Nach dem, was Sinn in seinem Gastkommentar schreibt, hatte sich Berlusconi mit dem griechischen Ministerpräsidenten Papandreou abgesprochen, der sein Volk mit einem Referendum faktisch vor die Wahl zwischen einem Austritt und einer harten Austeritätspolitik stellen wollte. „Beide mussten dann aber im November 2011 fast zeitgleich zurücktreten“, fährt Sinn fort und liefert auch die Begründung: „Übergeordnete politische Interessen, aber auch das Interesse des Bankensystems, standen dem Austritt entgegen.“
Diese Botschaft hört man sonst nur von vehementen Euro-Kritikern oder Blockupy- Anhängern: Wenn die Interessen des Bankensystems tangiert sind, die Interessen der fünften Gewalt, wie Rolf Breuer und Otmar Issing das nennen, dann haben die Bürger europäischer Staaten nichts mehr zu sagen. Dann bekommen sie eine Regierung vorgesetzt, die macht, was den „übergeordneten politischen Interessen“ und „dem Interesse des Bankensystems“ frommt. Die Demokratie wird außer Kraft gesetzt. Was die „übergeordneten politischen Interessen“ sind, vor allem wessen Interessen das sind, darf sich jeder selbst ausmalen.
Wie das in Griechenland bewerkstelligt wurde, hat man schon hier und da gelesen, zum Beispiel in einer Artikelserie in der Financial Times mit dem Titel „How the Euro was saved“. Danach hat EU-Kommissionspräsident Barroso im November 2011 hinter dem Rücken von Regierungschef Papandreou mit dessen Finanzminister Venizelos und Oppositionsführer Samaras einen Verzicht auf das Referendum zum Euro und eine Einheitsregierung unter Führung des kurz zuvor aus dem Amt geschiedenen EZB-Vizepräsidenten Papademos vereinbart. Als Venizelos auf dem Rückflug vom G-20 Gipfeltreffen in Cannes eine Presseerklärung mit der Absage des Referendums verfasste – während Papandreou schlief – war dessen politisches Schicksal besiegelt.
Auch dass Italien neben Griechenland in Cannes das größte Sorgenkind war, liest man dort, und dass US-Präsident Obama und Finanzminister Geithner intensiv an der europäischen Krisendiplomatie teilnahmen. Italiens Regierungschef Berlusconi wurde in Cannes massiv unter Druck gesetzt. In der Woche danach schossen die italienischen Anleiherenditen bis weit über sieben Prozent nach oben.
Die Europäische Zentralbank setzte Berlusconi ebenfalls zu. EZB-Chef Trichet und sein Nachfolger Draghi, der damals noch Chef der Bank von Italien war, schrieben Berlusconi einen Drohbrief mit wirtschaftspolitischen Bedingungen dafür, dass sie italienische Staatsanleihen aufkaufen. Der geheime Brief wurde im Herbst 2011 an die Medien gegeben, heizte die Spekulation weiter an und schadete Berlusconi politisch sehr. Meine Vermutung ist, dass die Bank von Italien damals ihr umfangreiches eigenes Anleiheportfolio zulasten italienischer Titel umschichtete, um Berlusconi unter Druck zu setzen, und erst wieder kaufte, nachdem der ungeliebte Regierungschef aus dem Amt gedrängt war. Wirklich beweisen lässt sich das aber nicht, weil die Bank von Italien kaum Informationen über ihr Anleiheportfolio veröffentlicht. Das bisschen, was sie früher darüber geschrieben hat, hat sie inzwischen aus ihrem Geschäftsberichten gestrichen, nachdem ich anfing, im Handelsblatt darüber zu schreiben. (Text und Link aktualisiert am 7.1.2015)
Einen ähnlicher Briefwechsel mit dem spanischen Regierungschef „veröffentlichte“ die EZB im Weihnachtsloch 2014 ankündgungslos in den Tiefen ihrer Website. (Absatz am 7.1.2015 eingefügt)
Auch die Bürger Irlands haben ihre Erfahrungen mit der Macht der Finanzbranche gemacht. Als 2010 die grotesk überschuldeten irischen Riesenbanken Pleite zu gehen drohten, da schrieb EZB-Chef Trichet der irischen Regierung einen erpresserischen Brief. Die EZB hielt den Briefwechsel jahrelang geheim, bevor sie ihn auf Druck des irischen Parlaments schließlich veröffentlichte. In dem Brief drohte er mit der Untersagung der Not-Liquiditätshilfen durch die irische Notenbank gedroht haben, wenn die damalige Regierung sich weigerte einen Bailout zu akzeptieren, bei dem die Anleihegläubiger der irischen Banken von Verlusten verschont wurden (Passage aktualisiert am 7.1.2015) Diese zu schonenden Gläubiger waren im Wesentlichen die großen deutschen und französischen Banken. Im Ergebnis akzeptierte die irische Regierung riesige Hilfskredite aus dem Ausland, mit denen sie die Löcher bei den Banken stopfte. Daran werden die irischen Steuerzahler noch Generationen schwer zu tragen haben. Gefragt wurden sie nicht.
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