Stimmt es wirklich, Herr Draghi, dass die EZB die irische Regierung 2010 nicht in ein Hilfs- und Kahlschlagsprogramm gezwungen hat?

6. 11.2014 | „Die Entscheidung, um ein Programm zu bitten, war die Entscheidung der Regierung. Die EZB hat die Regierung nicht gezwungen“, sagte EZB-Chef Mario Draghi heute auf der Pressekonferenz im Anschluss an die Sitzung des EZB-Rats. Kurz zuvor hatte die EZB dem öffentlichen Druck aus Irland nachgegeben und den bisher geheim gehaltenen Briefwechsel zwischen Draghis Vorgänger Trichet

und dem damaligen  irischen Finanzminister Brian Lenihan von Oktober und November2010 veröffentlicht. Man kann also nachlesen und sieht: Draghis Behauptung grenzt sehr hart an eine Lüge. Die irische Regierung hat so freiwillig gehandelt, wie die Familie eines Entführungsopfers, die sich entscheidet, ein Lösegeld zu zahlen.

Im letzten der vier veröffentlichten Briefe berichtet Lenihan am SONNTAG den 21. November 2010  Trichet Vollzug: „In Bezug auf die Punkte (1) bis (4) Ihres Briefes möchte ich Sie informieren, dass die Regierung heute beschlossen hat, um Zugang zu den europäischen und internationalen Unterstützungsmechanismen nachzusuchen. Diese gravierende und schwerwiegende Entscheidung wurde getroffen im Lichte der Entwicklungen, die ich oben beschrieben habe, und geleitet (informed) durch  Ihre jüngsten Mitteilungen und den Rat, den Sie mir in den letzten Tagen persönlich und in höflicher Weise zukommen ließen. (meine Übersetzung)“

Deutlicher kann man kaum ausdrücken ohne gänzlich undiplomatisch zu werden, dass man nur unter Druck gehandelt hat, und von wem dieser ausging. Liest man den vorangegangen erpresserischen Drohbrief Trichets vom vorangegangenen Freitag, wird die bittere Ironie im letzten Satz deutlich. Von der sonstigen übertriebenen Höflichkeit und den diplomatischen Umschreibungen, deren sich Trichet sonst immer befleißigte, ist nichts zu spüren. Er wirkt sehr teutonisch direkt, nicht höfisch französisch (meine Übersetzungen):

Lieber Minister, Sie wissen durch meinen vorangegangenen Brief vom 15. Oktober, dass die Bereitstellung von Notfallkrediten (Emergency Liquidity Assistance) ELA durch die Zentralbank von Irland…durch den EZB-Rat genau beobachtet wird…“ kommt  er ohne alle Umschweife zur Sache.

Wenig später kommt die Erpressung:
„Es ist die Position des EZB-Rats, dass wir nur wenn wir eine schriftliche Selbstverpflichtung von der irischen Regierung gegenüber dem Eurosystem zu den folgenden vier Punkten bekommen, weitere Notfallkredite an irische Finanzinstitute genehmigen werden.

Die irische Regierung wird einen Antrag auf  Finanzhilfe an die Eurogruppe stellen.

  1.  Der Antrag wird eine Selbstverpflichtung zu entschiedenem Handeln enthalten, auf  den Gebieten der fiskalischen Konsolidierung, struktureller Reform und Restrukturierung des Finanzsektors in Übereinstimmung mit der EU-Kommission, dem Internationalen Währungsfonds und der EZB.
  2.  Der Plan fürdie Restrukturierung des irischen Finanzsektors wird die Bereitstellung des nötigen Kapitals an die irischen Banken beinhalten, die dieses brauchen, und wird aus den finanziellen Mitteln bestritten, welche die irische Regierung von der europäischen und internationalen Ebene erhält, sowie aus den Mitteln die der irischen Regierung derzeit zur Verfügung stehen, einschließlich der Barreserven der irischen Regierung.
  3. Für die Rückzahlung der Mittel, die in Form von ELA gewährt wurden, garantiert die irische Regierung in vollem Umfang, was die Bezahlung sofortiger Kompensation an die Zentralbank von Irland im Fall einer ausbleibende Zahlung von einer Empfängerbank sicherstellt.

Der ungewöhnliche Entscheidungstag der irischen Regierung erklärt sich daraus, dass Trichet eine Antwort vor Marktöffnung am Montag verlangte. Anschließend machte er noch deutlich, dass der EZB-Rat  auch die normale EZB-Finanzierung  für irische Banken kritisch verfolge und auch diese jederzeit einschränken könne. Das diente wohl dazu, Lenihan klar zu machen, dass es sich nicht lohnte, überhaupt darüber nachzudenken, ob man vielleicht auch ohne die ELA-Notfallkredite zurecht kommen könnte, weil die EZB auch die gesamte Refinanzierung kappen könnte.

