sich, dass die Sachverständigenratsmehrheit keine besseren und jüngeren Belege für ihre Behauptung aufbieten kann. Immerhin machen die EU-Kommissionschef Juncker und seine Präsidenten-Kollegen eine ganz ähnliche Aussage. Sie betonen wie die Mehrheits-Weisen die äußerst wichtige Funktion integrierter Kapitalmärkte bei der Risikoteilung in einer Währungsunion. Der Fünfpräsidentenbericht selbst nennt zwar keine Quellen, er greift aber auf eine Rede von EZB-Präsident Mario Draghi von November 2014 zurück, in der dieser Quellen nennt.

Die grenzüberschreitenden Kapitalmärkte sind für Draghi eminent wichtig, um im Falle negativer wirtschaftlicher Entwicklungen einen Teil der Belastung aus dem besonders betroffenen Land in andere Länder zu exportieren. Insbesondere der Aktienmarkt sei sehr wichtig dafür, aber auch mehr Kreditvergabe an die Unternehmen über die Anleihemärkte, wie in den USA. Im Orignial:

The US provides an example of how effective private risk-sharing can be in a monetary union. A well-known study found that around two-thirds of economic shocks are absorbed via integrated financial markets in the US. By contrast, studies on the euro area suggest that credit and capital markets are much less effective in smoothing income. [7]“

Draghi nennt ausdrücklich die USA als positives Beispiel und beruft sich auf eine „bekannte Studie, die herausgefunden hat, dass in den USA etwa zwei Drittel der ökonomischen Schocks über integrierte Finanzmärkte äbsorbiert werden.“ Dagegen würden Studien zum Euroraum zeigen, dass hier die Kapitalmärkte viel weniger effektiv seien, bei der Glättung der Einkommen.

Die Fußnote dazu lautet:

„[7]See for example Van Beers, M., M. Bijlsma and G. Zwart (2014), “ Cross-country insurance mechanisms in currency unions: an empirical assessment”, Bruegel Working Paper 2014/04, March; IMF (2013), “ Towards a Fiscal Union for the euro area: technical background notes”, September 2013.“

Man muss dort nachlesen, um darauf zu kommen, dass die “bekannte Studie” zu den USA besagtes betagtes Papier mit den Uralt-Daten ist. Auch Draghi wählt die Methode des indirekten Verweises über eine jüngere Studie, um diesen peinlichen Sachverhalt zu verschleiern. (Das IWF-Papier aus der Fußnote ist auch nur eine Literaturübersicht.)

Es wird nicht besser: In der jüngeren, explizit aufgeführten Studie, erfährt man nämlich:

Seit der Krise jedoch war der Effekt des Kapitalmarktkanals das Gegenteil von Glättung. Das deckt sich mit jüngsten Ergebnissen von Furceri und Zdzienicka. (2013). (siehe auch IWF 2013 a), die in finanziellen Krisenzeiten negative Glättung gleicher Größenordnung feststellen.“

Und zur Erklärung:

„Der höhere Anteil ungeglätteter Schocks ist vor allem ein Ergebnis der geringeren  Glättung über die Kreditmärkte, und hier insbesondere des weniger ausgeprägten prozyklischen Sparverhaltens der Regierungen, und nicht des Privatsektors.“

Fazit:

Die Weisenmehrheit und Mario Draghi, sowie indirekt der Fünfpräsidentenbericht stützen sich auf eine einzige, völlig veraltete Studie von der klar ist, dass ihre Ergebnisse für Krisenzeiten nicht stimmen und völlig unklar ist, ob sie unter heutigen Verhältnissen in ruhigen Zeiten stimmen. Beide verschleiern das auf ähnliche Weise.

Sie sollten sich allesamt schämen für diese Vorgehensweise.

P.S. (29.7. mit Dank an Stephanie Schulte). Die Sache scheint koordiniert. Das hat vor einer Woche Bundesbankpräsident Jens Weidmann zum gleichen Thema in einer Rede gesagt:

In den Vereinigten Staaten etwa zeigen Untersuchungen, dass die Fiskalpolitik lediglich 10 % bis 20 % der wirtschaftlichen Schocks auffängt und so verhindert, dass ein lokaler Einkommensschock zu einem Konsumrückgang gleichen Ausmaßes führt.“

Wie bei der Weisenmehrheit Plural und Gegenwartsform, obwohl nur wieder die eine Altstudie mit Uraltdaten angeführt wird.

P.P.S. (nochmals Dank an @schulte_stef) Neueres, aber eben auch weniger Positives wäre zu dem Thema durchaus zu finden, etwa von Helene Rey, der der Verein für Socialpolitik letztes Jahr in Hamburg einen von Weidmanns Bundesbank gestifteten Preis verliehen hat. Sie schreibt:

it is hard to find robust evidence of an impact of financial openness on growth or on improved risk sharing.

 

P.P.S. (31.7.) Der koordinierte Betrug ist noch viel schlimmer:

Bent Sørensen, der Ko-Autor der vom Sachverständigenrat, von Weidmann und von Mario Draghi so überhöhten Studie von 1996 hat 2014 eine Studie zu Europa mit verheerenden Ergebnissen publiziert. Sie wird einfach ignoriert.

Kurzfassung: Integrierte Kapitalmärkte haben zwar vor der Krise zur Glättung des Konsums in den späteren Krisenländern beigetragen. Danach haben sie aber das Gegenteil bewirkt. Während der Skandinavienkrise der 90er war das auch so.

Ausführlicher: Sebnem Kalemli-Ozcan, Emiliano E. Luttini, Bent Sørensen (2014): Debt Crises and Risk Sharing: The Role of Markets Versus Sovereigns, Scandinavian Journal of Economics: “ Factor income flows significantly smoothed consumption for PIIGS before 2007. … For the PIIGS, net factor income flows provided little smoothing during 2008/2009 but the estimate turns negative at 13 percent for 2010. … Higher interest payments on government debt held abroad led to an unwelcome outow of capital income at a time where GDP declined. … Before 2008, PIIGS smoothed about 30 percent of GDP shocks through saving … During 2008{2009, smoothing through saving  (rose) to 47 percent for the PIIGS…. However, as the sovereign crises raised it ugly head, risk sharing collapsed among the PIIGS mainly due to the collapse of procyclical saving; indeed for the PIIGS each percent decline in GDP in 2010 was accompanied by a more than one percent decline in consumption. … We observe that the Scandinavian crisis was accompanied by severe dissmoothing from net factor income, which may have been due to high interest rates paid on Scandinavian debt.“

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