Lenihan dokumentiert in seiner Antwort auch, dass der irischen Regierung bei dem Plan, den es am Sonntag verabschiedete, in starkem Maße die Hand geführt wurde, unter anderem von der EZB (meine Übersetzung):

Der Regierung ist klar, im Lichte der sehr intensiven und produktiven Arbeit, die irische Amtsträger und solcher von der EU-Kommission, dem IWF und natürlich der EZB in den letzten Tagen geleistet haben, dass es ein potentielles  Programm gibt, das sowohl umsetzbar als auch effektiv ist und das reale und signifikante Umstrukturierungsmaßnahmen in Bezug auf den Finanzsektor, Strukturreformen und fiskalische Konsolidierung beinhaltet…

Schon Trichets erstem Brief vom 15. Oktober, in dem er sich auf ein vorangegangenes Telefongespräch bezieht, macht deutlich, dass die irische Regierung von ihm genaue Vorgaben hatte, wie zu verfahren sei (meine Übersetzung):

Wie ich Ihnen gesagt habe, wird ein wichtiges Element bei der Prüfung des Engagements des Eurosystems gegenüber dnm irischen Bankensystem durch den EZB-Rat in einer Beurteilung des Fortschritts bestehen, der bei der Umsetzung der vierjährigen wirtschaftspolitischen Strategie erielt wird, welche die irische Regierung im November anzukündigen beabsichtigt. Der Grund ist nicht nur, dass signifikante Teile des irischen Bankensystems teilweise oder ganz in Regierungsbesitz sind, sondern auch weil ein wichtiger Teil des Kreditengagements des Eurosystems mit irischen Kreditinstituten mit Wertpapieren besichert ist, die von der irischen Regierung herausgegeben oder garantiert sind. Ich vertraue darauf, dass die Vierjahresstrategie eine Ziel für das Haushaltsdefizit 2014 von weniger als 3% beinhalten wird, sowie einen Rückgang der Relation von öffentlicher Schuld und BIP ab 2012/13, basierend auf vorsichtigen Wachstumsprognosen und einem starken Strukturreformprogramm. Zukünftige Entscheidungen des EZB-Rats bezüglich der Bedingungen für die Liquiditätsbereitstellung an irische Banken werden daher getroffen werden müssen im Lichte angemessenen Fortschritts in den Bereichen fiskalische Konsolidierung, Strukturreformen und Restrukturierung des Finanzsektors.

Die EZB hat die Regierung nicht gezwungen? Wirklich? Herr Draghi, warum täuschen sie die Öffentlichkeit in dieser Weise? Was haben sie zu verbergen? Eine Überfülle an nicht demokratisch legitimierter Macht?

Wie wenig Respekt EZB-Präsidenten, einschließlich Draghi, als Botschafter des EZB-Rats, vor der politischen Autonomie gewählter Regierungen haben, haben sie ausgiebig bewiesen. Draghi selbst schrieb als Chef der Bank von Italien zusammen mit Trichet einen ähnlichen Drohbrief an den italienischen Ministerpräsidenten Belusconi, in dem sie detaillierte wirtschaftspolitische Forderungen mit einer kurzfristigen Deadline stellten. Dazu gehörten etwa eine Erhöhung des Rentenalters für Frauen und Gehaltskürzungen für öffentliche Bedienstete, Einnchnitte in die Arbeitslosenversicherung und ins Arbeitsrecht, ja sogar eine Verfassungsreform.

Anders als seine irischen und spanischen Kollegen kuschte Berlusconi nicht. Wenig später war er weg. Die EZB und die Bank von Italien ließen die Spekulationsattacke auf italienische Anleihen eskalieren. Warum Berlusconi weg musste, beschreibt Hans-Werner Sinn. (Absatz ergänzt am 7.1.2014)

Auch der spanische Regierungschef Zapatero erhielt 2011 einen in rüdem Befehlston gehaltenen Brief mit detaillierten wirtschafts- und sozialpolitischen Forderungen von Trichet und dem damaligen spanischen Notenbankchef.  Zapatero leugnete die Existenz dieses geheimen Briefes während seiner Amtszeit, in der er die Umsetzung der EZB-Forderungen weitgehend  umsetzte oder vorbereitete, hartnäckig, veröffentlichte ihn aber später in seinen Memoiren.

Draghi betonte am Donnerstag mit Blick auf das ungehaltene irische Parlament, dass die EZB nationalen Parlamenten keine Rechenschaft schulde, nur das machtlose Abnickergremium EU-Parlament. Das klingt nach Absolutismus. Mario, König von Europa.  

Fortsetzung: Stimmt es wirklich, Durchlaucht Mario, König von Europa, …

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